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Der Weg der Verlorenen
Ein gedehnter mühsamer Seufzer gab der Mann von sich, als sein Bewusstsein zu ihm zurückkehrte. Er atmete tief ein. Das gelang ihm schwerlich, weil er auf der Stelle empfand, dass die Luft zu trocken und dumpf war. Er atmete gleich aus. Seine Augenlider blieben geschlossen, als ob sie aneinander geklebt würden. Er machte den Versuch, die Augen zu öffnen, was er zuerst nicht fertigbringen konnte. Die heiße Luft füllte weiter seine Lungen ein. Sie schien sogar nesselnd zu sein.
Der Mann erkannte seine Lage, indem er sich zu verspüren befleißigte, wo sich sein Körper in dem Moment befand. Er lag, das war beinahe zweifelsfrei festzustellen. Er richtete sich leidvoll auf, und seine Sicht war immer noch nicht da. Er streckte die Hand nach oben zu dem Gesicht. Mit den Fingern machte er die Augen auf.
Was der Mann vor sich sah, machte ihn stutzig. Eigentlich war das nur eine, was er beobachtete, nämlich homogene Massen an Sand. Er saß mitten in der Wüste. Er stoß einen schwerfälligen Seufzer aus.
Der Mann sah sich um, alles um ihn herum stellte sich als unerschöpfliche Sandmengen heraus. Nichts als Sanddünen bestimmten die Landschaft. Sie waren den riesigen Rücken von irgendwelchen unbekannten Tieren gleich. Mal waren sie riesig, mal bildeten sie nur winzige Wölbungen auf der ebenen Fläche. Die kleinen Wellen deckten die Abhänge und ähnelten der Schuppe vom Fisch. Aber weit und breit gab es nichts als den gelben Sand und blauen Himmel darüber. Er sah nach oben, die helle Sonne, die im Zenit stand, blendete. Der Mann hob die Hand vorhaltend, um sich nicht zu erblinden.
Abgesehen davon, dass die Sonne seinen Gesichtssinn störte, war ihre Hitze dazu kaum auszuhalten. Er schaute sich an, worin er angezogen war. Das waren hellen Hosen, ein weißes Hemd und ein T-Shirt darunter. Die leichten Schuhe vollendeten seine Bekleidung. Er wunderte sich, dass er so anpassend zu der hitzigen Umgebung und dem angleichendem Klima gekleidet war. Nichts Dunkles, was die Hitze gewinnen könnte, hatte der Mann an.
Er schloss wieder die Augen. Es kam ihm zur Kenntnis, dass er sich daran nicht erinnerte, welchen Namen er hatte. Es wird gleich kommen, dachte er anfangs, aber nichts dergleichen passierte. Er saß noch einige Minuten darauf hoffend, dass er sich in jedem Moment besinnen würde. Alles war vergeblich. Er stöberte in seinen Hosentaschen, aber da gab es nur eine Handvoll von Sandkörnchen. Die zwei Hemdtaschen enthielten auch nichts.
Man musste etwas tun. Er wusste nicht, wo er sich befand, und nichts deutete auf seine Identität. Die Gedächtnislücken störten ihn dazu. Auf der Stirn trat der Schweiß heraus, und es wurde ihm klar, dass er ziemlich durstig war. Die brennende Sonne wurde immer mehr spürbar. Er zog das Hemd aus, Gott sei Dank war es weiß, und machte sich ein Kopftuch daraus.
Der Mann sah sich um. Vorne ragte ein etwas höherer Hügel als die anderen heraus. Er beschloss ihn zu erklimmen, damit man sich den Überblick auf die Gegend verschaffen könnte.
Er begab sich langsam dem Hügel entgegen und bemerkte bald, dass der Weg gar nicht leicht sein wird, denn seine Füße blieben in der weichen Bodenfläche stecken. Es war nicht einfach sie wieder herauszubringen. Er hatte trotzdem keine andere Wahl. Zuerst konnte man schätzen, dass die Strecke bis zur Anhöhe nicht mehr als einige hundert Meter betrug. Dann erschloss es sich, dass es der Annahme nicht entsprach. Er wird nicht mehr als eine halbe Stunde einnehmen, vermutete der Mann anfänglich. Bald nahm er die Realität wahr. Er ging schon mehr als zwei Stunden, was ihm die innere Uhr vorsagte, bis der Fuß der Gipfel des Sandbuckels endlich erreicht wurde. Ihm stand noch ein qualvoller Aufstieg bevor. Er setzte sich kurz, um den Atem zu schöpfen. Als er sich erholte, watete er nach oben.
Mit schnell schwindenden Kräften bestieg er allmählich den Gipfel. Es erwies sich gar nicht erfreulich, was sich vor seinen Augen erstreckte. Das war ein endloses Wüstenland, wohin das Auge nur reichen würde. Er fiel kraftlos um. Nach einigen Minuten schaffte er es aufzustehen.
Die Sonne ging schon unter, bald wird es dunkel. Vielleicht kann er sich nach dem Anbruch der Dunkelheit von der Hitze ausruhen. Er drehte sich um und stellte fest, dass etwas wie eine Bergkette hinter ihm ganz fern sichtbar wurde. Er konnte nur ihre Umrisse unterscheiden, weil alles wegen der Wüstenhitze diffus in Erscheinung trat. Er peilte einige Minuten in jene Richtung, bis er vor Freude aufjubelte. Ganz am Fuße dieser Berge zeigte sich irgendwelche Bewegung. Das konnte eine Gruppe von Menschen mit vielen Tieren sein, vermutlich den Kamelen.
Möglicherweise könnte er sie nachholen. Bis zu diesen Bergen gab es wenigstens zehn bis fünfzehn Kilometer, wenn er sich nicht täuschte, was höchstwahrscheinlich war. Trotz alledem beschloss er sich während der Nacht sie zu erreichen. Er schaute noch einmal aufmerksam zu den Menschen, um zu bestimmen, wohin sie sich begaben. Er urteilte nach der Sonne, sie zogen in den Norden. Man musste nur nicht direkt sondern etwas schräghin auf sie zu gehen, damit man ihren Vorsprung aufholen könnte. Es war auch anzunehmen, dass sie über die Nacht eine Rast halten werden. Der Mann hoffte, dass er das Nachholen noch schaffen würde. Er riss die Knochen zusammen und machte sich auf den Weg, denn er hatte keine andere Wahl, wenn er überleben wollte.
Mit dem Anbruch der Nacht wurde es nicht mehr so bullig, umgekehrt es begann heftig zu frieren. Anfangs war es kaum bemerkbar, aber dann wurde der Frost drastischer. Er war zu leicht gekleidet und hatte nichts, was ihn vor der eisigen Kälte schützen würde. Er schritt planmäßig weiter, seinen ganzen Willen gesammelt. Was blieb ihm anders. Der Mann wünschte sich schneller zu dem weiten Gebirge zu gelangen, wo er sich vermutlich irgendeinen Schutz vor dem Frost fände. Wie das angestellt sein könnte, überlegte er sich nicht. Seine Gedanken waren nur damit beschäftigt.
Bald verließen ihn seine Kräfte. Die Zähne klapperten. Er sank auf den Sandboden nieder und rollte sich wie ein Igel zusammen. Das Hemd benutzte er als eine Art Decke. Es fiel ihm ein, dass, wenn er einschläft, kann er überhaupt nicht mehr aufwachen.
„Du musst weitergehen“, hörte der Mann plötzlich eine Stimme zu ihm sagen. War das jemand aus der Menschengruppe, die er vorhin erspäht hatte? Das wäre ein Glück gewesen. Er hob zäh den Kopf. Niemand stand neben ihm. Oben schienen die Sterne und der Mond in die Finsternis rundherum. Es stellte sich kaum möglich vor, etwas weiter als ein paar Meter von sich zu unterscheiden.
„Hallo?“ War das nur ein Traum.
„Das ist kein Traum“, vernahm er wieder die schleppend gesagten Worte. „Du musst weitergehen, sonst holst du dir den Tod.“
„Wer ist das?“ Der Mann blieb weiter sicher, dass es nur in seiner Imagination abspielte, was von vielen Entbehrungen stammte, die ihm in den letzten Stunden zugestoßen waren.
„Das wird dir nicht helfen“.
„Sind Sie wahr? Ich sehe Sie nicht.“
„Das kann sein.“
„Aber wie kann ich denn wissen, dass Sie die Wahrheit sagen? Ich weiß überhaupt nicht, wo ich mich befinde.“
„Das wirst du bald erfahren“, das Gesagte wirkte weiter ziemlich geheimnisvoll und kaum begreifbar.
„Ich verstehe gar nichts. Ich glaube, ich bin verrückt.“
„Das bist du nicht.“
„Das ist es. Ich kenne mich selbst nicht. Ich kann mich sogar nicht mehr erinnern, wer ich bin.“
„Du bist schlicht verloren.“
Der Mann war völlig ratlos. Er konnte noch nicht annehmen, was verloren bedeutete, was ihm bald erschlossen sein würde.
„Sie reden so absonderlich.“
„Das ist meine Aufgabe.“
Das klang noch mehr schrullig.
„Was ist Ihre Aufgabe? Das ist alles Unsinn.“
„Du wirst deine Meinung später ändern.“
„Wo sind Sie überhaupt? Sind Sie nur in meinen Wahngedanken?“
„Ich bin real. Wenn du mich nicht erblickst, dass richte deine Augen auf und schaue den Mond an.“
Der Mann machte, wie es ihm geheißen wurde.
Der Mond fluoreszierte golden. Und der Strahl, den er abwarf, bildete eine breite und gerade Strähne, als wäre sie ein immaterieller Pfad, der ins Nirgendhin führte. Die Mitte des Pfades kreuzte eine dunkle Gestalt. Der Schatten von ihr reichte fast bis zu dem liegenden Mann. Es stellte sich als unmöglich vor, genauer das Wesen zu erkennen, weil die Augen des Mannes sich schon zu der Nacht gewöhnt hatten. Er rührte sich ein paar Minuten nicht von der Stelle, damit sein Augenlicht sich wiederfinden könnte. Im Laufe dieser kurzer Zeitspanne herrschte martialisch totale Stille.
Die kurze Verschnaufpause half dennoch nicht. Nachdem der Mann wieder zu der Gestalt hingesehen hatte, wurde es ihm klar, dass es sich nichts geändert hatte. Nur die Umrisse blieben unterscheidbar.
„Was wollen Sie von mir?“ Er wurde beinahe hysterisch wegen seiner Hilflosigkeit.
„Das hängt alles von dir ab.“
„Hören Sie!“ Er zweifelte daran, dass es sich zu der Situation schickte. „Wenn Sie so weiter reden, werde ich wahnsinnig.“
„Das tust du nicht.“
„Ich will einfach hier raus, aus diesem abscheulichen Alptraum, in dem ich mich verweile.“
„Das ist schon besser. Geh dorthin, woher ich komme.“
„Und wo ist das, bitte?“
„Öffne deine Augen und geh!“ Das geisterhafte Unbewegtsein frappierte den erschöpften Mann.
Er wandte sich von der Gestalt ab. Danach machte er den Versuch sich aufzurappeln, aber es gelang ihm nicht. Seine Beine waren wie verschwollen.
„Du musst das wollen“, hörte er ein Rat. „Dann kann ich dir Hilfe leisten, damit du uns finden könntest.“
Der Mann drehte sich um. Er wollte fragen, wen sie mit uns gemeint hatte, aber der Geist war schon weg.
„Hallo? Sind Sie noch da?“
Keine Antwort. Nur Stille.
Er riss sich am Riemen und kniete sich auf. Nach dem langen Schnaufer schaffte er es zu den Kräften zu kommen und endlich aufzustehen. Er grübelte eine Weile nach, was er zu tun hatte.
Die Schattengestalt hatte im Lichtstreifen gestanden, der einen Weg bildete, somit beschloss der Mann ihn als die Bahn für sich zu benutzen. Er schritt dorthin, von wo sie zu ihm gesprochen hatte. Nach ein paar Schritten bemerkte er, dass seine Beine ihn kaum mehr gehorcht hatten. Sie waren wie mit Blei gefüllt. Jede Bewegung ließ sich anstrengend ausführen, aber der Mann hatte nicht vor stehenzubleiben, denn alles, wonach es ihm jetzt war, lief auf den Wunsch, schnellstens aus dieser Notsituation herauszukommen. Er durfte einfach nicht haltmachen, weil es noch die Nacht war. Er sah ein, es wird am Tag bei stechenden Sonne viel schwieriger sein.
Zur Zeit war er durstig. Wenn die Sonne aufgeht, wird seine Durst riesengroß, und er war nicht sicher, dass er es schafft vorwärtszukommen. Ihn verließ die Hoffnung nicht, dass er am Morgen das Lager der Menschen finden würde, die von ihm am Tag gesichtet wurden.
Der Mann kam zur Besinnung, als er die die Sonnenstrahlen auf seiner Stirn spürte. Es gab eine Gedächtnislücke, die einige Stunden umfasste. Er konnte sich daran nicht erinnern, was nach dem Treffen mit der geheimnisvollen Stimme aus dem Nichts geschah. Er gestand sich selber, dass er trotz aller schleierhaften Unwahrscheinlichkeit kein Bangen davor gespürt hatte. Es war ein bisschen mulmig zumute, aber nicht mehr.
Der Tag trat schon ein. Er wunderte sich, dass er immer noch auf den Beinen war und weiter in Bewegung watschelte. Plötzlich stürzte der Mann um und wurde von dem Aufprall auf etwas Hartes ohnmächtig.
Er erwachte im Schatten, denn es war ihm nicht so heiß. Der Mann öffnete die Augen, er befand sich mitten in einer Felsformation aus verschiedenen gewaltigen Steinen, die eine reichliche Beschattung schufen, in der jeder sich wohl fühlen konnte, wenn man dem gegenwärtig hielt, dass man mitten in der Wüste war. Er stand auf, das machte ihm fast nichts aus. Er fühlte sich wenn nicht erschöpft, dann mindestens etwas ausgeruht.
Sein Blick schweifte durch die ihn umringenden Felsen und die Gegend herum. Keiner war da, wie er sich vorher ausgemalt hatte. Wahrscheinlich waren sie entweder weitergezogen, oder er klügelte sich eine Fehlvermutung aus, dass man sie quer einholen konnte.
Er wusste nicht mehr, was man unternehmen konnte. Es existirte auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Karawane sich als Fata Morgana herausstellen würde, was in der Wüste gar nicht fehl am Platze war. Er sah den Sandboden unter seinen Füßen. Es gab keine Spuren von Menschen oder Tieren.
Er saß mitten in einer Felsschlucht, deren Wände hoch in den Himmel ragten. Große mächtig aussehende Steinsäulen eskortierten deren Seiten. Sie waren mit irgendwelchen Riesensoldaten zu vergleichen, denen es aufgetragen wurde, diese Bodenvertiefung zu wahren. Mit den anderen zahlreichen Erdschollen warfen sie angenehme Schatten, wo die Frische besonders nach der abgezehrten Wüste zu finden war.
Der Mann setze sich auf einen Stein. Es wurde Zeit zu agieren. Man konnte hoffen, dass es in der Nähe etwas Wasser gab. Es blieb nichts anderes, als zu beginnen danach zu suchen. In greifbarer Nähe sah er keine Spur davon, etwas Aufklärung stand ihm bevor. Er entschied sich weiter tiefer in der Schlucht zu schauen. Hoffentlich wäre das die richtige Entscheidung, denn bald würde die Durst unausstehlich.
Er saß noch einige Augenblicke still, bis ein leises Geraschel immer deutlicher zu hören wurde. Zuerst achtete er diesem gering. Es wurde aber lauter, was seiner Aufmerksamkeit nicht entglitt. Er sah sich um.
Zuerst zwei gelbe Augen auf dem Schlangenkopf starrten ihn an. Dann trat die Schlange mit vollem Körper zum Vorschein. Eine kleine entzweite Zunge erschien aus ihrem Mund und wurde dann wieder eingezogen.
Was ist das zum Teufel, dachte der Mann.
Es raschelte lauter. Es war nicht möglich, dass dieser Laut nur von einer Schlange ausging.
Jetzt entwickelte sich der Lärm zum heftigen Grusel.
Seine Annahme wurde zur Gewissheit. Eine nach der anderen kroch noch mehrere wie kleine als auch lange Schlangen aus einem unsichtbaren Versteck heraus.
Auch das noch, der Mann ließ den Mut sinken, als ob noch nicht genug von all dem Pech hätte.
Die Schlangen näherten sich ihm aber nicht. Sie lagen regungslos in ein paar Metern von ihm und beobachteten ihn andächtig. Sie warteten wahrscheinlich seine Reaktion ab. Der Mann erstarrte.
„Du sollst nicht allzu lange stehenbleiben.“
Das war die gleiche Stimme, mit der er in der Nacht gesprochen hatte, nur zischend.
„Das hast du richtig gehört, das sind wir, die dich ermahnen.“
„Scheiße, was seid ihr denn?“
„Er hat uns geschickt.“
„Wer, bitte?“
„Du hast ihn jüngst kennengelernt.“
„Ach, ich dachte, dass es nur meine Traumgespinste gewesen wären.“
„Du irrst dich. Deshalb sind wir gekommen, um dir den richtigen Weg zu darzutun.“
„Ich bin durstig. Ich will nirgendwohin gehen.“
„Du musst. Nicht stehenbleiben, sonst können wir dir keine Hilfe erweisen.“
„Seid ihr dazu da?“ Der Mann staunte. Er konnte nicht fassen, wie es überhaupt im Rahmen des Möglichen denkbar wäre, dass er sich mit den Schlangen kommunizierte.
„Das ist unsere Aufgabe“, das hat die Dunkelgestalt schon mal gesagt.
„Warum ist euer Herr nicht selbst gekommen?“
„Er ist nicht allerorts mächtig. Weiter sind wir seine Helfer.“
„Wie soll ich denn weitergehen. Ich habe fast keine Kraft mehr. Ich sterbe bald vor Durst.“
„Du musst jetzt deinen Weg fortfahren, nur den Würdigen vermögen wir beizustehen. Du musst all deinen Willen zusammenknüpfen.“
Der Mann wurde ruhiger.
„Und wohin muss ich gehen. Ich weiß nicht, wo ich bin.“
„Folge uns!“ Vernahm er den kaltblütigen Befehl.
Die schlichen um ihn herum. Jetzt sah er die richtige Zahl von den Kriechtieren. Sie waren einige hundert, was jedem ungetümes Fürchten einjagen würde.
Der Mann sah nur keinen anderen Ausweg, als ihnen hinterher zu laufen. Die Schlangen steuerten in die Schlucht hinein. Alles sah ziemlich entartet aus, wenn man sie von der Seite ansah. Ein ermatteter Mann hinkte dem Ruder von Reptilien her. Bald waren sie am Ende des felsigen Schlundes. Er endete mit einer Höhle, die von beträchtlich hohen Seitenwänden umrahmt war.
Der Mann stoppte kurz.
Die Schlangen verlangsamten sich nicht und krochen immer weiter. Sie würden auf ihn nicht warten wollen.
„Folge uns!“
Es dünkte, dass ihr Geist in dem seinen fest zugegen wäre, sodass seine Beine nicht ihm Gehör gaben, sondern taten alles, was dem Schlangenverstand lieb wäre. Aber das spielte keine Rolle, er würde sowieso darin gehen.
Bald wurde er in die völlige Dunkelheit verschlagen. Wenn es keine leuchtenden Augen von den Kriechetieren gäbe, dann würde er sich bestimmt verirren. Außerdem könnte man bei fast dämpfender Stille die schneckelnden Geräusche vor sich hören.
Der Mann versuchte doch etwas zu unterscheiden. Das gelang ihm während des mehrstündigen Marsches nicht. Als er in die Höhle einging, bemerkte er oben traubenweise hängende Fledermäuse, die bei ihm den Anschein der stummen Heger von der Schlotte erweckten. Sie blieben geräuschlos.
Was ihm mehr Freude bereitete, war die behagliche Kühle. Er musste nicht mehr von der drückenden Hitze schwitzen, obwohl die starke Durst noch ihm sowie große Sorgen als auch viele Umstände machte. Er wusste nicht, wie lange er noch im Dunkeln sich stehlen würde. Sehr erstaunlich war das, dass er sich nicht einmal während des ganzen Wanderns stolperte.
Bald wurden das schleichende Knistern der Schlangen immer leiser. Er wäre dabei beinahe in Angst versetzt, aber das kleine Licht am Ende des Tunnels eräugte er zu seiner Freude. Seit diesem Moment nahm er akustisch nichts auf. Alles, woran er denken könnte, war der weiße Punkt weit weg.
Das war der Ausgang aus der Höhle, der sich mit einem Vorsprung endete. Der Mann würde zu seiner Freilassung aus den finsteren Fesseln rennen, aber humpelte nur bummlig, das wäre alles, wozu er in jenem Moment tauglich war.
Auf dem Vorsprung musste er stehenbleiben, denn darunter klaffte ein Furcht erregender tiefer Abgrund. Er hockte sich auf die Knie.
Noch ein Hindernis war zu überwinden.
Er sollte sich nicht davor schrecken, das nahm sich der Mann fest vor. Er wird noch ein wenig Rast haben, und dann kann man den Ausweg suchen.
Nachdem er zum Verschnaufen gekommen war, spähte er nach vorne aus, was ihn erwartete. Der Ausgang in der Höhle stellte ein Loch in einem immensen Felsberg dar. Vor dem Berg streckte sich ein endloses Dünental.
Was für ein Glück!
Ganz in der Mitte des Tals schien etwas von Menschenhand Erbautes zu sein, was an die Mauern einer Stadt erinnerte. Der Mann rieb ihm die Augen und vergewisserte sich, dass es wirklich um eine Siedlung ging, nach deren Größe er noch nicht beurteilen konnte. Es war noch ziemlich weit dahin. Sicher würde er dort Wasser finden.
Hoffentlich ist das keine Mirage.
Er sah in beide Seiten von dem Felsabsatz. Glücklicherweise waren die Felsen nicht glatt und bildeten eine Art von der Treppe, so dass man, wenn er vorsichtig sein wird, hinabsteigen könnte. Der Mann hatte keine Geübtheit im Bergsteigen, aber er hob seine ganze Geschicklichkeit und Behutsamkeit auf, um heil den Abstieg zu bewältigen.
Etwa zu Anbruch der Nachtstunde wurde er mit der vorletzten Erschwerung fertig. Viele Schürfwunden und miese Prellungen übersäten seinen gesamten Körper. Die Kleidung war an vielen Stellen übel zerfetzt. Aber das wäre nichts im Vergleich dazu, was er davor schon erlitten hatte.
Er fühlte sich recht ausgegangen. Trotzdem begehrte er heftig nur eines, dass er baldigst den Unterkunft erlangen würde. Darum beschloss er, den Marsch zu der Stadt fortzuführen.
Die Kräfte schwanden zusehends, er war daran in jeder Sekunde geädert umzufallen. Das letzte Gedanke kam zu ihm, dass er es nachts nicht schaffen würde, sich der Stadt zu nahen.
Er erwachte aus der Besinnungslosigkeit, als jemand ihn heftig zu schütteln begann. Er schaute auf das Gesicht eines Soldaten, was er auch von seiner Rüstung raffte.
„Mein gütiger Herr, Sie müssen aufwachen“, wurde er angesprochen.
Alles wäre gut, wenn nicht die Augen des Soldaten. Das waren keine menschlichen Augen, sondern die von einer Schlange. Das ließ den Mann stocken.
„Aufwachen, bitte!“ Das war eine eindringliche Bitte, als ob ihn inständig angefleht hätte.
„Was...“, er strengte sich an etwas zu sagen, aber irgendeine heimliche Gewalt bremste ihn.
„Kommen Sie, lassen Sie mich Ihnen helfen“, der schlangenäugige Soldat versuchte ihn auf die Beine zu kriegen.
„Warum?“ Zwang der Mann die Frage herauszubringen.
„Bald werden die Tore geschlossen, wir müssen uns beeilen.“
„Ich kann nicht, ich fühle meinen Körper nicht“, beschwerte er sich lamentabel.
„Sie müssen“, wiederholte sich der Soldat. Das Weitere, worauf er hingewiesen hatte, verblüffte den Mann. „Ganiel hat das Ihnen bestimmt schon erklärt, dass sie bei uns Schutz finden können. Sie müssen das nur selbst wollen.“
„Wer ist Ganiel?“ Er ahnte, wer das war.
„Das ist unser Geleiter.“
„Geleiter? Aber wohin?“
„Das sind jetzt wirklich zu viele Fragen. Er ist der Geleiter in die Stadt der Verlorenen. Aber gehen sie nunmehr mit uns oder nicht? In einigen Augenblicken werden die Tore geschlossen und die Brücken aufgezogen.“
„Ja, ich gebe mir Mühe“, der Mann setzte sich an, um aufzustehen, und wurde von zwei Händen gleich unterstützt. Das war der zweite Soldat, der von der Seite sie beobachtete.
Der Mann konnte noch den Kopf aufheben und sich versichern, dass es wohl die Mauern der Geisterstadt waren, die er aus der Höhlenöffnung gewahrt hatte. Sie ragten hoch in den Himmel. Vor den Mauern zog ein tiefer Hindernisgraben in die Länge. Ob er leer war oder mit etwas gefüllt, sah der Mann zur rechten Zeit nicht. Nur über eine Brücke konnte man ins Innere gelangen. Sie machten das schleunig, ohne zurückzuschauen.
„Gut, dass er zu sich gekommen ist“, dem Mann schwante es, dass er gleich in Ohnmacht fallen würde, aber er hörte noch ein kurzes Wortwechsel zwischen den Militärmännern.
„Du hast recht, sonst würde er gewiss bis zum Abend nicht überleben. Der Mann kann glücklich sein.“
Und es düsterte wieder.