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Der Wolkenmaler

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10.01.2015
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Der Wolkenmaler

Für dich


Vorwort

Diese Erzählung ist besonderes T. und M. gewidmet und all den anderen Anfangsbuchstaben, die für ihr Recht stritten.
Es ist außerdem für alle, die gefallen sind oder das Fallen miterleben und begleiten mussten. Es soll ein Trost sein und ein Weckruf; denn das Schicksal ist eine Abfolge von Geschehnissen, aus denen jeder in der Lage ist, das Beste zu machen.
Ein Weg in diesem Leben sollte keine Sackgasse sein oder ein Labyrinth. Und wenn, dann hilft diese Erzählung vielleicht, wieder neuen Mut zu gewinnen und das Leben zu leben, dass Jemanden einen Teil der „Nahwelt“ werden lässt.
Dazu gehört es auch einmal einen Schritt vor- oder zurück zu wagen und manchmal auch zu verzeihen oder den einfachen Mut haben „Nein“ zu sagen und nicht den Instinkten zu folgen.

Die Erzählung kann missverstanden werden, wenn man es nicht zu Ende liest. Bitte, Leser, nimm dir daher die Zeit um es zu beenden. Es wird dir einen neuen Anfang gewähren.

Eigentlich bin ich zu alt um Tagebuch zu schreiben, jedoch meinte die Schwester zu mir, ich solle es unbedingt tun. Es soll mir helfen, dass Trauma besser zu verarbeiten.
Welches Trauma?, habe ich gefragt.
Sie antwortete nicht, sondern gab mir diesen alten Kalender und einen Stift.
Es ist schon eine ganz schön lange Zeit her, seitdem ich das letzte Mal einen Stift für längere Zeit in der Hand hielt.
Ich bin mehr der Praktiker. Das Schreiben gefiel mir noch nie. In der Schule hatten wir noch Tafeln und Kreide!
So… was mache ich jetzt?

Ich habe eben nach der Schwester geklingelt, doch sie kam nicht.
Das Krankenhaus ist voll. Da haben die wohl keine Zeit mehr für ihre Patienten.
Na ja. Mich sind die bald los. Ich spüre es in den Knochen, dass ich sterben werde.
Ja, jeder Mensch muss sterben. Aber ich muss bald sterben. Bestimmt ist es schon morgen.
Wenn ich Familie hätte, wäre ich gewiss traurig.
Aber mit Familie müsste ich auch nicht in das Buch hier kritzeln. Sie würden mit mir sprechen und meine Hand halten.

Gut. Händchen halten fällt eindeutig weg. Immerhin bin ich ein erwachsener Mann.
Ein erwachsener Mann mit nur einem Bein.
Mein Trauma soll ich verarbeiten?
Nur ein Bein. Nur ein Bein. Nur ein Bein. Nur ein Bein. Ein Bein. Ein Bein. Einbein. Ein Bein. Ein Bein. Zwei Beine Ein Bein. Ein Bein Beine e Bein.
Bein.
Pein.
Allein.
Ein. Bein. Allein.
Ha! Das reimt sich.
Ich habe das mit dem Bein jetzt nieder geschrieben. Mein Trauma ist weg. Mein Gehirn hat es kapiert.
Ich gehe jetzt nach Hause.

Die Schwester kommt nicht.
Und ich kann nicht alleine aufstehen.
Ich habe ja nur ein Bein.
Aber dafür bin ich voll mit Schmerzmitteln.
Die Phantomschmerzen sind auch da.
Leider helfen die mir nicht beim Laufen.
Für was Phantomschmerzen wohl gut sind?
Vielleicht ist das der Abschiedsgruß meines Beines? Es mag wohl nicht vergessen werden.
Das Bein ist weg.
Wenn es nicht zerfetzt worden wäre, hätten sie es in mein Grab legen können. Und wenn ich dann auch endlich mal ins Gras beiße, dann wären wir wieder vereint.
Das Bein und ich.
Ich seufze.
So jetzt gibt es überhaupt mal ein Geräusch hier drin!
Ich darf mich nicht aufregen, hat mir irgendwer gesagt.
Das ist wirklich schwer. Und mit jeder Sekunde auf dem SEZIERTELLER der Ärzte, wurde es schwerer.

Sie haben ihn in mein Zimmer gesteckt
!!!
ER ist doch an allem schuld!
ER ist dieser elender Bettlerjunge, der mich nicht hatte gehen lassen.
Ich hätte schon längst wieder zu Hause sein können. In Sicherheit. Mit BEIDEN Beinen.
Aber nein. Er bettelte und bettelte.
Mit mir nicht!, dachte ich noch.
In der Stadt gab es viele Halunken. Der gehörte bestimmt auch zu so einer Bande!
Weggesperrt gehörten sie!
„Bastard!“, rufe ich. Der Junge schläft.
Sein Glück!
Meine ganzen Einkäufe waren schon im Auto. Ich hatte es auch schon auf den Fahrersitz geschafft.
Das Balg klammerte sich an mein Bein.
In diesem Moment ging das Geschrei auf dem Marktplatz los.
Ich habe es noch immer in den Ohren.
Die Schreie…
Ich trete nach dem Jungen, um Gas geben zu können.
Etwas knallt gegen meinen Wagen und dann bebt die Erde.

Denaturierung.


So war das und jetzt bin ich hier. Mit nur einem Bein und der Knabe ist schuld!
Der Junge sabbert Blut.
Jetzt schreckt er hoch.
Willkommen bei den Lebenden.
Er stöhnt auf.
Wer von uns beiden ist einbeinig und wird bald sterben?
Du wohl eher nicht.
Du bist schließlich noch jung und belastbar und außen unversehrt.

„Du lebst.“ Hat der Mistkerl zu mir gesagt!
„Das tut mir schrecklich leid für dich“, habe ich geantwortet.
„Wieso?“, hat er zurückgefragt und mich groß angesehen.
„Du bist Schuld“, sage ich jetzt.
„Du wolltest lieber tot sein?“, will er wissen.
„Ich will lieber noch zwei Beine haben!“
Er sieht mich an.
„Das verstehe ich“, sagt er.
„Bastard“, antworte ich.
Der Junge zuckt zusammen.
„Du bist ein Parasit dieser Gesellschaft, weißt du das?“
Er schweigt.
„Ich habe ein Gewissen“, beginnt er.
Ich: „Das interessiert mich wenig.“
„Ein ausgereiftes Gewissen ist wichtig. Damit unterscheidet man Gut und Böse.“
Ich: „Aha.“
„Jeder Mensch hat Eines. Ein Gewissen. Aber es ist nicht immer ausgereift. Manche bilden es falsch aus. Deshalb ist Erziehung auch so wichtig.“
Ich: „Du bist nicht sonderlich gut erzogen.“
„Mein Gewissen schon. Es hatte viel Liebe. Aber es war nicht immer einfach. Es gibt da den Spruch: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu. Damit geht es.“
Ich: „Damit geht was?“
„Das Gewissen. Damit prüft man es. Es ist wichtig, dass es sich nicht fehlbildet. Denn ohne es, tut man böse Sachen.
Man handelt manchmal nur nach dem Trieb. Das kann schlecht enden. Man muss erst darüber nachdenken und dann handeln. Das Handeln ist wichtig. Aber erst braucht man den Verstand.“
Der Kerl nervt.
Ich stelle mich schlafend.

Die Schwester ist gerade wieder gegangen.
„Weshalb willst du ein anderes Zimmer?“
Ich: „Ich mag deine Bazillen nicht in meiner Wunde haben. Ich werde sterben und wäre dabei gerne alleine.“
„Bist du gerne alleine?“
Ich: „Ja.“
„Was haben die anderen Menschen dir angetan?“
Ich schnaufe.
Ich: „Du Grünschnabel! Von Problemen wie den
Meinen verstehst du doch überhaupt nichts!
Außer, dass du alles nur noch schlimmer gemacht hast!“
Was mir die anderen Menschen angetan haben? Hat er mich das wirklich gefragt?
Die fünf wichtigsten Gründe werde ich jetzt in dieses ätzende Buch schreiben.
Platz fünf: Mein Vater schlug mich.
Platz vier: Meine Mutter trank.
Platz drei: Man stahl meine Lieblingsuhr.
Platz zwei: Meine Frau verunglückte. (Mit Baby)
Platz eins: Jemand hielt mich solange auf, dass ich mein Bein verlor.

Und genau deshalb, bin ich lieber alleine.
„Träumst du?“
Ich: „Ja, von meinem Bein.“
„Du hast sonst keine Wünsche? Du wärst nur wieder gerne ganz?“
Das hat er echt schön gesagt, der kleine Mistkerl.
Ich: „Ja.“
„Also bist du fast wunschlos glücklich?“
Ich: „Mache ich auf dich einen glücklichen Eindruck?! Nein, Schwachkopf! Ich bin NATÜRLICH nicht glücklich! Sehe ich etwas so aus, als hätte ich meinen verdammten Seelenfrieden gefunden?! Mir fehlt ein Bein und ich werde sterben, weil ich alt bin.“
„Du solltest noch Träumen.“
Ich: „Du bist ein Kind. Du bist quasi dazu verdammt ein Idealist zu sein!“
„Träume sind gut! Ich träume viel und ohne sie hätte ich keine Hoffnung mehr!“
Ich: „Ach… und wovon träumst du? Spielzeug? Schokolade? Weltfrieden?“
„Ich träume von meinen Nachbarn. Und davon wie wir uns gegenseitig zum Essen einladen… Dinge austauschen und einander helfen. Geben und Nehmen, nannte Mama das.“
Ich: „Und wo ist deine Mama jetzt?“
„Fort. Bei Papa. Weit weg.“

Der Junge schnarcht.

Letzte Nacht litt ich Höllenqualen. Eigentlich hätte es Aus sein müssen…

Ich: „Wann verschwindest du eigentlich endlich? Du bist doch kerngesund!“
Er lächelte.
Es ist ein Kinderlachen.
Er sieht aus, als könne kein Wässerchen ihn trüben.
Na, der hatte auch keine Phantomschmerzen!

„Viele Menschen machen Fehler… und manchmal sind sie zu unaufmerksam um ihre Umgebung richtig wahrzunehmen.
Wenn man aufmerksamer wäre… und mehr für die Anderen tut und auf sie zu geht, würden sie sich dann nicht besser fühlen und ihrerseits Fehler vermeiden?“
Ich: „Du willst nur für Andere leben, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen?“
„Wenn jeder danach handeln würde, dann würden wir gegenseitig auf einander Acht geben.“
Ich: „Dummes Kind.“

Die Schmerzen werden stärker.
Das ist nicht gut! Das ist so schmerzhaft!!!

Ich: „Wolltest du dem Staat eigentlich für immer auf der Tasche liegen?“
„Nein, wieso?“
Ich: „Ach, du wolltest wohl groß Karriere machen als Bettler und größere Kleber schnuppern!“
„Ich war in der Schule und kann lesen und schreiben. Mein Onkel wollte mich zum Gemüsehändler machen.“
Ich: „Ist dein Onkel auch weit weg? Fort?“
Er nickt.

Ich: „Gemüsehändler, soso. Hast du denn überhaupt die Hintergründe verstanden, die ihn bedingen? Die Lieferanten, Wachstums- Erntezeiten? Kennst du dich mit Geld aus?“
„Wofür bräuchte ich denn die anderen Menschen, wenn ich alles alleine kann?“
Ich: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Merke dir das!
Nur den Statistiken, die du selbst gefälscht hast, kannst du Vertrauen! Und niemand kann dich über den Tisch ziehen, wenn du es besser weißt!“

Weshalb sprach ich überhaupt mit dem kleinen Mistkerl?
Meine Aufgabe war es schließlich nicht ihn zu erziehen!
„Wenn jeder ein ausgewachsenes Gewissen hat, dann kann ich jedem Vertrauen. In einer Welt in der jeder überall wohnen kann, weil es überall gleich ungefährlich, gleich demokratisch und unterschiedlich schön ist, kann ich Vertrauen schenken.“
Ich: „Das ist eine Utopie.“
„Und was verlieren die Menschen, wenn sie sich darauf einlassen und sich öffnen? Wenn jeder mitzieht, dann kann man die Utopie weiter entwickeln und vielleicht eine Lösung daraus erschaffen.“
Ich: „Du hast den Anschlag selbst erlebt. Eine Utopie ist nicht lebensfähig.“
„Es gab einen Grund dafür… Und zwar keinen göttlichen Willen. Vielleicht lag es an der wirtschaftlichen Not, der politischen Ohnmacht oder einfach nur, weil man ihm nicht die Möglichkeit gab, sein Gewissen reifen zu lassen und sich zu bilden.“
Ich: „Kommst du denn damit klar, dass du mein Bein auf dem Gewissen hast?“
„Ich verstehe die Frage nicht.“
Ich: „Ohne dich hätte ich längst zu Hause in Sicherheit gesessen.“
Er blinzelte mehrfach.

„Es war eine Autobombe in deinem Wagen.“
Ich: „Ja klar! Deshalb wolltest du auch vorher, dass ich dich mitnehme, Dreckskerl!“
„Ich wollte nicht mitgenommen werden.“
Ich: „Stimmt. Du hast gebettelt.“
„Ich habe nicht gebettelt.“
Ich: „Man darf nicht lügen.“
„Ich lüge nicht.“

Mein Bein schmerzt so stark, dass mir die Tränen in die Augen treten.
Die Schwester war heute länger im Zimmer.
Der Junge bekam neue Medikamente und mir sprach sie Mut zu.
Ihr Blick sagte mir ganz eindeutig, dass ich heute sterben würde.

„Du hast wirklich nicht gelogen?“
Er: „Nein.“
„Mhm.“
Ich hatte ihn falsch eingeschätzt.
Ich hatte mich geirrt.
Er hatte mich nicht bestohlen.
Er hatte mich aus dem Wagen gezogen, nachdem ich Holzkopf ihn gestartet hatte. Und das, nachdem ich ihn zuvor beschimpft und getreten hatte.
Zum Glück bleibt mir der peinliche Dank erspart.
Mein Herz schlägt immer langsamer.
Es war so gut wie vorbei.

Er: „Wir sollten es versuchen; Wir sollten versuchen an uns zu glauben und etwas verändern, damit irgendwann alles gut wird.
Wäre es nicht schön eine Welt vorbereitet zu haben, in der die Nachfahren unserer Nachfahren ruhig leben können? Mama sagte immer, die Menschen haben ihren Gott vertrieben, weil sie nicht an das Gute glaubten…
Aber wir können ihn zurückholen, in dem wir endlich miteinander leben.“
„Ich werde nicht mehr die Zeit für Nachfahren haben. Aber du schaffst es bestimmt, Kleiner“, murmelte ich.
Der Schlaf begann mich zu holen.
Er: „Ich mag die Wolken. Viele mögen sie nicht. Ich mag sie… Sie sehen so weich aus und sie machen den Himmel interessant.“
Irgendwie sprach er schneller. Hektischer.
Ich schlafe jetzt.

Am nächsten Morgen war der Junge tot.

Ich trage eine Prothese.
Ich habe mein kleines Geschäft wieder eröffnet.
Ich bin glücklich.
Auf eines meiner Bilder habe ich geschrieben:
„Es liegt an uns die Geschichte in die Welt zu tragen, sobald wir sie kennen.“
Jeder, der mich nach der Geschichte fragt, bekommt sie in Ruhe erzählt.

Ich kann den Jungen nicht vergessen.
Und das werde ich auch nicht.
Er hätte mein Sohn sein können und ich hätte ihn sterben lassen. Mir war nicht einmal ein Dank über die Lippen gekommen. Das bereue ich jetzt. Es liegt nun an mir, ihm diesen letzten Dienst zu tun:
Er starb.
Aber ich lasse nicht zu, dass seine Geschichte mit ihm stirbt.

 

Hallo Morrisa!

Willkommen bei den Wortkriegern.

Eine Frage: Haben die hunderte Leerzeilen, die du teilweise zwischen deinen Absätzen setzt, eine Bedeutung?
Ich empfehle dir dringend, die rauszunehmen, denn ich denke nicht, dass viele Leser Lust haben sich halb totzuscrollen, um ans Ende deinen Textes zu kommen.

Grüße,
Chris

 

Hallo Chris,

Ich habe die Leerzeichen rausgenommen. Danke für den Tipp.

Viele Grüße
Morrissa

 

Morissa schrieb:
Ich habe die Leerzeichen rausgenommen.
Soll das ein Witz sein, Morissa?

Ich habe den Text schon gestern zu lesen begonnen und nach wenigen Zeilen hatte ich das Gefühl, da könne eine tolle Geschichte drin stecken. Ich bemühte mich sogar, diese Millionen von Leerzeilen quasi als Art dramaturgische Regieanweisungen zu begreifen, viele Pausen halt, wo das Denken und Reflektieren des Erzählers stockt oder aussetzt.
Aber irgendwann hat mich die Formatierung nur noch genervt.
Finde ich schade.
Also ich empfehle dir dringend, den Text in eine vernüftige Form zu bringen. (Wenn du nicht weißt, was ich damit meine, schnapp dir einfach irgendein herkömmliches Buch und schau dir dort das Text-Layout an.)


Ach ja, willkommen hier, Morissa.

offshore

 

Hallo Morissa und andere,
ich finde es etwas schade, dass hier nur über die Formatierung gesprochen wurde. Denn, mal ehrlich, was ist eine gelungene Formatierung ohne einen gelungenen Inhalt. Und den Inhalt finde ich sehr gelungen. Eine gute Geschichte. Daumen hoch. Ich bin erst seit heute hier registriert und sehe mich grad um. deine Geschichte war erst die zweite, die ich gelesen habe.

 

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