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Des Nachts
Es war entweder die Entfernung, oder der abrupte Wegfall des Lichtes nach dem Sonnenuntergang, was der junge Mann völlig verschätzte und auf seinem Rückweg von der Dunkelheit der Nacht umhüllt wurde. Dem Weg folgend, weg vom kleinen Bergdorf im Tal, schritt Jesper zwischen dichter werdenden Bäumen entlang - die sich gleich einer Wand aufbauten und die Sichtweite auf wenige Meter begrenzten.
Doch es war mehr als die nächtliche Dunkelheit der vergangenen Tage. Obschon er den Weg mehrfach abgelaufen war, irritierte ihn diese Nacht, bei der sich der Mond nicht zeigen wollte, sich willentlich versteckte. Er überlegt, ob er sich das Himmelsgestirn als Vorbild nehmen sollte. Das Unbehagen ließ ihn erzittern.
Im Wald lauerte eine unnatürliche Finsternis, eine Schwärze, die das Licht seiner Taschenlampe schluckte. Und es ihm erschwerte, den Weg zur einsamen Holzhütte zu finden. Kein Tier war zu hören, kein Rascheln der Blätter im Wind zu vernehmen, der Wald lag tot um ihn herum. Das Fehlen von Geräuschen der stets sich regenden Natur ließ ihn nervöser werden. Eine verstörende Ruhe begleitete ihn und verzweifelt betete er innerlich, die Stille möge das einzig ihn Verfolgende sein.
Immer wieder hielt er inne und blickte über die Schulter, fast schon hoffend, die Ursache seines ängstlichen Zustandes erblicken zu können. Und sei es nur, um die Gewissheit zu haben, in der Dunkelheit befindet sich tatsächlich ein ihm nachstellendes Wesen. Rein dem paranoiden Gefühl ausgeliefert zu sein, ohne Antwort zu erlangen, machte ihm zu schaffen und straffte sein Nervenkostüm bis zum Zerreißen. Jene Unsicherheit, ob er allein war oder in Begleitung eines Unbekannten, trieb ihn an, mit schnelleren Schrittes und Herzschlages zur Hütte zu eilen.
Entsetzt erstarrte er gleich einer jenen steinernen Skulpturen, wie man sie an den Gräbern historisch bedeutender Persönlichkeiten zu finden pflegte, bei denen der Künstler größten Wert auf lebensechte Feinheiten achtete. Die Holzhütte war plötzlich zwischen den Bäumen aufgetaucht. Was ihm beim Anblick seiner Ferienbehausung den Atem raubte, war die Entdeckung, dass hinter milchigen Glasscheiben ein blutrotes Licht brannte.
Panisch griff er nach seinem Rucksack und betastete dessen Inhalt. Auf der Suche nach seinem Verstand, bevor er drohte verrückt zu werden, und den gekauften Glühbirnen, um die kaputten der Holzhütte zu ersetzen - der Grund, weswegen er die Hütte vor Stunden verlassen hatte. Es konnte unmöglich Licht sein, welches er vergessen hatte auszumachen und ihn nun einlud, näher zu kommen. Sein Kopf suchte nach einer Erklärung, einem Ausweg, um bei klaren Sinnen zu bleiben. Doch es war zu spät.
Er wirbelte noch herum, auf das schlurfende Geräusch hinter ihm reagierend. Ein Arm, mehr eine Extremität, die bei einem Humanioden ein vergleichbarer Körperteil darstellen würde, traf Jesper am Schädel. Bewusstlos fiel er zu Boden. Seine Taschenlampe schlug auf einer Wurzel auf und rollte flackernd über Moos Richtung Unterholz, ehe sie gänzlich ausging. Alles versank in Dunkelheit.
Das Wesen schleppte den regungslosen Körper des jungen Mannes zur Hütte, und dort angekommen gab es gutturale Laute von sich. Aus der Hütte drang das Geräusch von Schritten nach außen, gefolgt von der Entriegelung der Tür, die langsam geöffnet wurde. Die Kreatur ließ von Jesper ab, verbarg das eigene Antlitz im Schatten - schutzsuchend vor dem Licht aus dem Inneren der Unterkunft, welches sich über den Eingangsbereich ergoss.
Der Herr des Hauses lächelte zufrieden. Seine weiße Haut schimmerte glänzend und leere Augenhöhlen waren hungrig auf den Unglückseligen zu seinen Füßen gerichtet. Nicht länger musste er diese Nacht darben.