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Der Wok

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12.07.2002
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Der Wok

Meine Magenverstimmung war der Auslöser. Sie war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ohne Magenverstimmung hätten wir wahrscheinlich heute noch keinen Wok in unserem Haushalt.

Dies war vor einem guten halben Jahr. Schon Monate früher beschäftigte sich meine Frau mit dem Gedanken, sich so eine chinesische Super-Pfanne anzuschaffen. Begeisterte Erzählungen von Bekannten und Freundinnen brachten sie auf diese Idee. Ein Fernsehfilm über das Leben einer armen, dafür kinderreichen, chinesischen Familie brachte meine Frau der Entscheidung einen weiteren Schritt näher. Aber erst meine Magenverstimmung überzeugte sie von der absoluten Notwendigkeit, sich nun endlich einen Wok anzuschaffen.

Klar, das Argument war nicht zu widerlegen: Die Magenverstimmung war das eindeutige Ergebnis einer zu fetten Ernährung. Im Wok wird angeblich praktisch ohne Fett gekocht – folglich musste das die Lösung des Problems sein.

Kaum hatte sich mein Magen einigermaßen erholt, gingen wir daran, den Wok zu beschaffen. Für mich war das Problem einfach: in sämtlichen Kaufhäusern und Haushaltsfachgeschäften wurden solche Pfannen angeboten. Also hinfahren, Preise und Qualitäten vergleichen – und dann das vernünftigste Angebot kaufen. Nach diesem bewährten Muster pflegte ich in den letzten etwas dreißig Jahren alles einzukaufen. Selten machte ich mit dieser Methode eine Bauchlandung.

Vor sechs Monaten allerdings hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Schließlich wäre der Haushalt die Domäne meiner Frau; und somit wäre es ihre Sache, sich um dieses Gerät zu kümmern, sagte sie. Außerdem hätte sie ganz klare Vorstellungen von dem, was sie kaufen wollte. Ein 0815-Wock kam für sie überhaupt nicht in Frage. Ein Wok musste für sie absolut original sein. Schließlich haben die Chinesen diese Art des Kochens entwickelt – das bedeutet, sie haben die meiste Erfahrung und somit mit absoluter Sicherheit die besten Produkte.

Ich war heilfroh, die Verantwortung für die Beschaffung des Woks abgeben zu können. Einerseits bedeutete es für mich weniger Arbeit – andererseits sah ich ein, dass meine Frau dieses Problem viel besser und sicher auch rationeller lösen konnte. Über einen dritten Grund sprach ich allerdings nie: Wenn sie ihn kaufte, trug auch sie die volle Verantwortung dafür. Sollte was schief laufen, konnte ich also meine Hände in Unschuld waschen; eine immer verführerische Vorstellung für einen Ehemann.

Dass meine Frau ein zielstrebiges Wesen ist, wusste ich schon längst. Trotzdem setzte mich in Erstaunen, wie sie dieses Projekt strategisch einwandfrei plante. Sie versuchte in kürzester Zeit mit dem geringsten Mitteleinsatz das beste Ergebnis zu erreichen. Einfach gut und professionell.

Den Anfang machte eine Einladung zum Nachmittagskaffee. Freundinnen, Bekannte und Nachbarn, die schon Wok-Erfahrungen aufweisen konnten, wurden dazu gebeten. Die Einladung erging mittels schöner, selbstgemachter Karte in sehr persönlicher Form an alle ausgewählten Damen. Natürlich stand in der Einladung nichts von der Absicht, sich einen Wok zu beschaffen – das wäre ja viel zu direkt und zu plump gewesen.

Da ich an jenem Sonntag-Nachmittag noch etwas vor hatte, konnte ich nur den ersten Teil der Einladung miterleben. Ich bewunderte das Geschick meiner Frau, schon nach wenigen Minuten das Gespräch auf das von ihr gewünschte Thema zu lenken. Mit wenigen, aber sehr intelligenten, Fragen brachte sie eine Dame nach der anderen dazu, über ihre Wok-Erfahrungen zu berichten. Dass meine Frau über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte, wusste ich längst. Dass es aber so gut war, dass sie es schaffte, nach Ende der Einladung eine blitzsaubere Liste aufzustellen, aus welcher genau hervor ging, wer seinen Wok wo, wann, zu welchen Preisen gekauft hatte, erstaunte mich wirklich. Außerdem ergänzte sie diese umfangreiche Liste mit sämtlichen Erkenntnissen, die jede der Damen mit ihrem System machte. Fein säuberlich getrennt nach positiven und nach negativen Erfahrungen.

Als ich gegen acht Uhr abends wieder nach Hause kam, stieg mir schon im Treppenhaus ein verführerischer Duft in die Nase. Er erinnerte mich an meine Geschäftsreisen nach Fernost und an die Straßenküchen in asiatischen Städten. Von denen gingen ähnliche Duftwolken aus. Als ich die Wohnungstür aufsperrte schlugen mir Gerüche in den verschiedensten Variationen entgegen: scharfe, süße, edle und auch weniger edle. In der Küche und im Wohnzimmer herrschte reges Treiben. Können Sie sich vorstellen, lieber Leser, wie es ist, wenn in einer kleinen 3-Zimmerwohnung 14 Frauen auf 14 verschiedenen Woks gleichzeitig kochen?.

Meine Gattin hatte es geschafft, beim Nachmittagskaffee unter den geladenen Gästen eine Art Wettbewerbsgeist zu wecken. Jede der Damen hatte sich so weit in das Thema hineingesteigert, dass sie jetzt unbedingt zeigen und beweisen musste, welche enormen Vorteile gerade IHR Wok hat, im Vergleich zu den 13 anderen. Dass alle vier vorhandenen Kochplatten belegt waren, leuchtete sofort ein. Auch für die 3 provisorischen Kochstellen auf dem Balkon brachte ich Bewunderung auf. Sie zeugten von einer hohen Improvisationsgabe. Weniger schmeckten mir allerdings die weiteren Holzkohle-Feuerstellen im Schlafzimmer. Immerhin war ich bei der örtlichen Feuerwehr in gehobener Position. Und diese wilden Feuerstellen wären genehmigungspflichtig gewesen. Ich fühlte mich nicht ganz wohl in meiner Haut, zumal einige der Damen mich ja sehr wohl kannten und von meiner Funktion bei der Feuerwehr wussten.

Aber es war zu spät. Die Sache war bereits viel zu weit fortgeschritten, um noch gebremst werden zu können.

Mein Notebook – mein mit Abstand teuerstes Spielzeug – stand in unmittelbarer Nähe eines offenen Holzkohlefeuers. Die helle Einfassung des LCD-Bildschirmes war bereits leicht geschwärzt. Die kürzlich von mir installierte Spracherkennungs- und Verarbeitungs-Software war voll im Einsatz. Gerade saß eine ältere, etwas korpulentere Dame vor dem PC und diktierte ihm ihr bestes Rezept. Der Computer tat sein Bestes, das Diktat in geschriebenen Text umzusetzen. Meine Frau dachte also wirklich an alles; einfach genial. Nicht nur die Erfahrungen konnte sie von den anwesenden Gästen einsammeln wie reife Beeren im Wald, sogar auch alle wichtigen Rezepte.

Gegen zweiundzwanzig Uhr gelang es mir, meine Frau für wenige Minuten beiseite zu nehmen und sie zu fragen, wie ums Himmels Willen sie es denn geschafft hätte, die 14 Damen dazu zu bringen, ihren Wok herbeizuschaffen und etwas darin zu kochen. „Das verrate ich dir später“, sagte sie mit einem Augenzwinkern – und schon war sie wieder bei den anderen Damen.

Kurz nach Sonnenaufgang hatte ich alle offenen Feuerstellen in der Wohnung fachmännisch gelöscht, machte das Frühstück und schaffte es gerade noch, mit nur 3 Minuten Verspätung im Büro anzukommen. Die Kollegen rümpften indigniert die Nasen – ich trug noch die ganzen Wok-Gerüche in den Kleidern. Zum Umziehen fehlte die Zeit.

Nach durchgemachter Nacht und einem recht anstrengenden Arbeitstag kam ich am Abend nach Hause. Auf der Heimfahrt träumte ich schon von einem herrlichen Abendessen, mit dem mich meine Gattin in der Regel überrascht. Ein schmackhafter süßer Auflauf stand schon lange nicht mehr auf dem Speisezettel. Vielleicht heute Abend?

Sagte ich schon, dass meine Frau eine sehr zielstrebige und ehrgeizige Person ist? Sie ließ nie was anbrennen. Weder in der Küche, noch im übertragenen Sinne.

Wie ich nach Hause kam, saß sie an meinem PC. Auf dem Boden vor dem Drucker lagen verstreut unzählige bedruckte Seiten. Sie hatte im Eifer des Gefechtes vergessen, den kleinen Schieber am Drucker herauszuziehen, dessen Aufgabe darin bestand, alle gedruckten Blätter aufzunehmen. „Nur noch ein paar Minuten“, empfing sie mich, „ich bin gerade im Internet und suche noch nach einer bestimmten Adresse“.

Auf dem Weg ins Bad warf ich einen schnellen Blick in die Küche. Alles war hervorragend aufgeräumt. Keine Spur von irgendwelchen Aktivitäten, die man mit „Kochen“ hätte in Verbindung bringen können. Zur Sicherheit schaute ich noch ins Backrohr – aber auch dort stand kein süßer Auflauf.

Wenn sich meine Frau in eine Arbeit gestürzt hatte und sich darin so richtig verbissen hatte, durfte man sie niemals stören. In den langen Jahren unserer Ehe hatte ich diese Lektion gelernt. Eine Störung zog zwangläufig einen ausgiebigen Ehekrach nach sich.

Also schaute ich im Wohnzimmer in Ruhe die Nachrichten an und genoss noch einen guten Fernsehkrimi. Dann zauberte ich aus dem, was ich im Kühlschrank fand, ein mehr oder weniger schmackhaftes Abendessen und servierte es meiner Frau – zusammen mit einem Glas Wein – an den PC.

Das ständige Geräusch des Druckers ließ mich nicht einschlafen. Ich nahm meine Bettsachen möglichst geräuschlos aus dem Schlafzimmer und machte es mir auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich. Immerhin fand meine Frau Zeit, mir eine gute Nacht zu wünschen, sogar verbunden mit einem flüchtigen Kuss. Am nächsten Morgen konnte ich mich schwach an einen Traum erinnern, in welchem ein schmackhafter, süßer Auflauf die Hauptrolle spielte.

Gegen elf Uhr am nächsten Tag rief mich meine Ehefrau im Büro an. Ihrer freudig erregten Stimme konnte ich sofort entnehmen, dass sie offensichtlich eine für sie annehmbare Lösung ihres Problems gefunden hatte. “Schatz“, sagte sie, „komm bitte zum Mittagessen nach Hause, ich muss dir unbedingt was zeigen...“.

Was sie mir zu Hause zeigte war das Ergebnis einer viele Stunden dauernden Suche im Internet. In einem roten Ordner hatte sie fein säuberlich und alphabetisch sortiert alle Angebote von original-chinesischen Woks gesammelt. Die Meisten ausgedruckten Web-Seiten war in Chinesisch, dazu ließ sie von einem speziellen Dolmetscherprogramm Übersetzungen erstellen und druckte auch diese aus. Damit alles leichter nachvollziehbar und auffindbar war, hatte sie alle Übersetzungen auf gelbes Papier ausgedruckt. Der Ordner war nicht nur bestens organisiert – in seiner Kombination berücksichtigte er auch die von Feng-shui favorisierten Farben.

Die intensive Auseinandersetzung meiner Frau mit der von ihr erstellten Liste der positiven und negativen Erfahrungen unserer Gäste führte zu einem eindeutigen Ergebnis: keiner der 14 geprüften Woks konnte den Ansprüchen meiner Frau genügen. Europäische Produkte kamen überhaupt nicht in Frage. Wenn schon denn schon – ein Wok musste original aus China kommen. So weit waren wir schon vor einigen Tagen. Aber jetzt war diese Einsicht fast schon wissenschaftlich untermauert.

Gemeinsam machten wir uns daran, aus ihrem Ordner eine sinnvolle Reihenfolge der Firmen festzulegen, die wir dann anschreiben wollten.

Natürlich waren wir beide damals der chinesischen Sprache nicht mächtig. Ich hatte die Idee, die chinesische Handelsdelegation, die ihr Büro ganz in unserer Nähe hatte, einzuschalten. Die dort beschäftigten Damen und Herren sprachen alle recht gut englisch oder deutsch – und natürlich einwandfrei Mandarin. Sie waren auch alle ausnahmslos sehr höflich. Kaum hatten wir eine Stunde im hellen, sechseckigen Wartezimmer gewartet, wurden wir zu einem Funktionär vorgelassen, der uns mit einem freundlichen Lächeln und einer tiefen Verbeugung in sein Büro bat. Er hörte sich sehr aufmerksam unser Problem an, blätterte neugierig im roten Ordner, den wir dabei hatten und sagte dann nach einer knappen halben Stunde in gebrochenem Englisch, dass er leider kein Wort Deutsch verstehe, er uns aber gerne an einen Kollegen weiter empfehlen würde. Er sprach einige Minuten gestenreich, mit hoher Stimme – ohne Punkt und Komma - in den Telephonhörer. Danach horchte er einige Sekunden auf die Antwort und legte auf. Er brachte uns persönlich in das benachbarte Büro und stellte uns seinem Kollegen vor.

Dieser Kollege – nachdem wir seinen Namen nicht aussprechen konnten, nannten wir ihn einfach Mr. Lee – unterschied sich von unserem ersten Ansprechpartner eigentlich nur in zwei Punkten: er sprach etwas deutsch und er trug eine dunkle Hornbrille.

Mr. Lee war ebenfalls sehr zuvorkommend und setzte uns in chinesisch einen Brief auf, mit Hilfe dessen wir in seinem Heimatland Informationen über einen Wok einholen und das Gerät auch bestellten konnten. Er erläuterte uns die Gepflogenheiten im Zahlungsverkehr mit chinesischen Produzenten und machte uns auf diverse Einzelheiten der Zollformalitäten aufmerksam. Als letztes fügte er noch ein in deutsch verfasstes Merkblatt bei, das sich auf die Art der Verpackung der aus China importierten Güter (im Hinblick auf das Einschleppen von Schädlingen und Krankheitserregern) bezog. Als wir circa zwei Stunden nach Dienstschluss das Bürogebäude der chinesischen Handelsdelegation verließen, hatten wir nicht nur einen Blitzkursus hinter uns für die Grundkenntnisse des Importes von Gütern aus China, sondern wir hatten auch in Mr. Lee einen neuen Freund gefunden. Darauf konnten wir am Abend zu Hause in der Küche anstoßen.

Internet-Verbindungen sind beim Nachttarif günstiger. Diesen Umstand machte sich meine Ehefrau sofort zu Nutze. Sie nahm mit verschiedenen Firmen Kontakt auf. Schließlich wollte sie die Angebote vergleichen. Man konnte ja nicht einfach den ersten besten chinesischen Wok kaufen!

Dass Chinesen ausgezeichnete Geschäftsleute sind konnten wir bereits am nächsten Tag feststellen. Begünstigt durch die Zeitverschiebung, aber auch durch die wirklich extrem schnelle Reaktion dieser chinesischen Produzenten hatten wir bereits zum Frühstück am nächsten Morgen jede Menge von e-Mails und Fax-Nachrichten am Tisch.

Ich hatte für diesen Tag in meinem Betrieb Urlaub eingegeben. Man musste Prioritäten setzen und meine Frau hatte eine uneingeschränkte Unterstützung bei der Umsetzung ihres Konzeptes verdient. Außerdem war in unserem Kühlschrank mittlerweile gähnende Leere und auch in der Tiefkühltruhe waren nur noch Restbestände vorhanden.

Mr. Lee empfing uns gleich um zehn Uhr an diesem Morgen. Als seine persönlichen Freunde mussten wir nicht warten und die Begrüßung war sogar noch um eine Spur herzlicher als am Vortag. Er übersetzte uns mit einer Engelsgeduld die eingegangenen Informationen und Angebote. Wir schätzten seine Hilfe überaus und luden ihn für den Abend zum Essen ein. Er wünschte sich eine echte bayerische Kalbshaxe – eine Spezialität die meine Frau sehr gerne kochte. An diesem Abend steuerte auch Mr. Lee seine persönlichen Wok-Erfahrungen bei.

Am Folgetag bestellten wir bei einer kleinen Firma in Südchina einen gusseisernen Wok, der von Mr. Lee, meiner Frau und von mir als das mit Abstand beste Gerät ausgelesen wurde.
Um Kosten zu sparen entschieden wir uns für einen Seetransport, auch wenn das natürlich etwas länger dauerte als ein Versand per Flugzeug.

Die Bestellung wurde postwendend mit einem freundlichen Begleitbrief (das sagte uns jedenfalls Mr. Lee) von der chinesischen Firma bestätigt und der Versand schon für die kommende Woche angekündigt. Die Ware sollte zwei Wochen später bei uns angeliefert werden, sofern der Zahlungseingang pünktlich verbucht werden konnte in China.

Der nächste Weg führte zu unserer Sparkassen-Filiale. Wir wollten die Überweisung sofort vornehmen, um die Transaktion nicht unnötig zu verzögern. Insgeheim lachten wir uns ins Fäustchen, denn „unser“ Wok kostete weit weniger als die Hälfte von dem, was unsere 14 Gäste seinerzeit für ihre Woks bezahlten. Und das inklusive Versand und Verzollung.

Die Dame am Schalter der Sparkassen-Filiale war grenzenlos überfordert. Nach China hatte sie – trotz ihrer mittlerweile schon über dreißig Berufsjahren – zeitlebens noch keine Überweisung gemacht. Ihren Chef konnte man immerhin noch als überfordert einstufen. Jedenfalls landeten wir am Nachmittag bei der Zentrale der Bank in der Hauptstadt. Dort konnte dieses Bankgeschäft problemlos und mit Leichtigkeit abgewickelt werden.

Mein Urlaubskontingent für dieses Jahr war mittlerweilen erschöpft – auf Grund meiner jahrelangen, guten Leistungen im Betrieb bekam ich einige Tage Vorschuss auf den nächstjährigen Urlaub.

Insgesamt drei Wochen dauerte es dann, bis der Wok in Deutschland eintraf. Danach dauerte es noch weitere zehn Tage bis die große Holzkiste entzollt, vom Seucheninspektor geprüft und an unsere Anschrift ausgeliefert wurde. Unser Nachbar, ein kräftiger und sportlicher Typ half uns, die voluminöse, seefest verpackte Kiste in den ersten Stock zu tragen.

Mit Hammer und Brecheisen öffneten wir den stabilen Behälter und brachten unsere neue Errungenschaft ans Tageslicht: Ein wunderbarer, matt schwarz glänzender Wok. Und dazu ein kleines, rotes Buch mit Goldschnitt. Wir nannten es sofort die Mao-Bibel. Wir nahmen an, dass es die Bedienungsanleitung war. Was wir mit Sicherheit sagen konnten war, dass das Buch aus zwei Teilen bestand, getrennt durch ein rosarotes Einlegeblatt.

Ich sagte schon, dass meine Frau nicht nur zielstrebig, sondern auch äußerst exakt ist. Jetzt einfach den neuen Wok auf die Herdplatte zu setzen und was feines zu kochen kam nicht in Frage. Zuerst musste die Bedienungsanleitung studiert werden. Es könnte ja sein, dass wir dem Gerät vor seiner ersten Benutzung eine Sonderbehandlung angedeihen lassen mussten.

Der schnellste Weg wäre es jetzt gewesen, unseren neuen Freund aufzusuchen und ihn um seine – wie immer – freundliche Hilfe zu bitten. Aber das war uns jetzt doch zu peinlich. Er hatte schon so viel Zeit für uns geopfert.

Also machten wir uns auf den Weg in die Stadt, um ein Lehrbuch für das Erlernen der chinesischen Sprache zu kaufen. Nach der Erfahrung mit unserer Sparkassen-Filiale war uns klar, dass wir zu diesem Zweck in eine Großbuchhandlung in der Stadt fahren mussten. Unsere Feld-Wald-und-Wiesen-Buchhandlung in der Nähe hätte uns bestimmt nichts anbieten können.

Schon nach vierzehn Tagen Intensiv-Sprachkurs bei einem alten und ständig lächelndem Chinesen, und nach akribischem Vergleich der in der Mao-Bibel gedruckten Schriftzeichen mit den neu erlernten Zeichen, hatte meine Frau ein echtes Aha-Erlebnis: Sie stellte fest, dass im umfangreicheren Teil des roten Büchleins wiederholt das Schriftzeichen für den Begriff „Reis“ auftauchte. Wir schlossen daraus, dass der umfangreichere Teil also eine Rezeptsammlung war. Der schmälere Teil könnte demnach die Bedienungsanleitung sein.

Heute also, wie gesagt ungefähr ein halbes Jahr nachdem wir uns für die Anschaffung eines Woks entschieden hatten, konnte meine Frau das erste Gericht darin kochen. Es schmeckte vorzüglich.

Der Aufwand hatte sich gelohnt.

Sollten Sie sich auch mal einen Wok aus China anschaffen, dann achten Sie darauf, vor dem ersten Gebrauch frische Ziegenmilch darin bis knapp vor dem Siedepunkt zu erhitzen. Das garantiert den superben Geschmack, den die in diesem Wok zubereiteten Speisen dann haben.

 

Ich grüße dich,
hat mir gut gefallen.
Erinnert mich an Kishon, den ich sehr schätze.
Also ein Kompliment.
Liebe Grüße, Hot Soul.

 

Hallo Ernst,

feine Geschichte, bei der ich reichlich schmunzeln mußte.
Die Engelsgeduld und Leidensfähigkeit, die der Ehemann deiner Protagonistin aufweist, gibt aus meiner Sicht dieser Geschichte eine satirische Note.
Du bist also herzlich willkommen, falls du eine Verschiebung in das Forum Satire wünschst. Sage bitte Bescheid, damit die zuständigen Moderatoren das für dich vornehmen, falls du eine Verschiebung möchtest.

Insgesamt ließ sich dein Text flüssig lesen, deine Sätze wirken auf mich harmonisch. Manchmal hättest du vielleicht den Sachverhalt etwas raffen können, aber das ist wohl eher Geschmackssache.
Durch das Einkürzen bzw. Verkürzen mancher Textstellen würdest du der Geschichte ein wenig mehr Geschwindigkeit geben.

Was ich mir gut vorstellen kann, ist, dass das Ende noch etwas anders daherkommt. Wie wäre es, wenn sich am Ende herausstellt, dass der Ehemann vom feinsten Wokessen ebenfalls eine gehörige Magenverstimmung erleidet, weil er letztendlich gar nicht an zu fettem Essen, sondern an gebratenem Essen erkrankt?
Das gäbe der gründlichen Aktion, den einzig echten und idealen Wok zu finden noch etwas Skurriles.

Übrigens beschreibst du ziemlich gesellschaftskritisch ein Phänomen, welches ich immer wieder beobachten kann: der Deutsche macht sich bei Haushalts- oder Elektronikgeräten und Fahrzeugen eine unerschöpfliche Mühe, die Qualität, den Preis und die ideale Beschaffenheit zu prüfen und zu vergleichen. Da werden Leute befragt, Fachzeitschriften konsultiert und Internetseiten gewälzt.
Dagegen sind derartige Aktivitäten komplett verpufft, wenn es um einen Grundstückkauf, einen Hauskauf oder gar Bauvertrag über ein zu errichtendes Haus geht. Da reicht es dem Bürger offensichtlich brav nur den notariellen Vertrag zu unterzeichnen.Die daraus entstehenden Katastrophen sind also schon vorprogrammiert.

Gruß lakita

 

hallo Iakita, danke für deine feine Kritik. du hast dich intensiv mit der Story beschäftigt.

Zunächst: bitte lasse sie in der von mir gewählten Rubrik; ich glaube, dort ist sie gut aufgehoben. Ich stellte heute eine neue Geschichte ein: "Profis unter sich" - die eindeutig in den Bereich Satire gehört.

Hot Soul hat es sofort richtig erkannt: Kishon war das Vorbild. Deshalb bewusst gewisse Details breit dargelegt (jeweils bis kurz vor dem Reissen des Spannungsbogens). Das war also gezielt geaccht von mir.

Deine Idee für den geänderten Schluß werde ich aufgreifen. Die Magenverstimmung würde den Schluß wieder passend am Anfang anbinden, die Sache also im wahrsten Sinne des Wortes "rund" machen. Wird geändert, sobald ich Zeit habe.

Dein letzter Abschnitt ist absolut zutreffend, obwohl ich beim Schreiben nicht daran dachte. Vielleicht ist das der Stoff für eine neue Geschichte?

Nochmals vielen Dank - und Gruß
Ernst

 

Ich gebs zu! Unser Wok-Kauf war ein Schnellkauf und lange nicht so interessant, witzig und unterhaltsam wie der, von dem ich gerade gelesen habe.
Die peinliche Genauigkeit, mit der die Protagonistin die Angebote prüft und immer tiefer in die Welt des Woks eintaucht, war nicht nur gut zu lesen, sondern auch nachvollziehbar bis realistisch. Das macht die Sache sehr schmackhaft und würzig.

Ich glaube, ich werde mal unseren verstaubten Wok aus dem Küchenkasten hervorholen und heute was Feines darin zubereiten. Mal sehen, was das Internet zu diesem Thema anbietet...

Liebe Grüße
Babs

 

Mein Gott, du hast mich hungrig gemacht. Die ganze Zeit habe ich mit sabberndem Mund gelesen, und konnts kaum erwarten, bis sie endlich kochten.
Ich glaub so'n Teil muss ich haben. Bis dahin begnüge ich mich mit den Frühlingsrollen, dies jedes Jahr an der.... verflucht, was ist eine "Chilbi" auf Hochdeutsch????

 

Hallo Ernst,

ich kann mich meinen VorrednerInnen nur anschließen: Es macht Spaß, Deine Geschichte zu lesen. Sie ist amüsant, bisweilen witzig, dazu flüssig und schlüssig geschrieben. Mit anderen Worten: Tolles Lesefutter.
Dein Humor und Dein Schreibstil sprechen an und liegen mir. Dein Ideenreichtum ist beachtenswert.

Ob in "Humor" oder "Satire" ist letztendlich egal, passt in beide rein.

Du hast in Deiner Antwort geschrieben, dass Du den Text noch einmal überarbeiten willst, sobald Du Zeit dazu findest. Vielleicht kannst Du dabei ein paar kleine Flüchtigkeits-/Tippfehler noch korrigieren.

Das eine oder andere Komma könntest Du z.B. noch setzen:

10. Absatz: Als ich die Wohnungstür aufsperrte, schlugen mir ...

24: Was sie mir zu Hause zeigte, war das Ergebnis ...

33: Als seine pers. Freunde mussten wir nicht warten, und die Begrüßung ..... eine Spezialität, die meine Frau ...

39: Unser Nachbar, ein kräftiger und sportlicher Typ, half uns ...

Punkt vor Anführungszeichen:

18: ...noch nach einer bestimmten Adresse". >>> Adresse."

23: ...ich muss dir unbedingt was zeigen ...". >>> was zeigen ..." (Kein Punkt)

Formulierungen:

24: Die Meisten ausgedruckten Web-Seiten war in Chinesisch >>> Die meisten ... waren in ... (Wahrscheinlich hattest Du dort zuerst "Das Meiste war in Chinesisch" stehen!?)
... auf gelbes Papier >>> auf gelbem Papier

27: ...dass er leider kein Wort Deutsch verstehe, er uns aber... >>> ... verstehe, uns aber ... ODER ... verstehe, dass er uns aber ...

28: ...hatten wir nicht nur einen Blitzkursus hinter uns für die Grundkenntnisse des ... >>> "hinter uns" würde ich hintenanstellen

31: jede Menge von e-Mails ... >>> besser fände ich: jede Menge e-Mails

37: trotz ihrer mittlerweile schon dreißig Berufsjahre n >>> ohne "n"

38: Mein Urlaubskontingent war mittlerweilen >>> ohne "n"

Aber das sind nur kleine 'Schnitzer' bzw. Flüchtigkeitsfehler. Wenn Du sie ausgebessert hast, würde mir (und vielleicht auch anderen) das Lesen der Geschichte leichter fallen, weil man dann an diesen Stellen nicht hängenbleibt.

Also: Tolle Geschichte, sehr "schmackhaft und würzig", wie Barbara schon geschrieben hat!

Gruß

Christian

An der Story würde ich nichts mehr verändern, sie ist in sich stimmig. Wenn man im Nachhinein größere Änderungen einbaut, besteht immer die Gefahr, dass sie letztlich nicht in den Kontext passen oder man zwanzig Absätze weiter eine Aussage getroffen hat, die der Änderung dann widerspricht. Ist aber Deine Sache.

[ 27.07.2002, 17:51: Beitrag editiert von: criss ]

 

hallo christian, sorry, daß ich jetzt erst antworte, aber deine Info ist hier untergegangen. auf jeden fall mal ganz herzlichen dank für deine mühe, die geschichte so genau durchzulesen. mit interpunktion und rechtschreibung (vor allem mit der "neuen") stehe ich leider immer noch auf kriegsfuß - deshalb besonderen dank für die detailliert aufgezeigten fehler. ich werde sich korrigieren. danke und gruß. ernst

 

Hallo Ernst,

bitteschön.

Und hoffentlich war ich nicht zu kleinlich. Sollte eine Hilfe sein, keine Schulmeisterei. Aber ich nehme an, dass Du's auch so verstanden hast.

Viele Grüße

Christian

 

aber klar doch, christian. vielen dank. ich bin für jeden hinweis dankbar. nachdem jetzt einige kritiken vorliegen, werde ich mir die story nochmals vorknüpfen. schlechter kann sie ja dadurch nicht werden!!! gruß ernst

 

Lieber Ernst Clemens!

Eine super-feine Geschichte hast Du da gebraten! Irgendwie war ich ständig zwischen Schmunzeln und Lachen...

Nur beim Schluß, da gebe ich eindeutig Lakita Recht: Es sollte noch eine richtige Pointe folgen, ganz in der von ihr vorgeschlagenen Richtung. Ich habe z.B. einmal gelesen, daß die Chinesen die höchste Rate an Magenkrebs haben - wo das wohl herkommt? Wenn eine verantwortungsbewußte Hausfrau wie die des Protagonisten sowas im Internet findet, stellt sie ihn sicher viel schneller wieder weg, als die Anschaffung Zeit gekostet hat... :D

So, noch ein paar Anmerkungen:

"in den letzten etwas dreißig Jahren" - etwa

"wenn in einer kleinen 3-Zimmerwohnung 14 Frauen auf 14 verschiedenen Woks gleichzeitig kochen?." - Dreizimmerwohnung vierzehn Frauen auf vierzehn.... Und ein Punkt nach dem ? ist zu viel. ;-)
Im Absatz danach kommt dann noch 13 und 3 und dann wieder 14...

"mit dem mich meine Gattin in der Regel überrascht." - "mit welchem" wäre schöner...

"Die Meisten ausgedruckten Web-Seiten war in Chinesisch" - die meisten .... waren...

"keiner der 14 geprüften Woks" - vierzehn

"Wenn schon denn schon" - wenn schon, denn schon

"Telephonhörer" - Telefon...

"Dass Chinesen ausgezeichnete Geschäftsleute sind konnten wir..." - sind, konnten wir

"Ich hatte für diesen Tag in meinem Betrieb Urlaub eingegeben." - "angemeldet" oder "gemeldet" wäre schöner

"sofern der Zahlungseingang pünktlich verbucht werden konnte in China." - besser: sofern der Zahlungseingang in China pünktlich verbucht werden konnte.

"was unsere 14 Gäste seinerzeit für ihre Woks bezahlten." - vierzehn... (ich sag´s nur so oft, damit es sich gut einprägt... :D)

"trotz ihrer mittlerweile schon über dreißig Berufsjahren – zeitlebens noch keine Überweisung gemacht." - Berufsjahre - statt Überweisung gemacht wäre vielleicht Überweisung getätigt oder durchgeführt besser?

"und was feines zu kochen" - Feines

"bei einem alten und ständig lächelndem Chinesen," - lächelnden

"die Anschaffung eines Woks" - eines Wok


Alles liebe
Susi

 

danke!

hallo häferl, vielen dank für deine umfassende kritik. ich werde auch diese punkte einbauen in die neue version! beste grüße.ernst

 

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