Was ist neu

Der Weltempfänger

Mitglied
Beitritt
23.08.2013
Beiträge
176
Zuletzt bearbeitet:

Der Weltempfänger

Mein Opa sagte immer: „Besser man ist reich und gesund, als arm und krank.“
Mein Onkel hingegen fragte immer: „Habe ich es nicht gesagt?“
Das erste Mal, dass ich diesen Satz gehört habe, war 1990, als der Zusammenbruch der Sowjetunion unvermeidlich zu sein schien. Da saß mein Onkel schon hoch zu Ross.
Wenn ich mich richtig erinnere, ist es Winter gewesen, ein ehrlicher russischer Winter, einer der den Menschen nicht vormacht, er sei ein Herbst. Auf den Straßen lag überall Schnee. Wo man sie nur ließ, ragten seine weißen Berge mindestens einen Meter in die Höhe und man konnte froh sein, wenn der Hausmeister wenigstens die Eingangstreppe freiräumte.
Wir saßen damals alle in unserer St. Petersburger Küche, zu der Zeit hieß meine Heimatstadt noch Leningrad, und hörten Radio. Meine Eltern hatten sich noch in den siebziger Jahren, mithilfe eines Bekannten meines Vaters bei der Flotte, einen Weltempfänger von Telefunken angeschafft, denn sie hörten Radio viel lieber, als dass sie fernsahen.
Dieser Weltempfänger ist ein erstaunliches Ding gewesen. Es verfügte über eine Million verschiedener Rädchen und Stecklöcher und war beschriftet mit vielen Zahlen, die mir alle nichts sagten und vor denen ich großen Respekt hatte. Das Gerät kam mir damals vor, wie das absolut fortschrittlichste Stück Technik, das die Menschheit je gebaut hatte. Bei seinem Rauschen dachte ich an den Kosmos, dort im Weltall vermutete ich auch die Stimmen, die aus den kleinen, vergitterten Öffnungen dieses Wunderdinges in die Welt drangen.
Damals war der Weltempfänger immer eingeschaltet. Meine Eltern sagten, der Beginn der neunziger Jahre sei die bewegteste Zeit gewesen, die sie jemals erlebt haben. Und der Weltempfänger wusste alles über sie.
Soweit ich mich erinnere, sprachen in dieser Zeit alle Erwachsenen nur noch über das Ende des Kalten Krieges und über Perestroika, über den Mauerfall und über lauter politische Dinge, auf die ich mir keinen Reim machen konnte. Wie ich das heute sehe, konnten sich die meisten Erwachsenen damals auch keinen Reim darauf machen, aber darüber gesprochen haben sie trotzdem.
Mein Onkel gehörte natürlich zu den wenigen Erwachsenen, die wirklich begriffen, was gerade passierte, und er ließ an diesem Umstand auch nie einen Zweifel aufkommen.
An dem Tag, an dem ich zum ersten Mal auf seine Überlegenheit hingewiesen wurde, erklärte Litauen, als erste Sowjetrepublik, seine Unabhängigkeit.
In unserer Küche roch es würzig nach indischem Tee, den mein Vater über seinen Bekannten bei der Flotte besorgt hatte, und alle lauschten den bewegten Zeiten, wie kosmische Stimmen aus den vergitterten Öffnungen des Weltempfängers von ihnen berichteten.
Draußen schneite es wieder. Die feinen Schneekrümel legten sich wie eine Schicht Puderzucker auf die Fensterbank. Zwei dieser Krümel wirbelte der Wind bis an die obere Kante des Fensters, wo sie sich auf die Fensterscheibe legten und sogleich in zwei kleine Tröpfchen verwandelten. Gerade beobachtete ich, wie sich die beiden ein spannendes Rennen nach unten lieferten, als ich meinen Onkel sagen hörte: „Habe ich es nicht gesagt?“
Ich drehte mich um und sah ihn neben dem Weltempfänger sitzen. Dieses Bild ist für immer in meinem Kopf geblieben. Er hatte es sich gerade in seinem Lieblingssessel bequem gemacht und blickte uns alle an.
Als ein außergewöhnlicher Mann hatte mein Onkel auch eine außergewöhnliche Art zu sitzen. Es kam mir immer vor, als würden ihn seine Extremitäten so sehr stören, dass er versuchte, ihren Wirkungsradius auf das Minimum zu begrenzen. Seine Beine wand er immer derart umeinander, dass sein rechter Fuß nach scheinbar mehreren Umrundungen des linken Schienbeins auf dessen rechten Seite auftauchte. Seine Hände pflegte mein Onkel im Schoß ganz eng zusammenzupressen, wobei er auch mit den Fingern wundersame Windungen vollzog. Damit sein Körper der Außenwelt nicht zu viel Widerstand bot, hielt er schließlich auch seinen Rücken am liebsten ganz gekrümmt und den Kopf tief zwischen den Schultern vergraben.
Auf diese Weise zusammengekauert, saß mein Onkel am liebsten da und erklärte allen, die bereit waren zuzuhören, die Welt.
Nachdem die Stimme aus dem Radio trocken verkündet hatte, dass Litauen sich nun als ein unabhängiges Land begreife, räusperte sich mein Onkel, schaute herausfordernd in die Runde und fragte, mit Routine in der Stimme: „Habe ich es nicht gesagt?“ Ich habe diesen Satz später noch sehr häufig gehört.
Ich glaube, mein Onkel hatte sich schon immer gerne selbst reden gehört: „Ich habe diesen Zerfall schon vorausgesehen“, dozierte er, „als unser lieber Genosse Gorbatschow Glasnost ausgerufen hat. Das konnte ja nicht anders enden. Eine freie Meinung zu haben, ist unserem Volk nie wohl bekommen. Von so viel Freiheit wird den Russen nur schwindelig. Und als hätte man nicht gewusst, was die Balten sagen würden, wenn man sie denn ließe. Jetzt wartet nur ab. Uns werden bald alle Republiken davonlaufen. Soviel ist klar.“
Mein Onkel sollte natürlich recht behalten. Daran hat auch nie jemand gezweifelt. Mit dem Tschetschenien-Krieg behielt er auch recht. Und dass Russland im Chaos versinken würde, auch darüber ließ er sich aus. Er hatte es alles vorhergesehen.
Und wenn eine seiner Prognosen sich wieder einmal bewahrheitet hatte, sank er jedes Mal in sich zusammen, wand alle seine Körperteile umeinander und fragte: „Habe ich das nicht gesagt?“
Es war auch mein Onkel, der sagte, wir sollten alle auswandern und zwar nicht nach Israel oder die USA, sondern nach Deutschland.
Wir saßen in der Küche, weil die Küche in Russland der Ort ist, an dem die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, hörten von dem Weltempfänger, dass die Löhne für die Lehrer wieder nicht bezahlt worden sind und dass ein weiterer einflussreicher Geschäftsmann erschossen wurde und mein Onkel sagte: „Wir sollten auswandern. Hier wird alles nur noch schlimmer. Niemand weiß, wem was gehören soll und niemand möchte für irgendetwas Verantwortung übernehmen. Das Land ist vergiftet und es wird Jahrzehnte dauern, bis es wieder zu sich kommt.“
Er legte uns nahe: „Am besten gehen wir nach Deutschland, denn die Deutschen haben zwar, wie ein Großer von ihnen über sie sagte, den rechten Winkel in jeder Bewegung und im Gesicht den eingefrorenen Dünkel, aber gerade deswegen leben sie pedantisch nach Regeln und die Regeln, die sie haben, sind gut für uns.“
Wir hörten auf meinen Onkel und gingen nach Deutschland. Den Weltempfänger haben wir mitgenommen.
Mein Onkel hatte recht behalten. Die Deutschen empfingen uns mit offenen Armen, sie gaben uns Wohnungen und Geld, ohne dass wir ihnen dafür etwas zurückgeben mussten, sie lehrten uns ihre Sprache und bezahlten für unsere Schule. Wenn wir krank wurden, hatten sie uns umsonst behandelt und wenn wir arbeiten wollten, hatten sie uns bei der Suche geholfen.
Sie waren tatsächlich etwas hölzern und lachten nur wenig, aber wir wussten, dass sie nicht anders konnten. Uns ging es gut in diesem Land und mein Onkel fragte: „Habe ich es nicht gesagt?“
Als ich älter wurde, habe ich angefangen, meinen Onkel zu meiden. Das taten in meiner Familie zunehmend alle. Seit meine Großeltern gestorben sind, wurde auch meine Mutter ihrem Bruder gegenüber immer kühler. Je allwissender er wurde, desto seltener hatte sie ihn zu uns nach Hause eingeladen und umso seltener griff sie zum Hörer, um ihn anzurufen. Es war schwer, sich in der Gegenwart eines Menschen aufzuhalten, der es immer alles schon gewusst hat und sich über nichts wundern konnte.
Wenn wir über etwas diskutierten und uns gegenseitig unsere bescheidenen Meinungen gegen den Kopf warfen, saß mein Onkel nur leise da und lächelte. Nachdem er sich unsere Dispute lange genug angehört hatte, erklärte er uns, wie es um die oder jene Sache tatsächlich stand, und behielt damit jedes Mal recht. Es machte keinen Spaß.
Ich habe mich immer gefragt, wie das Leben sein muss, wenn man es alles immer schon gesagt hatte und eines Tages durfte ich es herausfinden.
Soweit ich mich erinnere, ist es wieder Winter gewesen, ein unehrlicher Winter diesmal, wie es ihn in Deutschland so häufig gibt. Auf den Straßen war alles matschig und es hörte gar nicht auf zu regnen.
Ich kam von der Schule nach Hause und sah meinen Onkel im Wohnzimmer sitzen. Wie immer kauerte er in einem Sessel zusammen, seine Beine umeinander gewunden und den Kopf in den Schultern vergraben. Neben ihm auf dem Tisch stand der Weltempfänger und rauschte.
Seit ich herausgefunden hatte, dass das Rauschen und die Stimmen nicht aus dem Kosmos kamen, ja dass es im Kosmos überhaupt keine Geräusche gibt, verlor ich jegliches Interesse an dem einstigen Wunderding. Auch meine Eltern hatten irgendwann aufgehört, ihn als ihr Fenster zur Welt zu betrachten.
Einmal sagte meine Mutter, das Gerät würde sie ein bisschen an ihren Bruder erinnern. Wenn man es fragen würde, könnte es einem alles in der Welt verkünden, aber es fragte niemand mehr. Also stand der Weltempfänger in der Ecke und schwieg unter einer immer dicker werdenden Staubschicht. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis mein Vater sagen würde: „Ich glaube, wir sollten das Radio in den Keller schaffen.“
Jetzt hatte mein Onkel es wieder aktiviert.
Als ich das Wohnzimmer betrat, drehte er angespannt an den Rädchen. Offenbar versuchte er eine ferne Frequenz einzufangen, denn seine Bewegungen sahen nach Präzisionsarbeit aus.
Er war so in seine Suche vertieft, dass er mein Reinkommen nicht bemerkt hatte. Für ein paar Augenblicke beobachtete ich seinen gekrümmten Rücken in dem dunklen Rollkragenpullover. Wie hager er doch geworden ist, wie dünn seine Beine waren. Jetzt bemerkte ich, dass alle seine Haare grau geworden waren. Das Stück seiner Wange, das ich von hinten erkennen konnte, war von Falten gezeichnet. Besonders um das Auge herum hatten sich die Furchen versammelt und ich stellte mir seine Stirn vor, wie sie von tiefen Rillen der Weisheit durchzogen war. Was dachte sich dieser Mann gerade, wonach suchte er?
„Hallo Onkel“, sagte ich dann endlich, „was machst du denn hier? Wo ist die Mama?“
„Sie ist einkaufen gegangen.“ Er drehte sich gar nicht um.
„Wie lange ist sie schon weg?“ Das Alleinsein mit meinem Onkel behagte mir nicht. Andererseits hielt ich das für unhöflich, einfach in mein Zimmer zu gehen.
„Ich kann es nicht genau sagen. Habe nicht auf die Zeit geachtet.“ Mein Onkel ließ von dem Rädchen ab und sah mich an. Heute kamen mir seine Augen viel größer als sonst vor. Seltsamerweise schaute er diesmal nicht über mich hinweg, sondern mir direkt ins Gesicht.
Für eine Weile schwiegen wir. Dann setzte ich mich ihm gegenüber auf das Sofa.
„Was machst du mit dem Radio?“
Die Frage machte meinen Onkel ein wenig verlegen. „Ich suche.“ Mehr sagte er nicht. Stattdessen wandte er sich wieder den Rädchen zu. Aus den vergitterten Öffnungen, von denen ich heute weiß, dass sie Boxen heißen, drangen unverständliche Stimmen, die immerfort von anderen unverständlichen Stimmen abgewechselt wurden. Mein Onkel schien an ihnen allen kein Interesse zu haben.
„Was suchst du denn?“ Im Grunde war es mir gar nicht wichtig. Ich fragte nur, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen könnte.
Wieder stoppte mein Onkel seine Beschäftigung. Diesmal seufzte er leise. „Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme zitterte. „Ehrlich gesagt, will ich einfach gerne überrascht werden.“ Er lehnte sich zurück in dem Sessel. Zwischen den Furchen der rechten Wange sah ich eine kleine Träne auf seine schmalen Lippen hinunter kullern. Zuerst dachte ich, es wäre ein Versehen, aber ihr folgte eine andere und dann noch eine. So viele Tränen konnten kein Versehen sein. Das hatte ich vorher noch nie bei ihm gesehen und ich konnte es damals auch nicht verstehen. Männer in meiner Familie haben nicht geweint.
Es war mir peinlich, ihn auf diese drei Tränen anzusprechen, aber sie wühlten mich dermaßen auf, dass ich nicht anders konnte.
„Onkel, was ist denn los? Warum weinst du bloß?“
Ganz aus der Tiefe seiner Augen, die, wie meine Mutter sagte, sich immer in ihrer eigenen Dunkelheit versteckten, sah er mich an und sagte: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schrecklich es ist, nicht mehr überrascht werden zu können.“
Ich konnte es mir tatsächlich nicht vorstellen. Ich traf jeden Tag auf eine Überraschung und auf Dinge, die ich nicht verstand. Gerade saß eines dieser Dinge vor mir. Also schüttelte ich mit dem Kopf.
Mein Onkel lächelte: „Ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal geirrt habe. Das muss viele Jahre her sein.“ Er löste den Knoten seiner Hände, wischte über die feuchte Stelle in seinem Gesicht und griff feste in die Armlehnen. Dann fuhr er fort: „Manchmal versuche ich, mich absichtlich zu irren, aber auch das gelingt mir nicht. Da will ich etwas Falsches von mir geben, und in diesem Moment erscheint eine Stimme in meinem Kopf und sagt mir: „Mach dich nicht lächerlich. Alle wissen doch, dass du es besser weißt. Wozu diese Spielchen?“ Also sage ich dann doch das Richtige.“
Für einen Moment verstummte er und führte dann auch seine Beine auseinander. Es schien mir das erste Mal zu sein, dass mich seine Haltung nicht an einen geflochtenen Zopf erinnerte. Ich weiß nicht, wieso er sich mir gegenüber so öffnete, wahrscheinlich ging er davon aus, dass ich ihn sowieso nicht verstehen würde.
„Und wenn ich sehe, was in der Welt passiert“, mein Onkel griff seinen Gedanken wieder auf, „dann würde ich mich so freuen, nicht zu wissen, womit diese oder jene Angelegenheit endet. Ich will nicht wissen, dass dieses Land gegen jenes in den Krieg zieht und ich will nicht wissen, dass es da und dort bald einen Anschlag geben muss. Ich will nicht wissen, wer Weltmeister wird, und ich will nicht wissen, dass die Menschen sich an dem oder jenem Ort wieder mal ein Grab graben.“
Aufmerksam sah mich mein Onkel an, als würde er von mir eine Lösung für sein Problem erwarten. Anschließend machte er auch seine Schultern gerade und streckte seinen Kopf aus. Jetzt saß mein Onkel, wie die meisten Menschen. Mehr oder weniger gerade.
„Leider weiß ich auch“, erklärte er, „dass du keine Ahnung hast, was du mir jetzt sagen sollst. Woher sollst du es denn auch wissen, wenn ich es schon nicht weiß.“ An dieser Stelle stockte er.
„Hmm ...“ seine Stirn legte sich in tiefe Falten. „Es scheint mir, dass die einzige Sache, die mir tatsächlich verborgen bleibt, die Frage ist, wie ich mich von dieser Allwissenheit löse. Das ist doch tragisch, nicht wahr?“
„Das weiß ich nicht.“ Ich zuckte mit den Achseln.
„Ja“, sagte er, „das weiß ich leider auch. Aber ich glaube, das habe ich schon mal gesagt.“

 

Servus randundband,

eben hab ich deine Geschichte gelesen und ich möchte dir, zwar unter Zeitdruck stehend, noch ganz schnell von meinem Eindruck erzählen.
Je näher ich dem Ende kam, umso lauter knirschte ich mit den Zähnen, kein Witz, weil ich mir dachte, verdammt, gleich ist’s vorbei, schade, ich will das weiterlesen.
Andererseits war’s gut so, wäre der Text bedeutend länger gewesen, käme ich heute wohl kaum mehr in die Werkstatt, so sehr hat mich die Lektüre gepackt. Und irgendwie ist das eigenartig, weil, weder ist die Geschichte spannend, noch passiert was weiß ich was, mal abgesehen von den wahrlich weltbewegenden Geschehnissen in der Hintergrundkulisse sozusagen, trotzdem gelingt es dir, mich von der ersten bis zur letzten Zeile zu fesseln.
Deine schöne, unaufgeregte Sprache, diese vielen wunderbar beschriebenen Details, der so ungemein sympathische Onkel, eine tragische Figur beinahe, eigentlich hast du hier im Grunde schon alle Zutaten für ein Jahrzehnte umspannendes Familienepos, ja, da würde ich wirklich gerne weiterlesen und mehr erfahren …
Na ja, aber wir sind ja hier in einem Kurzgeschichtenforum.

Also für meinen Geschmack ist das ein wirklich schöner und sehr sympathischer Einstand, randundband!
(Ein paar Tempus- und Kommafehler gibt’s, die anzuführen hab ich jetzt leider keine Zeit mehr, aber ich komme sicher noch einmal hier her, mit etwas mehr Muße, versprochen)


offshore

 

Hallo offshore,
ich freue mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat. Dass mein Text jetzt Zähneknirschen auslöst, hätte ich nicht gedacht, aber die Art und Weise, wie es bei dir geschah, ist sicher eine feine.
Sobald die ersten 1000 Seiten von dem Epos stehen, werde ich dich das unbedingt wissen lassen. Mir fehlen ja jetzt eigentlich nur noch um die 995. Und den Onkel werde ich am Ende wohl sterben lassen müssen.
Lieben Gruß und nochmal vielen Dank.
randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband,

Das erste Mal, dass ich diesen Satz gehört habe, war im Jahre 1990

Klingt komisch. Zum ersten Mal hörte ich diesen Satz 1990.


Meine Eltern hatten sich noch in den siebziger Jahren mithilfe eines Bekannten meines Vaters bei der Flotte, einen Weltempfänger von Telefunken angeschafft, denn sie hörten Radio viel lieber, als sie fernsahen.

Meine Eltern hatten sich noch in den siebziger Jahren, mithilfe eines Bekannten meines Vaters bei der Flotte, einen Weltempfänger von Telefunken angeschafft, denn sie hörten Radio viel lieber, als sie fernsahen.


er Beginn der neunziger Jahre, sei die bewegteste Zeit gewesen, d

Jahre sei


des kalten Krieges

Kalten Krieges, Eigenname


die wirklich begriffen, was gerade passierte und er ließ an diesem Umstand

passierte,


In unserer Küche roch es würzig nach indischem Tee, den mein Vater über seinen Bekannten bei der Flotte besorgt hatte und alle lauschten den bewegten Zeiten,

hatte,


Als ein außergewöhnlicher Mann hatte mein Onkel auch eine außergewöhnliche Art zu sitzen.

Finde ich drollig, den Satz. Übrigens drehe ich meine Beine sitzend früher oder später auch immer zur Kordel.


Jetzt bemerkte ich, dass alle seine Haare grau geworden sind.

geworden waren


„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schrecklich es ist, nicht mehr überrascht werden zu können.“

Ich finde diesen Clou gut, dass er weint, weil er nicht überrascht wird. Aber dieser Satz ist überflüssig, denke ich. Zuvor gibt’s „Ich will überrascht werden“ plus Tränen – das reicht, der Leser weiß Bescheid.


Die erste Hälfte vermittelt ein bisschen das Gefühl, jemand möchte den Zusammenbruch der Sowjetunion runter rattern und packt es in eine Alibigeschichte: „... haben wir im Radio gehört.“

Später lässt das nach, das letzte Drittel ist schon sehr eigen. Insgesamt vermisse ich aber die Details, die ernst offshore lobt. Den Sinn fürs Spezifische hervorzuheben ist berechtigt mit Bezug auf Telefunken und die Art des Onkels, zu sitzen, aber an vielen Stellen hätte ich es mir eben detaillierter und weniger allgemein gewünscht.

Soweit ich mich erinnere, sprachen in dieser Zeit alle Erwachsenen nur noch über das Ende des kalten Krieges und über Perestroika, über den Mauerfall und über lauter politische Dinge, auf die ich mir keinen Reim machen konnte.

Sowas zum Beispiel. Vielleicht ist Detail auch das falsche Wort. Szenischer könnte man's machen. Vater kommt nach Hause, lehnt an der Heizung, steckt eine Zigarette an und sagt zur Mutter, Perestroika, Perestroika, die Leute reden über nichts anderes mehr, aber wenn du fragst, kann dir keiner sagen, was genau das eigentlich sein soll.


Dieses Wissen um seine quasi prophetischen Fähigkeiten macht mir den Onkel zum Schluss nicht mehr zur wirklich sympathischen Figur. Wobei ich auch nicht ganz verstehe, worin diese prophetischen Fähigkeiten liegen sollen. Okayer Bildungsstand eher, regelmäßig ein Blick in die Zeitung oder eben in den Weltempfänger reinhören. Ein Reich, das 70 Jahre lang mit Gewalt zusammengehalten wurde, bricht auseinander. Es folgt Chaos. „Habe ich es euch nicht gesagt?“ Ja, doch, aber doch ungefähr 600.000 andere Leute auch. So unvorhersehbar war das nun nicht.

Mit Abstand zur Geschichte ist das fast, als wenn der Onkel an maßloser Selbstüberschätzung leidet, was ihn halt nicht eben zum liebenswerten Charakter macht. Das könnte man abstellen, in dem man ihn etwas subtiler leiden und ihn selbst bescheidener mit seiner vermeintlichen Allwissenheit umgehen lässt.

Grüße
JC

 

Hallo,

ich habe diese kleine (fantastische?) Geschichte, in der Migranten mit offenen Armen empfangen werden, ein Jugendlicher abwartend im Zimmer bleibt und ein älterer Herr aus seinen Talenten kein Kapital schlagen möchte, gern gelesen, sehr sogar.

Beim Lesen war ich mir nicht immer sicher, ob der Onkel nun tatsächlich übernatürliche Fähigkeiten besitzt oder nicht. Wahrschienlich eher nicht. Im vorletzten Absatz ist zwar von "wissen" die Rede.

Ich will nicht wissen wer Weltmeister wird und ich will nicht wissen, dass die Menschen sich an dem oder jenem Ort wieder mal ein Grab graben.

Aber weiß er es denn auch vor all den anderen, oder ahnt er die Dinge nur? Die Tatsache, dass weder er noch der Rest der Familie versucht daraus einen finanziellen Vorteil zu ziehen, lässt darauf schließen, dass er nicht in die Zukunft sieht, sondern nur gut informiert ist. Das „Habe ich es nicht gesagt?“ klingt daher mehr nach dem Wunsch im Familienkreis anerkannt zu werden. Es bleibt ein Hauch von Unschlüssigkeit, weil er, der - zum Zopf geflochtene - Onkel, zu sehr unter seiner Begabung leidet.

Er leidet, weil früher die Familie auf ihn gehört und beispielsweise die Auswanderung auf seinen Rat hin gewagt hat. Im wohlfahrtsstaatlichen Deutschland, wo Regeln geliebt werden, sind seine Fähigkeiten, nicht mehr gefragt, die Familie wendet sich von ihm ab. Der Onkel, eine traurige Figur.

Was mir sehr gefallen hat, war die Verknappung im Erzählstrang an manchen Stellen.

Wir hörten auf meinen Onkel und gingen nach Deutschland.

Die schwierige Entscheidung, das eigene Land zu verlassen und es auch zu tun, in einem Satz zusammen gefasst, wirklich gut! Klingt wieder wie ein fantastisches Element.

Genau wie die Stelle über die Ankunft in Deutschland:

Die Deutschen empfingen uns mit offenen Armen, sie gaben uns Wohnungen und Geld, ohne dass wir ihnen dafür etwas zurückgeben mussten, sie lehrten uns ihre Sprache und bezahlten für unsere Schule. Wenn wir krank wurden, hatten sie uns umsonst behandelt und wenn wir arbeiten wollten, hatten sie uns bei der Suche geholfen.

Davon könnte es ruhig noch mehr geben.

Um dir ganz korrekte Tipps, bezüglich Erzählzeiten und Kommasetzung geben zu können, fehlt mir die Erfahrung. Beglückwünschen zu diesem schönen Fantasiestück, kann ich dich schon.

Gruß
Coti.

p.s.: Ah, den besten Spruch hatte natürlich der Opa, „Lieber reich und gesund, als arm und krank.“, den merke ich mir!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Proof,
ich danke dir für deine Kritik.
Leider ist es mir offenbar nicht gelungen, die Figur so darzustellen, wie ich es beabsichtigt habe. Der Blick auf den Onkel und seine prophetischen Fähigkeiten sollte eigentlich ein halbironischer sein. Deswegen waren auch die Dinge die er alle im Voraus "gewusst" hat, auch keine Glanzstücke der Weissagung, sondern eben nur Ansichten eines gut informierten Mannes, der seine Verwandten gerne belehrt. Ja, eines Mannes, der massiv an der Selbstüberschätzung leidet und zu wenig Distanz zu sich selbst hat. Ich wollte die Ironie aber eben ganz subtil einbauen, mit Sätzen wie:

Mein Onkel gehörte natürlich zu den wenigen Erwachsenen, die wirklich begriffen, was gerade passierte und er ließ an diesem Umstand auch nie einen Zweifel aufkommen.
An dem Tag, an dem ich zum ersten Mal auf seine Überlegenheit hingewiesen wurde,
oder
Auf diese Weise zusammengekauert, saß mein Onkel am liebsten da und erklärte allen, die bereit waren zuzuhören, die Welt.
oder
Nachdem er sich unsere Dispute lange genug angehört hatte, erklärte er uns, wie es um die oder jene Sache tatsächlich stand und behielt damit jedes Mal recht.
Und nein, als ein besonderer Sympathieträger war der Onkel auch nicht gedacht. Die Trauer ein bisschen weniger dick auftragen sollte ich wohl aber schon. Hoffentlich komme ich die Tage dazu.
Auch bin ich überrascht, dass bei dir der Eindruck entstanden ist, jemand wollte die Geschichte der Sowjetunion herunterrattern. Da sind eben ein paar Sätze zur Politik und zu dem geschichtlichen Hintergrund, die aber den Zweck verfolgen, die "prophetischen" Fähigkeiten des Onkels zu illustrieren. Dabei sollte der Fokus eigentlich nur auf seiner Person liegen und eben auch etwas auf der Familiensituation. Über irgendetwas musste er ja weissagen und da kamen mir so allgemeine Ansichten zum Weltgeschehen, über die ja eigentlich jeder eine Meinung hat, als etwas passendes. Na gut, aber gegen deinen Eindruck kann ich ja jetzt nicht gehen.
Dass ich manche Informationen nicht szenisch dargestellt habe, war eine ganz bewusste Entscheidung, weil ich eben für die Charakterentwicklung weniger relevantes verknappen wollte. Die Figuren anderer Familienmitglieder szenisch einzuführen, hat für mich keinen Sinn ergeben, weil ich ihnen eben keinen Charakter einhauchen wollte. Sie sollten eben nicht nur angeschnitten werden und dann ganz blass und unerörtert untergehen, sondern als reine Statisten fungieren.
Welche Details offshore meint, sollte man wahrscheinlich am besten ihn selbst fragen. Ich nehme an, er spricht von solchen Dingen wie den Wassertropfen oder den Beschreibungen um den Weltempfänger herum oder eben den Onkel.
So. Insgesamt vielen Dank für deinen Besuch und deine Zeit.

Hallo Coti,
ich danke dir auch für deine Kritik und es freut mich natürlich sehr, dass du die Geschichte gut fandest. Ob die Geschichte jetzt eine "fantastische" ist? Hmm... Offenbar ist es mir tatsächlich nicht gelungen, die Allwissenheit des Onkels auf eine ironische Art und Weise darzustellen. Also löse ich das an dieser Stelle auf. Er hat keine magischen Kräfte. Das tut mir leid. Vielleicht sollte ich die Geschichte dahingehend überarbeiten, dass der Onkel in Wirklichkeit ein Zauberer ist.
Was mich sehr freut, ist der Umstand, dass dir die Verknappungen gefallen haben. Es war mir wichtig, dem Leser diese wichtigen Hintergrundinformationen zu geben, ohne dass sie eben von der Figur des Onkels ablenken und die Geschichte schwammig machen, gleichzeitig aber nicht wie ein seelenloser Bericht daherkommen.
Dass der Onkel in Deutschland nicht mehr gebraucht wurde, sollte die Geschichte eigentlich nicht aussagen. Gedacht war vielmehr eine langsame Abkehr, eben nach dem Tod der Großeltern, die mit seiner immer totalitärer werdenden "Allwissenheit" einherging. Ja, die veränderten Umstände in der Immigration spielten natürlich eine Rolle, aber vielmehr sollte es die Wirkung sein, die von seiner Person ausging. Tja.
Auf jeden Fall vielen Dank für deine freundlichen Worte. Hab mich sehr gefreut.
Ah ja, noch ein Spruch von "meinem" Opa: "Ein Hund ohne Eier ist wie ein Pferd ohne Hufen."

Lieben Gruß an euch alle.
randundband

 

Hallo randundband,

falls du dich doch für fantastische Geschichten interessieren solltest, empfehle ich dir als Inspiration die Argentinierin Silvina Ocampo (deren Texte sind eh toll!), ihren Mann Adolfo Bioy Casares und Felisberto Hernández, der kam aus Uruguay und schrieb ganz außergewöhnlich. Die hatten alle drei den Dreh raus.

Die Geschichten fangen meist ganz normal an. Alles wirkt realistisch und nachvollziehbar, bis es zum Bruch kommt und sich das Fremde, das Sonderbare und Unerklärliche breitmachen. So in etwa. Die Protagonisten leiden oft an der Situation und sind einsam. All das war in deiner Geschichte (ansatzweise) vorhanden und hat mich daher daran erinnert. LG Coti

p.s.: Mein uralter Nachbar pflegt zu sagen: “Lieber arm dran, als Arm ab." und meint das ganz wörtlich.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband,

ich finde, dir ist eine feine Geschichte gelungen. Sie ist ausgesprochen gut geschrieben, mit tollen Formulierungen und einer Hauptfigur, für die eine Kurzgeschichte schon fast ein wenig eng ist. Mit viel Sympathie (wie ich finde) beschäftigst du dich mit dieser Figur und lässt sie vor meinem geistigen Auge lebensnah sichtbar werden. Das ist wirklich sehr ansprechend, liebenswert und unterhaltsam geschrieben.

Also mir hat das sehr gut gefallen (da wärest du nach dem Einstieg vermutlich gar nicht drauf gekommen;-)) und das ist einer jener Texte hier, die mir Freude machen, weil sie mir auch literarisch etwas bieten. Ich bin ganz erstaunt, dass deine Geschichte bisher so wenig Kommentare erhielt und wünsche ihr (und dir), dass sich das noch deutlich verbessert. Die KG hat mehr Leser/Kommentare verdient!

Meinen Beitrag dazu habe ich erbracht, und das ziemlich gern. Ich werde mich mit Spannung und Interesse auch weiteren Geschichten von dir widmen, weil mir sowohl dein Stil gut gefällt, als auch die Art, wie du mir Inhalt und Figuren nahe bringst.

Viel Spaß weiterhin!

Rick

 

Hallo Rick!
Wenn da nicht meine strikte Anti-Smiley-Policy wäre, würde ich den ganzen Monitor mit den allerbreitesten Grinsen zukleistern. Stell sie dir also einfach vor. Habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut. Bin total begeistert.
Ich finde ja auch, die Geschichte hätte mehr Leser verdient, vielleicht sollte ich einfach selber mehr kommentieren. Das funktioniert ja hier ganz gut mit dem Geben und Nehmen.
Na ja, vielen Dank für deinen Besuch.
lg, randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband,


ich bin durch deine Kritik an Schenjas Geschicht auf deine Geschichte aufmerksam geworden, auch weil mich Russland gerade interessiert.
Positiv finde ich den Schreibsstil, sind wirklch ein paar nette Details drin, die Stimme an sich ist auch nicht unsympathsisch, was fehlt ist leider das, was hier meistens fehlt im Forum: eine Geschichte. Etwas Handlung, der Moment, wo etwas losbricht ... oder einfach, dass überhaupt mal irgendeiner irgendwann was tut. (Das ist viel seltener, als man glauben mag.)
Also die erste Hälfte hab ich ähnlich wie Proof gelesen, das war so Geschichtsunterrscht anders verpackt, Pestroika, Glasnost, voll weltbewegend und so, und meine Eltern meinten das auch, der Winter in Russland sei voll kalt .. (Auch wenn "ehrlicher" Winter eine nette Umschreibung ist)
Ich meine .. klar waren das krasse Zeiten. Das ist auch nicht schlecht umrissen, aber … jetzt?
Als Einleitung für was Längeres wäre es okay … aber dann muss auch was kommen.
Und dann sagt der Erzähler ein paar bedeutungschwagengere Sachen, der Onkel auch, ironisch oder wie auch immer, und aber stets praktisch ohne Inhalt. Der Text ist äußerst leer, finde ich.
Also ich glaub dir gleich, dass das bewegende, interessante Zeiten waren, aber … das muss man halt versuchen rüberzubringen. Das ist letztlich die Kunst. Am besten versucht man das mit einer Geschichte. Klar, so was Geschichtliches mit Konflikt zu verpacken ist nicht einfach. Gibt paar Sachen, wo das hervorragend klappt: Die Titanic. Weil da Leute auf dem Boot sind und es sinkt. Reichlich Konflikt. Oder überall, wo es mal eine Mauer gab … da werden dann Leute getrennt. Die wollen sich wiedersehen, oder einer springt mal rüber ... usw.
Hier soll es wohl über den gehiemnisvollen Onkel gehen … mir ist er zu geheimnisvoll, ehrlich gesagt. Dadurch wird er gesichtslos, finde ich. Auch weil da nie ne Erklärung kommt oder so.
Am besten ist trotzdem die Stelle, wo die "Handlung" beginnt, das Gespräch mit dem Onkel, und dann denkt man, jetzt passiert mal was ... und dann … praktisch nichts. Wenn man den Anfang liest, und dann so bisschen dieses Bedeutungsschawangere, ist da fast provokativ wenig drin.
Naja, schade. Sind sicherlich gute Ansätze drin. Mach irgendwie mehr. Ist so immer mein Tipp.


MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JuJu,
danke für deine Kritik. Mal schauen, was ich damit anfange. Sofern du mich lobst, klar, find ich gut. Freut mich. Vielen Dank.
Die Sachen die du kritisierst, ja, also das mit dem Geschichtsüberriss habe ich ja eigentlich schon zu Proof geschrieben, wozu das dienen sollte, hast du ja bestimmt schon gelesen. Um die Geschichte Russlands ging es mir eben wenig, komisch, dass dieser Aspekt so rüberkommt, zumal auch bei dem Textverhältnis nun wirklich nicht wie von einer Hälfte gesprochen werden kann. Aber gut, den Text zu erklären ist ja eigentlich Quatsch. Wo ich selbst mittlerweile einige (viele) Schwächen sehe, ist die Figur des Onkels. Da müsste, meine ich, noch einiges an Entwicklung rein. Rick hat da auch recht, wenn er schreibt, die Geschichte ist was zu eng für ihn. Das ist mir halt nicht gelungen und da sehe ich deine Kritik mit dem geheimnisvollen usw. total ein. Will mit dieser Figur und mit dem Jungen grundsätzlich was Längeres versuchen, mit der Zeit ist nur grad blöd.
Was ich aber etwas komisch finde, ist deine Anmerkung zu dem Fehlen einer Geschichte. Meiner Meinung nach muss man einen Text nach seiner Erzählintention beurteilen und nicht danach, was man selbst für eine Erzählintention hätte. Sollte halt ein handlungsarmer Text sein, eben nur auf diese eine Pointe raus. Eine Figur und ihr Platz in der Familie. Mit ein bisschen Setting, was du mir als einen verdeckten Geschichtsunterricht ankreidest. Ja, weiß ich nicht, da kann man doch in jedem Text etwas finden, was es in ihm noch geben könnte, selbst wenn er darauf gar nicht hinaus will. Ich meine, man muss einen Text daran messen, was er sein will, und nicht daran, was man sich grundsätzlich für eine Geschichte vorstellt.
Jetzt ist das überspitzt formuliert in etwa so, als würde man Harry Potter lesen und sagen, "oh, ist ja recht nett mit diesem ganzen Fantastischen und den Zauberern und Drachen und so, und die Erzählstimme finde ich jetzt auch nicht total zum Kotzen, aber wo sind denn jetzt die heißen Sexszenen?"
Na ja, jedenfalls danke ich dir nochmal für deine Anmerkungen, hast mich zum Nachdenken gebracht.
Gruß
randundband

 

Hallo randundband,

nun hast Du mich gänzlich, mit Deinen Russen.
Nehm Dich mit, zur nächsten Peredwischniki-Vernissage und dann trinken wir Wodka bis zum Schluss.

Der Weltempfänger: Da gefällt mir schon der Titel, da gefällt mir schon das Ding.
Hab jetzt fünfmal das Deutsche Museum zu München durchwandert und bin immer wieder an Geräten wie Deinem Weltempfängern hängengeblieben, wunderbar röhrenbestückten, gleichzeitig zum Heizen geeigneten Analoggeräten mit Herz.
Hab als Kind immer Omas Radio angestarrt und mir vorgestellt, einst in diese fernen Langwellenorte zu reisen.

„Wie ich das heute sehe, konnten sich die meisten Erwachsenen damals auch keinen Reim darauf machen, aber darüber gesprochen haben sie trotzdem.“
Das ist fein beobachtet.

Alles in Allem: Wichtige Geschichte, wunderbar verpackt.

Danke, nastro.

 

Hallo nastro!

Nehm Dich mit, zur nächsten Peredwischniki-Vernissage und dann trinken wir Wodka bis zum Schluss.
Alles klar! Ich bring die eingelegten Gurken mit. Die machen aber bei uns in Köln komischerweise die Polen besser als die Russen.
Danke für dein Lob. Hat mich sehr gefreut. Dachte schon gar nicht mehr, dass den Text jemand hervorkramt.
Der Weltempfänger. Ja, ist auf jeden Fall ein sehr schönes Wort, finde ich. Steckt für mich eine Menge drin.
Das Deutsche Museum in München finde ich auch richtig toll. Bin da auch schon paar Mal gewesen, hab da früher in der Nähe ganz viel Zeit verbracht. Waren da nicht auch diese alten Boote? Die mochte ich ganz besonders.
Alles in Allem: Wichtige Geschichte, wunderbar verpackt.
Schön, schön, schön. Was kann man da mehr sagen. Ich mag die Geschichte auch noch immer, obwohl da noch einiges daran unausgegoren ist. Aber diesen Onkel habe ich definitiv in mein Fugurenrepertoire aufgenommen und der wird in einer anderen Geschichte noch ordentlich ausgeschlachtet.
Danke für deinen Besuch und bis bald.
lg, randundband

 

Das Deutsche Museum in München finde ich auch richtig toll. Bin da auch schon paar Mal gewesen, hab da früher in der Nähe ganz viel Zeit verbracht. Waren da nicht auch diese alten Boote? Die mochte ich ganz besonders.

Hab ein Stück unterhalb, in Thalkirchen, ein Jahr gelebt. Wir lagen da immer nackernd an der Isar, hab in jenem Sommer "Herr der Ringe" gelesen, das war ein grandioses Jahr. Boote hat es im DM, allen voran ein U-Boot, auch Flugzeuge und Helikopter, die Stars des Museum sind allerdings die Hochspannungsexperimente und Kraftmaschinen.

Aber diesen Onkel habe ich definitiv in mein Fugurenrepertoire aufgenommen und der wird in einer anderen Geschichte noch ordentlich ausgeschlachtet.

Warum auch nicht, Du wirst Deine Leser finden.

 

Guten Abend randundband, das ist eine sympathische Geschichte, da bekam ich schon während der ersten Zeilen das Gefühl, man kann sich ohne Gefahr in die Erzählung begeben. ein in Ehren verstaubtes Artefakt; ein Onkel, der cleverer ist, als gut für ihn wäre, weil er nicht clever genug ist, die Klappe zu halten, oder seine Talente in den Dienst guter Sachen zu stellen - so eine Verwendung von Wissen für andere könnte ihn aus der zunehmenden Isolation zu einem gefragten und gern gesehenen Besucher machen, mglw; ein paar Beobachtungen, wie den betrügerischen Regenwinter, die ich aus eigener Erfahrung abnicken konnte - also ja, habe ich Glück gehabt, mit der ersten Geschichte nach einer Weile. hast du gut gemacht. an einigen wenigen Stellen fielen mir Sätze auf, die würde ich - an einigen Stellen - überarbeiten. zum Beispiel das mit dem regnerischen Winter als Beispiel:

Wenn ich mich richtig erinnere, ist es Winter gewesen, ein ehrlicher russischer Winter, einer der den Menschen nicht vormacht, er sei ein Herbst.

... ein ehrlicher russischer Winter, der nicht tut, als wäre er ein Herbst ... / Winter, der sich nicht als Herbst ausgibt ...

da folge ich zum einen der Idee, möglichst wenig Wortdopplungen haben zu wollen (ein, einer, ein); zum anderen kürzere Sätze, dann muss man nicht so viel schreiben und es steckt trotzdem alles drin. aber das kommt auch sicherlich darauf an, wie fleißig man ist.

meine Zeit im Netzcafé läuft ab, will nur noch sagen, dass Glasnost und Perestroika in dem Feuermal auf Gorbatschows Stirn vorgezeichnet waren, das hat nämlich die Form einer ehemaligen Sowjetrepublik und nicht die Umrisse der Sowjetunion.

Viele Grüße,
Kubus

 

Kubus,

will nur noch sagen, dass Glasnost und Perestroika in dem Feuermal auf Gorbatschows Stirn vorgezeichnet waren, das hat nämlich die Form einer ehemaligen Sowjetrepublik und nicht die Umrisse der Sowjetunion.
Hiermit hast du das Rätsel um den mysteriösen Onkel gelöst. Ich gratuliere.
Danke für deine Rückmeldung.
ein Onkel, der cleverer ist, als gut für ihn wäre, weil er nicht clever genug ist, die Klappe zu halten
Da ist wohl die Eitelkeit stärker als der Verstand gewesen. Man weiß es nicht genau. Soll aber so sympathische Menschen geben mit übernatürlichen Fähigkeiten. Wie behält man sie bloß für sich? Ich könnte das auch nicht, glaube ich.
an einigen wenigen Stellen fielen mir Sätze auf, die würde ich - an einigen Stellen - überarbeiten.
da folge ich zum einen der Idee, möglichst wenig Wortdopplungen haben zu wollen (ein, einer, ein)
Also ich habe jetzt bei mir beobachten können, dass ich irgendwie auf Wortdopplungen stehe. Das ist sicher nicht immer beabsichtigt, hier, meine ich, war es das auch nicht. Vielleicht sollte ich mehr darauf achten, aber grundsätzlich setze ich sowas gerne als Mittel ein. Ich glaube, ich erhoffe mir dadurch irgendeine Wirkung, jetzt ist mir aber entfallen welche. Hmm... Da muss ich mal drüber nachdenken und meine anderen Texte nochmal darauf durchgehen.
Also Kubus, ich habe mich über deinen Besuch gefreut. Ich sehe, du bist ein richtig aktives Mitglied gewesen und werde mir jetzt auch deine Sachen zu Gemüte führen. Bin gespannt. Wir sehen uns sicher bald wieder.
lg, randundband

 

Dieser Weltempfänger ist ein erstaunliches Ding gewesen. Es verfügte über eine Million verschiedener Rädchen und Stecklöcher und war beschriftet mit vielen Zahlen, die mir alle nichts sagten[,] und vor denen ich großen Respekt hatte.
Ja, so kommt die Globalisierung auch in jede kleine Hütte und noch so kleinen Winkel der Welt, sofern Elektrifizierung - nicht unbedingt durch Lenin oder wen auch immer persönlich - vorhanden.

Aber die Hauptperson will mir der Onkel erscheinen. Dein Onkel,

lieber randundband,

wirkt inzwischen auf mich wie ein lieber, alter Bekannter (bin ich doch schließlich lang genug mit euch gen Westen gerumpelt). Doch mein Bekannter stammt vom Niederrhein und ein großer Kabarettist von dort – Hans Dieter Hüsch – hat die Leute vom Niederrhein treffend charakterisiert, die von Nichts eine Ahnung haben, aber zu Allem etwas sagen, obwohl sie in ihrer Sprachkultur ähnlich strukturiert sind, wie die Friesen. Ein durchschnittliches Gespräch lautet da etwa „Wie isset?“ - „Jut!“ – „Dann is’ ja jut.“ (mit der Variante, wenn man dem Fragenden eine Freude machen will: „Wie isset?“ – „Mut!“ – „Wat mut, dat mut!“, das "mut" so kurz wie ein Muss ausgesprochen). Und in aller Tragik steckt wie in Deiner Familiensaga Komik, dass ich schon auf eine Schelmengeschichte warte ...

Mir gefällt die Geschichte, obwohl ich überhaupt nicht mag, dass z. B. Firmen oder Marken genannt werden, nicht allein wegen der möglichen Schleichwerbung, sondern weil immer mehr Namen sich als Schall und Rauch und bedeutungslos herausstellen. Aber bei T. wird ja die Herkunft des Gerätes aus dem fernen Westen angezeigt. Aber allemal bleibt noch einiges an Kleinkram zu bewältigen.

Das erste Mal, dass ich diesen Satz gehört habe, war 1990, als der Zusammenbruch der Sowjetunion unvermeidlich schien.
Mein Klassen- und Deutschlehrer auf der Realschule sagte immer, nur die Sonne scheine, selbst der Mond habe sich das Licht nur geliehen, und empfahl darum, dem unscheinbaren „scheinen“ eine Infinitivkonstruktion anzuhängen – also besser vllt.
…, als der Zusammenbruch der Sowjetunion unvermeidlich [zu sein] schien.
Der Duden verwendet dieses Verb auffällig selten in seiner Grundform und wenn, dann um eine Vorsilbe erweitert als „erscheinen“, was vllt. das Klügere wäre zu verwenden, denn obwohl die Redaktionen opportonistisch handeln, sind es doch alle Klugscheißer und kaum jemand vom Niederrhein.
…, als der Zusammenbruch der Sowjetunion unvermeidlich [er]schien.
Gegen Ende der Geschichte gelingt’s doch
Es schien mir das erste Mal zu sein, …

Dass dieses Problem hier niemand auffiel, wundert mich eher
…, denn sie hörten Radio viel lieber, als sie fernsahen.
Besser mit der Konjunktion „dass“, da Du sonst behauptest, dass die Eltern gleichzeitig Radio hörten und fernsähen, wenn auch mit geringerem Interesse (zumindest liefen Radio und TV-Gerät gleichzeitig), besser also
…, denn sie hörten Radio viel lieber, als [dass] sie fernsahen.

Die feinen Schneekrümmel … Zwei dieser Krümmel …
Ja, so spricht der Schmock, aber es kömmt nicht von krumm/krümmen, sondern vom Krümel …

Eine freie Meinung zu haben, ist unserem Volk nie wohl gekommen.
Warum das Partzip des Verbs kommen?, wenns doch eine treffendere Zusammensetzung gibt:
Eine freie Meinung zu haben, ist unserem Volk nie wohl [be]kommen,
dass zudem einen engen Zusammenhang zwischen dem, was man bekommt, und dem, was einem weniger gut bekommt zulässt.

Besser so viel nicht als Konjunktion:

So[…]viel ist klar.“

Hier scheint mir die Fälle-Falle zuzuschnappen (jedenfalls sträubt sich das Sprachgefühl, der Bart und das Haupthaar - alles andere wird durch die Kleidung niedergehalten), statt
… und den Kopf in die Schultern vergraben
will esin mir lieber ein
… und den Kopf in [den] Schultern vergraben.
Aber vorsicht, ich kann mich auch irren ...

Bissken Zeichensetzung (oft, aber nicht immer, bei Relativ- und Infinitivsätzen, siehe schon einf. Zitat), hier aber mal in einer schlichten Aufzählung (die Adjektive lassen sich gefahrlos durch ein schlichte „und“ verbinden)

… die aus den kleinen[,] vergitterten Öffnungen …
In unserer Küche roch es würzig nach indischem Tee, den mein Vater über seinen Bekannten bei der Flotte besorgt hatte[,] und alle lauschten den bewegten Zeiten,
…, dass er versuchte[,] ihren Wirkungsradius auf das Minimum zu begrenzen.
Es war auch mein Onkel[,] der sagte, …
… und die Regeln[,] die sie haben, sind gut für uns.“
…, erklärte er uns, wie es um die oder jene Sache tatsächlich stand[,] und behielt damit jedes Mal recht.
Andererseits hielt ich das für unhöflich[,] einfach in mein Zimmer zu gehen.
Ich will nicht wissen[,] wer Weltmeister wird[,] und …

Hier solltestu zur Unterscheidung der wörtl. Rede innerhalb der wörtl. Rede des Onkels ein einfaches Gänsefüßchen nehmen, also statt „/“ besser ‚/’
Dann fuhr er fort: „Manchmal versuche ich, mich absichtlich zu irren, aber auch das gelingt mir nicht. Da will ich etwas Falsches von mir geben, und in diesem Moment erscheint eine Stimme in meinem Kopf und sagt mir: [‚]Mach dich nicht lächerlich. Alle wissen doch, dass du es besser weißt. Wozu diese Spielchen?[’] Also sage ich dann doch das Richtige.“

Das Ganze ist ohne Gewähr. Mag sein, dass der eine oder andere Schnitzer mir jetzt durchgegangen ist – aber jetzt wäre richtig zu suchen … und ich wirk nur pingelig

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Friedel,
tut mir leid für die späte Antwort. Freut mich, dass du die Geschichte mochtest. Diese hier und auch die andere von mir, die du kommentiert hast, sind so eine Art Annäherungen, an etwas Längeres was ich gerne schreiben würde, sobald ich wieder etwas Zeit habe.

dass ich schon auf eine Schelmengeschichte warte ...
An einer Schelmengeschichte führt wohl kein Weg vorbei.
Auch einen großen Dank für deine Mühe bei der Fehlersuche. Dass da noch so eine Menge drin steckt, hätte ich nicht gedacht. Werde unbedingt die Tage alles korrigieren.
Habe mich über deinen Besuch und deine charmante Korrektur gefreut.
lg, randundband

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom