Des Künstlers Bild
Es war ein warmer Abend, der mit ein wenig Regen in die Nacht übergegangen war. Obwohl man nun meinen könnte, dass die Luft durch den Regen abgekühlt wäre, war dem nicht so. Deshalb tummelten sich auf der Piazza nun allerlei Touristen , Straßenverkäufer und Künstler. Wobei die Touristen über die stille Pracht des zu ihrem Leidwesen stillgelegten marmornen Brunnens und die in ihn eingearbeiteten Figuren staunten und sich wenn der Hunger unerträglich wurde in die am Rand der Piazza befindlichen Lokalitäten begaben. Dazu lasen sie sich, in ihren extra zu diesem Anlass gekauften Reiseführern, allerlei Geschichten und Daten zu dem vor ihnen aufragenden Bauwerk durch, wobei sie dazu hin und wieder mit ihren kleinen Digitalkameras wackelige, undeutliche und wegen der Nacht kaum zu erkennende Bilder machten die sie später stolz ihren daheim verbliebenen Verwandten zeigen konnten. Während sie dies taten , wurden sie von einem nimmer müde werdenden Heer von meist aus Indien und Pakistan stammenden Straßenverkäufern belagert die ihnen auf holprigem Englisch und mit dem für diesen Kulturraum typischen Akzent allerlei Schund anzudrehen versuchten. So konnte man für gar nicht viel Geld seiner liebsten eine Rose kaufen, oder für ein wenig mehr sogar einen Laserpointer , mit dem man dann die altehrwürdigen Bauwerke passend zu seiner Reiseführerlektüre beleuchten konnte. Dazu gesellten sich noch ein paar afrikanische Taschenverkäufer, bei denen man sagenhaft günstig Taschen von Luis Viton, Gucci und Armani kaufen konnte. Diese waren jedoch deutlich in der Minderzahl.
Von dem ganzen Trubel unbeeindruckt saßen die Künstler an ihren kleinen Ständen, die sie nun da die Dunkelheit eingebrochen war mittels Lampen und Autobatterien beleuchteten. Die meisten hatten ihre Bilder in einem V-förmigen Ständer ausgestellt, sodass es von weitem so aussah als ob ein jeder von ihnen in einem riesigen Buch lesen würde. Hinter sich hatten sie meist eine Leinene Wand aufgebaut an der sie zusätzlich einige ihrer Werke aufgehängt hatten. Den größten Teil ihrer Zeit verbrachten sie damit, vor sich hinzu dösen oder mit ihrem Standnachbarn ein Schwätzschen zu halten. Ihre Werke zeigten meist die größten Sehenswürdigkeiten und beliebtesten Plätze ihrer berühmten und geschichtsträchtigen Heimatstadt.
Inmitten dieser Künstler saß ein Künstler, der sich äußerst intensiv mit seinem Nachbarn über die monetäre Differenz zwischen dem was er verdiente und was sein Vermieter verlangte, unterhielt. Der Mann war Mitte 40 , leicht füllig und hatte einen Dreitagebart, sowie fettiges lockiges schulterlanges Haar , was auf seinen ranzigen grauen Pullover herabfiel. Sein Gegenüber hatte eine schwarze Hornbrille , die den Blick von seinem länglichen hageren durch seinen weißen Bart gefülltes Gesicht direkt in seine Mausgrauen Augen lenkte und ein sandbraunes Jackett , unter welchem er ein leicht knittriges Hemd trug. Beide waren so sehr vertieft in ihr Gespräch, dass sie das junge Pärchen welches offenkundig aus dem fernen Osten stammte und sich für die Gemälde des Dicken interessierten gar nicht bemerkten.
Das junge Pärchen schaute neugierig in den vor ihnen liegenden Gemälden nach einem passenden Mitbringsel aus der berühmten Stadt für ihre daheim zurück gebliebene Verwandtschaft. Nach wenigen Minuten waren sie fündig geworden und sprachen den Dicken an. Beinahe überrascht über seine eigene Unaufmerksamkeit wendete sich dieser zu ihnen um. Als er jedoch sah das es sich um Kundschaft handelte verwandelte sich sein erstauntes Gesicht in ein zufriedenes, freundliches, dickes Grinsen. Er nahm das ausgewählte Werk entgegen und rollte es ganz vorsichtig zu einem Rohr. Dann nahm er ganz langsam einen Streifen Klebeband um das zusammengerollte Gemälde in seiner Position zu halten. Nachdem er dies getan hatte löste er aus dem neben ihm liegenden Karton ein passendes großes Stück und wickelte es wiederum um das Gemälde. Auch dieses fixierte er wie zuvor das Gemälde mit Klebeband.
Als dies nun geschehen war, versiegelte er die beiden Enden der Kartonrolle mit Klebeband , sodass keine Feuchtigkeit einzudringen vermochte. Als er mit seinem Werk zufrieden war, händigte er es dem Pärchen aus. Die Frau kramte aus ihrer Börse zwei 50€ Scheine hervor, um das 85€ teure Bild zu bezahlen. Zufrieden nahm der Dicke die beiden Scheine entgegen und kramte in seiner Börse umständlich herum um das passende Wechselgeld ausfindig zu machen. Da streckte die Frau abwehrend ihre Rechte heraus und schüttelte mit dem Kopf um zu signalisieren, dass der Dicke das Geld behalten könne. Mit einer leichten Verbeugung und einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen verabschiedete der Künstler seine unverhoffte Kundschaft. Nachdem er dies erledigt hatte wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu, um den Dialog weiter zu führen. Seine Kunden machten sich derweil auf den Rückweg zu ihrem Hotel.
Da gute Hotels für normale Menschen im Stadtkern nicht erschwinglich waren, hatte sich das junge Pärchen in einem Hotel am Stadtrand eingemietet, was es notwendig machte, dass es mit dem Bus fahren musste. Sie waren mit dem Bus schon ein gutes Stück weit gefahren, als der Busfahrer von einem rechts neben ihm fahrenden LKW, auf die Gegenfahrbahn gedrängt wurde. Der Bus wurde über die Gegenfahrbahn in einen Graben gedrängt. Der Bus wurde , nachdem alle Unfallumstände von der Polizei geklärt waren ,auf den Abschlepphof der Polizei zur näheren Untersuchung verbracht. Das junge Pärchen indes kam mit ein paar Prellungen und Schürfwunden davon. Das Bild jedoch , welches sie erworben hatten, ließen sie in der allgemeinen Aufregung im Bus liegen. Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren, wurde das Gemälde von einem Polizisten gefunden. Der Polizist konnte jedoch nicht viel mit dem Gemälde anfangen und übergab es einem Kollegen der die Kunst liebte. Dieser entfernte das Klebeband, rollte es aus und lächelte als er erkannte wie schön es war.
Der dicke Künstler baute seinen Stand an der Piazza fünf Mal auf und ab. Fünf Mal lud er seine Gemälde auf seinen Handkarren und fuhr sie zu seiner Wohnung. Schleppte sie die Sechs Stockwerke hinauf in seine Dachwohnung grüßte dabei seinen Vermieter, der ihn argwöhnisch beäugte und saß in seiner Wohnung. Er liebte die Kunst. Er konnte zwar nur mittelmäßig Zeichnen und Malen, jedoch betrachtete er die Bilder, die ihn umgaben, mit einer Liebe und einer Bewunderung, wie sonst nur ein zarter Jüngling eine wunderschöne nackte Frau betrachtete. Hin und wieder war er jedoch eines Gemäldes überdrüssig, wie er einer oft geliebten und verbrauchten Frau überdrüssig war und verkaufte es. Er saß meist morgens früh, wenn die Sonne seine Wohnung flutete, vor ihnen und schaute die an, die ihm gefielen. Es waren zwar nicht seine eigenen Bilder, jedoch verschmolz er regelrecht mit den sanften Farbübergängen, wurde regelrecht gefangen gehalten von den ultramarinen oder neapelgelben Gewändern der Personen in den Bildern. Im Kopf ging er den Pinselstrich und die Arbeitsweise des Künstlers nach. Er malte in seinem Kopf das ganze Bild nach.
Es war der sechste Tag, als es während seiner morgendlichen Bewunderungsorgie an der Tür klingelte. Mit einem Ausdruck des Zorns über den morgendlichen Störenfried stürmte er zur Tür und sah einen hageren kleinen Polizisten. Er war in Begleitung von drei grobschlächtigen finster dreinblickenden Polizisten.
„Guten Tag Herr Pazzi. Ich habe gehört, dass sie ein Liebhaber der Kunst seien. Sehen sie ich bin auch ein Liebhaber der Kunst, darf ich sie daher bitten mitzukommen? Ich würde mit ihnen gerne ungestört über unsere Vorliebe für die Kunst und ihre Vorliebe sie mitzunehmen reden.“