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Der Ziegenbock und das Schilfrohr
Ein Flicken goldenen Fells huschte zwischen den Felsen. Für eine Sekunde nur blitzte es auf, doch dieser kurze Augenblick reichte der Sonne, um die Löwin zu verraten. Inmitten der Einöde aus grauem Gestein und kargem Gestrüpp fanden ihre unermüdlich suchenden Strahlen endlich etwas, das zurück glänzte. Selbstsüchtig erfreuten sie sich dieses Fundes, ohne sich zu kümmern, dass sie ihm damit den Tod brachten.
Syrinx fixierte den Stein, hinter dem sich das goldene Fell versteckt hielt. Seit fünf Stunden bereits war sie der Spur der Katze gefolgt. Dabei blieb ihr keine Stelle, die die Tatzen berührt hatten, verborgen. Auf der Weide wie im Kiesel schrie schon die kleinste Verformung des Reliefs der Jägerin entgegen: „Folge mir! Vor einer Stunde erst ist sie hier gewesen. Auf der Suche nach Wasser schleicht sie nach Tegea.“
Die Löwin hatte das Wasser gefunden. In dem Tal des Ostens, zwischen Kiefern und Moos stillte sie ihren Durst an dem Fluss ohne Namen. Syrinx hatte sie trinken lassen. Sie fand, niemand sollte durstig sterben. Wer dieses höchsten Wohls für immer verlustig werden musste, durfte es wenigstens zum letzten Mal auskosten.
Wie sie die Löwin beobachtete, spürte sie sie. Sie ließ sie sich spüren. Sie ließ sich von ihr beobachten. Sie ließ die Löwin weglaufen. Denn jetzt konnte die Hatz beginnen.
Nun, im Gebirge Bässaris, gab es für das Tier kein Entkommen. Es würde leben, solange Syrinx gewillt war, es leben zu lassen. Beide wussten es.
Ein feines Lächeln spielte auf den Lippen der Nymphe. In diesen letzten Momenten einer Existenz knüpften Jägerin und Beute ein Band, das mächtiger war als die Liebe. Syrinx gebot über das Leben und entschied sich für den Tod.
Ein Bogen erschien in ihren Armen, die klar waren, dass die Sonne durch sie hindurch schien. Geräuschlos zog sie einen Pfeil aus dem Köcher. Erst vor einigen Tagen hatte sie das todbringende Geschoss aus Schneeball geschnitzt, während sie im Schatten einer Baumkrone einem Hirtenlied lauschte.
Mit ihren fast durchsichtigen Fingerkuppen streichelte Syrinx den nach Rinde duftenden Schaft, vom Gefieder bis zur jungfräulichen Spitze hinauf. Sie spürte jedes Grain ihrer Waffe und maß mit den Augen den Flug bis zu dem Punkt, an dem sie in das Opfer eindringen würde.
Die Zeit setzte aus. Die Luft stand still. Es war, als würde Aiolos, der Herrscher der Winde, seinen Atem anhalten, um das Schauspiel dieser Jagd zu genießen. Schon häufig hatte Artemis Syrinx erzählt, die großen Götter hätten ihre Freude daran, die anmutige Najade bei der Ausübung der Jagdkunst zu beobachten. Wer ihr wohl diesmal zuschaute?
Sie richtete ihre Augen gen Himmel und nickte ergeben, um sich bei den Mächtigen für diesen Augenblick zu bedanken.
Den Pfeil auf die Sehne gespannt, legte Syrinx den Bogen an, den Felsen der Löwin im Visier. Einen Moment noch, und sie würde die Stille durch einen Schrei erschüttern, der das Tier aufschrecken musste.
Ein Kribbeln bemächtigte sich ihres Zwerchfells. Seit Hunderten von Jahren schon ging die Najade auf die Jagd, und niemals hatte sie dieses Kribbeln verlassen. Noch einen Augenblick verweilte sie ohne sich zu rühren, in der Hoffnung, diesen Moment für die Ewigkeit in ihrer Seele einzufangen. Schon füllte sich ihre Lunge mit Luft, um den tödlichen Schrei auszustoßen, doch plötzlich hörte sie eine Frauenstimme ihren Namen flüstern: „Syrinx …“
Die Stimme war überall. Von der Erde bis zum Himmel gab es in diesen Bergen keinen Ort, den das Flüstern nicht erreichte.
Eine Sekunde später kitzelte etwas an ihren Zehen. Syrinx sah nach unten und wachte auf.
Die Morgenröte spielte heiter mit ihren nackten Füßen. Sie streichelte ihre Sohlen und ließ die ersten Strahlen der Wärme durch ihren Körper gleiten.
„Oh Artemis“, seufzte die Nymphe, „welch einen Traum schickt mir Morpheus und wie ungelegen kommt mir das Erwachen.“
Ein Lachen sprudelte durch die Grotte und verschmolz mit dem Plätschern des Bächleins am Eingang.
Eos ließ indessen von Syrinx` Zehenspitzen ab und brachte nun die Bergspitzen Arkadiens zum Erröten. Ganz zaghaft zunächst, doch Minute für Minute bestimmter, bemächtigte sich das Glühen der toten Felsen. Das frischetrunkene Zwitschern der Vögel erfüllte die Luft mit Morgen.
„Du bist so schön, wenn du schläfst, meine Syrinx“, flüsterte die Stimme, „ich habe dich vermisst.“
Neckisch räkelte sich die Nymphe zu diesen Worten, sie wurde zu Wachs, wenn Artemis so zärtlich mit ihr sprach.
„Ich steh ja gleich auf“, murmelte sie, „nur noch ein paar Minütchen.“
Syrinx drehte sich auf die Seite, vergrub ihre rechte Wange in die Handfläche und besah sich die Venen, wie sie, gefrorenen Flüssen des Nordens gleich, ihren linken Unterarm durchzogen.
Ganz schläfrig noch, zog sie mit ihren Blicken die Muttermale ihres Armes an eine Stelle und fing an, die kleinen braunen Punkte in Form einer springenden Löwin anzuordnen. Bloß reichten die Muttermale eines Armes noch nicht einmal für den Torso. Doch auf dem Bauch der Nymphe fanden sich welche, wiewohl auf ihren Brüsten welche mehr, für den brüllenden Kopf des Tieres trieb Syrinx auch die kleinen Schönheitsflecken ihres Rückens auf dem Alabaster des Unterarms zusammen.
Als die Löwin vollendet war, lächelte die Nymphe zufrieden, erstarrte für einen Augenblick in der Betrachtung und ließ mit einem Mal alle Muttermale wieder zurück zu ihren Wurzeln gleiten. Ihre Haut war wieder so glatt, wie auf eine Trommel gespannte Seide.
Manchmal ärgerte Syrinx sich, dass ihre einzige magische Fähigkeit, von der (fast) ewigen Jugend abgesehen, darin lag, die Muttermale auf ihrem Körper bewegen zu können. Sie hätte sich gewünscht unsichtbar werden oder in fremde Formen schlüpfen zu können. Stattdessen bekam sie eine Gabe verliehen, die zu nichts zu gebrauchen war.
An anderen Tagen hingegen konnte sie Stunden damit verbringen, entweder sich selbst oder Artemis mit ihrer unnützen Gabe zu amüsieren. In diesen Momenten war sie froh darum, dass es ihr nicht wie der armen Daphne erging.
Ihre Schwester wurde mit dem zweifelhaften Glück beschenkt, die Linien auf den eigenen Handflächen verschieben zu können, weswegen sie verdammt war, ohne Unterlass an ihrem Schicksal herum zu werkeln.
Nein, da waren Syrinx die einfachen Freuden ihrer beweglichen Muttermale um ein Vielfaches lieber.
Sie richtete sich auf.
Draußen vor der Grotte kniete die Nymphe an ihrem Bach nieder. Seit Jahrhunderten schon beseelte sie diesen Quell, der irgendwo tief in den Bergen seinen Ursprung nahm.
„Guten Morgen“, hauchte sie lächelnd. In dem Strom versuchte sie ihr Spiegelbild zu erkennen, wie sie dies jeden morgen tat.
„Guten Morgen“, sprudelte der Bach zurück und entschleunigte seinen Lauf. Jetzt blickte die Nymphe in ein Paar verschlafener tiefgrüner Augen, die mit Verwunderung ihrer eigenen Schönheit entgegensahen.
Syrinx tauchte ihre Hände in den kühlen Strahl und streichelte über die Steine auf dem rauen Grund. „Danke. Wie war deine Nacht, mein Lieber, hast du wieder Leben ins Tal gebracht? Erzähl mir, wer hat heute von deinem Fluss genossen?“
Syrinx neigte ihr Haupt zu dem Wasser und lauschte.
„Es war eine ruhige Nacht“, raunte das Bächlein, „zwei Rehe nur kamen zur Tränke, zwei Rehe und ein Ziegenbock im Morgengrauen. Sehr durstig war der Ziegenbock, er muss von weit her gekommen sein, noch nie hatte er von mir gekostet.“
Brennender Durst übermannte Syrinx bei diesen Worten. Die Nymphe tauchte ihr Gesicht in den Quell und schluckte so gierig, als würde sie sich ängstigen, dass der Fremde in der Nacht den Bach leeren könnte. Mit tropfenden Fingern fuhr sie sich durch das Gesicht. Das Wasser war genauso kalt und erfrischend wie immer, aber heute, oder schien es ihr bloß, heute hatte das einen leisen Geschmack von Wein in seiner Flut.
Langsam richtete sich die Najade auf. Wie seltsam, dieser Geschmack. Was war hier gestern Nacht geschehen, als sie im Traum die Löwin jagte?
„Herrin“, rief sie gen Äther, „war es der Bock, der meinen Quell mit dem Rausch vergiftet hat?“ Sie lauschte, doch Artemis schwieg. „Sprich zu mir, Herrin! Finde ich ihn und jage ich ihm einen Pfeil durch den Hals?“ Stille. Vogelgezwitscher und Stille. Warum sprach die Gebieterin nicht mit ihr? Gerade jetzt, wo Syrinx verwirrt war und Rat suchte, schwieg die Göttin wie die Tiefen des Totenreichs. Verlassen fühlte sich die Nymphe, doch sie hütete sich vor Zorn. Artemis würde schon ihre Gründe haben.
Die Nymphe blickte auf das Tal zu ihren Füßen. Soweit das Auge reichte, sah sie nur Felsen und Gebüsch. Kein einziger Pfad durchzog das Gelände. Menschen kamen nie hierher, für ihre Herden bot dieses Tal nicht genügend Gras.
Syrinx lebte an einem der kargsten Orte dieses unfruchtbaren Landes. Vor langer Zeit flüchtete sie hierhin, um Ruhe zu finden von den Satyrn und ihrem Gott, die ihr und ihren tiefgrünen Augen nachstellten. Wollüstig waren sie und verlottert. Die ganze Ewigkeit ihres Lebens hatten sie dem fleischlichen Vergnügen geweiht, bis auf die Knochen zynisch und verdorben. Mit ihnen wollte sie die Nacht nicht teilen.
Es ist schon fast hell geworden. Die Sonne erstrahlte über den Bergen und war gerade im Begriff die letzten Schatten der Dunkelheit unter die Erde zu vertreiben.
Aufmerksam glitt Syrinx` Blick durch die Umgebung. Wie ein Bogen gespannt, machte sich auch die Jägerin bereit, der geringsten Regung zu folgen. Früher oder später würde sie den Ziegenbock finden. Besser, sie täte es früher. Sie würde ihn töten, ohne zu zögern. Und sie würde ihn nicht der Artemis weihen, sondern an seinen Hörnern an die Spitze des höchsten Berges schleppen und von dort in die Tiefe schleudern.
Dann fiel ihr etwas Ungewöhnliches auf. Auf der Seite ihres Berges die nach Lykäon zeigte, etwa drei Pfeilflüge von der Grotte entfernt, sah sie zwischen den Büschen ein Irrlicht flackern. Es erschien und verschwand, um Augenblicke später unweit der Stelle aufzutauchen, an der es zuvor aufflammte. Gleich, wenn die Sonne den Himmel vollends erobern würde, würde auch das Flackern verloren gehen.
Aber wer zündete bloß in ihren Bergen ein Irrlicht an? War hier etwa ein neuer Geist erschienen? Kam er mit dem Ziegenbock? Oder kam der Ziegenbock mit ihm?
Natürlich wollte sie nicht zu dem Irrlicht laufen. Es wäre töricht, seinem Locken zu folgen. Nur Menschen taten so etwas, weil sie der Neugier ergebene Narren waren. Aber wo, wenn nicht dort, konnte sie die Antwort auf ihre Fragen finden. Sie war es, der die Flamme galt, jemand wollte die Nymphe in ihren Bergen herausfordern. Jemand ist in ihr Territorium eingedrungen und hatte sich an ihrem Bach vergangen.
Noch einmal sah Syrinx die Flamme aufflackern. Noch ein mal blickte sie in den Himmel. Noch ein mal fragte sie Artemis um Rat. Sie bekam keinen.
Die Sonne herrschte nun über die Erde. Die Götter schwiegen.
Unruhig hielt Syrinx Ausschau nach dem Irrlicht. Unruhig, ungeduldig, unentschlossen, sie war ganz Sehne auf ihrem Bogen und lechzte nach Gewissheit.
Das Irrlicht, das die Nymphe für erloschen hielt, tauchte wieder auf. Es kam näher, verschwand, brannte zwischen den Felsen, brannte im Gebüsch und mit einem Mal stand das ganze Tal in Flammen.
Von einem Strauch auf den anderen reichte das Feuer. Es schien, als würde selbst die trockene Erde brennen. Wie eine Mauer näherte sich die Hitze Syrinx` Grotte, die Lohen sprangen über die Gräben, als gäbe es für sie keine Höhen und Tiefen. Sie erklommen die Felsen und stürzten von ihnen herab. Sie griffen um sich, als gälte es, die Welt zu verschlingen und dabei verschlangen sie das Leben und belebten den Tod.
Vor ihnen rannte ein Ziegenbock. Er lief auf die Erhebung zu, von der die Nymphe, zerrissen zwischen Schmerz und Begeisterung, auf die Verwüstung hinab blickte. Gleich würde das Tier bei ihr sein. Syrinx blieb keine Zeit, um den Bogen zu holen. Schon konnte sie in die Augen des Bocks schauen und in ihnen sah sie ihn.
Ihn, vor dessen Liebe sie sich hier versteckt hielt, ihn, dessen Leidenschaft sie nun hier gefunden hatte.
Und Artemis flüsterte endlich: „Lauf ...“
Und Syrinx lief. Sie lief weg von dem Feuer, hoch in das Gebirge. Sie drang durchs Gestrüpp und sprang über Schluchten. Dornen rissen ihre seidene Haut auf, sie drangen in ihr Gewebe und stachelten sie an. Ihre Sohlen litten an den scharfen Steinen und die Panik pochte zwischen ihren Schläfen.
Wenn die Najade sich umdrehte, sah sie den Ziegenbock auf ihren Fersen. Seine Nüstern gierten nach ihr, sein Leib verströmte den Geruch verpesteter Geilheit. Und in seinen Augen las Syrinx wieder die Liebe. Vor ihr gab es kein Entrinnen.
Die Flüchtende und der Verfolger überquerten die Berge, sie stürzten den Abhang hinunter, sie verloren einander aus den Augen und als die Nymphe sich aufrichtete, konnte sie ihren Jäger nicht mehr sehen.
Dass er noch hier war, roch sie. Genoss er etwa ihre Furcht? Wollte er von ihrer Hilflosigkeit zehren? Beobachtete er sie gerade? Gleich würde sich das Wesen auf einem Fels aufrichten, gleich würde die Hatz von neuem beginnen.
In diesem Moment des Leids entschied sich Syrinx, Hilfe bei ihrem Vater zu suchen. Ladon, der besonnene Flussgott, vielleicht würde er ihren Anbeter zur Räson bringen können.
Und sie lief weiter. Stunde für Stunde, Tausende für Tausende Ellen legte sie zurück, in der Hoffnung, ihr Vater könnte ihre Freiheit beschützen. Der Ziegenbock folgte ihren Spuren.
Es dämmerte schon, als die Nymphe den Fluss erreichte. Breit und stürmisch bannte sich der Ladon seinen Weg durch das Land. Keuchend legte sich die Gehetzte an sein steiles Ufer, voller Hoffnung blickte sie in das kalte und tiefe Wasser.
„Erbarme dich meiner Vater“, flehte die Nymphe. Der Ziegenbock den es nach meiner Liebe lüstert, ist hinter mir her. Du kennst seinen Namen, du kennst seine Taten. Zu seiner Frau will er mich machen, mein freies Leben will er mir nehmen. Ich brauche die Liebe nicht, die er mir geben will.“
Doch Ladon schwieg. Ob er sich vor dem Ziegenbock fürchtete, ob er für seine Tochter einen Mann wünschte, ob ihm ihre Keuschheit nicht behagte, wie dem auch war, Ladon schwieg.
An ihre Gebieterin wandte sich Syrinx. „Artemis, warum tust du nichts? Willst du etwa nicht mehr, dass ich dich auf die Jagd begleite, willst du etwa nicht mehr, dass ich mein ergebenes Haupt auf deinen Schoß lege? Warum hilfst du mir nicht, meine Herrin, warum lässt du es geschehen, dass ich in die Knechtschaft gerate, die dieser Schwerenöter Ehe nennt?“
Doch Artemis schwieg. Ob sie dem Ziegenbock seine Bitte, ihn gewähren zu lassen, nicht abschlagen konnte, ob sie den Ausgang der Jagd sehen wollte, ob ihr der Göttervater verboten hatte, einzuschreiten, wie dem auch war, Artemis schwieg.
Verzweiflung ergriff Herrschaft über das Herz der Nymphe. Den Fluss, der ihrem Vater gehorchte, vermochte sie nicht zu überqueren. Vor ihr lag der Tod, hinter ihr fremde Liebe.
Da flehte sie die Flussnymphen an: „Habt Mitleid mit meinem Schicksal Schwestern. Ein Gott will mich zur Frau nehmen, ein Gott dessen Liebe ich verabscheue, ein Wesen, das nur an Trunk denkt und an Lust. Am Tage schläft er und in der Nacht das Fest und die Musik. Doch ich will nicht tanzen, ich will nicht vom Weine trinken und seinen Leib, der Ziege eine Ausgeburt, will ich nicht zwischen meinen Beinen spüren!“
Und ihre Schwestern, die Flussnymphen hörten ihre Wehklagen.
„Was können wir für dich tun Syrinx? Die Wässer können wir nicht öffnen. Dein Vater hat sie in der Gewalt und er schweigt.“
„Es ist mir gleich, was ihr zu tun gedenkt, wenn ihr bloß was verändern könnt!“, rief die Gejagte in die Fluten.
„Unsere Magie ist begrenzt Schwester“, hallte es aus den Fluten zurück, „doch sage uns zunächst, warum flüchtest du so sehr vor seinen Armen? Er ist ein Gott und Herr in ganz Arkadien. Welch Freuden könnte er dir bereiten!"
Und Syrinx fauchte gegen Vernunft: „Ihr kennt ihn nicht. Er ist ein Graus. Ein ungehobelter Bock. Hat nur Fleisch im Sinn, Fleisch und den Wein. Schon sein Gestank macht mich schwindelig. Und das bis in die Ewigkeit? Niemals.“
Und die Nymphen raunten im Chor: „Er mag ein Bock sein, gewiss. Aber er ist auch ein Gott. Musik lässt er erklingen die ganze Nacht. Man sagt, an seiner Tafel sprudelt das Lachen, dass es keinen Morgen gibt.“
Doch Syrinx hörte nicht auf sie: „Ich liebe aber den Morgen. In der Früh ist das Licht am schönsten und die Stille vor dem Tag die tiefste.“
Doch die Stimmen aus dem Ladon entgegneten ihr: „Den Morgen, sagt man, verbringe er im festen Schlaf. Den Morgen und die Mittagsstunde. Nicht stören wird er deine Stille.“
„Der Preis für den Tag ist mir zu hoch.“
„Der Preis für den Morgen ist noch höher, bist du bereit ihn zu bezahlen?"
„Kein Preis der Welt ist mir zu hoch, um meine Freiheit zu bewahren!“, zürnte Syrinx. Schon hörte sie die Erde unter den Hufen des Ziegenbocks beben.
„Wenn das so ist, Schwester Syrinx“, ächzten die Stimmen aus dem Fluß, „dann helfen wir dir, vor seiner Liebe zu fliehen. Siehst du das Schilf am Ufer wachsen? In seine Rohre können wir dich bannen. In ihnen und in ihnen nur, kannst du seinen Armen entgehen.“
„In ein Schilf?“, erschreckte die Gejagte, „ist das nicht dem Tode gleich?“
„Mitnichten, liebe Syrinx. Deine Seele sollst du behalten. Die Winde wirst du spüren und die Sonne, nachts wirst du aufwachen und am morgen einschlafen, Wärme und Kälte und das Singen der Vögel, sie werden alle in deiner Welt bleiben. Und vor allem Schwester, wirst du nicht aufhören müssen vom reinen Wasser zu trinken.“
Und Syrinx, die hinter sich das Geräusch der Hufen vernahm, richtete sich auf, blickte das letzte Mal gen Himmel und sagte: „So soll es sein.“
Und als es dann wurde, versiegte auch das Bächlein in den Bergen.
Wie die Geschichte endete, ist bekannt. Der Ziegenbock war kein Ziegenbock, sondern Pan, der Hirtengott. Natürlich war er über den Verlust seiner Liebe traurig. Als er deswegen laut seufzte, erreichte sein Atem die Röhre des Schilfes, was ihnen einen magischen Klang entlockte. Das verletzte Herz war ergriffen. Um sich von seiner Liebe nicht trennen zu müssen, schnitzte Pan aus dem Schilf eine Flöte, die wir heute als die Panflöte kennen.
Die Geschichte ist bekannt. Aber eine Frage bleibt: Ist das Leben als Pan´s Flöte, besser als das Leben als Pan´s Frau?