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Der Weg ist das Ziel und zwar Chronometer für Chronometer
Kurz nach dem aufwachen am frühen Morgen die gleichen Fragen, Verwirrungen und Irritationen:
„Wie spät ist es? Habe ich verschlafen? Welcher Wecker geht nun vor, welcher nach, geht gar einer richtig oder ist womöglich einer stehen geblieben, mussten die Uhren eventuell umgestellt werden, und wenn ja; wohin?“ Zwei Wecker, zwei Zeiten. Zu große Herausforderungen am frühen Morgen und die Zeit rennt dabei beharrlich weiter. Bestrebt rechtzeitig seine Termine einzuhalten und nicht zu spät in den Tag zu starten, bleibt einzig der Radiomann, der einen über den Äther mitteilt ob man den heutigen Tag mit oder ohne Zeitnot beginnen muss. Eine Art russisch Roulette. Der Zeitzünder wird mit der eigenen Niederkunft gezündet, die Zeitbombe tickt, allerdings nicht unbegrenzt. - Tick Tack Tick Tack - Zwei Zeiger, ein großer und ein kleiner, und ein Ziffernblatt, die uns unter Zeitdruck setzen. Heutzutage geht das natürlich auch schon ohne Zeiger, wir haben die Zeit zeitgerecht digitalisiert, einer der wichtigsten Fortschritte im letzten Jahrtausend, so etwas sollte natürlich nicht unerwähnt bleiben.
Radiomänner und auch –frauen sind unbarmherzige Zeitgenossen, denn teilen sie einem gnadenlos die Zeit mit, da kennen die nix. Sicherlich ist ein Kontrollanruf danach bei der Zeitansage schwer notwendig, denn schon ein gewisser Lenin äußerte in vergangenen Zeiten: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Merkwürdigerweise fangen meine Tage zeitlebens immer mit Zeitnot an, was mich zwangsläufig unter Zeitdruck setzt. Mein Zeitgefühl hängt immer hinterher, vermutlich drei Monate, denn die bin ich zu spät geboren worden. Wahrscheinlich werde ich also bis zum Ablauf meines irdischen Zeitvertrages so um mindestens drei Monate meines Lebens beschissen. Prima, darf ich also mit meiner Zeitlichkeit noch zeitsparender haushalten. Das ist mehr als zeitraubend. Verflucht, ich bin mit einem Zeitfehler auf die Welt gekommen.
Ein Leben im Dauer-Jetlag.
Das fängt ja gut an.
Da mein Leben aber erheblich mehr Zeitaufwand in Anspruch nimmt, als auf meinem Zeitkonto für mich zur freien Verfügung steht, war es naheliegend ein Zeitdispo bei meiner Zeitbank auszuhandeln, leider jedoch erfolglos.
Meine Zeitfrage bleibt unbeantwortet und meine Zeit knapp.
So kann es nicht weitergehen, ich werde mein zeitliches Schicksal also selber in die Hand nehmen müssen und mich auf die Suche nach Zeit begeben. Im hiesigen Zeitlauf sollten doch mindestens lächerliche drei Monate für mich locker übrig sein. Vielleicht sollte ich diesbezüglich Zeitzeugen zu Rate ziehen. Möglicherweise können diese mir von überflüssigen Zeitvorräten oder -depots in geheimen oder ungenutzten Zeitzonen erzählen, von denen ich mir etwas auf mein Zeitkonto gutschreiben lassen könnte. Nur, Zeitzeugen sind rar, woher also nehmen? Oder ich suche die ortsansässige Zweigstelle der Bundeszeiterfassungszentrale auf und beantrage für mich auf Amtswegen ein Zeiterfassungsgerät; was aber schon aufgrund der Behördlichkeit nicht zur Zeitersparnis führen kann und somit auch nicht zeitgemäß ist. Bleibt noch der Zeitfaktor meiner Mitmenschen. Wenn mir jeder Bundesbürger nur eine Minute seiner Zeit schenken würde, dann könnte ich zwar gar nicht ausrechnen wie viel Zeit da für mich insgesamt bei rumkommen würde, (bin ich doch keine Mathemagierin.) aber es wäre mit Sicherheit ein für mich zufriedenstellendes Ergebnis. (Laut Statistischem Bundesamt zählt die BRD 82 260 00 Einwohner, da könnten gut und gerne gut 15 Jahre für mich bei rausspringen.)
Selbst ist die Frau. Nichts wie raus auf die Straße und meine Mitmenschen die mir begegnen nach Zeit fragen. Da bei einer solchen Aktion mit einem immensen Zeitaufwand zu rechnen ist, bleibt schwer zu hoffen, dass dieser Zeitvertreib nicht zu meinem zeitlichen Nachteil gereichen wird. Der Zeitgeist kreist immerwährend barbarisch mit seinen kruden Zeitspannen zeitgefräßig über mein Deez. Mir fröstelt und mir wird bewusst, dass es brutal an der Zeit ist zu agieren. Der nächst Beste, der mir begegnet, wird kurzerhand nach Zeit gefragt.
Kurze Zeit später der erste Zeitgenosse, der von mir unter die Zeitlupe genommen wird:
Ego: „Entschuldigen Sie bitte, haben Sie vielleicht etwas Zeit?“
Kurzer Blick von dem Unbekannten, und eine hastige Antwort unter geschäftigen Schritten: „Tut mir leid, keine Zeit. Zeit ist Geld, Sie wissen schon. Vielleicht ein anderes mal.“ Und weg war er. Nur nicht entmutigen lassen, obwohl der Zeitgeschmack bitter auf meiner Zunge liegt. Bonbon lutschen und den nächsten fragen:
Ego: „Äh, hallo, Entschuldigung, haben Sie vielleicht Zeit?“
Fremder: „Wofür?“
Ego: „Na, für mich.“
Fremder: „Wie, für Sie?“
Ego: „Nun, bevor meine Zeit knapp wird wollte ich schon mal präventiv Zeitpunkte sammeln für meinen Zeitplan, damit mein Zeitgeber mir als Zeitnehmer mein Zeitkonto nicht vorzeitig sperrt weil ich zeither unerlaubt Zeit überzogen habe. Leider haben mittlerweile sämtliche Zeitgeschäfte Insolvenz beantragt und da schien es mir zeitnah meine Zeitgenossen um Zeit zu bitten. Ich verlange auch gar nicht viel Zeit, sagen wir mal so dreißig Minuten, könnten Sie diese vielleicht entbehren und mir als Zeitgewinn auf meinem Zeitkonto fristgerecht zum nächsten ersten überweisen? Ich hätte auch nichts gegen einen Zeitvertrag einzuwenden, allerdings würde ich, bevor ich unterschreibe, diesen erst von meinem Anwalt gegenlesen lassen wollen. Die anfallenden Zeitkosten müssten dann Sie übernehmen, was auch auf der Zeitrechnung quittiert werden würde, damit Sie nicht unverschuldet in Zeitverzug geraten. Sie sehen, Sie werden keine Verluste machen, was ja so gesehen im Raumzeit-Kontinuum eh nicht möglich ist, da theoretisch alles relativ, Sie verstehen?!“
Fremder: „Nein, aber für solch’ einen Schabernack ist mir meine Zeit zu schade, hier ich schenke Ihnen meine Zeitschrift dann haben Sie zumindest Zeitweilig zu tun und nerven ihre Mitmenschen nicht und rauben ihnen schweinheilig ihre kostbare Zeit. Tschüß!“
Schade, schon wieder ein fehlgeschlagener Versuch, die Zeitwert AG passt sich dem DAX an, äußerst beunruhigend. Aber ich bleibe weiter am Ball des Zeitgeschehens. Da begegnet mir eine Passantin mit Blick auf ihre Armbanduhr, ein Profi, wie mir scheint:
Ego: „Hallo, hallo, entschuldigen Sie bitte, gute Frau, ich hätte da mal eine Frage.“
Passantin: „Ja, bitte? Aber schnell, ich habe es eilig und ich möchte pünktlich sein.“
Ego: „Sehr lobenswert, genau darum geht es auch bei mir. Sehen Sie, ich bin mit einem Zeitfehler auf die Welt gekommen und darum ist Zeitmangel bei mir genetisch bedingt, meine Lebensuhr geht nach, Sie verstehen? Ich bin so gesehen auf Lebenszeit dazu verurteilt dem Leben hinterher zu rennen. Die Zeitspanne zu mir und dem Leben hier auf Erden dem ich so bemüht hinterher haste beträgt mindestens ganze drei Monate. Da dachte ich mir, dass Sie mir vielleicht ein paar Minuten Ihrer Zeit gutschreiben lassen würden, damit ich eine Chance habe, mit der Zeit ins reine kommen zu können.“
Passantin: „Ich kann Ihre Zeitnot gut nachvollziehen aber leider kann ich Ihnen nicht helfen, denn ich bin auf die Sekunde genau pünktlich auf die Welt gekommen und lebe zeitlebens im Einklang mit der Raumzeitschwingung. Aber ich gebe Ihnen mal die Adresse eines Bekannten. Der ist eine sogenannte Frühgeburt, zudem kann er mit seiner Zeit nichts anfangen und ist von daher seit etlichen Jahren als Zeitdealer unterwegs und verdient seine Brötchen mit dem Verkauf von Stunden. Er ist nicht billig, viele Außenminister, wichtige Geschäftsleute und Manager u.s.w. sind seine Kunden, vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen. Hier bitte, seine Adresse!“ Sie reichte mir einen Zettel mit der Anschrift des Zeitdealers. Ich nahm den Zettel dankend entgegen und fragte noch: „Können Sie mir denn vielleicht noch sagen wie spät es genau ist?“
Passantin: „Ich bitte Sie, ich verrate Ihnen doch nicht meine Uhrzeit. Nur so viel, der zeitliche Aspekt ist immer wesentlich, wird man mit der Zeit doch auch nicht jünger, aber Zeit ist und bleibt unbestechlich. Zeit gibt dem Leben hier erst einen Sinn, nichts ist unmöglich und nichts ist unbegrenzt. Ich habe zwar keine Ahnung wann und wo die Zeit begonnen hat, noch weiß ich, wo sie endet oder enden wird. Ich weiß ebenso wenig ob sie schon immer existierte oder überhaupt wirklich existiert. Nur der Teufel weiß wo Anfang und Ende ist. Aber eines weiß ich sicher, Sie sollten sich beeilen, bevor es für Sie fünf vor zwölf ist. Schöne Zeit noch.“ Nach diesem Satz entschwand sie eilenden Schrittes, um ihre verlorene Zeit, knapp zwei Minuten, wieder einzuholen, ein Ziel was in Kürze zu erreichen ist.
Bevor ich vor Selbstmitleid zerfließe wie die Uhren von Dali renne ich zu den Zeitdealer, der nicht unweit von mir wohnt. Angekommen klingele ich Sturm an seiner Tür und zwar so lange, bis ein etwas betagter Herr mit mürrischem Blick die Tür öffnet: „Ja?!“ entgegnet er mir leicht gereizt. Unbeachtet dessen lächle ich ihn freundlich an und frage ihn unverblümt: „Haben Sie Zeit für mich?!“ „Wie viel?“ fragte er kurz und knapp zurück. Aha, dachte ich, zeitsparende Fragen und Antworten, der Mann ist Profi, das merkt man sofort. Ego:„ Na ja, kommt drauf an, was kostet denn so die Stunde?“ Er: „150,- € zzgl. Mehrwertssteuer, ist zur Zeit ein Sonderangebot und nur noch diese Woche gültig.“ Ego: „150,- € ????!! Das ist ein Sonderangebot? Wer kann sich denn bitteschön auch nur eine Stunden leisten?“ Er: „Wie viel nun?“ Ego: „Sehen Sie guter Mann, ich habe weder Zeit noch Geld könnten wir trotzdem irgendwie ins Geschäft kommen?“ Er: „Dann besorg Dir doch ’ne Zeitarbeit!“ brüllte er förmlich mit einer Prise bösen Sarkasmus und knallte die Tür zu. So ein Arschloch.
Die Kirchenglocken indes läuten zur nächsten vollen Stunde.
Ein, zweifelsohne, eindeutig deutliches Zeichen.
Meine biologische Uhr lässt mich des Weiteren zu dem untrüglichen Entschluss kommen, dass ich wieder einmal zu irgendwann in irgendwo bei irgendwen oder -was zu spät sein werde. Versuche verzweifelt, mittels Bodybord, mich auf die Wellen der Raumzeitschwingung zu befördern, mit dem Zweck eine eventuelle Zeitmaximierung für mich zu erzielen.
Die Zeit drängt und drängelt.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es so salopp, aber was, wenn das Leben einen um seine Zeit betrügt? Gewinnt Zeit denn wirklich erst im Laufe des persönlichen Zeitalters an Gewichtigkeit? Was bezweckt Zeit und wann spielt Zeit eine wichtige Rolle? Was passiert, wenn wir alle Zeitmesser, Zeitworte und Zeitbegriffe auf diesem Planeten zeitgleich ersatzlos eliminieren würden? Wären wir dann alles Zeitlose und somit alle gleich? Würde es dann noch ein altern oder die Vergänglichkeit geben?
Wo rennt denn die Zeit überhaupt hin? Wo tickt sie, wer nutzt sie und wer hat wirklich an der Uhr gedreht und genau, zurück zum Wesentlichen:
Ego: „Wie spät ist es denn eigentlich nun?“
Alter Ego: „Genau 12:04 und 36 Sekunden.“
Ego: „Vielen Dank!“
Alter Ego: „Keine Ursache.“