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Thema des Monats Des Gunners Traum

Seniors
Beitritt
31.10.2003
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Des Gunners Traum

Night after night
Going round and round my brain
His dream is driving me insane.
In the corner of some foreign field
The gunner sleeps tonight.
What's done is done.
We cannot just write off his final scene.
Take heed of his dream.
Take heed.

- Pink Floyd -


Es war die Zeit, als der Morast kam. Und das, was mit ihm lebte.


"Marten!" Stille. "Marten!"
Digger stand in dem kleinen Schlafzimmer des oberen Stockwerks, in dem sich außer einem alten klapprigen Bett mit ranziger Bettwäsche nichts befand. Das einzige Fenster war mit einer Stahlplatte einigermaßen lichtdicht abgeriegelt und nur eine matte Glühbirne spendete dem Raum ihre gespenstische Helligkeit. Sanft schaukelte sie hin und her, nicht erkennbar, wer oder was diese Bewegung ausgelöst hatte.
Digger verließ den Raum und trat ans Treppengeländer. "Hier oben ist er auch nicht!", brüllte er hinunter.
"Im Keller auch nich!", brüllte Corins Stimme von unten zurück.
Irgendwie hatte sich jeder in diesem Haus mit der Zeit einen brüllenden Ton angewöhnt.
"Scheiße", murmelte Digger und drückte sich die Hände in den Rücken. Es knackte.
"Was is mit dem verfickten Dachboden?"
Digger zuckte zusammen als er Corins Stimme vom oberen Treppenabsatz hörte.
"Was brüllst du so?", keifte er ihn an. "Ich bin nicht taub!"
"Warst du auf dem Dachboden?" Diesmal leiser.
Digger wollte fragen, wie der Junge da rauf gekommen sein sollte, beließ es aber dabei und machte sich daran, mit der Stange die Luke in der Decke über dem Flur zu öffnen. Sie kreischte wie ein altes Hafenweib und spuckte ihren trockenen Staub auf Digger hinab.
Dieser hustete und spürte ein gefährliches Stechen in den Bronchien; das verdammte Kraut, das sie unter anderem im Keller anbauten, war nicht gut für seine alten Lungen. Überhaupt nicht gut. Aber irgendwas musste man ja schließlich rauchen. Notfalls würde er Corins oder seine eigene Scheiße trocknen.
Corin war inzwischen heraufgekommen und die beiden Männer blickten nach oben in die schwarze Öffnung.
"Gab's eigentlich jemals ne Leiter da hoch?", fragte Corin.
Digger sah ihn an. Sein weißer Bart wirkte verfilzt - Corin erkannte getrocknete Suppe vom Vorabend darin - und die tiefen Augenringe zeugten von viel zu wenig Schlaf. "Keine Ahnung", sagte er, blickte wieder hinauf und brüllte: "Marten! Bist du da oben? Marten!"
Marten war etwa zwölf Jahre alt, und damals (war es wirklich erst drei Jahre her?), als alles anfing, hatte er es irgendwie geschafft, noch rechtzeitig in ihr Haus zu kommen. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Morast kam. Der Morast und das, was seitdem da draußen lebte.
"Marten!", brüllte Digger noch einmal.
"Erwartest du wirklich, dass er ausgerechnet heut auf dein Brüllen reagiert?" Corins Stimme ließ einen leichten Sarkasmus erkennen.
"Ich erwarte, dass er sich zeigt", fauchte Digger durch seinen filzigen Bart.
Corin legte seine Hand auf die bebende Schulter seines Gegenübers, was augenblicklich ein unsichtbares Band zu sprengen schien. Diggers Lippen zitterten. Dann senkte er seinen Blick und Corin spürte den Schauer unter seinen Fingern, der den Körper seines Mannes überzog. Digger begann zu weinen, ganz leise nur. "Er ... er kann doch nicht raus sein."
Corin breitete seine Arme aus und Digger ließ sich dankend hineinfallen. "Er kann doch nicht einfach raus sein."

Als der Gunner kam, saßen Digger und Corin auf dem Sofa und starrten zu dem Fernseher, der seit Jahren nichts mehr empfing.
Marten hatte jeden Abend ein Bild gemalt und es vor die Mattscheibe geklebt, woraufhin sie alle so getan hatten, als sahen sie einen spannenden Western oder Actionfilm oder ein Musical oder was auch immer. Hauptsache irgendetwas, das nicht der Realität entsprach.
Das jetzige Bild zeigte ein Feld mit spielenden Kindern. Im Hintergrund befand sich ein großer, grüner Wald. Ein wirklich grüner Wald. "Es ist die Fußballweltmeisterschaft der Kinder", hatte Marten freudig erzählt, nachdem er das Fernsehbild aufgehängt hatte. Und jeden Spielzug hatte er lautstark kommentiert, während Corin und Digger ein zehntausendfaches Publikum zu imitieren versuchten.

Digger lachte so laut, dass Marten seine pantomimischen Gesten unterbrechen mussten. Auch Corin wischte sich die Tränen. Das Bild zeigte irgendeine Castingshow (scheiße, der Junge konnte verdammt gut malen) und Marten hatte soeben einen Typen mit Krawatte imitiert, der verzweifelt versuchte, einen Song von Madonna zum Besten zu geben.
"Die scheiß Shows waren wirklich so!", hustete Digger. Mit zitternder Hand versuchte er die selbstgedrehte Zigarette in dem Aschenbecher auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sofa auszudrücken.
"Die Jury ist unfair", sagte Marten in einer gestellt tiefen Stimme. "Jeder bekommt hier das Recht, seine Kunst zu präsentieren. Das ist nicht fair!"
Corin und Digger brüllten vor Lachen.

Digger starrte durch glasige Augen auf das Bild mit den spielenden Kindern - hörte Martens kleine Stimme immer leiser werden, immer weiter weg. Ewig weit weg.
Das laute Klopfen an der Haustür ließ die Beiden aufblicken.
"Komm, alter Knabe. Er ist da." Corin erhob sich vom Sofa, wobei sein Körper einige knackende Geräusche von sich gab.
Digger blickte auf. "Meinst du, er weiß, wo Marten geblieben ist?"
"Der Gunner weiß viel, aber er is kein Hellseher." Als Corin die tiefe Traurigkeit in Diggers Augen sah, fügte er hinzu: "Aber wir werden ihn fragen. Vielleicht weiß er ja wirklich was."
Digger stand auf und auch sein Körper knackte.
"Du wirst alt", lachte Corin, während er zur Tür in Richtung Keller ging.
"Ich lach mich tot", murmelte Digger und folgte ihm.
Als sie die Haustür passierten, klopfte der Gunner erneut.
"Wir sind auf dem Weg!", brüllte Digger. "Gib uns ne Minute."
"Eine Minute", tönte es von draußen.

Die beiden Alten beeilten sich, in den Keller zu kommen. Das grelle Licht der künstlichen Beleuchtung für die Gemüse- und Tabakpflanzen schlug ihnen entgegen.
Sie verriegelten die Tür und warteten, bis sie das Öffnen der Haustür hörten. Ein hauchendes Zischen fuhr augenblicklich an der Kellertür vorbei, dann schlug etwas mit lautem Poltern dagegen. Tausendfache Stimmen rangen in einem unverständlichen Chor miteinander.
Digger schrie kurz auf und presste die Lider zusammen. "Scheiße", keuchte er. "Ich werd mich nie dran gewöhnen."
"Die Tür hält, alter Knabe. Schließlich hab ich sie sicher gemacht." Corin versuchte seine Stimme ruhig klingen zu lassen, doch trotzdem ertappte er sich dabei, dass er seine Augen ebenfalls fest zugepresst hatte.
Die Haustür fiel ins Schloss und die Stimme des Gunners drang zu ihnen herüber: "Ihr könnt wohl heraufkommen. Herauf mit euch, sofern euch die neuesten Nachrichten des Gunners interessieren. Herauf. Herauf."

"Sag mal, Dig. Meinst du, ich seh meine echten Eltern irgendwann mal wieder?"
Marten und Digger saßen neben der Haustür auf dem Boden. Draußen war es kalt, das spürten sie in ihrem Rücken.
Digger merkte, wie der Jungen ihn ansah und versuchte krampfhaft seinen Blick zur Kellertür zu richten. Er hörte Corin unten poltern, dann leise fluchen.
"Dig?" Der Blick klebte heiß an Diggers Hals, wanderte hoch zu seiner rechten Wange, die zunehmend wärmer wurde. "Dig?"
Jetzt sah der Alte hinunter. "Hab dich schon verstanden."
"Und?", fragte Marten. "Was meinst du, sehe ich sie wieder?"
"Keine Ahnung. Wenn der Morast irgendwann verschwindet vielleicht. Oder wenn wir ne andere Möglichkeit finden, da rauszukommen."
Marten hatte gelächelt und dann mit den Schultern gezuckt.
Wenig später beugte er seinen Kopf ganz tief zum Boden, sodass sein Ohr am unteren Türrand lag. Er schielte hoch. "Hast du schon mal gemerkt, dass man sie hören kann?"
Digger wurde bleich, fasste den Jungen bei den Schultern und riss ihn hoch. "Bist du irre?"
Marten kreuselte die Stirn. "Man hört sie doch nur."
Digger stand auf, ohne Marten loszulassen. Sein Gesicht hatte inzwischen beinahe die Farbe der im Keller wachsenden roten Paprika angenommen.
"Scheiße", brüllte er und schüttelte den kleinen Körper. "Weiß du, was sie mit dir tun? Weiß du das? Verdammte Scheiße!"
"Dig!" Das war Corin, der durch die Kellertür gestürmt und auf sie zugerannt kam. Er trug eine grüne Gärtnerschürze und grüne Clogs. "Dig! Lass ihn sofort los!"
In Martens Augen hatten sich Tränen gebildet. Und als Corin ihn Diggers hartem Griff entriss, starrte er ihn immer noch ungläubig an.
"Du solltest dich was schämen", zischte Corin. "Sieh ihn dir an."
"Er hat sich ihre Stimmen angehört! Kapiert das eigentlich keiner hier? Wer sie sieht ist tot! Tot! Definitiv tot!"
"Ich denke, das weiß er", sagte Corin und drückte den Jungen an seinen grüne Schürze. "Und wenn du ihm was sagen willst, dann kannste das auch in ruhigem Ton machen."
Jetzt kniete Digger sich hin und Marten wich zurück. "Junge, hör mir zu. Wenn sie dich zwingen die Tür zu öffnen - und das werden sie, wenn du nur lange genug zuhörst -, dann sind wir alle verloren."
"Aber ich versteh sie da unten doch kaum. Und mit Sicherheit werd ich nicht die Tür öffnen. Ich weiß doch, dass sie ein zwingen können, die Augen aufzumachen. Das weiß ich doch."
Digger beugte sich vor. Diesmal wich Marten nicht zurück und ließ sich umarmen. "Ich wollte dich nicht erschrecken, Junge. Es tut mir leid. Aber versprich mir, dass du nicht mehr da unten lauschst."
"Ich versprech's!" Er legte zwei Finger an die Brust.
Digger lächelte. "Und mit Sicherheit wirst du irgendwann deine Eltern wiedersehen. Das verspreche ich dir."

Die drei Männer saßen am Küchentisch und der Gunner schlürfte den heißen Tee, den Corin zubereitet hatte. Seine toten Augen starrten immerzu in Diggers Richtung, was diesen zunehmend nervöser machte.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit konnte er nicht mehr an sich halten. Ihm war bewusst, dass man den Gunner keinesfalls drängen durfte, aber bei Gott, ihn machten diese leeren Augenhöhlen nervös - krank - und schließlich ging es hier um einen zwölfjährigen Jungen. Es ging um ihren zwölfjährigen Jungen.
"Was ist mit Marten? Habt Ihr ihn gesehen?"
Der Gunner führte die Tasse langsam zu den spröden Lippen, die von keinerlei Bartwuchs umgeben waren und blies, ohne die geringste Regung in seinem Gesicht erkennen zu lassen, hinein. Sein Alter ließ sich schwer erahnen, irgendwas zwischen vierzig und achtzig, hatte Digger mal spaßeshalber geäußert. Die schwere Jacke, die vor Schlamm nur so starrte, hing über der Lehne seines Stuhls. Der gewaltige Rucksack stand daneben. Einige Schlammspuren führten von der Eingangstür bis hinüber zum Küchentisch.
Diggers Atem trat stoßweise aus ihm hervor. Er wollte seine Frage gerade wiederholen, als er Corins Hand auf der Seinigen spürte. Ein leichter Druck, der warte zu bedeuten schien. Digger beruhigte sich etwas. Er deutete mit seinen Fingern zunächst auf seine eigenen, dann auf die nicht vorhandenen Augen des Gunners. Dann fuhr er sich mit den Fingerspitzen über die Kehle und grinste.
Corin grinste zurück.
Der Gunner stellte die Tasse ab und sagte: "Die Herren amüsiert meine Blindheit?"
Digger und Corin schluckten gleichzeitig.
"Bedenket stets, dass nur das Nichtsehen vor den Nichtgesehenen zu schützen vermag. Bedenket es stets."
"Wir bitten um Verzeihung, Gunner. 's war durchaus dumm von uns", sagte Corin aufrichtig. Digger sagte nichts.
"Es sei einerlei. Ihr sucht euren Sohn? Er hat es nicht erzählt, habe ich recht?"
Digger sprang auf. "Er hat was nicht erzählt?"
Corin fasste erneut seinen Arm. "Dig, setz dich."
Der Gunner hob die Tasse.
Digger schnaufte. "Was hat er nicht erzählt? WAS?"
Das Schlürfen des Gunners schien durch den Raum zu hallen.
"Bitte setz dich", zischte Corin eindringlich.
Langsam ließ sich Digger wieder auf den Stuhl gleiten, keuchte, während seine Augen den Blinden anfunkelten. Dieser ließ langsam die Tasse sinken.
"Ich habe ihm dieses letzte Woche mitgebracht." Der Gunner beugte sich hinab und öffnete den überdimensionalen Rucksack. Sekunden später legte er eine Taucherbrille mit langem Schnorchel auf den Tisch. Corin wollte danach greifen, doch der Gunner zog sie sanft zurück.
"Was wollte er mit einer Taucherbrille? Sagt es uns, Gunner. Wollte er durch den Morast tauchen?" Diggers Stimme war noch immer laut.
"Nun, wenn euer eigener Sohn es euch nicht erzählt hat ..." Der Gunner lehnte sich zurück und starrte zu Digger hinüber ohne ihn zu sehen. Doch irgendwie wurde dieser das Gefühl nicht los, sein Gegenüber könne jeden seiner Gedanken durch diese toten Augen hindurch erkennen.
"Corin, sag du es mir: Was wollte der Junge mit einer Taucherbrille?"
Corin schluckte trocken. "Vielleicht ... vielleicht wollt er wirklich ..."
"Was redest du fürn Scheiß? Niemand kann da raus. Niemand, der nicht wirklich blind ist."
"Niemand darf in das Antlitz der Nichtgesehenen blicken", warf der Gunner ein.
Corin sah ihn an. "Genau deshalb könnt er doch versucht haben, durch den Morast ..."
Digger unterbrach ihn wieder laut: "Glaubst du, wenn es so einfach wäre, hätten es nicht schon Tausende versucht?"
"Es haben Tausende versucht", sagte der Gunner trocken. "Mit jedem Schritt dort draußen dringt ihr Brodem in mich hinein. Ein Gestank, an den man sich niemals gewöhnt, meine Herren. Niemals. Lasset es euch gesagt sein. Niemals."
"Vielleicht hat er einfach seine Augen zugehalten," sagte Corin. "Vielleicht hatte er den Willen. Sein Wille war immer sehr stark. Hab ich nicht recht, Dig. Ich hab doch recht."
Digger sah ihn mitleidig an. "Niemand hat den Willen, seine Augen zuzuhalten. Das weißt du doch, Corin. Das weißt du."

Der Gunner schob die Taucherbrille sanft auf der Tischplatte hin und her. Sein bartloses Gesicht zeigte ein leichtes Grinsen.
"Genau!", keuchte Corin und deutete hektisch auf die Brille. "Es spielt keine Rolle, ob er die Augen aufmacht. Nich wenn er im Morast is. Dann spielts keine Rolle."
Digger stand auf und ging zum Fenster, das ebenfalls, wie alle Fenster in diesem Haus, mit einer Stahlplatte verschlossen war. Er drückte die Fäuste in seine Nieren, sodass sich das Knacken seiner Wirbel mit dem Schlürfen des Gunners vereinte. Irgendwie ging ihm das Gespräch mit Marten vor einigen Tagen an der Haustür nicht aus dem Kopf. Sag mal, Dig. Meinst du, ich seh meine echten Eltern irgendwann mal wieder? - Wenn der Morast irgendwann verschwindet vielleicht. Oder wenn wir ne andere Möglichkeit finden, da rauszukommen. 'ne andere Möglichkeit, da rauszukommen. Sollte er wirklich?
"Ich kann euch eine verkaufen, wenn's den Herren beliebt. Oder wollt ihr gar zwei?" Die krächzende Stimme des Gunners unterbrach seinen Gedankengang.
"Was wollt Ihr dafür haben?" Corins Frage klang beinahe flehend.
"Bist du verrückt?" Digger kam zum Tisch zurück und schlug mit der Faust auf die Platte. Blitzschnell hatte der Gunner die Tasse angehoben. "Glaubst du denn nicht, wenn das möglich wäre, dann wäre es schon irgendwem gelungen?"
"Vielleicht war Marten der erste in diesem Ort, der es versucht hat", warf Corin ein.
"So ein Bullshit. Hat nicht der olle Pedderson vorn paar Monaten das mit den Rohren durch den Morast versucht? Monatelang hat er irgendwelche Konstruktionen gebaut, um die Rohre durch die Kellerwand in den Morast zu kriegen. Wollte dann da durchkriechen, der Idiot. Wie weit ist er gekommen, Gunner?"
"Ich weiß es nicht. Weiß nur, dass irgendwann sein Keller mit Morast gefüllt war."
"Siehst du, Corin."
Corin blickte ihm tief in die Augen. "Vielleicht war Marten der erste, der das mit der Taucherbrille versucht hat, Dig. Es wäre doch immerhin möglich."
Digger kam eine Idee. "Gunner, man behauptet, Ihr könntet manchmal Dinge sehen. Also ich meine, nicht richtig sehen."
"In manchem Traum erscheint mir manche Wahrheit, falls Ihr das meint."
Digger wurde nervös. "Ja, das mein ich. Habt ihr vielleicht gesehen, in Eurem Traum gesehen, meine ich, wie der Schnorchel eines kleinen Jungen durch den Morast wanderte?"
"Wohl hätte ich es erwähnt, wenn dem so gewesen wäre, meint Ihr nicht auch?"
"Also hättet Ihr auch erwähnt, wenn Ihr ihn irgendwo in einem der anderen Häuser angetroffen hättet, wenn dem so gewesen wäre. Stimmt's?" Digger atmete schnell und dieses Kraut, das sie im Keller anbauten, machte sich wieder in seinen Lungen bemerkbar.
"Ja. Und wenn es mir offenbart worden wäre. Selbstverständlich. Aber vielleicht hat er auch gerade in einem der anderen Häuser genächtigt. Nicht alles wird dem Gunner offenbart, müsst ihr wissen. Auch nicht in seinen Träumen. Der Gunner soll alles erzählen, aber er darf nicht alles wissen. Nicht wahr, meine Herren?" Der Alte erhob sich. "Ich verlange für eine Brille mit Schnorchel zwölf Blatt Rauchkraut. Für zwei Brillen gebt mir zwanzig."
"Das ist Wucher!", brüllte Digger und schlug erneut mit der Faust auf den Tisch. Diesmal aber nicht so fest, da ihm vom ersten Schlag noch immer die Knochen wehtaten.
"Akzeptiert oder nennt mir ein anderes Begehr. Mein Weg ist noch weit an diesem Tag."
Corin erhob sich ebenfalls und zum ersten Mal an diesem Tag erkannte Digger, wie gebrochen sein Mann aussah. "Dig, hols du bitte den Zettel mit den Bestellungen? Ich geh in den Keller und hol die zwanzig Blatt Tabak."
"Du bist verrückt, alter Mann", murmelte Digger und ging ins Wohnzimmer, während der Gunner die zweite Maske aus dem Rucksack holte. Sein Grinsen sah keiner der Beiden.

"Wie tief ist der Morast, Gunner?", fragte Digger den Mann mit dem schweren Rucksack und den schlammbeschmierten Schneeschuhen.
"Überlegt, junger Herr. Wenn Eure Häuser noch stehen, mag so tief er nicht sein." Er zwinkerte tatsächlich mit seinem toten Auge. "Doch bedenke er stets die Länge seines Schnorchels." Jetzt lachte der Gunner. Und sein Lachen klang für Digger wie der Schrei einer Krähe.
"Geht zurück in euren Keller, meine Herren. Und erwartet meinen nächsten Besuch in einigen Tagen."
"Vergiss nichts von unsrer Bestellung, Gunner", sagte Digger. Dann ging er mit Corin hinunter in den Keller. Er musste jetzt, verdammt noch mal, eine rauchen.

"Ich glaub, ich scheiß mir gleich in die Hose, Corin."
"Bitte bedenke, dass du keine trägst."
Die beiden Männer hockten nackt neben der Eingangstür, hatten die Taucherbrillen auf der Stirn und waren insgeheim froh, dass sie in diesem Moment niemand sehen konnte.
"Der Morast fängt also wirklich direkt vor der Haustür an." Diggers Stimme war mehr ein Krächzen.
Corin, der gerade den Schnorchel testete, nahm diesen aus dem Mund. "Ich weiß doch auch nur das, was der Gunner erzählt hat. Seit sich die Erde in Morast verwandelt hat, is halt überall Morast. Also auch vor der Tür." Er steckte sich den Schnorchel wieder in den Mund und atmete tief ein und aus. "Ich glaub, ich werd hiermit ersticken."
Auch Digger testete den Schnorchel noch einmal, dann nahm er ihn heraus und sagte: "Wir öffnen die Tür und tauchen sofort ein. Okay?! Auf keinen Fall die Augen öffnen."
Corin schluckte. "Der Gunner hat erzählt, wie es draußen an vielen Stellen nach Verwesung stinkt. Von denen, die es versucht ham."
"Ich war dabei, als er es erzählt hat, Corin. Danke, dass du es mir noch mal ins Gedächtnis rufst."
Corin schien ihn nicht zu beachten, sein Blick war starr auf den Schnorchel in seinen Händen gerichtet. "Irgendwann habe er sich ma gewundert warum seine Schneeschuh immer so seltsam wegknickten. Bissa gemerkt hat, dassa durch ne Gruppe halb verwester Kinderleichen gelatscht is."
"Wenn du nicht aufhörst, kotz ich dir gleich vor die Füße." Digger rieb sich durch den Bart, der heute sauber war.
"Er is ma mit der Spitze vom Schneeschuh in einem offenen Brustkorb hänggeblieben. Er musste die ganzen Knochen wegbrechen, um wieder rauszukommen."
"Corin!"
"Scheiße, Dig, manchmal wünscht ich, ich wär auch blind. Manchmal wünscht ich das echt." Corin sah ihm tief in die Augen. "Wir hättn nochma miteinander schlafen sollen. So zum Abschied. Wer weiß, ob ..." Er stockte.
Digger nahm die Hand seines Mannes und streichelte dessen Finger. "Lass es mich allein machen. Ich versuch rüber zu Harson zu tauchen und wenn ich es geschafft hab ..."
"Was dann? Was dann, Dig? Was tun wir überhaupt, wenn wir es tatsächlich schaffen sollten? Was tun wir, wenn wir bei Harsons Haus angekommen sind?"
Digger sah ihn ernst an. "Na, wir klopfen an, warten etwa eine Minute bis er im Keller ist, dann gehn wir rein. Und wenn Marten nicht dort ist, dann versuchen wirs mit einem anderen Haus. Du lässt es mich also nicht allein machen, hab ich das richtig verstanden?"
"Das hast du. Wenn du krepierst, alter Mann, dann gefälligst an meiner Seite."
Sie lachten beide und es dauerte lange, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatten.

"Auf mein Kommando reißt du sie auf. Corin! Hast du mich verstanden?" Diggers Stimme war laut wie gewohnt.
Corin, der eine Hand am Türgriff hatte, sah ihn an und nickte stumm. "Sieh bitte zu, dass du schnell im Schlamm bis, wenn ich sie aufgemacht hab. Nich, dass du mir da im Weg bis und ich über dein fetten Arsch stolper." Er lachte trocken.
"Ich war noch nie so schnell irgendwo weg, das kannst mir glauben. Nicht mal als sie damals bei Chucks die Tuntenparty aufgemischt haben." Jetzt lachte auch Digger trocken. Nach einer Weile hatte er sich beruhigt. "Alles klar bei dir?"
"Alles klar. Dig? Ich liebe dich."
"Werd ma nicht tuckig, alter Mann. Auf drei. Und Augen zulassen."

Als die Tür aufflog, war das Erste, was Digger spürte der enorme Gegendruck. Beinahe, als hätte man ein Vakuum von innen geöffnet. Er fuhr ihm in die Lungen wie ein heißer Schwall Wasser. Dann kamen die Stimmen. Leise, zischend, bohrend.
Öffne sie, Digger! Öffne deine Augen! Sieh die Welt! Sieh wie sie wirklich ist! Sieh sie dir an! Es ist deine Welt. Öffne sie ...
"Spring, du Idiot!" Das war Corin. Weit weg. Irgendwo in einer anderen Welt.
Und Digger sprang. Hechtsprung nach vorn. Möglichst schnell mit dem Kopf eintauchen. Er presste eine Hand auf die Taucherbrille, biss die Zähne fest auf das trockene Gummi des Schnorchels und sprang ohne zu wissen wohin.
Was, wenn es da unten gar keinen Morast gab?
Öffne deine Augen, Digger! Sieh deine Welt!
Etwas Kaltes schlug gegen seinen Brustkorb, presste die Luft aus seinen Lungen, knallte gegen seinen Unterkiefer. Hätte er nicht die Zähne auf den Gummi des Schnorchels gepresst, so hätte er sie sich mit Sicherheit ausgeschlagen. Der gewaltige Schlag wurde in Geschwindigkeit umgesetzt. Sein nackter Körper schlitterte auf etwas Weichem, Stinkendem.
Öffne sie!
"Nein!", brüllte er, doch war es nur in Gedanken, denn seine Lippen umschlangen noch immer den Schnorchel. Trotzdem hatte er auf einmal den Geschmack von Blut im Mund.
Er schlitterte immer weiter auf dem schwammigen Untergrund. Du musst runter! Unter die Oberfläche! Los, alter Mann, tauch in den Morast!
Weit hinter sich hörte er Corins Stimme. "Marten? Marten? Bist ... bist du das?"
Wie war das möglich? Wie konnte Corin sprechen? Er hatte doch den Schnorchel ...
Tauch unter!
Öffne deine Augen, Digger! Erkenne deine Welt! Die Stimmen in seinem Kopf wurden fordernder.
Wieder Corin: "Nein, ich darf sie nicht öffnen, Marten. Das weiß du doch."
Scheiße, was tat Corin da? Digger spürte, wie sich einer seiner Arme unter die Oberfläche schob und somit seinen Schwung abbremste. Die Masse umschlang ihn wie warme Gelatine.
"Ich kann doch nicht, Marten." Corin schien zu weinen.
Digger spuckte den Schnorchel aus. "CORIN!", brüllte er so laut, wie er noch niemals zuvor gebrüllt hatte. "Steck den verdammten Schnorchel wieder rein und tauch in den verdammten Morast!"
Das Schlittern hatte aufgehört. Jetzt lag Digger wie ein sterbender Fisch auf einer schwammigen Oberfläche, durch die er langsam in die Tiefe gezogen wurde. Viel zu langsam.
Öffne deine Augen, Digger! Öffne deine Augen! Willst du denn gar nicht sehen, was mit deinem geliebten Mann geschieht?
Die Stimmen wurden lauter, drangen tiefer in ihn ein, bohrten.
"Corin!", brüllte er noch einmal, spuckte Blut und Schlamm.
"Digger, du wirst es nicht glauben. Hier ist Marten. Marten! Bist du es wirklich?"
Digger spürte, wie sich etwas Heißes in seinen Hals schob. Es schien tief aus seinem Inneren zu kommen. "Corin! Du hast nicht etwa deine Augen ..."
Diggers Beine wurden von der Gelatine umschlungen. Warm, zart.
Sieh, was dein Mann sieht, Digger! Sieh doch!
Immer tiefer.
"Oh Marten", rief Corin. "Wo zum Teufel warst du denn? Wir haben uns Sorgen gemacht. Digger! Sieh doch. Du meine Güte, hier ist ja alles anders. Was hat der Gunner denn fürn Mist erzählt? Marten, siehst du Digger dort unten in der Pfütze liegen. Digger, steh doch auf." Lachen.
Das andere Bein wurde ebenfalls umschlungen. Diggers Augen brannten, so fest hatte er die Lider aufeinander gepresst.
Öffne sie! Öffne sie!
Wie kommt es, dass Corin nichts passierte? Scheinbar hatte er ja bereits seit einiger Zeit die Augen auf.
"Corin! Hast du die Augen auf?"
"Ja klar hab ich sie auf." Wieder dieses freudige Lachen. Wann hatte er Corin das letzte Mal so freudig lachen gehört? Es musste eine Ewigkeit her sein. Es musste vor der Zeit gewesen sein, als ... Ja, als was eigentlich?
"Digger, komm zurück zu uns. Marten steht hier neben mir. Sieh nur, wie er lacht. Und winkt."
Öffne sie!
Diggers Druck auf die Augenlider nahm ab. Er zog den Arm wieder aus dem Morast heraus. Morast?
"Das sieht lustig aus, Dig. Wie du dich da in dem Schlammloch suhlst. Oh man, ist das Leben nicht herrlich? Was haben wir all die Jahre hindurch verpasst? Eingepfercht wie Vieh. Warte, Dig, ich komm dich holen. Vielleicht traust du dich dann ja, deine Augen zu öffnen." Lachen.
Öffne sie! Breite deine Arme aus und empfange deinen Mann!
"Dig."
"Corin", flüsterte Digger. Dann noch etwas leiser: "Ich liebe dich auch!"
Stampfende Schritte. Laufende Schritte. Werd mal nicht tuckig, alter Mann. Das war definitiv nicht Corins Stimme.
Digger öffnete die Augen.
Zuerst war es nur blendend hell. Aus der Helligkeit kristallisierte sich die schwarze Masse, in der er steckte, hervor. Digger sah sie überall. Ihre Ausläufer schwappten an die Häuser und sahen aus wie Hände, die nach den Fenstern des ersten Stocks griffen. Er sah Corins zerplatzten Leib im Türrahmen hängen, Arme und Beine gespreizt als seien sie an das Holz genagelt worden. Der gesamte Körper war von der Stirn bis hinunter zum Schritt geöffnet wie ein Buch und das dampfende Gedärm schwamm schillernd unter seinen Beinen. Irgendwas schien daran zu zerren und es hinunterziehen zu wollen. Schmatzende Laute drangen herüber.
Das Letzte, was Digger sah, war der Gunner, der neben dem Leichnam hockte und große Stücke Fleisch in Papier wickelte.
Willkommen, Digger, sagten die Stimmen. Willkommen in unserer Welt! Sei es auch die Deinige. Wusstest du nicht bereits, dass wir es immer schaffen?
Etwas platzte in seinem Kopf.

 
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Hallo zusammen.
Mit diesem kleinen Ausschnitt möchte ich euch mal wieder in eine kleine "nette" Welt entführen.
Wer sich dran wagt, von dem würde ich gerne wissen, ob diese Welt, so wie sie da steht, funktioniert. Kann man sie sich vorstellen?
Ob sie jetzt hundertprozentig zum Thema "Passagen" passt, weiß ich nicht genau. Also ich hab mir schon dabei was gedacht, sie als TdM zu posten, das ist klar, aber kann ja auch sein, dass ich Selbiges mal wieder völlig falsch interpretiert habe. Wenn ja, einfach Zusatz streichen und trotzdem lesen ;)
Naja, genug geschwätzt. Wünsche trotzdem viel Vergnügen oder was auch immer.

Gruß! Salem, der seit gefühlten Ewigkeiten mal wieder die Muse gefunden hat, was zu Papier zu bringen (sogar ohne viel Blut :D)

 

dass ich Selbiges mal wieder völlig falsch interpretiert habe.

He-He, du alter Rüffel!:D Darum geht es ja gerade, das Thema zu interpretieren.
Freue mich ungemein darauf, die Story zu lesen, muss aber erst mal 'ne Hochzeit stiften.

 
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Hi Salem

Du zeichnest da ein sehr interessantes Setting. Geschichten, in denen die Welt eine verheerende Wandlung erfährt, wie beispielsweise bei „Picknick am Wegesrand“ oder „Metro 2033“, finde ich überhaupt sehr reizvoll. Alles ist neu und jeder noch so kleinste Aspekt kann plötzlich Bedeutung gewinnen.
In dieser Hinsicht finde ich Deine Idee toll, ist für meinen Geschmack aber zu wenig ausgeführt. Wenn ich nämlich eine neue Welt verpasst bekomme, dann möchte ich sozusagen eine Weile darin herumlaufen und alles kennenlernen – das kommt bei Dir viel zu kurz.
Ein weiterer Aspekt ist, dass vieles im Dunkeln bleibt, worüber ich gerne mehr erfahren hätte. Woher zum Beispiel kam der Junge? Wie kam es dazu, dass sich weltweit der Boden in Morast verwandelt hat? Was hat es mit den Wesen, die darin leben auf sich? Wie lange existiert die Welt schon in diesem Zustand? Wieso bleiben Blinde vor den Gefahren im Morast verschont?
Es ist schon klar, dass man als Leser nicht alles bis ins kleinste Detail erfahren muss, aber ich hätte gern soviel gewusst, dass ich mir auf die brennendsten Fragen selber hätte Antworten zusammenreimen können.

Mein Hauptkritikpunkt ist aber der, dass die Story keine Spannung aufbaut, von Grusel ganz zu schweigen. Am meisten vermisst habe ich das Gefühl der Bedrohung, die zweifellos herrschen muss, wenn ein namenloser Sumpf gegen die Hauswände drückt.
Nebenbei bemerkt: Wieso droht das Haus eigentlich nicht zu versinken? Wäre doch toll gewesen, wenn im Keller Pumpen wären, die Feuchtigkeit/ Grundwasser/ Schlamm nach draußen drücken. Ich meine, was geschieht wenn die Pumpen versagen? Versinkt das Haus dann noch schneller? (Zur Erklärung, irgendwie hatte ich erwartet, dass der Sumpf schon bis an die Fenster und darüber hinaus reicht. Dass dann lediglich knöcheltiefer Schlamm draußen rumliegt, fand ich ein wenig merkwürdig.)
Jedenfalls stell ich mir es unglaublich klaustrophobisch vor, wenn man Tag für Tag in einem Haus eingesperrt ist, niemals die Sonne sieht, und unheimliche Wesen draußen im Morast lauern. Leider fehlen diese Ängste in der Geschichte völlig, bzw. werden von der Angst über den Verbleib des Jungen überlagert. Da ich als Leser den Jungen jedoch nicht kenne, bleiben mir die Gefühle der beiden Männer fremd. So verbleibe ich als Beobachter in der Geschichte und kann nur erahnen mit welchen Problemen die Männer (und früher auch der Junge) zu kämpfen hatten. Doch leider ist dies ein rein intellektueller Akt. Emotionen bleiben auf der Strecke.
So lässt sich der Text zwar nicht unangenehm bis zum Ende lesen. Doch bleibt er gefühlstechnisch stets außen vor. Man akzeptiert das Verschwinden des Jungen, belächelt ein wenig das alternde schwule Pärchen, beobachtet stirnrunzelnd den kauzigen Typ von Gunner, ahnt, dass der Rettungsversuch in einem Fiasko enden wird und bleibt, nachdem das Erwartete geschehen ist, am Ende mit der Frage zurück ,welche Beweggründe der Gunner haben mochte die Männer zu hintergehen.

Meine Empfehlung lautet, dass die Geschichte besser funktioniert, wenn Du ein paar Tage früher einsteigst. Zeig dem Leser das Leben der Drei in dem Haus. Mit welchen alltäglichen Problemen haben sie zu kämpfen. Wie gehen sie mit der Bedrohung und dem emotionalen Stress um? Welche Beweggründe sind es, die den Jungen veranlassen heimlich fortzulaufen? Bau dabei ein wachsendes Gefühl von Bedrohung auf! Vielleicht droht das Haus unter dem Druck des Morastes auseinanderzubrechen. Vielleicht wird der Husten des Einen von Tag zu Tag schlimmer? Welche Auswirkungen hat es auf die Gruppe, wenn einer von ihnen an Krankheit zu sterben droht? Was macht ein Junge, der nicht zum Spielen raus darf und ständig Zeichnungen von grünen Wiesen und einen blauen Himmel malt? Und wie gehen die Männer damit um, dass sie den sehnlichsten Wunsch des Jungen nicht erfüllen können?
Kurz gesagt: Dein Setting steckt voll ungenutztem Spannungspotential, also nutz es auch. Bring Pfeffer in den Text, er hat es verdient!

Herzliche Grüße

Mothman

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Mothman.

Wow, da ist deine Kritik ja fast länger als der gesamte Text. Also, zunächst vielen Dank für deine Mühe. Wolln wir mal sehen ...

Wenn ich nämlich eine neue Welt verpasst bekomme, dann möchte ich sozusagen eine Weile darin herumlaufen und alles kennenlernen
Absolut nachvollziehbar; und genau das wollte ich ja wissen. Mir als Autor ist diese Welt bekannt mit allen Details. Die Frage ist ja immer nur: Wie kommt sie rüber? Ist sie überhaubt nachvollziehbar? Fassbar?
Ich habe versucht, auf wesentliche Dinge kurz einzugehen, wobei das Ganze natürlich nicht in einer romanähnlichen Story ausarten darf (hm, warum eigentlich nicht?). Mir war hier der Istzustand wichtig, das Warum wollte ich bewusst außen vorlassen. Der Morast ist halt da und mit ihm etwas, was draußen lebt und jeden tötet, der es sieht (und auch nur dann töten kann!).
Da werden Blinde als Art Überbringer benutzt; sei es für Nachrichten oder Nahrung und Tabak und ähnliches.
In diesem Ort übernimmt das der Gunner (hab hier absichtlich den engl Begriff gelassen, weil ich es iwie cool fand ;)). Naja und dieser alte Schlingel betreibt Handel und besorgt sich die Güter nicht nur von den Menschen, die diese in ihren Kellern anbauen. Beim Schreiben dieser Antwort merke ich gerade, wie völlig Recht du mit deinem Kritikpunkt hattest. Ich muss viel zu viel erklären und das sollte nicht sein. Werd es also in die Geschichte mit einbauen (bzw verdeutlichen).
Die Wesen draußen sollen genauso undurchsichtig bleiben, wie die Vorgeschichte, denn sie gehören zum Istzustand.
Mein Hauptkritikpunkt ist aber der, dass die Story keine Spannung aufbaut
So rein gar keine? Das ist schlecht. Das ist sehr schlecht. Ich werde drüber nachdenken, wie es sich ändern lässt.

Nebenbei bemerkt: Wieso droht das Haus eigentlich nicht zu versinken?
Dachte, das wäre hiermit rausgekommen:
"Wie tief ist der Morast, Gunner?", fragte Digger den Mann mit dem schweren Rucksack und den schlammbeschmierten Schneeschuhen.
"Überlegt, junger Herr. Wenn Eure Häuser noch stehen, mag so tief er nicht sein."

Ich weiß natürlich, worauf du hinauswillst, aber Augenmerk sollte hier wirklich auf den Konflikt des schwulen Paares und des ominösen Gunners liegen. Die Schlammgeschichte dient dem Setting. Weißt du wie ich das mein? Also ich wollte keinen weiteren Konflikt, hervorgerufen durch den Schlamm, der in Häuser eindringt, schaffen (vielleicht ja in einer Fortsetzung? Vllt könnt ich eine Miniserie raus machen ... hm).

Jedenfalls stell ich mir es unglaublich klaustrophobisch vor, wenn man Tag für Tag in einem Haus eingesperrt ist, niemals die Sonne sieht, und unheimliche Wesen draußen im Morast lauern. Leider fehlen diese Ängste in der Geschichte völlig
Über dieses Thema habe ich beim Schreiben lang nachgedacht. Ich denke, dass nach einer gewissen Zeit eine Art Gewöhnung stattgefunden hat. Schließlich gewöhnt sich der Mensch an alles. Auch an Enge und Isolation (krasses Beispiel sind ja diese Entführungsgeschichten, wo Frauen jahrelang in engen Kellergewölben hausen, dort sogar Kinder gebären und aufziehen). Von daher sehe ich es als durchaus "normal" an, dass akute Probleme (das Verschwinden des Jungen), alltägliche überlagern.
Dein Kritikpunkt ist aber in sofern nachvollziehbar, dass den Charakteren durch oberflächliches Handeln Tiefe fehlt; und diese ist selbstverständlich wichtig für den Leser, um Emotionen zu empfinden. Auch hier werde ich überarbeiten.

Wie gesagt, deine Empfehlung kann ich nachvollziehen, würde aber den Rahmen dieser Geschichte (dieses Ausschnittes) enorm sprengen und vom eigentlichen Konflikt ablenken.
Ich hoffe, es sieht jetzt nicht so aus, als wolle ich deine Kritik niedermachen, ganz das Gegenteil ist der Fall. Du hast mir sehr geholfen, und mir viele Anhaltspunkte gegeben, anhand deren ich die Geschichte noch einmal überdenken werde.

Noch einmal herzlichen Dank für deine Mühe.

Gruß! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Moikka Salem,

och, wie toll, mal wieder was von Dir zu lesen!

Für mich hat es perfekt funktioniert, ich wollte grad spontan schreiben, die Geschichte habe mich verzaubert, aber da trieft ja so ein Schwulstschmalz raus, das kann man so nicht ... jedenfalls hat mich der Text reingezogen. No pun intended. :D

Der Gegensatz zwischen den Idiolekten hat einiges an Spannung und Reiz ausgemacht, auch, daß der Blinde diesen eigenartig überkommenen Stil draufhat, das Paar hat nun wieder was von abgewrackten Cowboys. Absolut tolle Überraschung, den beiden eine Beziehung zu verpassen, die nicht sofort ersichtlich wird.

Ich fands tatsächlich milde gruselig, und das Schlußbild sehr schön. Auch fein, daß Du den Abschluß knapp, aber trotzdem weich auslaufen läßt. "Verpackt das Fleisch in Papier", hehe. Wie gemein der ist! Dennoch hat diese Welt plötzlich etwas Natürliches. Jaja, ich finde, das Thema wurde doch gut getroffen. :) Und definitiv ein Entführen in eine eigene Welt, sowas genieße ich sehr.

Mit den Namen Gunner habe ich ein bissl Probleme, erstmal weil das Englisch gerade mit dem Genitiv im Titel eine Schräglage ergibt. (Ich dachte erst, ich hätte mich verlesen, und es hieße Gunnar). Einen digger gibt es, aber gunner heißt einer, der im Panzer an der Kanone sitzt, oder ein Artillerist, Kanonier. Man muß ja nicht gleich hergehen, und wie Barker einen ständig Zähneklappernden Chatterer nennen, aber bei dem Namen fehlt mir dazu noch der Hauch eines Bezuges. Bei Digger kann ich mir alles mögliche denken, und das reicht mir zu.

Corin erkannte getrocknete Suppe vom Vorabend darin
:lol:

Digger wurde nervös. "Ja, das mein ich. Habt ihr vielleicht gesehen, in Eurem Traum gesehen, meine ich, wie der Schnorchel eines kleinen Jungen durch den Morast wanderte?"
"Wohl hätte ich es erwähnt, wenn dem so gewesen wäre, meint Ihr nicht auch?"
"Also hättet Ihr auch erwähnt, wenn Ihr ihn irgendwo in einem der anderen Häuser angetroffen hättet, wenn dem so gewesen wäre. Stimmt's?" Digger atmete schnell und das Kraut, welches sie im Keller anbauten, machte sich wieder in seinen Lungen bemerkbar.
"Ja. Und wenn es mir offenbart worden wäre. Selbstverständlich. Aber vielleicht hat er auch gerade in einem der anderen Häuser genächtigt. Nicht alles wird dem Gunner offenbart, müsst ihr wissen. Auch nicht in seinen Träumen. Der Gunner soll alles erzählen, aber er darf nicht alles wissen. Nicht wahr, meine Herren?"
Gefällt mir sehr gut, weil es ein typisches Verhalten / Ausdrucksweise von Leuten wiedergibt, die etwas nicht ganz glauben können, aber es auch nicht begreifen, und dann ungeschickt versuchen, sich in den Worten/Denken eines anderen auszudrücken - sei es, um ihn nicht zu beleidigen, sei es aus Furcht vor dem Sprecher. (oben: wie wäre es stattdessen mit dieses - das? Ich finde welches schauderhaft.

Digger kam zum Tisch zurück und schlug mit der Faust auf die Platte. Blitzschnell hatte der Gunner die Tasse angehoben.
Wow, schön beobachtet, und subtil eingefädelt. Der Blinde 'sieht' die Bewegung, bevor die Faust (auf dem Tisch) hörbar wird.
Vielleicht war Marten der Erste in diesem Ort,
der erste klein, weil danach ein Mann / Mensch etc. stehen könnte. Das hast Du kurz davor oder danach nochmal, ich finde die Stelle grad nicht wieder.

Und das, was mit ihm lebte.
Schön rausgesteller Miniabschnitt, aber ich fände hier etwas wie in, unter, hinter ... besser als mit. Das bringt mich zu früh ins Grübeln.
Diggers Atem trat stoßweise aus ihm hervor.
Das ist ein lobenswerter Versuch, nicht eine abgegriffene Redewendung zu nehmen, aber mir ist das zu eigenwillig - damit assoziiere ich höchstens gefrorenen Atem in Kälte. Das ist hier zu bildlich.

Zwischen einigen wenigen möglichen Hauptsätzen fehlen Kommata, oder ist das neue RS?

Feine Sache, blieb im Brustkorb mit dem Schneeschuh stecken, *kicher* und überhaupt. Vom Tonfall her ähnlich wie Die Gedanken sind frei, da hast Du offensichtlich nicht nur für splatter ein Händchen. Hat auch die gleiche Art, mit der Spannung heftig anzuziehen, ohne daß man so den Finger draufhalten könnte, woran es liegt, sowas mag ich.

Sonnige Grüße,
Katla

 

Hallo Salem,

eine matte Glühbirne spendetet

"
Hier oben ist er auch nicht!", brüllte er hinunter.
"Im Keller auch nich!", brüllte Corins Stimme von unten zurück.
Irgendwie hatte sich jeder in diesem Haus mit der Zeit einen brüllenden Ton angewöhnt.

(waren es wirklich erst drei Jahre her?)

war

was ihn mehr traurig machte

trauriger

Diggers Atem trat stoßweise aus ihm hervor.

Ich find's immer unnötig kompliziert und daher unschön, wenn nicht lebende Dinge etwas mit Personen machen, beziehungsweise wie in diesem Fall aus ihnen heraustreten.

"Bedenket stets, dass nur das Nichtsehen vor den Nichtgesehenen zu schützen vermag. Bedenket es stets."

Der schwülstige Sprachstil des Gunners wirkt sehr aufgesetzt und nervt vom ersten Satz an.

biss die Zähen

Zähne

Jetzt lag Digger wie ein sterbender Fisch auf einer schwammigen Oberfläche, die ihn langsam in die Tiefe zog.

Schief: Wie soll die Oberfläche ihn in die Tiefe ziehen, die unter der Oberfläche liegt?

Ihre Ausläufer schwappten an die Häuser wie gierige Totenfinger, die aus einem Sarg zu flüchten versuchten.

Hm, ich brauche eine Metapher und es soll ja eine Horrorgeschichte sein, mal sehen ... wie mach ich das am besten ... :D Wenn überhaupt flüchten Tote aus ihren Särgen, mit Hilfe ihrer Finger. Das passiert aber selten, denn sie sind ja tot. Du könntest noch mit Zombies oder Vampiren argumentieren, aber solltest du das tatsächlich schreiben, wär's wohl ein bisschen arg viel des Guten.

Ein weiterer Aspekt ist, dass vieles im Dunkeln bleibt, worüber ich gerne mehr erfahren hätte.

Seh ich genau so. Die Beschreibungen der Welt fand ich toll. Im Grunde ist es Der Nebel zu Ende gedacht, mit Morast statt Nebel. Ich hatte dieses verfallene Haus und die beiden verlotterten Gestalten darin wirklich vor Augen, so eine Mischung aus Die Stadt der verlorenen Kinder, dem Ruhrpott und so ziemlich jedem Post-Apokalypse-Film, den ich je gesehen habe. Unspannend war's auch nicht, und ich bin bestimmt kein Freund von Geschichten, die alles tot erklären. Aber hier dürfte es definitiv gern ein bisschen mehr von allem sein - nicht zuletzt Action, man will ja unterhalten werden ;) - sonst ist die schöne Grundidee irgendwie verschenkt.

Grüße
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

So, bisschen überarbeitet. Habe versucht, euch Marten und seine Intention durch den zusätzlichen Abschnitt etwas näher zu bringen. (Danke nochmal Mothman).

So, nun zu dir, liebe Katla.

och, wie toll, mal wieder was von Dir zu lesen!
Danke, hat auch mal wieder Spaß gemacht

Mit den Namen Gunner habe ich ein bissl Probleme
war mir klar, dass das bei einigen aufstößt ;)
Dazu möchte ich vielleicht nochmal kurz erklären: Die Grundidee (also die Geschichte um den Gunner) stammt aus dem zitierten Songtext. Nun haben sich PF mit natürlich nicht sowas vorgestellt, doch hat mich einfach der Titel (The gunners dream) inspiriert. Witzig ist eigentlich, dass ich als Jugendlicher (als der Song erschien) wirklich immer dachte, hier würde der Traum eines Typen namens Gunnar beschrieben :Pfeif:
Mir ist klar, dass der gunner der Kanonier ist, aber ich wollte das hier einfach als geflügeltes Wort (kann man das sagen?) stehen lassen. Deshalb wird der Typ ja auch immer mit der Gunner und nicht einfach mit Gunner angesprochen. Bisschen wirr, oder?!

Schön rausgesteller Miniabschnitt, aber ich fände hier etwas wie in, unter, hinter ... besser als mit. Das bringt mich zu früh ins Grübeln.
Leider geht hier nichts anderes, da es ja keine genaue Spezifikation gibt. Sie leben ja nicht in, unter, oder hinter dem Morast. Oder habe ich dich jetzt falsch verstanden?


Ansonsten kann ich ja nur sagen: Vielen vielen Dank fürs Lesen, Gutfinden und für die lobenden Worte. Hat mich gefreut, dass dich die Geschichte beinahe verzauber hätte.

Gruß! Salem

Hi Proof.

Dongä fürs Raussuchen der Fehler. Hoffe, ich hab alle gefunden und ausgebessert.

Der schwülstige Sprachstil des Gunners wirkt sehr aufgesetzt und nervt vom ersten Satz an.
wobei ich echt bemüht war, das "Aufgesetzte" konsequent durchzuziehen

Hm, ich brauche eine Metapher und es soll ja eine Horrorgeschichte sein, mal sehen ... wie mach ich das am besten ...
:D Ich gebs ja zu. Irgendwie überkommts mich dann hin und wieder. Danke fürs Draufhinweisen. Habs dann mal geändert.

Aber hier dürfte es definitiv gern ein bisschen mehr von allem sein - nicht zuletzt Action, man will ja unterhalten werden
Hab zunächst ein klein bisschen mehr Marten eingefügt. Bezüglich der Action bin ich noch etwas unschlüssig, inwiefern sich da was einbauen lässt. Zumal es ja eig keine Actionstorry sein soll.
Ich hatte dieses verfallene Haus und die beiden verlotterten Gestalten darin wirklich vor Augen,
das erfreut. Danke.

Auch fürs Lesen und Kommentarabgeben (und natürlich Fehler suchen).

Ach so, die "Brüllwiederholungen" waren beabsichtigt ;)

Gruß! Salem

 

wobei ich echt bemüht war, das "Aufgesetzte" konsequent durchzuziehen

Ja, deshalb nervt es auch konsequent. Mag ja Geschmackssache sein, aber das ist so ausgelutscht, dass der geheimnisvolle blinde Bote daherredet wie anno dazumal. Fast schon wie Absicht, als solle es witzig sein. Ich weise jetzt mal nicht extra darauf hin, dass es sich bei all dem natürlich um meine persönliche Meinung handelt. Ach, scheiße ...

Ich meine nicht Action im Sinne von mehr Drehkicks und Pumpguns, sondern ein bisschen mehr Bewegung und ein bisschen weniger Kopfsport. Speziell im Morast, beim Kontakt mit den Kreaturen.

Das mit dem Brüllen habe ich mir gedacht, habe es aber trotzdem angemerkt, weil es meiner Meinung nach nicht funktioniert. Ich sehe da nur die Wortwiederholung.

Greetz
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Mag ja Geschmackssache sein, aber das ist so ausgelutscht, dass der geheimnisvolle blinde Bote daherredet wie anno dazumal.
Ist dem echt so? Ne, is schon klar, aber ich denk, ich werds belassen. Jefällt ma irgendwie.
Hab was zur Beschwichtigung eingebaut:
Die Haustür fiel ins Schloss und die Stimme des Gunners drang zu ihnen herüber: "Ihr könnt wohl hinaufkommen. Hinauf mit euch, sofern euch die neuesten Nachrichten des Gunners interessieren. Hinauf. Hinauf."
"Mich kotzt sein schwulstiges Gerede an", sagte Digger. "Warum quatscht der ständig so geschwollen?"
Corin schob den Riegel der Tür beiseite. "Vielleicht find er's einfach formidabel."
Digger lachte leise. "Dem wird so sein, mon signore."
;)


Ich meine nicht Action im Sinne von mehr Drehkicks und Pumpguns, sondern ein bisschen mehr Bewegung und ein bisschen weniger Kopfsport. Speziell im Morast, beim Kontakt mit den Kreaturen.
Hab schon verstanden, wollte aber gerade hier son bisschen das Schleichende. Diese "Dauerbefeuerung" wie zB in Amputation 2 passt hier weniger. Und Action bei den "Kreaturen"? Sie töten ja bei Blickkontakt direkt ... aber vllt fällt mir noch was ein, ohne das es unnötig in die Länge gezogen wirkt. ;)

Gruß! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Nargh Salem,

also, ich bin ja die letzte, die es nicht lobenswert findet, wenn Autoren Kritik einbauen.
Aber wenn Du jetzt Deine Jungs über den Sprachstil lästern läßt, stimmt die gesamte Psychologie nicht mehr: Ihr gesamtes Verhalten und ihre sonstige Art zu sprechen zeigt, daß der Typ ihnen unheimlich ist. Nicht soweit, daß sie ihn ausschließlich fürchten, schon klar, aber sie haben Manschetten. Das nun ist ein wesentlicher Aspekt des "geheimnisvollen Fremden", den darüber auch der Leser nicht recht einschätzen kann - es schwankt zwischen vorsichtig-jovial, verteidigend und furchtsam. So eine indirekte Charakterisierung mit (bewußten) Brüchen macht eine komplexe Figur aus.

Wenn Du den Idiolekt als so elementar darstelltst, und die story darauf aufbaust (von der Psychologie her), dann sollte dies konsequent durchgehalten werden, auch wenn es einigen auf den Sack geht. (Das würde ich jetzt so auch sagen, hätte es mich genervt).

"Ich glaub, ich scheiß mir gleich in die Hose, Corin."
"Bitte bedenke, dass du keine trägst."
Hier hast Du bereits eingebaut, daß die zwei sich - aber eben erst, als er bereits weit weg ist - über den Gunner lustig machen: Corin imitiert ihn hier. Das Subtile machst Du jetzt mit der offensichtlichen Frotzelei unwirksam.

Ich will nicht eine Ansicht gegen eine andere, oder den Text gegen einen sehr geschätzten Kritiker verteidigen oder sowas, denke nur, schau einfach, ob/wie es ehrlich und stimmig bleiben kann.

Ansonsten bin ich froh, die story erst ohne den Rückblick gelesen zu haben, mir hat die angedeutete Vorgeschichte (Bilder am Fernseher, das Vermissen) dicke zugereicht. :) Bin kein Fan davon, wenn mir alles schluckfertig vorgekaut wird. Halt Geschmacksache.

Sonnige Grüße,
Katla

P.S.

Take heed of his dream.
Take heed. - Pink Floyd -
Klein im Text ist richtig, im Titel aber groß (und ohne Punkt): Take Heed - Pink Floyd

 

Hi Katla.

Das schöne an diesem Forum ist doch einfach die Tatsache, dass man als Autor ausprobieren kann. Man erhält sehr viele unterschiedliche Meinungen zu unterschiedlichen Textpassagen und kann abwägen, einsetzen, wieder rausschmeißen. Ich persönlich arbeite sehr gerne mit meinen hier eingestellten Geschichten.
Wenn also zB Proof äußert, ihm stoße der Sprachstil eines Charakters negativ auf, dann probiere ich einfach mal eine Möglichkeit aus, dieses zu ändern. Das mache ich aber nicht, weil es Proof gesagt hat, sondern weil ich experimentieren möchte. Wenn du jetzt kommst, Katla, und sagst: Mensch Salem durch die Änderung wird dies und das nicht mehr erreicht, dann wäge ich auch dieses ab; schmeiße vielleicht sogar das Geänderte wieder raus. Das mache ich nicht, weil Katla es gesagt hat und ich deine Meinung höher bewerte als die von Proof, sondern weil ich wieder etwas neues gelernt habe, das ich ausprobieren kann. Und genau das ist es ja, ich bin hier um zu lernen.
Die von mir hier reingestellten Geschichten sind zunächst für mich fertig. Alles weitere ist ein Ausprobieren, ein ständiger Lernprozess. Und das macht einfach einen riesen Spaß.
Habe ich dann an der aktuellen Geschichte genug rumgebastelt, lässt sich vieles vielleicht auf eine neue anwenden. Herrlich ;)

Also, was ich eigentlich sagen möchte: Ich finde es toll, wenn durchaus auf ein Feedback ein Refeedback folgt und dann vielleicht sogar noch ein Rere ... lassen wir das. Also, Katla, du hast mich mit deinem Einwurf überzeugt.
Die Sprache des Gunners soll für sich stehen.
Den Rückblick mit Marten möchte ich allerdings belassen, da er mir persönlich sehr gut gefällt (zumindest als weitere Charakterisierung und als kleine Klärung, warum Marten vielleicht verschwunden ist; ob dem nun so war ;) lassen wir mal dahingestellt).


Zitat:
Take heed of his dream.
Take heed. - Pink Floyd -
Klein im Text ist richtig, im Titel aber groß (und ohne Punkt): Take Heed - Pink Floyd
Das letzte Take heed gehört mit zum Text. Der Titel des Songs ist The gunners dream (lohnt sich auf jeden Fall einmal ein Reinhören).

Danke nochmal für deine Rückmeldung.

Gruß! Salem

 

Hi SAlem

Das letzte Take heed gehört mit zum Text. Der Titel des Songs ist The gunners dream (lohnt sich auf jeden Fall einmal ein Reinhören).

ja, das auf jeden Fall. Ganzes Album ist top! Diese düstere Stimmung des final cuts hast du herrlich in der Geschichte transportiert.

Also bei mir hats wunderbar funktioniert - die idee mit dem Morast, hehe, das ist mal was Neues.
Monieren will ich aber gleich mal den EInstieg:

Es war die Zeit, als der Morast kam. Und das, was mit ihm lebte.
das klingt irgendwie schräg. Ist ja nicht falsch, klingt aber wie ein falscher Bezug. Da bin ich sogleich gestolpter und das sollte ja nicht sein, oder?

Ansonsten fand ich es stark, wie du deine Informationen preis gegeben hast. Immer nur häppchenweise, sodass der Leser (beinahe) bin zum Schlus dabei bleiben musste, um deine Welt aufgerollt zu bekommen.
Beinahe, weil das Ende natürlich irgendwann voraussehbar wird.
Dennoch bekommst du ein extra-Lob für die Stimmen der Verlockung. Das ist ja schon so oft abgenudelt worden, kommt ja irgendwie in jedem Fantasy-Wälzer mindestens einmal vor, dass der Held irgendwelchen STimmen widerstehen muss, aber du hast das echt sehr gut hinbekommen. Habe mich dabei nicht gelangweilt, ganz im Gegenteil, das ist wohl dosiert und schürt echt Spannung. So ein kleiner Hoffnungsschimmer will auch glaz´tt aufglimmen ... Finde ich nicht so einfach das so zu gestalten, respekt.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hi weltenläufer.

Diese düstere Stimmung des final cuts hast du herrlich in der Geschichte transportiert
Wirklich eines der besten Alben der Band (find ich)
Monieren will ich aber gleich mal den EInstieg
Ja, ich weiß, dass es ein bisschen schräg klingt, aber es geht net anders. Vllt fällt mir ja mal ein komplett neuer Satz ein (obwohl, mir gefällt er irgendwie ;))

Ansonsten fand ich es stark, wie du deine Informationen preis gegeben hast.
Doch nicht zu wenig? Das freut mich.

Dennoch bekommst du ein extra-Lob für die Stimmen der Verlockung. Das ist ja schon so oft abgenudelt worden,
Das freut mich auch. Ja, stimmt eigentlich, dass diese Stimmen abgenudelt sind, aber ich hätte in der Situation auch keine andere Lösung gewusst. Schön, dass es trotzdem gefallen hat.

Insgesamt hat mich dein Kom sehr gefreut. Dank dir fürs Lesen.

Gruß! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo!

Zuerst war es nur blendend hell. Aus der Helligkeit kristallisierte sich die schwarze Masse, in der er steckte, hervor. Digger sah sie überall. Ihre Ausläufer schwappten an die Häuser und sahen aus wie Hände, die nach den Fenstern des ersten Stocks griffen. Er sah Corins zerplatzten Leib im Türrahmen hängen, Arme und Beine gespreizt als seien sie an das Holz genagelt worden. Der gesamte Körper war von der Stirn bis hinunter zum Schritt geöffnet wie ein Buch und das dampfende Gedärm schwamm schillernd unter seinen Beinen. Irgendwas schien daran zu zerren und es hinunterziehen zu wollen. Schmatzende Laute drangen herüber.
Das Letzte, was Digger sah, war der Gunner, der neben dem Leichnam hockte und große Stücke Fleisch in Papier wickelte. Hörte er sein Lachen?
Willkommen, Digger, sagten die Stimmen. Willkommen in unserer Welt! Sei es auch die Deinige. Wusstest du nicht bereits, dass wir es immer schaffen?
Etwas platzte in seinem Kopf.

Das war irgendwie seltsam, als ich die Geschichte gelesen haben. Gut, sie ist es ja nun auch, so als morbide Endzeitstory, aber mein Hirn hat mir hier anscheinend einen kleinen Streich gespielt. Die ganze Zeit über hatte Trickfilmbilder vor Augen. Vielleicht lag es an der ruhigen Stimmung, ich weiß es beim besten Willen nicht. Jedenfalls finde ich die Geschichte gelungen, mit sehr tollen Ideen. (Also, dass mit dem alten Homopärchen ist schon großes Kino:D) Besonders die Sache mit dem Morast gefällt mir sehr. Klar, man denkt dann automatisch an Sümpfe und ähnliches, und an all das Viehzeug, was es da eventuell geben könnte. Ich habe die ganze Zeit über auf Riesenschnecken gehofft, aber so ist das auch okay, für mich;). Schöne Geschichte.

Ach so, zum Thema Infos der Welt: Würde ich jetzt auch so lassen. Das, was man als Leser erfährt, reicht in meinen Augen völlig aus, um sich sein eigenes Bild zu spinnen. Nicht zuletzt davon lebt ja auch die Story. Alles andere würde (denke ich) zu sehr in Beschreibung ausarten, und bringt ja für die Handlung dann ja nicht zwingend etwas neues. Das soll doch eine knackige Kurzgeschichte sein, und nicht Lord of the Rings 7.0. Ich weiß, der Vergleich hinkt an allen Ecken und Enden. Dennoch;).

Gruß,
Satyricon

 

Hi Salem, alter Knabe.

Irgendwie hatte sich jeder in diesem Haus mit der Zeit einen brüllenden Ton angewöhnt.
Finde ich unschön formuliert (das Wort Ton ist so schief):
Inzwischen hatte sich jeder in diesem Haus das Brüllen angewöhnt.
Als der Gunner kam, saßen Digger und Corin auf dem Sofa im Wohnraum und starrten auf den Fernseher, der seit Jahren nichts mehr empfing.
Kann man streichen, Sofa und Fernseher erzeugen das Bild schöner von allein.

Digger sah ihn mitleidig an. "Niemand hat den Willen, seine Augen zuzuhalten. Sie dringen in deinen Verstand ein wie Würmer in faules Fleisch. Du öffnest irgendwann immer die Augen. Immer. Das weißt du doch, Corin. Das weißt du."
Unrealistisches Tell: Warum erzählt Digger das, außer um es nur dem Leser zu erklären? Mitte streichen. Liest sich dann auch schöner.


Viel zu mäkeln hab ich nicht gefunden: Mir hat die Geschichte nämlich richtig gut gefallen (auch die schwülstige Redensart von "dem Gunnar", auch wenn der Name zur Sprechweise nicht sonderlich gut passen mag).
Super spannend erzählt, aber das kannst du ja schon immer gut. Mir fällt hier wieder auf, dass du gern zu deinen Horror-Stories eine Priese SF gibst, wie bei den Mücken, - oder viel Blut, wie bei Amputation.
Das soll jetzt kein Kritik sein, und vielleicht kenn ich die anderen Stories auch nur nicht, aber aufgefallen ist mir das schon mal.

So, trotzdem, hab mich hervorragend unterhalten gefühlt.

Liebe Grüße
Tam

 

Hi Satyricon!

Die ganze Zeit über hatte Trickfilmbilder vor Augen.
Äh ... das versteh ich jetzt nicht. :confused:

Ich habe die ganze Zeit über auf Riesenschnecken gehofft,
:D Wär ja ne coole Idee für ne neue Story "Riesenschnecken vs Monstermücken"

Das, was man als Leser erfährt, reicht in meinen Augen völlig aus, um sich sein eigenes Bild zu spinnen.
Das freut mich echt; habe ja im Gegensatz zum Erstposting noch ein paar Infos reingepackt. Aber nicht viele. Schön, dass es so funktioniert.

Ansonsten hats mich gefreut, dass ich dich unterhalten konnte.

Gruß! Salem

Hi Tamira, junger Hüpfer ;)

(das Wort Ton ist so schief):
Inzwischen hatte sich jeder in diesem Haus das Brüllen angewöhnt.
Mit Brüllen assoziier ich persönlich zwei Büffel, die sich anmuhen :D
Ich denke, da gefällt mir der brüllende Ton doch besser.

Deine beiden anderen Anmerkungen haben mir sehr gut gefallen; besonders die zweite. Zuerst wollte ich sagen, dass es unbedingt drinbleiben muss, aber du hast recht, es funktioniert auch ohne diesen erklärenden Einschub. Sogar besser. Danke fürs Finden.

die schwülstige Redensart von "dem Gunnar"
Bitte nicht Gunnar, das wäre ja ein Name. Hier ist die Rede vom Gunner (engl Begriff für Kanonier) ;)

Ja, was soll ich sagen. Hat mich riesig gefreut, dass es dir gefallen hat (und auch, mal wieder von dir zu hören).

Gruß! Salem

 

Hi! Noch einmal, ganz kurz;)!

Äh ... das versteh ich jetzt nicht. :confused:

Na ja, als hätte ich einen Trickfilm vor Augen;)! Ich weiß, wie verdreht sich das anhören muss, aber so isses nun mal:D!

Gruß,
Satyricon

 

Hallo Salem,

ich bin ja neu hier, und deswegen immer wieder überrascht was für hochwertige Geschichten hier gepostet werden. Handwerklich top, sehr flüssig zu lesen und zumindest für mich kam auch viel Spannung auf. Dadurch das man bis zum Schluss im Unklaren gelassen wird, was sich da draußen eigentlich herumtreibt, ist man fast gezwungen, weiter zu lesen. Sehr gelungen.

Ich finds auch immer wieder schön, wenn jemand mit Songtiteln/-texten arbeitet. In meinen künftigen Geschichten wird man das bestimmt auch öfters antreffen. Ich liebe das.

Dazu ein kleiner Einschub: The Final Cut ist meiner Meinung nach ein ziemlich schwaches Floyd Album. Eigentlich ist das ja nur ein Roger Waters Solo Album und ich mochte die Gilmour Sachen eigentlich immer lieber als das selbstmitleidige Gewimmer von Waters. (Jetzt darfst du mir gerne die Morddrohungen schicken, in meinem Freundeskreis hab ich es mir mit dieser Meinung auch schon verscherzt :))

Dennoch: Für die Geschichte ist der Text schon sehr passend. Vermittelt auch gleich die Stimmung dieser postapokalyptischen, depressiven Welt. Ich mag so ein Setting sehr gerne. Allerdings gibt es meiner Meinung nach wenige Autoren, die so eine sterbende lebensfeindliche Welt gut einfangen können. Das hast du hier toll geschafft. Ich kann den Morast bildlich vor mir sehen, die "Wesen" sprechen hören und ich bilde mir sogar ein, den Verwesungsgestank zu riechen. Echt toll!

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich aber dann doch. Obwohl, eigentlich weniger eine Kritk, sondern mehr ein Vorschlag: Der Gunner erinnerte mich doch zu stark an Roland aus Kings Dunklem Turm. Ich weiß nicht, ob das beabsichtigt war, aber mich störts ein wenig. Vor allem auch wegen dem Namen Gunner (im Dark Tower ja The Gunslinger) hatte ich immer so einen Cowboy-Typen vor Augen. Das soll er wohl auch sein, aber ich würde den Charakter da doch anders gestalten. Denn, tschuldigung, ich find den irgendwie zu abgedroschen.

Das mit den Blinden ist eine tolle Idee. Aber da lässt sich mehr draus machen. Wenn sie als einzige immun gegen die Wesen sind, haben sie doch grenzenlose Macht. Sie könnten ja fast ein Herrschaftssystem errichten. Bleibt natürlich alles im dunkeln, und muss auch nicht unbedingt erklärt werden. Aber mir alles lieber als eine Roland-Kopie. Ist nicht böse gemeint, und andere haben da anscheinend auch weniger Probleme damit.

Aber das ist halt eine Geschmacksfrage. Und ansonsten fand ich die Geschichte nahezu perfekt. Ich muss mich da ziemlich ranhalten, um an dieses Niveau anschließen zu können.

Viele Grüße
Christian

 

Hi Unbeliever.

Wir könn uns ja darauf einigen, dass alle Floyd-Alben irgendwie das gewisse Etwas haben (unter uns: mir gefällt sogar Ummagumma ;)).

Was mich bei deiner Kritik überraschte, war die Tatsache dass du den Gunner mit Roland assoziierst. Witzig, weil so habe ich ihn mir überhaupt nicht (!!!) vorgestellt. Ich mein, ich les die Schwarten ja gerade, und Roland ist mir als Charakter überaus sympatisch und der Gunner sollte eher geheimnisvoll unsympatisch erscheinen. Ich schreibe gerade an einem weiteren Teil und stelle fest, dass der Gunner, obwohl Namensgeber der Geschichten, sich eher mehr im Hintergrund aufhält. Was es mit ihm auf sich hat, lass ich mal noch ein wenig offen.
Dein Einwand bezüglich der Macht der Blinden finde ich interessant; vielleicht kommt das noch irgendwann. Die Apokalypse ist ja erst drei Jahre jung ;)

Ich muss mich da ziemlich ranhalten, um an dieses Niveau anschließen zu können.
Vielen Dank für das tolle Kompliment. Aber ich finde diese ständige Weiterentwicklung, die man hier auf kg erreichen kann, einfach toll.
Wie ich ja in einem Posting vorher schon sagte, macht es mir einfach unheimlichen Spaß hier mit meinen Geschichten zu arbeiten. Wir haben hier durchweg gute Kritiker mit sehr guten Ideen oder Verbesserungsvorschlägen.
Und wenn man Kritik immer als etwas positives (auch wenn sie mal niederschmetternd ist) sieht, dann kannst du hier echt was lernen.
Also, freu mich, wenn du am Ball bleibst.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Hat mich sehr gefreut.

Gruß! Salem

 

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