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Der Wunsch einmal den Mond zu sehen...
Die Sonne stand hoch über den Bergen. Ihre goldenen Strahlen erleuchteten Wiesen und Wälder. Bunte Blumen auf den Wiesen sahen aus, wie Konfetti auf einem grünen Teppich.
Hinter den Wiesen, am Waldrand, stand ein uralter Baum. Er war mächtig. An seinen kräftige Ästen, die fast bis in den Himmel ragten, wuchsen tausende Blätter. Der Wind schaukelte sie hin und her.
Aber der Baum war kein gewöhnlicher Baum. Alle Tiere des Waldes kannten ihn, denn er war für seine Äste, Zweige und Blätter wie ein großes Haus. Oben, in der Baumkrone, wohnten die dünnsten Zweige und Blätter, die sehr viel Licht brauchen, um zu wachsen. In der Mitte des Baumes wohnte Herr Stamm, die große Familie der Äste und unter der Erde, im Keller des Baumes, wohnte Frau Wurzel.
Viele heiße Sommer und kalte Winter hatten sie gemeinsam erlebt. In so manchen Herbststürmen bogen sich die Äste bis fast auf den Boden, aber so etwas, wie in der letzten Nacht gab es noch nie...
Der Mond kam hinter den Bergen hervor. Die Bäume des Waldes warfen lange, schwarze Schatten auf die Wiesen, und bis auf den Ruf einer Eule war es still. Doch plötzlich, erst leise, dann immer lauter, war ein Jammern zu hören. Selbst die dünnen Zweige und großen Blätter aus der Baumkrone, konnten es hören.
Herr Stamm erkannte als Erster, dass das Wehklagen von Frau Wurzel kam.
„Kann ich ihnen helfen? Was ist passiert?“, fragte er.
Erschrocken antwortete Frau Wurzel: „Nein, ich glaube das kann niemand.“
Einen Moment lang war es still.
„In meiner Wohnung ist es immer dunkel. Wie gern möchte ich mal den Mond sehen, seine silbernen Strahlen und das Funkeln der Sterne“, schluchzte sie.
Als die Bewohner des Baumes dies hörten, waren sie verschämt. Viele Jahre wohnten sie nun schon zusammen, aber sie hatten nie darüber nachgedacht, das Frau Wurzel immer in Dunkelheit lebte.
Ein dicker Regenwurm, der ebenfalls im Keller des Baumes wohnte, regte sich.
„Frau Nachbarin, ich bin müde und es ist spät. Lassen sie uns morgen darüber reden, wie wir ihnen helfen können“, sagte er brummig.
Alle waren einverstanden, und es wurde still im Baum.
Schnell hatte sich das Geschehene der letzten Nacht im Wald herumgesprochen. Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen den Boden erwärmten kamen Käfer, Ameisen und viele andere Krabbeltiere zum Baum. Alle wollten wissen, was der Regenwurm zu sagen hatte.
„Es ist eigentlich ganz einfach“, begann er. „Ich bin dick, lang und kräftig.“ Seinen Körper drehte er dabei so, dass ihn alle gut sehen konnten.
„Ich bohre eine Röhre durch den Waldboden, das Mondlicht kann herein scheinen, und Frau Wurzel wird sehr glücklich sein“, sagte er stolz.
Angestrengt dachten die Tiere über den Vorschlag des Regenwurms nach, als sich plötzlich eine Krähe zu Wort meldete.
Von einem dicken Ast aus, hatte sie das Treiben um den uralten Baum herum beobachtet.
„Kräh, Kräh“, begann sie. „Das ist nicht genug! Das Mondlicht wird nicht bis zu Frau Wurzel vordringen. Eine Röhre ist zu eng.“ “ Kräh “
Erstaunt und enttäuscht schauten die Tiere zur Krähe hinauf.
„Was sollen wir tun?“, riefen alle durcheinander.
„Im letzten Winter, ich suchte Schutz vor der klirrenden Kälte“, begann der Vogel zu erzählen, "saß ich im Turm der alten Kirche, zusammengedrängt mit zwei Eulen. Dabei konnte ich ihr Gespräch belauschen. Sie redeten von einer Vollmondnacht, im Monat Juli. Geheimnisvoll flüsterten sie, dass das Mondlicht nur in dieser einen Nacht bis an die Wurzeln eines Baumes scheinen kann. Genau um Mitternacht wird sich die Erde ein Stück öffnen.“
Die Krähe legte eine Pause ein und schaute angestrengt in den Himmel.
Die Spannung war fast unerträglich.
„Was sagten sie noch?“, wollten die Ameisen wissen.
„Ich bin schon sehr alt. - Kräh ...- Ich habe es vergessen, an welchem Tag Vollmond sein wird", sagte sie leise.
Der Schreck bei den Tieren verflog schnell, als Herr Stamm mit tiefer Stimme sagte: „Sei nicht traurig, Krähe. Ein uralter Baum, wie ich, hat schon viele Male den Mond auf und untergehen sehen. Ich weiß daher, dass schon morgen Nacht Vollmond sein wird.“
Frau Wurzel war außer sich vor Glück, als sie dies hörte.
„Schon morgen Nacht!“, jubelte sie. Obwohl sie sehr neugierig war, was um Mitternacht geschehen wird, hatte sie auch ein wenig Angst. Aber ihre Freunde beruhigten sie.
„Wir bleiben bei ihnen und helfen, wenn es nötig wird“, sagten sie.
Nachdem nun alles gesagt war, ging jeder seiner Wege.
Die Ameisen sammelten fleißig Tannennadeln für ihren, immer größer werdenden Hügel. Käfer rannten eilig über den Waldboden und Spinnen, die zwischen den Sträuchern hingen, webten emsig ihr Netze.
Der nächste Tag verging rasch, und am Abend, als die Sonne langsam hinter den Bergen unterging, versammelten sich die Tiere des Waldes am Hügel. Jeder wollte bei diesem Wunder dabei sein.
Die Familien der Zweige und Äste und Herr Stamm, alle waren sehr aufgeregt. Frau Wurzel dagegen lauschte still. „Vielleicht bewegt sich ja schon etwas“, dachte sie.
Als der Mond endlich aufgegangen und es Mitternacht war, begann sich der Waldboden, um den uralten Baum herum, langsam zu öffnen.
„Seht nur, seht..! Gleich kann Frau Wurzel den leuchtenden Mond sehen“, rief ein dicker Käfer. Freudig hüpfte er auf seinen Hinterbeinen hin und her.
Ein plötzliches Knacken ließ alle erschrecken. Der Spalt drohte einzustürzen.
„Schnell, schnell, schnell!“, riefen die Ameisen wild durcheinander. „Wir müssen helfen!“
Hastig schoben sie die herabgefallenen Erdklümpchen zur Seite, und nach kurzer Zeit war es dann endlich soweit.
Frau Wurzel sah den silbern leuchtenden Mond und die funkelnden Sterne.
„Noch nie, in meinem langen Leben, hab ich etwas Schöneres gesehen“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich bin so glücklich...!“
Überglücklich schaute sie sich nach allen Seiten um. Ihre Freunde, die sie zum ersten Mal sehen konnte, winkten ihr zu. Doch die Zeit verging viel zu schnell. Eine dicke Wolke schob sich vor dem Mond und seine wundersamen Kräfte wurden schwächer. Nach und nach schloss sich der Waldboden wieder. „Auf Wiedersehen, ihr habt mich sehr glücklich gemacht“, rief Frau Wurzel, bevor sie in der Finsternis verschwand.
Erst weit nach Mitternacht kehrte am Hügel wieder Ruhe ein. Die Tiere waren nach Hause gegangen, und der uralte Baum wiegte sich im lauen Nachtwind.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufging deutete nichts mehr darauf hin, welch ein Wunder in der Nacht geschehen war.