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Des Gierigen Lohn
Die rotbefleckte Speerspitze stieß an ihr vorbei, als Caleihda zur Seite sprang, um ihrem Angreifer auszuweichen. Die Klinge ihres Anderthalbhänders schlug mit einem kraftvollen Schwung in den breiten Nacken des feindlichen Orks und ließ ihn zusammenzucken. Sie riss das Schwert beidhändig aus dem stürzenden Leib und dunkelgrünes Blut spritzte hervor.
Der nächste Feind stürzte auf Caleihda zu und schwang eine stachelbewehrte Keule. Den schlecht gezielten Angriff parierte sie mühelos und stieß dem Tollkühnen ihre Klinge in die ungeschützte Brust. Blut spuckend und keuchend fiel er vornüber. Nun hatte Caleihda einen kurzen Moment etwas Ruhe vor Attacken und konnte sich umsehen.
Die Luft war erfüllt von Waffengeklirr und gelegentlichen Schmerzensschreien aus den verschiedensten Kehlen. Kämpfer aus vielen Rassen waren überall im Gefecht verwickelt. Eine Gruppe stämmiger Zwerge stürmte mit schweren Äxten und Kriegshämmern auf eine Horde schlecht ausgerüsteter Goblins zu, während an anderer Stelle gerade einige Zentauren Pfeile auf die Sehnen ihrer Bögen legten. In einiger Entfernung neben Caleihda ritt ein Regiment gepanzerter Ritter in vollem Galopp mit gesenkten Lanzen auf ein paar Oger zu. Der Boden erzitterte unter dem Getrampel der schweren Streitrösser.
Caleihda wirbelte herum und rollte sich zur Seite, um nicht von der gewaltigen Axt eines angreifenden Minotauren getroffen zu werden. „Das ist schon eine Nummer größer“, dachte sie, als die gestählten schweißglänzenden Muskeln spielten und die Axt zu einem weiteren Hieb anhoben. Das große Stierhaupt drehte sich mit funkelnden dunklen Augen zu ihr und der menschliche Körper setzte sich wieder in Bewegung. Caleihda war nicht so dumm, den Schlag parieren zu wollen, der ihr die Waffe aus der Hand gerissen und ihr wahrscheinlich den Arm gebrochen hätte. Stattdessen hechtete sie erneut zur Seite und zog dem Minotaurus die Schneide ihres Schwertes über die Rippen. Die scharfe Klinge hinterließ eine rote Spur, als die lederartige Haut aufriss. Die Wunde war jedoch nicht allzu tief, so dass er vor Wut schnaubend mit einem Stoß seiner beiden Hörner nachsetzte.
Diesem Angriff konnte Caleihda nur knapp ausweichen und hatte keine Gelegenheit zum direkten Gegenangriff. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen, um diesen Koloss zu bezwingen. So konzentrierte sie Energie für einen magischen Angriff und schleuderte ihrem Gegner eine Welle elementarer Gewalt entgegen. Der Minotaurus wurde durch die Entladung am Kopf getroffen und taumelte betäubt zurück. Diese Gelegenheit nutzte Caleihda, um den Zweikampf mit einem heftigen Hieb durch den Hals des Angreifers für sich zu entscheiden.
Sie versuchte den Zustand der Armee einzuschätzen, auf deren Seite sie kämpfte. Bereits zu Beginn waren sie zahlenmäßig unterlegen, doch manche Truppen besaßen ein beachtliches Durchhaltevermögen. Die Zwerge bewiesen auch diesmal wieder ihre vielgerühmte Zähigkeit und waren gerade dabei, die letzten Überlebenden eines Goblin-Regimentes aufzureiben. Die Pfeile der Zentauren trafen mit tödlicher Sicherheit ihr Ziel, doch sie hatten bei einem Überraschungsangriff menschlicher Söldner einige Verluste erlitten.
Fast alle Magier auf ihrer Seite hatten sich bereits etwas zurückgezogen, da ihre Kräfte stark geschwächt waren und sie im Nahkampf kaum etwas ausrichten konnten. Menschen kämpften auf beiden Seiten und zu ihrem Vorteil hatte Caleihdas Seite die meisten Ritter für sich gewonnen. An sonstigen Truppen standen ihnen in den feindlichen Reihen jedoch deutlich mehr gegenüber, so dass es schwierig würde, den Sieg davonzutragen. Zudem kämpften auf jener Seite auch einige besonders schlagkräftige Gegner wie die Oger und noch ein paar Minotauren, von denen nach Caleihdas Ansicht schon einer zuviel war.
Und was war der Grund? Natürlich aufs neue die Gier der Menschen, gepaart mit Hinterlist und Einflussreichtum. Caleihda packte den Schwertgriff fester beim Gedanken an den gegnerischen Feldherren dieser Schlacht und verzerrte vor Zorn das Gesicht. Während sie einem dummerweise in ihre Richtung flüchtenden Goblin mit kräftigem Hieb den Kopf von den Schultern trennte, verfluchte sie die Umstände.
Garadon war derjenige, dem sie sich angeschlossen hatte, ein Halbelf, welcher bereits in der letzten großen Schlacht vor über hundert Jahreszeiten ein Heer zum Sieg geführt hatte. Eigentlich wollte er mit jenem blutigen Handwerk nichts mehr zu tun haben, doch war er der fähigste Stratege und konnte die Moral der Krieger erhalten wie kein zweiter. Somit war es schon geradezu ein ungeschriebenes Gesetz, dass er im Falle einer besonderen Bedrohung die Heerführung übernehmen würde.
Leider hatten ihm seine Fähigkeiten diesmal nicht viel genutzt, denn die feindliche Armee war scheinbar über Nacht entstanden und kampfbereit gemacht worden. Nachdem eine wichtige Handelsstadt der Menschen bereits überrannt war und sich manche der Überlebenden angeschlossen hatten, blieb gerade noch Zeit, so viele Truppen wie möglich in einer notdürftigen Armee aufzustellen. Kampffähige aus allen Rassen in dieser Region fanden sich zusammen, um den gemeinsamen Feind entgegenzutreten.
Dieser Feind kam in Gestalt des Dargos, eines magiekundigen Menschen aus dem südlichen Reich. Dieser hatte von einem wertvollen Stein gehört, über den die Elfen wachten. Sie wussten um die etwas pikante Eigenschaft, jedem die Kontrolle über das andere Geschlecht zu gewähren. Schon so mancher Mensch, Frauen ebenso wie Männer, konnte sich dieser Verlockung schwerlich entziehen.
Noch lag es nicht in der Macht der Elfen, den Stein zu zerstören, sonst hätten sie es gewiss schon getan. Dass sie ihre Vernunft somit indirekt über die aller anderen stellten, war manch anderen Rassen ein Dorn im Auge. Diesen Stein zu erlangen war nun das Ziel von Dargos, der im Ruf stand, sich in Gegenwart von Frauen eher tölpelhaft oder gar unschicklich zu verhalten. Um dies zu erreichen, bediente er sich unter anderem der typisch menschlichen Fähigkeit zur Entwicklung von Intrigen. Er verstand es, ohnehin nicht freundlich zueinander stehende Rassen gegeneinander auszuspielen und sie mit Versprechungen oder Drohungen auf seine Seite zu bringen. Manchen von ihnen musste man wahrlich nicht viel versprechen. So waren beispielsweise die Oger bereits zufrieden, wenn es etwas gab, auf das sie blindlings einschlagen konnten. Bei einigen anderen Wesen genügte es, wenn man ihren Hass auf eine bestimmte Rasse schürte und ihnen in Aussicht stellte, diese vernichten zu können. Bei Menschen wiederum brauchte man schlichtweg etwas Gold in der Hinterhand, um sie zu „überzeugen“.
Geschickt organisiert war es nun sogar möglich, all jene Kreaturen in einem mehr oder weniger geordneten Truppenverband kämpfen zu lassen. Dies war Dargos gelungen und er hatte den Vorteil der Überraschung ausgenutzt, um die hastig aufgestellten Verbände derer, die ihm im Wege standen, zu überwältigen. Schon bald würden sich seine Feinde ohne Nachschub kaum noch halten könnten. Auf einem großen Hügel in reichlicher Entfernung zum Schlachtfeld saß er im Sattel seines Kriegspferdes und sah seinen Sieg näher rücken, wobei ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielte.
Unten im Kampfgetümmel bemerkte Caleihda einen Mann in schwarzer Plattenrüstung ein ganzes Stück abseits des Geschehens. Sie bahnte sich ihren Weg mit blanker Klinge durch einige Feinde hindurch auf ihn zu. Anhand der Rüstung und des Schwertes an seiner Seite erkannte sie ihren Bruder Caron, den Todesritter.
Die langen dunklen Haare wehten im lauen Wind, während er regungslos auf einem Felsen stand und die Schlacht verfolgte.
Er wandte den Kopf zu Caleihda, als sie an ihn herangekommen war. „Du bist mutig, mitten in den Reihen zu kämpfen. Was versprichst du dir davon?“ Caleihda antwortete: „Ich versuche Garadon bei der Verteidigung und der Wahrung des Steines zu helfen. Und du? Hast du kein Interesse daran, die Herrschaftslosigkeit dieser Region zu erhalten? Wer weiß, ob der Sieg diesem Dargos nicht auch zur Machtergreifung verhelfen würde, statt nur zur Auslebung seiner kranken Fantasien.“ Caron zog nachdenklich die Augen zusammen. „Es wird sich irgendwann wiederholen, auch wenn er geschlagen wird. Der nächste würde seinen Platz einnehmen. Dennoch hast du Recht; man sollte die Verteidigung immerhin so lange aufrechterhalten, bis der Stein zerstört ist.“ Caleihda nickte. –„Also, wirst du uns helfen?“ Einen Moment schwieg ihr Bruder, dann sprach er: „Wie ich sehe, seid ihr allein den Feinden doch nicht gewachsen, denn eure Zahl ist zu gering. Nun gut, dem kann abgeholfen werden.“
Caron schloss die Augen und konzentrierte sich. Nach einer Weile öffnete er sie wieder und wandte sich zu Caleihda. „Sie werden bald kommen.“
Sie wusste, was er meinte und hoffte, ihre Verbündeten würden nicht allzu schlecht auf diese Lösung reagieren. Der Kampf tobte noch etwas weiter, bis schließlich die Nachhut des Todesritters hinter einer Felswand hervorkam und sich auf das Schlachtfeld zubewegte.
Caleihda sah weiße Knochen hinter zerfetzter Kleidung und schartige Klingen, auf denen sich das Rot der Abenddämmerung reflektierte. Eine Horde Skelette schritt eilig und mit gezückten Waffen auf die Feinde zu, um sich auf sie zu stürzen. Ihr wahnsinnig anmutendes Kichern lag in der Luft, welches meist das Erscheinen dieser gefallenen Krieger ankündigt. Offenbar brachte ihre Wiederbelebung ihnen eine besondere Art von Humor ein. Durch ihre körperliche Beschaffenheit waren sie nicht mehr die durchschlagskräftigsten Kämpfer, allerdings glichen sie dies mit ihrem gewissen Widerstand gegenüber Klingenwaffen und ihrer enormen Anzahl aus.
Caron konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als die Untoten mit ihrer schieren Masse eine Bresche schlugen und sich wie einen Keil in die Flanke der gegnerischen Armee bohrten.
Auf dem Hügel riss Dargos entsetzt die Augen auf, als er das Gemetzel sah, welches die knochige Nachhut unter seinen Truppen anrichtete und die Feinde neuen Mutes einen letzten Sturmangriff führten. Er konnte nicht begreifen, wie sein Plan sich so einfach in Nichts auflöste und nur den blutgetränkten Boden des Schlachtfeldes hinterließ. Er weigerte sich bis zu jenem Moment, es hinzunehmen, als er sich umdrehte und in leere Augenhöhlen blickte. Das Grinsen auf dem blanken Schädel war das Letzte, was er sah, bevor kalter rostiger Stahl von einer knöchernen Hand geführt seine Brust durchbohrte.