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Der Wille zum Leben

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18.09.2022
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Der Wille zum Leben

Der Wille zum Leben
Sie wird sterben … 14 Jahre später…
Köln im Jahre 66., Südstadt. Wir spielten im Hinterhof, Renate und ich, spielten irgendetwas.
Der Hinterhof war ein Rechtreck und maß ungefähr der Länge nach 15 Schritte und 7 in der Breite, begrenzt von einer mannshohen Mauer und dem angrenzenden Flachbau, in dem Renates vielköpfige Familie hauste – drei Halbschwestern, ihre Mutter und Stiefvater-; Das 4 geschossige Wohnhaus beschattete den Hinterhof. Das zweite Stockwerk war von meiner Familie bewohnt. Hinter der Mauer befand sich ein zerbombtes Haus: ein Skelett aus Stein, übriggeblieben vom zweiten Weltkrieg, dass der architektonische Rausch jener Jahre noch nicht erfasst hatte.
Das goldrot der Abendsonne ließ die Ruine erglühen – es war wie Wasser, das brennende Wunden kühlt.
Noch war das Treibsanden des Willens zum Leben im vollendeten Nihilismus nicht in unsere innere Wirklichkeit eingedrungen. Fern war uns noch, das Kalt-Rationale, Seelenlos-Psychologische, die permanente Entwertung von allen und allem; Fern war noch die Nullzone…
Sie trug ein geblümtes Kleidchen an jenem Junotag, so bunt fröhlich, wie ihr Lachen war. Und wenn ein Sonnstrahl auf ihr schulterlanges, dunkel-blondes Haar fiel, leuchtete es mondfarbend.
… Der Mond …
Damals war der Mond für uns ein lustiges Gesicht am gestirnten Nachthimmel, dessen Licht die Gleise auf dem Bahndamm, der sich hinter dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlangstreckte, reflektierte, und nicht bloß ein von kosmischen Kräften geballter Staub. Es war ein lebendiger Mond …
Schattenlose Seelen spielten im Sommer 66. auf dem Hinterhof, jenseits von Glück und Unglück, einfach unbeschwert, den sich hoffnungslos aneinanderreihenden Augenblicken hingeben. Wir vermochten nicht zu vergleichen, zwischen dem was ist und uns umgab, und dem was sein sollte und das Abwesend war. Das Unglück beginnt mit dem Vergleichen…das feststellen eines Unterschieds, der den Unterschied ausmacht.
Renate roch immer wie eine erdige Gruft, oder wie der Geruch, den ein fauliger Baumstumpf ausströmt, oder wie totes Gewässer … Das kam von den feuchten Wänden und Schimmelbefall in dem Flachbau. Der Geruch drang durch die Kleidung in die Poren Haut. Moschus ist mir Renates Geruch noch heute…
Die Hölle brach los…
Später werde ich wissen, dass das Grauen immer zur jeder Zeit und überall lauert.
Die Hölle brach los… Und der goldrote Abendhimmel schmunzelte wissend…
Die Ratte stieß aus einer dunklen Mauerecke hervor, sprang an dem Mädchen mit geblümtem Kleidchen hoch, und verbiss sich in ihrem schmalen Oberschenkel. Renate schrie, ich schrie. Ihr gellender Schrei erschütterte die Südstadt, die alten Mauer und Häuser barsten vor Entsetzen, die Straßen bebten vor Angst, die Gleise auf dem Bahndamm kreischten und die Züge entgleisten. Die Raumzeit zitterte…
Renate schrie, ich schrie. Schreien war alles was ich tat.
Doch das nacktschwänzige Elendtier wollte das Mädchen nicht freigeben. Stoisch dem Willen zum Leben ergeben, hing die Ratte an ihrem Fleisch und verbiss sich auch in unsere Leibseelen.
Renates Stiefvater kam angestürmt und brüllte:» Was soll das Geschrei? Kann man denn nicht seine Ruhe haben? «
Ein grobschlächtiger großer Mann in einem von alten dunklen Schweißflecken gesprenkelten, gerippten Unterhemd glotzte uns verständnislos und zugleich wutentbrannt an. Da sah er es… und handelte sofort. Er brach der Ratte mit seinen großflächigen Händen das Genick und warf das tote Rattenvieh im hohen Bogen über die Mauer. » Jetzt ist aber Ruhe! «
Renate starb 14 Jahre nachdem Ereignis, 21 Jahre jung. Sie starb an Blutungen nach der Geburt ihres ersten Kindes. Ein medizinscher Kunstfehler hieß es damals. Ich aber weiß, dass es die Ratte war…

Pour Kruppe zum Vierzigsten.

 

Hallo Gerry und willkommen hier!

Dein Text erzeugt Bilder in mir: der Hinterhof, die Ruine, alles gut vorstellbar.
Was ich gerne gelesen hätte, wäre die Geschichte dieser beiden Kinder, vielleicht mit ihrer weiteren Entwicklung, doch du wolltest offensichtlich aus Erwachsenensicht das drohende Unheit, die Perspektivlosigkeit beschreiben, die ja noch lange nicht eingetreten ist, aber der mit dem bereits feststehenden Tod der Protagonistin nicht mehr zu entkommen ist. Doch was ist mit dem Jahr 1966, alles Zufall? Spielt die Kölner Südstadt überhaupt eine Rolle? Da hast du sicher was im Kopf, was du uns aber nicht mitteilst.
Mir kommt es vor, als schwebe über dem gesamten Text eine riesige Keule.
Das TREIBSANDEN DES WILLENS ZUM LEBEN hat mich dann völlig rausgebracht, weil es mir mit einer künstlichen Tiefe versehen scheint, ebenso wie die SCHATTENLOSEN SEELEN.
Da ist die unheilvolle Ratte fast schon zwangsläufig, ebenso der mystfizierte Schluß.
Was möchtest du wirklich sagen mit diesem Text? Da ist ein Anfang und ein Endunheil, aber wo ist die Geschichte?
Sicher werden noch andere WK genauer darauf eingehen.
Dies ist mein erster Eindruck, ich wünsche dir viele Freude hier, auch beim Lesen anderer Texte.
Gruß,
Jutta

 

Hallo @Gerry x!

Ich mag deinen Schreibstil und mir gefällt die Mystik, die dein Text vermittelt sehr gut. Ein wenig störend empfand ich die Zahlen, die du teilweise nicht ausgeschrieben und teilweise nicht ausgeschrieben hast. Die restliche Formatierung (wenn man so will), fand ich gewöhnungsbedürftig, aber als ich dann im Text war, störte sie mich nicht mehr. Ich gehe mal auf ein paar Einzelheiten ein:

Der Wille zum Leben
Sie wird sterben … 14 Jahre später…
Köln im Jahre 66., Südstadt. Wir spielten im Hinterhof, Renate und ich, spielten irgendetwas.
Ich glaube dieses "Der Wille zum Leben" am Anfang ist noch einmal der Titel, den könntest du löschen, der steht sowieso oberhalb der Geschichte. Den ersten Absatz hier fand ich nicht so gut wie den Rest des Textes. Am meisten gestört hat mich das "spielten irgendetwas" - das kommt ein wenig plump, verglichen mit dem restlichen Text. Hier könntest du sonst irgendein Kinderspiel einbauen, wie "Himmel und Hölle" oder so, etwas zu dem der Leser gleich ein Bild hat, dann kann man sich die Szene gleich besser vorstellen.

Der Hinterhof war ein Rechtreck und maß ungefähr der Länge nach 15 Schritte und 7 in der Breite,
Hier würde ich das "ungefähr" hinten anstellen oder ganz weglassen, weil der Satz so ein wenig holprig klingt (außerdem hast du bei Rechteck einen Tippfehler.
Vielleicht: "Der Hinterhof war ein Rechteck und maß der Länge nach (ungefähr) fünfzehn Schritte und in der Breite sieben."

Schattenlose Seelen spielten im Sommer 66. auf dem Hinterhof, jenseits von Glück und Unglück, einfach unbeschwert, den sich hoffnungslos aneinanderreihenden Augenblicken hingeben.
Der Satz gefiel mir von der Symbolik her gut, war mir aber insgesamt ein wenig zu lang. Und ich glaub am Ende heißt es dann "hingebend".

das feststellen eines Unterschieds, der den Unterschied ausmacht.
"Feststellen" - Die Dopplung von Unterschied finde ich hier auch nicht ganz schön.

Renates Stiefvater kam angestürmt und brüllte:» Was soll das Geschrei? Kann man denn nicht seine Ruhe haben? «
Hier gehört nach dem Doppelpunkt nach "brüllte" ein Lehrzeichen und das vor dem "Was" gehört weg.

Er brach der Ratte mit seinen großflächigen Händen das Genick und warf das tote Rattenvieh im hohen Bogen über die Mauer.
Hier könntest du statt "Rattenvieh" einfach "Vieh" schreiben, dann fällt da auch die Wortwiederholung weg und der Leser weiß ja auch so, dass es sich dabei um eine Ratte handelt.


LG Luzifermortus

 

Hallo @Gerry x,

du hast interessante Bilder in deinem Text, das hat mir gefallen. Aber so ganz hab ich noch nicht alles zusammenpuzzeln können. Ich fange mal an mit ein paar Fehlern, die mir aufgefallen sind. Habe gesehen, es wurden schon ein paar aufgelistet, hoffe es doppelt sich nicht zu sehr:

4 geschossige
4-geschossig oder viergeschossig
Sonnstrahl
Sonnenstrahl
mondfarbend
dem was sein sollte und das Abwesend war.
... dem was Abwesend war. Dann doppelt es sich, aber so finde ich den Satz holprig. Vielleicht gibt's noch eine andere Lösung.
Vergleichen…
Hier fehlt ein Leerzeichen
Kleidung in die Poren Haut.
in die Poren, in die Haut. Oder Wortneuschöpfung "Porenhaut"? Oder einfach Hautporen?
Moschus ist mir Renates Geruch noch heute…
Da fehlt etwas
die alten Mauer
die alte Mauer oder die alten Mauern
14 Jahre nachdem Ereignis
nach dem
Ein medizinscher
medizinischer

Bilder, die für mich nicht so ganz passen:

Das goldrot der Abendsonne ließ die Ruine erglühen – es war wie Wasser, das brennende Wunden kühlt.
Die Sonne bringt die Ruinen zum glühen ... wie Wasser?
Schattenlose Seelen spielten im Sommer 66. auf dem Hinterhof, jenseits von Glück und Unglück, einfach unbeschwert, den sich hoffnungslos aneinanderreihenden Augenblicken hingeben.
Schattenlose Seelen --> Ich interpretiere Unbeschwertheit, jugendliche Naivität. Jenseits von Glück und Unglück --> Ich interpretiere noch ungeprägt, unerfahren --> eigentlich ein ganz schönes Bild. Dann aber "... den sich hoffunglos aneinanderreihenden Augenblicken hingeben". Und das ist für mich durch das "hoffungslos" plötzlich so negativ konnotiert und passt nicht zusammen.
Mann in einem von alten dunklen Schweißflecken gesprenkelten, gerippten Unterhemd glotzte uns verständnislos
Ich kann mir das nicht richtig vorstellen. Gesprenkelte Schweißflecken z. B. auf dem Bauch - ist nicht so passend, oder?

So, also insgesamt hätte ich gerne mehr über die Figuren erfahren, ich kann sie so noch nicht richtig greifen. Aber ich habe am Anfang weitergelesen, weil mich interessiert hat, was den Mädchen passiert. Die Auflösung funktioniert für mich nicht, da ich sie nicht verstehe. Ich kann die Ereignisse nicht so richtig zusammenbringen. Über die erwachsene Figur erfährt man auch nichts, außer eben im letzten Satz, dass sie schwanger war.

Vielleicht schreibst du die Geschichte noch ein bisschen um und das Ganze bekommt mehr Fleisch?

Ich werde auf jeden Fall nochmal reinschauen.

Grüße
-Marla

 

Ich danke dir für die Kritik und Anregungen. Ich wollte die Geschichte surreal gestalten, da ich diese so erlebt habe. Und was den Titel betrifft, ist das die Überschrift einer von Sammlung Kurzgeschichten. Und ich hätte besser den Text mit "Renate" betitelt.
Was nicht wollte war weder Renate, noch mich zu porträtieren. Es ging nur um den Moment, der alles verändert hat.

 

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