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Der Wolf
Der Wolf
Jake und Cheryl hatten die Stadt hinter sich gelassen. Auf dem Rücksitz ihres Fluchtwagens lagen eine zerschlissene, schwarze Sporttasche voller Bargeld, eine Glock und eine Karte mit den beliebtesten Wanderrouten rund um Ely, Minnesota. Die Nummer mit dem verirrten Touristenpärchen zog wirklich immer wieder. Die Polizei würde ewig brauchen, um den alten Mann und seinen Hund zu finden; dafür hatte Jake gesorgt. Bis dahin würden er und seine Partnerin längst über alle Berge sein.
Seit dem Moment, in dem Jake dem alten Mann und seinem Köter je eine Kugel in die Brust gejagt hatte, war nicht mehr als eine Stunde vergangen. Das Adrenalin in seinen Adern ebbte langsam ab, aber er fühlte sich noch immer unglaublich gut. Überlegen. Erregt. Was zum Teil Cheryls Verdienst war, die ihren Kopf in seinen Schoß gelegt hatte. Er spürte ihr heiße Zunge und fühlte sich unbesiegbar.
Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Er spürte Cheryls Zähne und schaute für den Bruchteil einer Sekunde nach unten auf ihren Kopf, der sich langsam hob und senkte.
„Hey, Babe, nicht so wil...“ Der Rest seiner Worte ging in einem heftigen Knall unter. Ein Ruck ging durch das Auto und beide wurden nach vorne geschleudert. Reflexartig stieg Jake auf die Bremsen. Cheryl schrie auf und stieß mit dem Kopf heftig gegen das Armaturenbrett. Schließlich kam das Auto zum Stehen und Cheryl hob benommen den Kopf. Eine Beule zeichnete sich an ihrer rechten Schläfe ab, ansonsten schien sie in Ordnung zu sein. Ihre blauen Augen waren geweitet, aber klar.
„Was zum Teufel war das denn?“
„Keine Ahnung“, brummte Jake und befreite sich von seinem Gurt. Er stieg aus dem Wagen und zog fluchend seinen Hosenstall zu. Es war stockfinster, bis auf den linken Scheinwerfer, der die Dunkelheit zerschnitt. Jakes Atem bildete kleine weiße Wolken in der kalten Nachtluft. Er ging vorne um das Auto herum, seine Schritte klangen unnatürlich laut auf dem Asphalt. Die rechte Seite des Autos war vollkommen eingedellt. An der Stelle, an der einmal der Scheinwerfer gewesen war, klebte jetzt ein Gemisch aus Blut und etwas, das wie Fell aussah.
„Das ist ja widerlich.“ Cheryl war ebenfalls ausgestiegen. Ihr roter Lippenstift war verschmiert.
„Vielleicht ein Hirsch oder so“, sagte Jake und spuckte auf den dunklen Boden. „Fahren wir weiter.“
Er wandte sich um, aber Cheryl blieb wo sie war und betrachtete immer noch fasziniert und angeekelt die Fleischfetzen, die am verbogenen Metall hingen.
„Sollten wir nicht...?“ Ihre Stimme klang zögernd.
„Was? Die Polizei rufen?“ Jake lachte rau auf. Verdammt, er brauchte dringend eine Zigarette.
„Nein“, erwiderte Cheryl ruhig, als hätte sie seinen Vorschlag wirklich ernst genommen.
„Aber zumindest nachschauen, was wir da erwischt haben.“ Jake wusste, dass sie das nicht sagte, weil sie Mitleid oder Schuldgefühle hatte. Dafür kannte er sie inzwischen zu gut.
„Scheiß drauf. Fahren wir weiter. Andy wartet mit 'ner neuen Karre auf uns, schon vergessen?“
In diesem Moment erklang ein lautes, gequältes Winseln. Cheryl blickte Jake mit hoch gezogenen Augenbrauen an. Sie zog ihr Handy aus ihrer Hosentasche, schaltete das Fotolicht an und ging ein Stück die Straße zurück.
„Verdammt noch mal, Cheryl, steig wieder ein!“ Aber sie hörte nicht.
Nur ein paar Meter hinter ihrem Wagen blieb sie stehen und leuchtete auf eine dunkle Masse am Boden.
„Heilige Scheiße...“, flüsterte sie. Es war ein Wolf. Er lag auf der rechten Seite, Blut quoll aus seinem Maul und aus seinen Ohren. Seine Gedärme lagen dampfend auf dem kalten Asphalt. Er lebte noch, hechelte und wimmerte. Der metallische Geruch von Blut lag schwer in der Luft.
Inzwischen war Jake bei seiner Partnerin und packte sie unsanft am Arm.
„Entweder kommst du jetzt, oder...“ Dann fiel auch sein Blick auf den Wolf. Und es war nicht das Blut auf seinem schmutzig grauen Fell, das Jake schaudern ließ. Auch nicht die gräulichen Darmschlingen oder das Stück weißer Knochen, das aus seinem linken Vorderbein ragte. Es war sein Auge. Das linke Auge, hellbraun und trotz aller Schmerzen seltsam lebendig, welches genau ihn ansah und niemanden sonst. Vorwurfsvoll und hasserfüllt starrte es ihn an.
Das wirst du bereuen.
Unwillkürlich dachte Jake an den Hund von dem alten Mann, den er vor etwas mehr als einer Stunde ohne zu zögern abgeknallt hatte: ein deutscher Schäferhund mit scharfen Augen, stumpfen Fell und silbrig-glänzendem Stachelhalsband. Seltsam. An das Gesicht des Alten konnte er sich kaum erinnern, den hasserfüllten Blick des Hundes sah er jedoch klar und deutlich vor seinem inneren Auge. Und in dem Auge des Wolfes.
„Tja, das sind dann wohl schon drei Opfer auf unserer heutigen Liste, was?“ Cheryl klang fröhlich. Sie beugte sich noch ein wenig über den Wolf und atmete tief ein, inhalierte den widerlichen Geruch und besah sich das Tier ganz genau, als müsse sie sich jedes zerschmetterte Körperteil einprägen. Wahrscheinlich war sie die einzige Frau im Umkreis von tausend Meilen, die beim Anblick von Blut und Tod erst so richtig in Fahrt kam. Das konnte manchmal von Vorteil sein. Aber eben nicht immer.
Jake riss sich von dem vorwurfsvollen Blick des Wolfes los. Ein bitterer Geschmack machte sich in seinem Mund breit. Er spuckte erneut aus und wandte sich von dem sterbenden Vieh auf der Straße ab.
„Komm, die Show ist vorbei. Fahren wir weiter.“ Cheryl richtete sich auf und lächelte. Für einen kurzen Moment hielt er ihren verschmierten Lippenstift für Blut. Als hätte nicht die Kollision mit einem Auto den Wolf so zugerichtet, sondern sie.
„Okay, Boss.“ Sie ging zum Auto zurück. Jake schüttelte den Kopf. Er brauchte dringend eine Zigarette.
Sie waren gerade eingestiegen und hatten die Wagentüren zugezogen, als Cheryl schon wieder Anstalten machte, auf seinen Schoß zu klettern.
„Hey, Boss, warum so angespannt?“ Sie seufzte und nestelte an seiner Hose herum. Noch vor ein paar Minuten hätte Jake das zugelassen. Aber jetzt lagen die Dinge anders. Er hatte immer noch diesen Geruch in der Nase; wie Kupferpennys, die man zu lange in der Hand gehalten hatte. Außerdem ging ihm dieses verdammte Wolfsauge nicht aus dem Sinn. Und der Ausdruck darin. Sex war das letzte, was er jetzt brauchte. Er stieß Cheryl unwirsch in ihren Sitz zurück.
„Wir haben jetzt keine Zeit für sowas. Andy wartet.“ Und damit ließ er den Motor an. Er blickte in den Rückspiegel und sah kurz etwas aufblitzen. Etwas hellbraunes. Er fluchte leise und gab Gas.
Cheryl hatte die Arme vor ihrer Hühnerbrust verschränkt und schmollte. Jake warf einen kurzen Blick in ihre Richtung.
„Gib mir mal die Kippen aus dem Handschuhfach.“
„Leck mich.“
Jake stieß genervt die Luft aus.
„Schnall dich wenigstens an.“
„Leck mich.“
Jake drückte das Gaspedal noch etwas mehr nach unten. Je schneller sie bei Andy waren, desto besser.
Sie fuhren. Jake konnte nicht sagen, wieviel Zeit seit ihrem Zusammenprall mit dem Wolf verstrichen war. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Zu allem Überfluss hatte sich ein dichter Nebel gebildet, der ihn zwang, langsamer zu fahren. Außerdem war noch kein einziges Auto an ihnen vorbeigefahren. Nicht, das Jake nicht erleichtert gewesen wäre. Je weniger Leute ihr Auto sahen, desto besser. Aber trotzdem sagte ihm sein Instinkt, dass irgendetwas nicht stimmte.
Cheryl lehnte mit dem Kopf an der Fensterscheibe, ihr Atem ließ das Glas in regelmäßigen Abständen beschlagen. Ihre Augen waren geschlossen. Für jeden anderen sah sie so aus, als würde sie schlafen. Doch Jake wusste es besser.
„Cheryl“ - ihre Augen klappten sofort auf - „schau mal auf die Karte. Wir müssten schon längst in der nächsten Stadt sein. Irgendwas ist hier faul.“ Cheryls Lippen teilten sich, aber Jake kam ihr zuvor.
„Halt die Klappe. Guck einfach auf die verdammte Karte oder ich halte an und schmeiß dich raus.“ Er sagte das, ohne den Blick von der Straße zu nehmen, konnte ihr dämliches Grinsen jedoch fast spüren.
„Klar, Boss“, gurrte sie und zog die Karte aus dem Fach an der Tür.
Sie faltete sie auf und studierte sie eindringlich.
„Und?“, fragte Jake nach ein paar Minuten.
„Keine Ahnung. Wir sind irgendwo in der Scheißpampa, würd' ich sagen.“ Cheryl unterdrückte ein Gähnen. Als Jake zu ihr schaute sah er, dass sie die Karte verkehrt herum hielt. Wut flammte ihn ihm auf. Er bremste hart und brachte das Auto an der Straßenseite zum stehen. Dann riss er er ihr die Karte aus der Hand. Cheryl schien völlig unbeeindruckt.
„Ich muss mal pinkeln.“
Jake atmete einmal tief ein und wieder aus. Diese Frau machte ihn wahnsinnig.
„Dann geh!“, murmelte er voll unterdrücktem Zorn und schaute auf die Karte. Cheryl seufzte genervt auf, öffnete die Wagentür und stieg aus. Jake blickte noch einmal kurz von der Karte hoch und sah gerade noch, wie ihre schwarzen Turnschuhe im Nebel verschwanden.
„Geh nicht zu weit weg!“, rief er ihr hinterher.
„Fick dich!“, kam zurück.
Jake schwor sich, den nächsten Auftrag wieder alleine durchzuziehen, Erfolgsquote hin oder her.
Er widmete sich der Karte. Es war so, wie er vermutet hatte. Sie hätten schon längst da sein müssen. Es waren rund 20 Meilen von Tower bis Ely. Und sie fuhren mindestens schon eine Stunde; zumindest kam es ihm so vor. Ein dumpfes Pochen in seiner rechten Schläfe setzte ein. Wahrscheinlich waren sie einfach irgendwo falsch abgebogen.
Seid ihr nicht.
Jake hob den Kopf und sah im Seitenspiegel ein hellbraunes Auge. Als er blinzelte, verschwand es.
Leise fluchend beugte er sich zum Handschuhfach und griff nach seinen Zigaretten. Er zündete sich eine an und inhalierte den Rauch tief. Das Pochen blieb hartnäckig. Aus einem Reflex drehte er das Radio an. Er wusste nicht, was er erwartete. Vielleicht ein „Rentner im eigenen Haus erschossen und ausgeraubt. Die Polizei fahndet nach...“ Aber da war nichts. Nur Rauschen. Jake schaltete das Radio wieder ab. Wo blieb Cheryl? Konnte es so lange dauern, einen Baum zum Pissen zu finden? Gereizt drückte er den Glimmstengel im Aschenbecher aus.
„Diese kleine, blöde...“ Er wollte gerade austeigen, als er plötzlich einen spitzen Schrei hörte. Es klang verdammt nach Cheryl. Er stieg aus und versuchte, die Richtung zu bestimmen, aus der der Schrei gekommen war. Der Nebel war inzwischen noch dichter geworden. Der linke Autoscheinwerfer war machtlos gegen die milchigen Schwaden. Mit großen Schritten ging Jake um das Auto herum zum Waldrand, wo Cheryls Turnschuhe vor gerade mal zehn Minuten verschwunden waren.
„Cheryl?!“ Keine Antwort. Plötzlich das Knacken von Zweigen. Als würde sich etwas durch das Unterholz kämpfen. Für einen kurzen Moment sah Jake einen Wolf vor sich. Einen riesigen Wolf, mit gebleckten Zähnen, grauem Fell und blitzenden Augen. Aber es war Cheryl, die plötzlich aus dem Dickicht brach und vor ihm auf die Knie fiel. Sie atmete heftig.
„Was zum...“ Jake kam nicht weiter. Cheryl packte mit einer Hand seinen Arm. Sie war warm und feucht. Als Jake seinen Blick von ihren zerwühlten Haaren löste und auf seinen Arm richtete, sah er Blut, das im spärlichen Licht schimmerte.
„Schnell! Ins Auto!“ Cheryls Stimme klang drängend, aber nicht panisch. Dafür war sie nicht der Typ. Jake zog sie nach oben, öffnete die Beifahrertür und schob sie ins Auto. Dann nahm er selbst hinterm Steuer platz und fuhr los. Cheryls Atem normalisierte sich langsam. Mit einem Taschentuch wischte sie an ihrer rechten Hand herum. Es war mit Blut vollgesogen. Sie fluchte leise vor sich hin.
„Erklärst du mir vielleicht mal, was passiert ist?“
„Ich wurde gebissen. Nicht weiter schlimm.“
„Gebissen?“
„Ja, verdammt, ge-biss-en. Bist du schwer von Begriff?“
„Deinem losen Mundwerk hat's wohl nicht geschadet. Leider.“ Jake konzentrierte sich wieder auf die Straße.
„Wir haben 'nen Erste-Hilfe-Kasten im...“
„Nein, fahr einfach weiter“, entgegnete Cheryl forsch. Sie hatte sich ein dickes Bündel Taschentücher um die Hand gewickelt. Jake zuckte mit den Achseln.
Für kurze Zeit war es ruhig im Wageninnern. Jake dachte schon, dass Cheryl nun wirklich eingeschlafen sei. Doch dann fing sie plötzlich an zu reden, als würde sie den Faden aus einem früheren Gespräch einfach wieder aufnehmen.
„Es war ein Wolf. Der Wolf, um genau zu sein. Der mit dem zermatschten Bauch und den blutenden Ohren.“ Ihr Stimme klang ruhig, so als würde sie eine Bemerkung über das Wetter machen.
Jake brummte zum Zeichen, dass er ihr zuhörte.
„Ich wollte einfach nur pinkeln. Dann hab ich so'n komisches Knurren gehört. Und dann stand er plötzlich da, mit seinen baumelnden Eingeweiden. Und dann hat er mich gebissen.“ Jake brummte erneut. Er dachte an das Auge im Seitenspiegel.
„Tolle Geschichte, Babe. Aber das Vieh, das wir angefahren haben, lag in den letzten Atemzügen. Der war so gut wie hinüber. Vielleicht war es ein anderer. Sollen ja nicht mehr so selten sein hier in der Gegend.“
Aber Cheryl blickte ihn nur fest an an. „Es war der Wolf.“
„Wenn du meinst...“
„Er rächt sich. Auch für den Hund von dem Alten.“
„Mach dich nicht lächerlich, Cheryl.“ Jake kam sich vor, als würde er mit einem Kind reden.
Was immer sie da draußen erwischt hatte, war vielleicht nur verärgert darüber, dass Cheryl ihm in den Vorgarten hatte pissen wollen. Außerdem war eine Bisswunde ein geringes Übel. Wenn sie nicht bald nach Ely kamen, oder überhaupt in irgendeine gottverdammte Ortschaft, dann hatten sie ein ziemliches Problem. Momentan konnten sie nur weiterfahren und darauf hoffen, dass endlich der Tag hereinbrach und der Nebel sich verzog. Andy würde nicht ewig am vereinbarten Treffpunkt warten.
Es kam keine Ortschaft. Kein Schild. Keine Autos. Jake kam es vor, als würden sie auf einem Laufband fahren. Einem Laufband umgeben von dunklen Wäldern und eingehüllt in undurchdringlichen Nebel. Das Radio war tot, genauso der Handyempfang. In Jakes Kopf kreisten die Gedanken darum, in welche Scheiße sie hier geraten waren.
„Jake...?“ Cheryls Stimme klang seltsam schwach. Außerdem nannte sie ihn fast nie bei seinem Namen. Er fuhr langsamer.
„Was ist?“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie hatte die Beine angezogen und starrte durch die Frontscheibe auf den spärlichen Lichtkegel des verbliebenen Scheinwerfers.
„Mir ist schlecht. Können wir kurz anhalten?“
Er fuhr rechts ran. Kaum standen sie, presste Cheryl ihre unverletzte Hand auf ihren Mund, gab ein würgendes Geräusch von sich und stürzte auf die Straße hinaus. Er hörte ein widerliches, spritzendes Geräusch, als sie sich am Straßenrand übergab. Kurz darauf ließ sie sich wieder in den Sitz fallen. Im Licht des Wageninneren sah Jake die dunklen Schatten unter ihren Augen. Sie war noch blasser als sonst. Nur der rote Lippenstift leuchtete immer noch auf ihrem Mund und der umliegenden Haut. Ohne ein Wort stieg Jake aus, ging zum Kofferraum und holte den Erste-Hilfe-Kasten. Als er wieder zurückkehrte nahm er ihre Hand und entfernte die blutigen Taschentücher.
„Sieht tatsächlich aus wie von 'nem Wolf.“ Der Biss befand sich an Cheryls Handgelenk. Als er ihren Arm drehte konnte er den Gegenbiss ausmachen. Es sah ziemlich schmerzhaft aus.
„Sag' ich doch.“ Sie verdrehte genervt die Augen. In ihrem geschwächten Zustand hatte es nicht ganz die gewohnte Wirkung. Jake lachte lautlos.
„Du wirst es schon überleben. Und jetzt halt still.“ Er reinigte die Wunde. Das Wasserstoffperoxid schäumte auf Cheryls Haut und sie sog scharf die Luft ein. Als das Handgelenk verbunden war, drehte sie ihren Arm ungläubig hin und her.
„Ziemlich gut für 'nen Mörder und Räuber.“ Sie klang ehrlich erstaunt.
„Danke für die Blumen, Ma'am.“
Cheryl lächelte schwach und blickte wieder nach vorne auf die Straße. Jake betrachtete ihren zarten Hals und hatte auf einmal das starke Bedürfnis, sie zu küssen. Er wollte sich gerade zu ihr beugen, als sie wieder sprach.
„Jake...“ Ihre Stimme war kaum ein Flüstern. Er folgte ihrem Blick. Im Scheinwerferlicht ihres einäugigen Autos stand ein Wolf. Blut tropfte von seinen Ohren auf den Boden. Seine Eingeweide hingen aus seinem Bauch wie ein lästiges Anhängsel. Er stand sicher auf allen vier Beinen, obwohl aus dem linken Vorderbein ein Stück Knochen ragte. Der Wolf. Er starrte Jake und Cheryl an. Nein.
Er starrte nur Jake an.
Das Pochen in seiner Schläfe war wieder da, stärker als zuvor. Cheryl schien wie versteinert.
Langsam, unendlich langsam, sank Jake wieder in seinen Sitz zurück. Er ließ den Motor aufheulen. Es störte den Wolf nicht. Er stand einfach da.
„Scheißvieh...“, murmelte Jake. Er wollte Gas geben. Dieses elende Vieh, das einfach nicht mehr leben durfte und wegen dem sie in diesen Schlamassel hineingeraten waren, plattfahren. Aber gerade, als er das Gaspedal durchtreten wollte, hörte er ein Knurren rechts von sich. Jake hatte keine Zeit mehr zu reagieren, als Cheryl sich auf ihn stürzte. Sie schlug ihre Zähne in seinen rechten Arm und ein stechender Schmerz fuhr durch seine Nervenbahnen. Sie war wie eine Furie. Immer und immer wieder biss sie zu. Jake schlug ihr auf den Kopf, aber seine Schläge schienen sie nur noch wilder zu machen. Die Autotür. Jake versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verriegelt. Aber wie konnte das sein? Die Waffe auf dem Rücksitz. Jake drehte sich nach rechts, riss seine Füße hoch und stemmte sie gegen das wilde Tier, das einmal seine Partnerin gewesen war. Sie packte seinen rechten Fuß und biss hinein. Mühelos zerriss sie den Stoff seiner Jeans. Die Zähne, die sich in Jakes Fleisch bohrten, waren nicht länger die eines Menschen. Jake schrie auf. Er musste die Waffe erreichen. Doch dann traf sein Blick den von Cheryl. Ihr Gesicht war blutverschmiert, ihre Zähne gebleckt. Er konnte den Lippenstift in all dem Rot nicht mehr ausmachen. Ihr Augen waren nicht mehr blau, sondern hellbraun. Und mit einem wilden Jaulen stürzte sie sich erneut auf ihn.
Der Wolf stand auf der Straße und beobachtete das seltsame Tier aus Metall, das sich heftig hin und her wiegte. Schreie drangen aus dem Inneren des Ungetüms und der Wolf witterte Blut. Ruhig saß er da und wartete. Als die Schreie langsam schwächer wurden und schließlich verstummten, schien er endlich zufrieden zu sein. Er legte sich auf den kühlen Asphalt, bettete den Kopf auf seine schmutzigen Pfoten und starb.