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Des Jägers Lohn
Des Jägers Lohn (überarbeitete Version)
Anmerkung: Eine - nach Vorschlägen bisheriger Kommentare - überarbeitete Version befindet sich im Feedback. (24.2.2004)
'Es ist derart anödend', dachte Syskyn bei sich, 'dass ich wohl eines Tages einmal einen Fehler machen werde!'
Und wenn Syskyn einen Fehler machte, wäre es tödlich. Jedenfalls für ihn!
Solange er keine Fehler machte war es ebenso tödlich. Für seine Beute!
Syskyn hatte wieder einmal ‚seinen Melancholischen’ und war deshalb für Daryn, seinen Lehrling, ungenießbar. Also hielt Daryn sich zurück, denn auch sein Leben hing von dem Syskyns ab. Syskyns Fehler waren immer tödlich, auch für seinen Lehrling.
Aber Syskyn machte keine Fehler! Seit weit über zweihundert Jahren war dies so und es sah nicht so aus, als würde er jemals einen begehen.
Syskyn war nicht alt, berücksichtigt man das durchschnittliche Alter seiner Rasse. Und doch war er bekannter als so mancher Regent eines kleinen Landes, obwohl er von diesen bezahlt wurde für seine Arbeit.
Syskyn ließ sich gut bezahlen! Schließlich arbeitete er fehlerlos und zog einen intelligenten Nachwuchs heran. Syskyn war beliebter, als er selbst es ahnte, und doch interessierte es ihn überhaupt nicht. Er hasste Gesellschaft, die er nicht selbst auswählte! Und Syskyn war der Einzige in allen Reichen, der es sich herausnahm, zu kommen und zu gehen, wann immer es ihm beliebte.
Syskyn war die Hoffnung vieler Familien, denn er bildete zwanzig Jahre lang die besten Jäger aus. Aber stets nur Einen! Syskyn suchte die Lehrlinge selbst aus, manchmal traf es sogar eine Bewerberin, meist fiel seine Wahl auf solche, die sich nicht beworben hatten. Absolut ungewöhnlich, aber an Syskyn war nichts gewöhnlich.
Er war der Traum, der durch die Wälder strich, der Albtraum seines Wildes ... und seiner Lehrlinge!
Daryn schlich vorsichtig näher und trat auf ein winziges Ästlein, welches ein dürftiges Geräusch von sich gab. Syskyn drehte sich herum und warf Daryn einen missbilligenden Blick zu. Der Lehrling verdrehte die Augen nach oben und kam dann näher heran und hockte sich neben seinen Lehrer.
"Fünf", flüsterte Daryn leise. "Es sind fünf!"
Syskyn nahm dies mit ewig gleicher stoischer Ruhe entgegen und quittierte mit einem kaum merklichen Kopfnicken. Dann erhob er sich voller Grazie und schritt - ohne ein Geräusch zu verursachen - zu einem nahestehenden Baum hinüber. Daryns Blicke folgten ihm. Wenig später setzte sich der angehende Jäger selbst in Bewegung und folgte seinem Meister. Kopfschüttelnd stellte er fest, dass er mehr Geräusche verursachte, wenn er still irgendwo hockte, als wenn Syskyn durch den Wald lief. Manchmal fragte sich der Junge, ob Syskyn nicht vielleicht ein Geistwesen war ...
Syskyn wies mit ausgestreckter Hand auf das kleine Feuerchen und bedeutete Daryn kurz, es zu löschen. Der Junge nickte. In den vergangenen elf Jahren hatte er Syskyn niemals viel reden hören. „Dann hörst du mir wenigstens zu“, hatte er Daryn auf eine Frage hin einmal geantwortet, „wenn ich einmal etwas sage!“ Zum Ausgleich für diesen für Syskyn ungewöhnlich langen Satz, sprach er fast eine Woche lang überhaupt nicht mehr.
Später erkennte Daryn, dass er den Stimmen der Tiere und des Waldes lauschte. Syskyn beherrschte dies, wie niemand sonst in allen Reichen und er weihte Daryn vorsichtig ein. Daryn selbst erkannte, dass er immer weniger sprach und seine Geschwätzigkeit ablegte.
Syskyn sprach niemals ein Lob aus! Daryn merkte in seiner Frustration aber bald, dass Syskyn lobte, indem er sich nicht über Fehlleistungen ausließ. Hätte Syskyn gesprochen, wäre Daryn sicher vor Stolz geplatzt, aber der Junge ahnte nicht, dass ihn sein Lehrer für seinen besten Schüler in all den Jahren hielt.
Das Feuer war gelöscht, Syskyn schritt langsam und bedächtig aus, während Daryn vorsichtig folgte. Beide verursachten kein Geräusch und Syskyn nahm erfreut zur Kenntnis, dass sein Schüler ihm auch diesbezüglich nun das Wasser reichen konnte.
Es würde eine gute Jagd werden! Eine schnelle Jagd ...
Auf einer kleinen Lichtung standen sie und bemerkten nicht, dass sie beobachtet wurden. Hätten sie es bemerkt, so hätten sie sicherlich zunächst keinen Argwohn gehabt, bis sie Syskyn aus der Nähe hätten sehen können. Aber Syskyn kam seinem Wild nicht nahe! Sein Wild konnte ihn nicht sehen, denn er trug die Kleidung der Jäger seiner Rasse. Und die Jäger unter den Waldelfen werden von ihrem Wild nicht gesehen! Nie!
"Den Kleinen rechts und den Anderen direkt links davon", hauchte er, so dass selbst Daryn Schwierigkeiten hatte, seinen Lehrmeister zu verstehen. Doch der junge Elf nickte und spähte das ihm zugedachte Wild aus, während Syskyn die verbliebenen Drei anvisierte.
Syskyn hob den Langbogen und legte den Pfeil auf die Sehne, während Daryn sich ebenfalls bereit machte. Die ungewöhnliche Metallspitze funkelte im Licht der Sonne, eine klebrige Flüssigkeit schimmerte darauf in allen Farben des Regenbogens. Wenn der Pfeil nicht tödlich traf, so würde das Gift sehr schnell seine Wirkung zeigen.
Syskyn ging niemals ein Risiko ein!
Doch der Elf senkte den Bogen wieder und auch Daryn feuerte nicht. Das Spielchen wiederholte sich mehrere Male, bis Syskyn seinem Schüler endlich ein Zeichen gab.
Zwei Pfeile schossen ungehört heran und erreichten ihr Ziel im Hals des jeweiligen Opfers! Zwei weitere Pfeile folgten, einer ein klein wenig schneller als der andere, und erreichten das noch immer irritierte Wild, bevor es fassen konnte, was vor sich ging. Der letzte Pfeil streckte sein Opfer nieder, bevor es auch nur die Möglichkeit hatte, eine Deckung ins Auge zu fassen.
Syskyn war sehr schnell! Und selbst Daryn staunte jedes Mal, wenn er seinen Lehrer bei der Arbeit sah.
Syskyn beobachtete die Lichtung und so saß er mit Daryn in der Deckung, die sie mehrmals wechselten. Syskyn hing an seinem Leben und es konnte sich sehr wohl um eine Falle handeln. Aber es geschah nichts und auch in der folgenden Nacht blieb alles ruhig! Es war kein weiteres Wild hier unterwegs, welches sich hätte rächen können.
Syskyn trat mit Daryn am Morgen auf die Lichtung und erreichte die in Zuckungen erstarrten Körper. Nicht ein Körper war direkt an dem Pfeil gestorben! Alle waren an den Folgen der Vergiftung eingegangen.
Syskyn mochte das nicht und er schüttelte angewidert den Kopf. Syskyn wünschte niemandem einen solchen Tod, aber er konnte nicht anders handeln, denn dieses Wild stahl seinem Volk Land!
Syskyn und sein Lehrling blickten auf die fünf menschlichen Körper herab. Körper von Menschen, die hier siedeln wollten.
Aber dieses Land war Elfenland! Und niemand durfte hier siedeln, in dessen Adern nicht reines Elfenblut floss. Dies war das Gesetz! Und jeder wusste darum ...
Und Syskyn war der Jäger. Ein Jäger ganz besonderer Art, denn er jagte für die Herrscher der Elfenländer die illegalen Siedler!
Syskyn war der Kopfgeldjäger, auf dessen Konto kaum zählbare Menschen-, Zwerge- und auch andere Leben gingen und für die er Geld erhielt. Syskyn war Polizei, Richter und Henker ...
Und seinen Lehrlingen und den ausgereiften Schülern stand genug verwegenes Wild zur Verfügung ... Die Wälder waren voll davon!