Was ist neu

Der weiße Strand

Beitritt
18.01.2004
Beiträge
6

Der weiße Strand

Es ist windig. Auf dieser Wiese stehen zwei Menschen zwischen den Blumen und sehen sich an. Sie stehen im Schatten eines großen Ballons und schweigen. Es sind im Umkreis ein Wald zu sehen und ein Haus, und als die beiden in den braunen, groben Korb treten, hört man in der Ferne einen Schuss, der einem wie ein Signal vorkommt. Aus dem Schornstein des Hauses steigt Rauch auf und der Wald ist dunkel und Kalt, obwohl die Sonne scheint.
Das Feuer unter dem Ballon zischt, und der Ballon steigt langsam auf, erhebt sich über den Wald und das Haus und über die Blumen auf der Wiese. Sie sind jetzt dort oben über den Dingen und schauen hinab.
Maria steigt auf den Rand des Korbes und sagt:
„Sieh her, es ist ganz einfach, die Wolken können es auch. Es ist leicht zu sterben, deshalb sind wir Fische. Fliegende Fische, die eigentlich in das Meer gehören.“
Marten sieht sie entsetzt an und sagt:
„Ich lass dich nicht fliegen du, du kannst nicht fliegen. Wir gehören ins Meer, wir müssen ins Meer, ins Meer ins blaue Meer müssen wir.“
Der Ballon ist hoch oben. Das Haus und sein Rauch wirken klein. Sie steht auf dem Rand des Korbes, ihre blonden Haare wehen im Wind. Marten umklammert ihr Bein und sie sagt:
„Sieh her, sieh nur her. Lass mich los.“
Aus dem Schornstein steigt weiterer Rauch auf. Marten sagt:
„Steig hinab, Marie, wir fliegen zum Meer, denn da gehören wir hin, ja, steig nur hinab, ich verspreche.“
Eine Wolke zieht vor die Sonne, als sie zum Meer fliegen, dass heute recht blau ausschaut.
„Hinab, hinab Marten, du hast es versprochen, dass wir ins Meer fliegen.“
Die Wellen, zusammen mit dem Licht klingen wie eine Klaviersonate.
„Da sind wir Marie, hinab in das Meer.“
Der Ballon senkt sich, die Flamme über Martens Kopf wird kleiner, und der Ballon schwebt langsam hinab, in einem Bogen über die Strandkörbe und Rettungsschwimmertürme hinweg, über die Holzbuhnen hinweg schwebt er auf das offene Meer hinaus. Sie steigen weiter hinab und Marten sagt:
„Da sind wir, wir sind Fische und gehören ins Meer, fliegende Fische sind wir. Sie stehen jetzt in der Luft und der Korb setzt auf der Wasseroberfläche auf und als das Wasser den beiden bis zu den Knien geht, verdeckt eine Wolke die Sonne, und diesmal sieht Maria hoch in den Himmel, und entdeckt, das da viel mehr graue Wolken kommen werden, als ihr lieb ist. Sie watet in dem Korb umher, zieht ihren roten, knielangen Rock nach sich, der Wind weht ihr die blonden Haare nur so ins Gesicht. Sie streicht sie jedoch mit einer schnellen Bewegung weg.
„Oh nein Marten, was machen wir nur? Zu sterben ist es furchtbar einfach, ich bin furchtbar zugänglich für dieses Nass. Deshalb sind wir Vögel.“
Und sie schlägt ihre Handflächen enttäuscht auf die Oberfläche des Wassers, neigt ihren Kopf leicht zur Seite. Auf ihrer Stirn sind einige Falten zu erkennen.
„Es ist zu spät jetzt. Wir sind schwimmende Vögel, Marten. Schwimmende Vögel, die eigentlich in den Himmel gehören. Ich kann nicht schwimmen.“
Er stütz sich mit den Ellenbogen auf den Rand des Korbes und sieht mit zusammengekniffenen Augen an den Strand.
„Komm Marie, wir schwimmen an den Strand, an den weißen Strand schwimmen wir, ja?“
Der Ballon steht hoch in der Luft, der Korb ist jetzt ganz unter das Wasser geraten, und Maria klammert sich an Martens Schultern fest. Er schwimmt in langen, kräftigen Zügen dem Strand entgegen. Die Wellen schlagen Marten ins Gesicht, Marias blonde Haare wehen im Wind, nur im Nacken sind sie etwas nass geworden. Die Sonne ist wieder hinter der Wolke hervorgetreten, die sie verdeckt hatte.
Sie gehen langsam, in langen Schritten auf den Strand zu. Maria zieht ihren Rock hinter sich her, der im Wasser eine dunkelrote Farbe hat.
Am Strand angekommen setzen sie sich an den Strand, und der Sand klebt ihnen sofort an den Kleidern. Sie sehen dem Ballon zu, wie er ins Meer gleitet, die Flamme ist inzwischen erloschen.
Maria hat die Beine übereinander geschlagen, und lässt sich den Sand zwischen die Finger rieseln, wie eine Sanduhr. Marias Hand ist eine Sanduhr.
Marten schaut in die Ferne, und hat sein Gesicht in tiefe Falten gelegt.
„Es ist sehr leicht zu sterben, Marie. Und deshalb sind wir Tiere, Tiere, die an den Strand gehören. Wir gehören an den Strand, an den Strand, an den weißen, weißen Strand gehören wir.“
Maria nickt, und sieht traurig auf ihre Hände.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom