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Der Weg des Araat
Tief in seinem zentralen Hirn gab es eine Gewissheit: der Weg ist das Ziel. Noch tiefer lag die Gewissheit, daß es am Ende dieses Weges ein endgültiges Ziel geben würde.
Araat verharrte einen Moment am Fuß des Berges, es drohte zur Zeit keine Gefahr. Sein Erinnerungsvermögen kam nur langsam zurück. Die acht Beine verharrten still, und hielten den fetten schwarzglänzenden Körper nur etwa einen halben Meter über dem Boden.
Araat war ein arachnoides Gliederwesen der ersten Generation. Nicht groß, nur knapp sechs Meter in der Spannweite seiner Beine. Dünne, hohl gebaute lange Beine, zum Schutz vor der harten Strahlung mit pelzigen Schutzschichten versehen. In seinem Leib verborgen trug er seine Speicherzellen. Irgendetwas darin war wichtig.
Araat versuchte zurückzudenken an den Start seiner Reise. Er blieb stehen, und senkte den Körper bis auf den Boden ab. Jegliche Bewegung erstarb, auch die tastenden dünnen Haare standen still. So konnte Araat die Rechenleistung für die Gliedersteuerung nun vollständig zurückfahren und zentral zusammenziehen, um endlich einmal intensiv nachzudenken, zu analysieren, woher er kam, wohin er ging.
Die alten Denkprozesse krochen aus den Festspeichern hervor, langsam füllten sich seine Erinnerungsebenen, seine Denkfähigkeiten wieder mit Inhalt. Seine Gedanken wurden klarer - das volle Bewusstsein kehrte zurück.
Er schritt seinen Weg den Aufzeichnungen folgend rückwärts ab, berührte in diesen Gedanken immer wieder mit den Gliedern seiner krallenbewehrten Füße diese Markierungen, die den Weg kennzeichneten. Folgte seinen eigenen Spinnensäften, proteastischen Biofluiden, die seinen Körper sicher an der daraus getrockneten Seide über Abhänge und Abgründe getragen hatte. Ein, zwei kleinere Rinder hatten seine biogenen Treibstoffvorräte wieder aufgefüllt, es ging ihm gut, alle Systeme waren soweit in Ordnung.
Doch wieder stieß er an diese Nebelgrenze. Seine Aufzeichnungen endeten in einem dichten Nebel, weiß, ohne Konsistenz, ohne Struktur, nichts war darin. Aufzeichnungsende - oder was bedeutete das anderes?
Es gab für ihn keine Möglichkeit, das herauszufinden, das war ihm so halbwegs klar, und doch versuchte er es immer wieder. Hatte es auch Momente gegeben, in denen er einen Absturz in einen Abgrund dem Weitergrübeln vorgezogen hätte, so war doch diese unbeantwortete Frage nach dem Woher und Wohin etwas, das ihn davon abhielt, seinen Weg zu verlassen. Auch etwas, was er nicht verstand.
Langsam setzten sich seine Tasthaare wieder in Bewegung. Ohne Beobachtung der Außenwelt sollte man nicht allzu lange still daliegen in dieser Welt. Auch dieser erneute Versuch eine Antwort zu finden, war wie all die anderen zuvor ohne Ergebnis geblieben. Er schob die Denkleistung langsam wieder in die selbsttätig interagierenden Glieder seiner Beine, und machte sich so auf den Weg, um wenigstens das Rätsel des „Wohin“ zu lösen, wenn sich das „Woher“ so konsequent verbarg.
Die langen Krallen griffen den weichen Sandstein und hoben den zentralen Körper mühelos die Bergwand hinauf. Er erklomm auch dieses Hinderniss wie all die vergangenen.
Doch oben auf dem Gipfel erblickte er etwas, was ihn überraschte. Wesen - andere Wesen.
Größer als er, aber auch so schwarz, auch mit acht Beinen. Was bedeutete das? War er hier einer der Antworten zu seinen Fragen auf der Spur? Er spürte es instinktiv, er musste dorthin, viel näher heran, dann würde er verstehen.
Er schob sich langsam den flachen Abhang hinab. Er zog ein wenig Rechenkapazität zurück in sein zentrales Denkorgan, ließ den Gliedern nur genug, um langsam voranzuschreiten. Hier passierte etwas Neues, er schob die Eindrücke aus seinem Wahrnehmungsspeicher auch so schnell er konnte in die Festspeicher weg, daß nur ja nichts verloren ginge, daß es nur ja nicht irgendwann wieder in weißem Nebel zerginge.
Araat erreichte die anderen Droiden. Sie standen unbewegt, sehr viel größer als er selbst. Wind umspielte ihr Strahlenschutzhaarkleid an den hohen Beinen. Araats Wegmarkierungen waren hier zuende. Was sollte hier nun passieren? Seine Tasthaare fühlten herum, auf der Suche nach einer Antwort. Etwas glänzte in den Augen der anderen Arachnoiden. Er wusste nicht, was es war.
Etwas bewegte sich, oder nicht? Araat hatte das Gefühl, es würde hier eine Antwort geben. Auf seine Fragen, vielleicht auf den Nebel. Wieder zog er alle Rechenpower aus den Gliedern zurück, um nachzudenken, die Antwort zu verstehen. Nur seine optischen Sensoren lieferten noch ihr Bild. Er sah eine langsame Bewegung, die Augen dort über ihm bewegten sich ein wenig, oder nicht?
Es war eine Vielzahl von zu verarbeitenden Eindrücken, er hatte genug damit zu tun, allein die Bildverarbeitung unter Feuer zu halten.
In seinem Hirn keimte eine Antwort, sie wuchs in ihm in genau dem Maße, in dem sich auch die Augen des gigantischen Arachnoiden über ihm auf ihn zubewegten. Mit dem gesamten Kopf darunter war es eine gleitende, geschmeidige Bewegung.
Die Antwort formulierte sich Wort für Wort. Mit dem Zerbrechen und Auslaufen seines Panzers kam die Antwort näher. Die Beißwerkzeuge des Droiden über ihm zerlegten seinen Leib.
Er begann zu verstehen: das da über ihm war ein Arachnoid wie er, doch dieser war nicht männlichen, sondern weiblichen Geschlechts, und von diesem Weibchen wurde er soeben zerlegt.
Seine zusammengezogene Hirnleistung fehlte ihm in den Gliedern, ein Weglaufen war unmöglich.
Und mit dem letzten Splittern seines Gliederkörpers verstand er, daß das Weibchen, daß ihn soeben zerlegte, nur auf der Suche nach der in seinem Inneren verborgenen Speichern war, seinen erlebten Erinnerungen. Das war die nötige verteilte Erbsubstanz, die zufälligen Mutationscodes für die Arachnoiden. Das war sein Ziel gewesen, seine Aufgabe.
Die Antwort stand klar und deutlich in seinem Hirn geschrieben, er verstand nun, weshalb dies sein Ziel gewesen war, und er glaubte auch beinahe zu wissen, woher er einst gekommen war. Mit dem Splittern seines schwarzen Körpers schwand der Nebel ein wenig.
Dann endlich fanden die mächtigen Kiefer des Weibchens die Speicher, lasen sie vollständig aus, und zerlegten dann die Reste von Araat, um die wertvollen Materialien bei der Produktion der nächsten Generation von arachnoiden Droiden weiterzuverwenden.