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Der Weltenwanderer - eine Erzählung

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03.01.2016
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Der Weltenwanderer - eine Erzählung

Er saß auf seinem Bett, kratzte sich den Bart und stierte mit müden Augen auf die unebene Wand ihm gegenüber. Schon einige Zeit verweilte er in dieser Pose – seine Gedanken trieben noch in den Traumsequenzen der Nacht. Irgendwann konnte er sich aufraffen und schlüpfte in eine ausgewaschene Jeans, die am Boden lag. Durch die schweren Vorhänge blinzelte die Sonne, bis er diese mit einem Ruck zurückzog und ihn ein Schwall grellen Lichts traf. Er taumelte zurück, fasste sich, ging zum Fenster und öffnete dieses. Kühle Morgenluft schwappte herein. Er zog einen Klappstuhl, von dem schon die Farbe abbröckelte und darunter das helle Holz zum Vorschein kam heran, setzte sich, schloss die Augen und spürte einfach der kühlen Luft auf seiner Haut nach. Wie sie sein Gesicht streichelte, sich in seinem struppigen Bart verfing, die Brust kühlte...
Nach einer Weile fröstelte er, zog sich sein Hemd über und drehte eine Zigarette zwischen den rauen, von kräftiger Arbeit gezeichneten Fingern. Er riss ein Streichholz an, führte es zur Spitze der Zigarette, die orange aufglomm. Der Rauch segelte immer wieder zum Fenster hinaus und vollführte seinen tollkühnen, immer wandelnden Tanz.
Er folgte ihm mit seinem Blick und ab und an lauschte er dem geschäftigen Treiben in der Gasse unter ihm, wo die Bäcker, Metzger, Schreibwarenverkäufer, Cafébesitzer ihre Läden öffneten. Dem Klappern der Schritte, dem Rattern der verschiedenen Räder auf dem Kopfsteinpflaster. Hin und wieder warf er den Kopf nach vorne und wagte einen Blick nach draußen. Er genoss die geschäftige, frische Morgenstimmung unter sich – und auch, dass er gemütlich hier oben in seiner kleinen Wohnung, bestehend aus Schlafzimmer, welches gleichzeitig als Arbeitszimmer fungierte, einer Art Wohnzimmer in dem sich auch die Küche befand und einem kleinen Bad, sitzen konnte und den anbrechenden Tag beobachtete.
Auf dem Ziegeldach gegenüber ließen sich einige Spatzen nieder, pickten nervös umher, stoben immer wieder auf, um gleich darauf wieder zu landen. Er lächelte.
Nachdem er die Zigarette aufgeraucht hatte, ging er in die Küche und bereitete sich ein Frühstück – Rührei mit Zwiebeln, Speck, Paprika und irgendeinem fremdländischen Gewürz, das er irgendwann auf irgendeinem Markt aufgetrieben hatte – zu.

Viel später kamen einige Leute hinzu: die traurige Witwe aus der Wohnung gegenüber, der junge Künstler aus einem der Häuser in der Gasse und halbbekannte Gesichter, irgendwann einmal gesehen. Sie setzten sich um den Tisch im Wohnzimmer, während er weiterhin am Fenster in seinem Schlafzimmer saß und auf die kühle Abenddämmerung wartete, auf die Ruhe, die dann in den immer noch geschäftigen Gassen herrschen würde, immer eine neue Zigarette zwischen seinen Fingern. Wolkenbilder zogen an seinen weit geöffneten Augen vorbei. Im Hintergrund hörte man den Laut aufklatschender Karten auf einem massiven Holztisch und das Klirren von Gläsern und Flaschen.
Er verweilte weiterhin an seinem Platz am Fenster, lauschte und fragte sich, was diese Menschen bewegte. Er nahm sein schwarzes Moleskinbuch vom Schreibtisch und notierte sich:
„Was wird noch kommen? - in meinem und ihrem Leben“, hielt inne, ließ den Stift sinken und wartete... und auf was? Die Abenddämmerung? - und was würde dann geschehen? Innerlich verfluchte er sich oft, dass immer so viele Fragen in seinem Kopf herumschwirrten, eigentlich unbeantwortbar und er so selten einfach nur den Moment genoss.
Hinter ihm ertönten den Schritte und eine Stimme fragte:
„Wo sin´ denn Gläser?“ Eines der halbbekannten Gesichter.
„Regal über der Spüle“, antwortete er kurz und widmete sich dann wieder dem Büchlein in seiner Hand, beschrieb die gesamte Szenerie, die sich in der Wohnung und in der Gasse abspielte und als er diesen Prozess vorübergehend beendete – war eine Stunde vergangen? - blickte er wieder aus dem Fenster in seinem Arbeitszimmer, beobachtete den langsam dunkler werdenden Himmel.
Saß da. Ruhig. -

Eine Kirchenuhr schlug zur Mitternacht. Gerade hatte es angefangen zu regnen. Wassertropfen klatschten gegen die Fensterscheibe, flossen in verrückten Formen und Wegen daran herunter, von der Straßenlaterne in der Gasse beleuchtet. Das Pflaster glänzte...
Er raffte sich auf und schaltete eine Stehlampe an. Das Licht leuchtete angenehm beruhigend durch den orangenen Lampenschirm aus Seidenpapier. Nur an einer Stelle hatte das Papier einen riss und an der Wand gegenüber war ein helles, zerfasertes Dreieck hingeworfen. Er betrachtete das Dreieck, verlor sich kurz in den unscharfen Kanten, an der Grenze von hell und dunkel.
Ich werde wohl etwas trinken, sagte er sich und ging in die Küche. Von einem Regal über der Spüle nahm er eine dunkle, bauchige Flasche, füllte ein Glas mit der caramelfarbenen Flüssigkeit und setzte sich zu den anderen an den Tisch. In der nächsten Runde stieg er ein und gewann auch gleich.
„Francois hat seinen Laden verramscht“, sagte die Witwe.
Stille waberte durch den Raum. Francois lag allen in der Straße am Herzen. Ein in die Jahre gekommener Hüne mit weißem langen Bart und einem freundlichen Gesicht, der soweit sich alle erinnern konnten, schon immer einen kleinen Laden an der Ecke besessen hatte. Dort saß er hinter der Ladentheke und wirkte in seiner Größe völlig fehl in diesem kleinen, engen und verwinkelten Laden voller Geschichten und Dingen, von denen keiner wusste woher er sie hatte.
Kinder, die in dieser Straße aufgewachsen und nun erwachsene Frauen und Männer waren, erzählten neugierigen Fremden immer noch die fantastischsten Erlebnisse, die sie dort gehabt hatte, in den Cafés in der Straße. Manche verlangten in einem Anfall von Größenwahnsinn sogar Geld dafür. Aber die Leute zahlten. So war Francois´ Laden zu einem bekannten, märchenhaften Mysterium geworden, doch er war nun wirklich alt und seit einigen Jahren plagten ihn schlimme Schmerzen, so dass er beschlossen hatte, den Laden zu verkaufen.
Es würde wohl ein junger, idiotischer, von Geld träumender Geschäftsmann den Laden übernehmen und der Straße ein Teil ihrer selbst berauben. Ordentlich aufgereihte Regale, grelles, kaltes Licht und all der Kram, den es schon in so vielen Läden gab.
Endlich durchbrach der junge Künstler, ein Mann mit markanten Gesichtsknochen, aber ständiger Erschöpfung von nächtelanger, intensiver Arbeit in der Mimik, die Stille: „Neue Runde?“
Erneut wurden die Karten gemischt, ausgeteilt und mit dem gleichen Klatschen auf den schweren Tisch geworfen. Wieder gewann er.
Nicht das er eine schlechter Kartenspieler gewesen wäre, aber diese Serie überraschte ihn. Denn auch die nächsten beiden Runden gewann er. Er machte sich einen neuen Drink zurecht und drehte eine neue Zigarette zwischen seinen Fingern und gerade als er sie sich anzündete und es so wohlvertraut knisterte, übertrumpfte die Witwe sein Blatt.
Rauch sammelte sich unter der Decke, während einige still an den glühenden Zigaretten zogen.
Vielleicht sollte ich sie wegschicken, dachte er. Für heute war es doch genug – und dann lächelte er wegen der Absurdität des Gedankens.
Durch die geöffneten Fenster lauschten sie den nächtlichen Klängen der Stadt – und wie er erfasst wurde von dem Strudel der kreischenden Melodie, die Stimmen der, die den Schlaf ablehnten wie sie, das Tappen der Füße auf dem Kopfsteinpflaster, jaulende Bremsen, quietschende Reifen, ein Hupen. Wind kam auf und bauschte die Vorhänge, die Kirchenuhr schlug einmal gewaltig und im Haus wurde eine Tür krachend zugeschlagen und dann stand er auf. Nichts hielt ihn mehr. Seine Arme und Beine zuckten.
In einer fließenden Bewegung schleuderte er seine Hand in Richtung des Tisches, packte seinen Drink, leerte ihn in einem Zug, rannte ins Schlafzimmer, riss Klamotten aus dem schiefen Schrank, hob das unterste Brett an und nahm das Bündel Scheine, das dort lag, das Moleskinbuch vom Schreibtisch, einige Stifte und stopfte alles in einen großen Rucksack.
Dann stürmte er an den anderen im Wohnzimmer vorbei – sie blickten fragend – und er sagte eilig:
„Ich muss weg! Ihr könnt hier bleiben, räumt nur etwas auf und einer nimmt bitte den Schlüssel, er steckt. Ich hol´ ihn dann irgendwann.“
Er rannte weiter in den Flur, öffnete hastig die Tür und rief noch einmal: „Und sperrt ab! Au revoir“; die Treppe hinunter und unten in der Gasse stand er, atmete die kühle Luft ein. Der Wind streichelte sein Gesicht – und er wanderte aus der Stadt hinaus.

Der Regen peitschte auf die dunkle Straße. Vögel begannen zu zwitschern und es wurde langsam hell.
An einem Morgen war er einmal sehr früh aufgestanden und war quer durch die Stadt gelaufen. Er war gerannt bis ihm beinahe die Lunge platzte. Als er wieder nach Hause kam, war es Mittag. Dann hatte er sich in eine Bar in einer der Nebenstraßen gesetzt, mit den Farbrikarbeitern, die gerade Pause machten einen getrunken, saß bis spät Abends dort und war dann nach Hause gewankt.
Warum habe ich das damals getan? Keine Frage, meine getriebene Verrücktheit hat mich gepackt. Wohin, wohin soll ich jetzt gehen? Ich lasse mich treiben, lasse mich tragen von den vier Winden. Vielleicht nimmt mich ja einer mit in seiner prachtvollen Karre.
Und dann kam schon einer angerauscht, bremste ab und er stieg ein.
Hallo, hallo, wo geht’s hin?
Irgendwohin. Wo die Straße hingeht.
Sie fuhren los und brausten die Straße entlang. Die unterbrochenen Streifen ballten sich zu einem endlosen Strich zusammen und verschwomm vor seinen vom brausenden Fahrtwind tränenden Augen. Es hörte auf zu regnen und es klarte auf. Eine große rot – orangene Sonne, die ihn auf eine bestimmte Weise an die afrikanische Steppe erinnerte, wälzte sich über die Baumwipfel.
Oho, was für ein schöner Tag das wird, sagte er sich.
Der Mann neben ihm griff hinter den Sitz und beförderte zwei Dosenbier zu Tage.
„Willste eins?“
„Aber gern!“
Er nahm beide Dosen, öffnete sie und gab eine dem anderen zurück. Er stellte sich als George vor. Die prachtvolle Karre war ein Pick – Up mit Rückbank, auf der sich eine Gitarre, Essen und ein Schlafsack stapelten.
„Kann ich hier drin rauchen?“
„Klar.“
Er zündete sich eine Zigarette an.
Sie zogen die Landschaft rauf, tranken, lachten, rauchten, redeten bis er plötzlich auf einem Straßenschild den Namen des Dorfes sah, wo er den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht hatte.
„Könnten wir da kurz halten?“
George nickte und sein junges Gesicht zerknitterte sich als er grinste.
Wie lang er nicht mehr dort gewesen war. Stand wohl noch die alte Ziegelei am Rand des Dorfes und das schmucke Rathaus und das Haus in dem sie gewohnt hatten? Oder war es der Veränderung, dem Lauf der Zeit zum Opfer gefallen? Er fand es sehr schön dort, aber zu viel war geschehen, als das er zurückkehren hätte können. Doch jetzt, wo ihn die Straße hingeführt hatte, konnte er nicht anders.
I HURT MYSELF TODAY TO SEE IF I STILL FEEL.
Oh Johnny! Betreibe ich Selbstjustiz an mir, wie er auch; mich strafen für das Wegsehen? Wenn ich vor dem Haus meiner Vergangenheit stehe; die Fassade bröckelt. Lange hat sie allem standgehalten. Habe ich etwas künstliches geschaffen und suche nun die Eruption, die der Maschine Leben einhaucht? Echtes Leben mit Gefühlen, echten Gefühlen und all dem. Und wenn morgens die Krähe schnarrend singt, ich an das Vergangene denke, es als vergangen betrachten kann und als ein Teil von mir, der mich zu dem macht, was ich bin. Oh Johnny, dachtest du das auch? Bist auch wieder aufgestanden, ja ja, gabst die Hoffnung nicht auf und ich tu´s auch nicht, sondern stelle mich allem, so wie die Straße mich hinführt, die Straße des Lebens.
Bremsenquietschen auf einem ansteigenden Marktplatz. Das Zuschlagen einer Autotür. „Bin gleich zurück!“ Zustimmendes Nicken und ein verschlafenes Dorf, darüber eine gelbe Sonne am blauen Himmel. Kein neues Rathaus – er rannte die Straße entlang, zweimal um Ecken – und, oho, was ist dahinter? Immer noch ein neugieriger Junge, tief im Herzen. Soviel ändert sich doch nicht.
Er stand vor dem Haus. Knochenweiß hell strahlten die Fenster die Sonne spiegelnd. Er öffnete das quietschende Gartentor.
Der Verfall hatte eingesetzt. Roter Staub von einem heruntergefallenen Dachziegel und die dazugehörenden Splitter lagen auf den zugewachsenen Betonplatten, die mal ein Weg zu dem weißgetünchten alten Haus gewesen waren. Die Fassade bröckelte an einer Ecke schon herab. Der Garten war verwildert; hüfthohes Gras und zarte Blumen und Unkraut wucherte – alles war so wie er es kannte und liebte, nur niemand öffnete die Tür als er klopfte.
Sie ist fort, dachte er. Fort!, gegangen, um zu finden. Ihren Platz, wo sie bleiben kann. Mutter! Wo bist du?
Ein Haken hatte sich in seine Magengegend gerammt, zog und riss ihn fort. War es falsch gewesen zu kommen? Er wankte den Weg zurück, um die zwei Ecken herum – keine Neugier mehr – und als er bei Georges Pick – Up ankam, öffnete er die Tür, griff sich ein neues Bier und schüttete den kühlen Gerstensaft in einem herunter. Schaum tröpfelte gemächlich an den Barthaaren herunter und die Vögel zwitscherten. Ein kolossaler Rülpser bahnte sich den Weg durch seinen Körper und die warme Luft erzitterte.
George lachte bellend.
„Steig ein! Uns steht ein fabulöser Tag bevor. Ich spürs in jeder Faser.“ Und das zerknitterte Grinsen schob sich wieder in sein Gesicht.
Die Fassade wurde neu gestrichen. Schnitt. Der Vorhang geht auf und man weiß ES.
„George, du hast Recht, Mann! Lassen wir die Straße entscheiden wo´s hingeht. Mal schauen wo wir heut´ Abend sind – und leben dann so von Moment zu Moment.“
Alle Zweifel waren fortgeblasen, so plötzlich wie wen man im Meer steht, noch auf angenehmem Sandboden und dann sieht man eine leichte Erhebung auf dem unendlichen Ozean und mit einem Mal steht über einem ein atemberaubender Wasserberg und man wird im Strudel der Naturgewalt wild umhergeworfen, weiß nicht wo oben und unten ist...
Es war so richtig gewesen einfach aufzubrechen und das Altbekannte hinter sich zu lassen. Er war von unglaublichem Glück erfüllt. Die Straße unter sich und der nachdenkliche und irgendwie so zufrieden machende Sound von The Strokes dröhnte aus den Lautsprechern und aus den offenen Fenstern hinaus; verfing sich in den knallgelben Rapsfeldern unter diesem so blauen Himmel.
Sie beide saßen in der Kabine, sangen laut `On the Other Side´ mit, schüttelten ihre Köpfe und Körper im Takt mit.
„Was gibt es so schönes?“,brüllte er. Tränen des Glücks und der Erregung rannen seine lachenden Wangen hinunter.
Er nahm für jeden ein neues Bier aus der Pappschachtel hinterm Sitz heraus. Sie tranken. Plötzlich zog George ein Päckchen mit grünem Inhalt aus seiner Hosentasche.
„Bauste einen auf?“
„Klar.“
Sie schwebten dahin. Die Straße wurde zur Achterbahn, ballte sich zum Pfad in den Himmel zusammen. Eine uralte Wand aus Erde und Stein stieg vor ihnen empor. Berge. Diese wunderbaren Riesen, so ruhig und kraftvoll.
Ein uriges Lach schob sich aus Georges Rachen empor und explodierte wie ein Vulkan in das Auto, erfasste ihn und schleuderte seinen Geist in die entferntesten Galaxien, in das ruhige Dorf im Tal mit einem hohen Turm in der Mitte, die Gassen dazwischen, in das dunkle Wirtshaus mit den benommenen Weisen an der Theke, graubärtig.
Er hatte Visionen! Freiheit. Dort draußen ist der Geist des Lebens. Der große Adler, der uns fortträgt in das glückliche Land – er wartet, sitzt dort oben in seinem Horst. Wartet. Ruhig. Traumlos. Traumloser Schlaf.
Er versank in den Bildern, schwamm in dem zähen Brei des Vorhergesehenen und der Erinnerung.
Ruhte.

Er saß weit oben auf einem Gipfel. Der Gipfel war das Ende eines Steilhanges voller Latschenkiefern, der in einem dünnen Band endete, kaum fünf Fuß breit und links und rechts von diesem Band ging es steil hinunter.
Dort oben saß er; hinter ihm sank der Berg ab, um nach kurzer Strecke ruckartig aufzusteigen - scharfkantig, grau, gewaltig.
Vor ihm, das untere Ende genau auf der Höhe seiner Augen, waberte ein gewaltiges Wolkenmassiv, das auf ihn zukam. Tief unten im Tal, wo große Flecken von Feldern und Wiesen nur von Gehöften und kleinen Häuseransammlungen unterbrochen wurden, hier und da Wälder und vielen davon lag im Schatten der Wolke, aber an einem Grad vollzog sich eine klare Grenze: links hell und rechts dunkel. Dort links strahlte die Landschaft in saftigem grün, gelb und braun, während rechts alles in ein bedrückendes grau getaucht war.
Er von seinem Gipfel, von seinem Thron, wo er König der Welt gewesen war, ab und das Wolkenmassiv zog über ihn hinweg. Es klarte auf. Blau schimmerten Gipfel, Spitzen und Zacken vom Horizont. Die Sonne war von dunstigen Wolken verdeckt – sie würde bald untergehen – und ein großer Berg, teilweise noch von Schnee bedeckt, stand majestätisch in einem Sonnenstrahl, dessen Weg man durch den Dunst verfolgen konnte, da, grandios und glorreich – und so schön.
Schönheit in der Natur, dachte er bei sich.
Ein Adler mit weiten Schwingen schwebte vom Himmel herab, kreiste über ihm und kam immer näher. Er war riesengroß, segelte auf thermischen Bahnen und während er ihn so anblickte, hatte der Adler ihn plötzlich mit seinen krallen ergriffen, trug ihn hinauf und hinfort, den Südwind stürmisch in den Ohren brausend, der ruhige, rhythmische Schlag der Flügel...

Er fühlte sich als würde er aus einem Teich auftauchen, die Wasseroberfläche durchbrechen, gerade noch in einer geheimnisvollen, traumartigen Welt versunken und nun drangen das Dröhnen des Motors und das Wummern der Musik aus den Lautsprechern auf ihn ein.
George saß starr hinter dem Lenkrad, in Gedanken versunken und kurvte sie schlafwandlerisch sicher die Straße entlang. Er betrachtete die vorbeiziehende Landschaft und versuchte den Kopf wieder etwas freizubekommen.
Es war mittlerweile später Nachmittag geworden, doch die Sonne schien noch immer hell vom Himmel. Keine Wolke war zu sehen.
Kalt bläulich lag der Himmel horizontal über sie dahingestreckt und er wartete nur darauf, dass er sich langsam nach unten bewegte und sie wie eine Betonplatte unwiderruflich zerdrücken würde. Feindlich erschienen ihm die sphärischen Zirkulationen dort oben, weit entfernt, abgewandt und fremd dem Menschen.
Dennoch bewegten sie sich zu ihnen hinauf, denn die Straße stieg an und begann sich in Serpentinen an die hoch aufragenden Felsen zu legen. Mit jedem Meter den sie an Höhe gewannen wuchs der Abgrund – mal zu ihrer rechten, dann zu ihrer linken Seite -, wurde tiefer und tiefer, dunkler, geheimnisvoller und aus dieser Tiefe wuchsen steile bewaldete Hänge und ab und an riesige grotesk anmutende Felstürme, die ihn an die Seracs, die Eistürme im Himalaya erinnerten, hervor.
Er schaltete die Musik ab und weckte George damit aus seiner stoischen Pose.
Sie schlossen die Fenster, da der Fahrtwind durch die zunehmende Höhe immer kälter wurde. Die Sonne war alsbald nur noch als rötlicher Lichtschimmer auf den Bergflanken zu sehen, während am Himmel das Licht lila, purpurrot, blau und gelb ineinander mäandrierte.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte er George.
Der zögerte, schürzte die Lippen, setzte an, schwieg.
„Vor was fliehst du eigentlich?“
Der Motor dröhnte laut, so dass er unwillkürlich die Stimme hob und die eigentlich nett gemeinte Frage einen aggressiven Beigeschmack bekam.
„Ich will nicht sagen warum, aber ja, ich fliehe.“
„Ich auch. Ich werd´ auch vor dir fliehen und du vor mir. Wir müssen das, was wir tun müssen, alleine tun. Es ist unsre Vergangenheit, die wir verarbeiten und überdenken oder vergessen müssen. Deswegen alleine.“
„Bevor du fliehst oder ich fliehe, trennen wir uns besser jetzt.“
„Lass mich oben am Pass raus.“
George nickte und sie brausten durch den dämmrigen Bergabend. Hin und wieder quietschten die Reifen, sonst war es still. Kein Auto kam ihnen entgegen. Sie waren zu zweit allein. Innerlich waren sie schon voreinander geflohen.
Oben am Pass ließ ihn George raus.
„Kann ich dir Essen und Trinken abkaufen. Ich hab´ nichts.“
Er drückte George zwei Scheine in die Hand, doch dieser schüttelte nur den Kopf und gab ihm die Sachen.
„Hat mich gefreut. Vielleicht ein andres Mal.“
Sie schüttelten sich die Hände. Dann brauste George davon, hupte und es schallte durch die stille Bergwelt und er sah die roten Rücklichter des Pick – Ups in der aufkommenden, schweren Dunkelheit verschwinden. Er hob die Hand zum Gruß. Noch eine Weile blieb er dort oben stehen.
Schließlich ging er rechts von der Straße ab und wanderte einen felsigen Hang hinauf. Sie waren sehr hoch gekommen, doch er stieg noch höher und es war kalt und klar.
Kalt die Sterne, kalt die Luft, Klarheit im Verwirrspiel der Gedanken. Vergangenes gibt Sinn, zukünftiges verblasst vor dem unzweifelhaften Einfluss des Zufalls.
Man wandert durch die tiefe Finsternis, nach vorne gebeugt, der Atem gleichmäßig. Sterne dort oben. Orientierungslosigkeit. Wo bin ich? Angst? Ist das Angst?
Nein, das ist Einsamkeit. Das wolltest du doch. Reicht es dir nicht aus. Hast du Erwartungen gehabt? Narr, wer Erwartungen hat, wird enttäuscht werden.
Schritt für Schritt. Vorwärts. Allein. Vorwärts
müde bin ich erschöpfung da hoch geh ich noch und dann kann ich ja pause machen und was essen obwohl ich auch jetzt könnte aber da hoch schaffs ich schon noch einfach fuß vor fuß setzen gleichmäßig atmen ruhig bleiben ist ja nicht meine erste bergwanderung doch seit ich rauche bin ich schon außer form


ah gut geh ich noch weiter bis zum ende des grats da is´ bestimmt ne bessere sicht und auch sonst schöner und dann kann ich auf den sonnenaufgang warten und was essen und trinken allein und wie man seinen gedanken ausgeliefert ist allein allein allein aufpassen auf den abgrund pass auf mann reiß dich am riemen gleich hast dus muss hinlegen kann nich kann nich mehr vergeben vergessen hinter mir lassen will frei atmen vergangenheit zukunft hier läuterung meine pilgerreise

Als die Sonne sich über das weite Feld der Erde erhob, züngelten rötliche Strahlen auch über ihn, der am Ende des Grats mit seinem Rucksack auf dem Rücken eingeschlafen war. Er lag auf dem Bauch, den Fels ins Gesicht gepresst.
Er erwachte von den Sonnenstrahlen, legte den Rucksack ab und dehnte und streckte den verkrampften Körper.
Dann frühstückte er auf den Felsen, während die Sonne höher stieg und ihn wärmte und er sah immer weiter und ihm war als würde jeder Landstrich erwachen, sobald er in Sonnenlicht getaucht war. Er erinnerte sich an die Vision in George´s Wagen und wartete fast auf den Adler.
Ein schöner Morgen.
Er wusste ES jetzt.

 

Hallo DrGonzo,

Herzlich Willkommen hier!


Dein Debüt ist mir etwas zu viel (mit Floskeln wie "Wer bin ich?" nicht eben originelle) Lebenssinnsuche und zu wenig Geschichte. Dein Prot hat keinen Bock mehr auf die alten Gesichter und macht sich auf den Weg. Er trifft einen Gleichgesinnten. Für eine Kurzgeschichte könnte man daraus schon mal was machen, auch wenn hier natürlich jedweder Konflikt fehlt. Beide sind sich einig in ihrem "Da muss es doch mehr geben", also ziehen sie erstmal einen durch. So weit, so ... ja, recht unspektakulär.

Das Kartenspielen und auch die Dialoge der Ausreißer, die finde ich gar nicht schlecht, aber sie gehen komplett unter in exzessiven Landschaftsbeschreibungen (den ersten Absatz kannst du vollständig streichen und der Geschichte fehlt NICHTS) und nicht minder schwafeligen Innenansichten:

Betreibe ich Selbstjustiz an mir, wie er auch; mich strafen für das Wegsehen? Wenn ich vor dem Haus meiner Vergangenheit stehe; die Fassade bröckelt. Lange hat sie allem standgehalten. Habe ich etwas künstliches geschaffen und suche nun die Eruption, die der Maschine Leben einhaucht? Echtes Leben mit Gefühlen, echten Gefühlen und all dem. Und wenn morgens die Krähe schnarrend singt, ich an das Vergangene denke, es als vergangen betrachten kann und als ein Teil von mir, der mich zu dem macht, was ich bin. Oh Johnny, dachtest du das auch? Bist auch wieder aufgestanden, ja ja, gabst die Hoffnung nicht auf und ich tu´s auch nicht, sondern stelle mich allem, so wie die Straße mich hinführt, die Straße des Lebens.

Hilfe! Der Titel ist schon so betont sinnschwanger, zum Schluss gibt's stream of consciousness, selbstredend raucht der Prot Kette - das kommt mir alles zu sehr mit dem Holzhammer. Und ich denke, dass in all dem Mumpitz eine ganz brauchbare Geschichte untergeht. Insofern wäre mein erster Tipp, etwa ein Drittel rauszukürzen und dann weiterzuschauen.

Form:

Du hast mehrere das/s-Fehler drin, da würde ich mir nochmal die Regeln ansehen. Was du auch gern machst, sind viel zu lange Einschübe. In dem Satz hier hast du diese beiden wiederkehrenden Probleme zusammengefasst:

Nachdem er die Zigarette aufgeraucht hatte, ging er in die Küche und bereitete sich ein Frühstück – Rührei mit Zwiebeln, Speck, Paprika und irgendeinem fremdländischen Gewürz, dass er irgendwann auf irgendeinem Markt aufgetrieben hatte – zu.

Bei "zu" hatte ich definitiv den Faden verloren. Man kann den Satz verstehen, aber man muss sich anstrengen. Guter Stil strengt nicht an, im Gegenteil. Der lässt dich vergessen, dass du überhaupt liest. Vorsicht: "Kompliziert und unverständlich" wird von Apologeten gern durch den Euphemismus "Anspruchsvoll" ersetzt! Aber lass dir keinen Quatsch erzählen. ;)

Beste Grüße und viel Spaß im Forum
JC

 

Hallo Proof,
vielen Dank erst einmal für deine Kritik. In manchen Fällen stimme ich dir zu, in anderen nicht. Aber das ist ja natürlich.
Ich stimme dir vollkommen zu, dass man die "Wer bin ich? Was bin ich?" Floskel rausnehmen kann.
Ebenso den ersten Absatz, den ich mal als Einleitung gesehen hatte, der aber so wie die Geschichte entstanden ist, nicht zum Rest passt.
Die "schwafeligen Innenansichten", wie du sie nennst, sind für mich nicht direkt schwafelig, eher etwas melancholisch angehaucht, aber da kann man ja durchaus anderer Meinung sein.
Dem Kritikpunkt der "exzessiven Landschaftsbeschreibungen" kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ich beschreibe durchaus immer wieder die Natur, aber in einer exzessiven Weise?
Die Natur bildet ja mit ein Hauptmotiv der Geschichte. Sie ist der Rückzugsort für den Protagonisten. Er ist ja zumindest für kurze Zeit so etwas wie ein moderner Eremit.
Die Sache mit den langen Einschüben ist meiner Meinung nach Geschmackssache. Die Geschichte ist schon etwas älter und mittlerweile bin ich auch nicht mehr so davon überzeugt, wobei ich sie manchmal durchaus hilfreich finde, um zwischen Beschreibung und Gedanken in einem Satz zu wechseln.

Beste Grüße,
MB

 

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