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Des Bibers Leid
Vor langer Zeit lebten in einem großen Tal viele Biber. Sie stauten das Wasser eines Flusses zu einem großen See. Generationen von Bibern bauten an diesem Damm, hielten ihn instand und erweiterten ihn bei Bedarf. So ging es lange Zeit jahrein jahraus.
Dies änderte sich, als die Menschen ins Tal kamen. Sie bauten kleine Dörfer, die schließlich zu einem kleinen Städtchen zusammenwuchsen.
Eines Tages kam ein Händler in die Stadt, der wertvolle Pelze suchte. Da dachten die Menschen an die Biber, die bergauf am See lebten. Die Tiere besaßen einen sehr dichten, warmen Pelz. Solche Felle mussten wertvoll sein!
So begannen die Menschen die Biber zu jagen, wann immer sie die Tiere antrafen. Bald lieferten sie viele Pelze an den Händler.
Die Zahl der Biber wurde immer weniger, bis schließlich nur noch einer übrig war.
Dieser Biber war traurig, weil er der letzte war. Aber noch mehr war er verzweifelt, denn alleine konnte er den großen Damm nicht instandhalten.
Der Biber wusste, dass das angestaute Wasser das gesamte Tal überfluten würde, wenn er nicht einen Weg fand, den Damm zu retten.
Also verließ der Biber den See und suchte Hilfe.
Zuerst ging er in den Wald und suchte den Bären, das stärkste Tier, das er kannte.
Der Bär lag vor seiner Höhle und döste, als der Biber ankam. „Bär, Bär hör mich an. Ich brauche dringend deine Hilfe!“, flehte der Biber.
Der Bär wachte langsam auf und schnaubte: „Was willst du denn von mir Biber?“
„Der Damm droht zu brechen. Ich alleine kann ihn nicht reparieren. Wenn er bricht, wird das ganze Tal überschwemmt. Du bist das stärkste Tier weit und breit. Es fällt dir sicher leicht, Bäume zu fällen und das Holz zum Damm zu tragen. Du wärst mir eine große Hilfe!“
Der Bär kratze sich nachdenklich am Kopf und sagte: „Ich helfe dir nicht. Was haben denn die Biber jemals etwas für uns Bären getan? Nicht eine einzige Sache. Und jetzt kommst du zu mir und möchtest meine Hilfe haben? Soll dein Damm doch brechen. Was geht mich das an? Ich kann schwimmen. Mir wird nichts passieren.“
Da merkte der Biber, dass der Bär ihm nicht helfen wollte. Er meinte: „Auch Bären kommen nicht gegen einen reißenden Strom an. Wenn du mir aus Eitelkeit nicht helfen möchtest, dann suche ich mir woanders Hilfe.“
Also zog der Biber weiter.
Er ging zu den Hirschen, denn sie waren sehr stark. Als er vor dem weißen Hirschbullen, dem Oberhaupt aller Rehe und Hirsche, trat, sagte der Biber: „Mächtiger Hirsch, der Damm droht zu brechen. Eure Herde kann mir sicher helfen ihn zu reparieren. Schleppt Holz herbei und ich werde es einsetzen. Geht mir zu Hand und das Tal wird nicht überflutet werden.“
Der große Hirsch schüttelte sich und sagte: „Wir haben keine Zeit. Die Wölfe haben mehrere Junge erlegt. Wir werden gegen sie kämpfen und uns rächen!“
„Aber der Damm! Wenn er bricht, werden die Wölfe und die Hirsche ertrinken!“, mahnte der Biber.
„Die Wölfe sind wichtiger. Wenn wir sie besiegt haben, dann werden wir dir helfen.“
Der Biber wusste, dass die Wölfe und Hirsche sich schon seit einer Ewigkeit bekriegten, ohne einen Sieger zu haben. Sie würden ihm nie helfen können den Damm fertigzustellen. „Wenn euch eure kleine Fehde wichtiger ist, als euer Leben, dann werde ich mir woanders Hilfe suchen müssen“, sagte er daher und verließ die Hirsche.
Seine Suche nach Hilfe brachte ihn zu den Wildschweinen, denn sie waren zahlreich und kräftig.
Er ging zur alten Bache, die das fetteste und damit angesehenste aller Wildschweine war. „Edle Bache, Ihr müsst mir helfen. Der Damm droht zu brechen und...“ Weiter kam der Biber nicht, denn die Bache hörte ihm kaum zu. Sie pflügte mit ihrer Nase durch den Boden und grunzte dabei laut.
Sie stieß den Biber grob beiseite und schmatze: „Verschwinde Biber, ich habe keine Zeit für dich. Siehst du nicht, dass ich mit Fressen beschäftigt bin?“
„Aber der Damm Bache, der Damm wird brechen.“
„Futter ist wichtiger“, sagte die Bache. „Der Damm hat gestern gehalten, er wird auch morgen noch halten und in einem Jahr, so wie er vor einem Jahr auch noch gehalten hat. Futter muss aber immer neu beschafft werden. Futter ist wichtiger als der Damm.“
Der Biber schüttelte fassungslos seinen Kopf. „Wenn dir dein Fressen wichtiger ist, als dein Leben, dann muss ich mir woanders Hilfe suchen“, seufzte er.
Dem Biber gingen die Optionen aus. Er hatte bei den drei stärksten Tieren des Waldes Hilfe gesucht und keine bekommen. Vielleicht, so dachte der Biber, würden die klügsten Tiere des Waldes seine Warnungen ernst nehmen. Daher ging der Biber zum klügsten Tier, das er kannte, nämlich dem Fuchs.
Der Fuchs war gerade auf der Pirsch, als der Biber auf ihn traf. „Fuchs, Fuchs du musst mir helfen. Der Damm wird brechen und niemand beachtet mich. Aber auf deinen guten Rat hört doch jeder. Bitte hilf mir, sonst ist das ganze Tal verloren.“
Der Fuchs sah den Biber fassungslos an. „Du bittest uns um Hilfe etwas zu retten, was du und deine Ahnen gebaut haben? Wir haben diesen Damm nie gewollt. Du und die deinen haben ihn gebaut. Also ist er auch in deiner Verantwortung. Ich tue, was mein ist, du tust was dein ist. So ist der Lauf der Natur. Belästige mich nicht mit deinen Dingen.“
„Aber es geht dich etwas an“, rief der Biber.
„Warum denn? Dämme sind Sachen der Biber. Und ich bin ein Fuchs. Was hat ein Fuchs mit Dämmen zu tun? Ich bin nie am Damm gewesen, so wie es Sinn macht. Und du solltest auch nicht so tief im Wald sein, kleiner Biber. Geh dahin zurück wo dein Platz ist und lass mich mit deinen Dingen in Ruhe.“
Da wurde der Biber sehr wütend. „Man sagt, du seist das klügste Tier im ganzen Wald, aber ich seh nur ein starres, faules Wesen, dass vielleicht schlau sein mag, aber sich um kein anderes Wesen und ihre Not schert.“
Der Fuchs lachte laut und er lachte noch, als der Biber ihn schon längst verlassen hatte, um anderswo Hilfe zu suchen.
In seiner großen Verzweiflung ging der Biber zur Stadt der Menschen.
Die Menschen hatten seit Jahren keinen Biber mehr gesehen. Als er daher in ihrer Stadt auftauchte, war das Erstaunen groß.
„Was ist das für ein Tier?“, riefen die jüngsten Kinder, die nie in ihrem Leben einen Biber gesehen hatten. „Was tut der Biber hier?“, flüsterten die Älteren.
Als die alte Witwe Minge, die seit vielen, vielen Jahren lebte und vieles über das Tal und den Wald wusste, den Biber sah, erschrak sie sehr. Sie eilte zum Biber und kniete sich vor ihm hin. „Was suchst du hier Biber? Hier bist du nicht sicher. Geh zurück zu deinem Damm, sonst wird's dich das Fell kosten.“
„Aber der Witwe Minge, der Damm wird brechen. Und das ganze Tal wird überflutet werden, wenn er es tut. Ich brauche eure Hilfe ihn zu reparieren. Sonst wird’s unser aller Ende sein.“
Der Witwe Minge wurde es ganz kalt ums Herz. Sie sah ängstlich hoch zum Damm und begann zu zittern. „Schnell!“, rief die Witwe Minge. „Holt mir die stärksten Kerle. Wir müssen hoch zum Damm!“
Es sammelten sich schon ein paar Helfer, die der Witwe Minge folgen wollten, als plötzlich der Pelzhändler auftauchte. Als er den Biber sah, wurd er ganz verzückt und rief: „Hört her, Hört her, dieser Biber ist ein Vermögen wert. Wieso lasst ihr ihn dort einfach stehen? Zieht ihm das Fell ab und gebt es mir. Hundert Silbertaler werde ich dafür zahlen!“
Da kam ein gieriger Jäger und nahm den Biber an sich. „Oh Nein, der Damm“, rief der Biber noch, dann wurde ihm das Fell abgezogen und verkauft.
Die Witwe Minge weinte bitterlich, denn sie wusste, was nun folgte.
Wenige Wochen nachdem das Fell des Bibers verkauft war, saßen der Pelzhändler und der Jäger bei Tisch zusammen und feierten ihren Reichtum mit einem großen Festessen.
Wie sie so am Feiern waren, trunken vom Wein, hörten sie bei der lauten Musik nicht, wie der Damm brach.
Aus dem Damm floss eine große Flutwelle, die durch den Wald strömte. Sie riss alle Bäume um und überflutete alle Baue. Hirsch, Fuchs und Bache ertranken. Der Bär konnte zwar auf dem Wasser schwimmen, aber als er gegen einen Stein stieß, war es auch um ihn geschehen.
Zuletzt überspülte das Wasser die Stadt und über dem Pelzhändler und dem Jäger stürzte das Dach ein.
Die Witwe Minge hatte sich zu diesem Zeitpunkt mit einigen treuen Menschen und Tieren auf den höchsten Hügel gerettet und sah mit starrer Miene zu, wie die Flut alles unter sich begrub.
„Ach hätten wir doch den Biber in Ruhe gelassen. Sein Fell war niemals so viel Wert, wie das ganze Tal.“, klagte die Witwe Minge.
„Ach hätten die Tiere nur auf den Biber gehört. Hätten wir ihm mit dem Damm geholfen, wäre dies nie passiert.“, klagten die Tiere.
Als die Flut vorbei war, bauten die Menschen ihre Häuser wieder auf und als der Wald sich erholt hatte, kehrten die Tiere zurück. Wo der Damm gestanden hatte, errichteten Menschen und Tiere ein Mahnmal, dass sie immer daran erinnern sollte, dass sie aufeinander hören und auch die Leiden des anderen beachten müssen und niemals ihrer Gier nachgeben.