Der Wanderer
Der Wanderer
Schon wieder war er hier in dieser Bar. Er hatte sich gesagt, er käme nicht mehr zurück, er verließe diesen Ort, doch er saß wieder hier. Zum wievielten Mal war er gegangen? Warum war er wieder hier? Er wußte es nicht, er wußte nur, er hatte es schon wieder nicht geschafft. Was hielt ihn hier? Warum konnte er nicht weg? Es war doch nichts einfacher, als sein Bündel zu packen, seinen Stock in die Hand, seinen Hut auf den Kopf, und los zu gehen. Oder nicht?
Am nächsten Morgen packte er sein Bündel, setzte den Hut auf, den großen, schwarzen, den er immer trug, und ging. Ging den schmalen Pfad den Ort hinaus, hinten zu den Feldern, dort dann rechts in den Wald und den Berg hinauf. Lange ging er, er ging und ging, ohne sich umzusehen. Immer weiter, immer weiter den Berg hinauf. Der Berg, er zog sich dahin, langsam wurde der Wald dünner. Es blieben noch einige Sträucher, ansonsten wurde der Berg kahl. Es war nichts neues, er kannte den Weg, er kannte den Berg. Oben, am Kamm, bog er diesmal nach Norden ab, und blieb auf dem Kamm. Der Weg weiter nach Westen hatte ihn das letzte Mal in die Irre geführt, und, was er nicht verstand, wieder in das Tal, das er gerade verlassen hatte. In die Bar, die er niemals wiederzusehen geglaubt hatte. Gehofft hatte. Vergebens.
Nach Norden, immer weiter nach Norden führte sein Weg. Langsam neigte sich der Pfad talwärts, den Bäumen zu. Er wußte, er konnte nicht den ganzen Tag oberhalb der Baumgrenze bleiben, hier oben würde er kein Quartier finden. Quartier gab es nur unten, unten im Tal, wo die Menschen wohnten. Es wurde schon spät, wenn er nicht bald einen Ort erreichte, würde er im Wald übernachten müssen. Der Gedanke schreckte ihn nicht, er hatte dies schon öfters getan. Es war zwar kalt, seine Kleidung klamm, aber er war wenigstens nicht in dieser Bar. Der einzigen Bar des Ortes, den er verlassen hatte. Verlassen für immer, wie er glaubte, und zu dem er doch jedes Mal zurückkehrte. Diesmal nicht, sein Weg führte ihn nach Norden, seit Stunden nur nach Norden.
Es wurde dunkler, langsam näherte sich die Nacht. Zwischen den Bäumen - ein Lichtschein. Er näherte sich einem Ort, ein neuer Ort. Nur noch wenige Meilen, und er wäre dort. Er schritt voran, immer weiter den Weg entlang, dem Licht entgegen. Wenn das Licht nicht wäre, er hätte sein Nachtlager im Wald aufgeschlagen, auf dem Weg, den er die letzten Stunden entlang gewandert war. Aber so, mit einem Orientierungspunkt, da war es einfach, immer geradeaus, auf das Licht zu. Er erreichte den Ort, zwischen Weiden ging es gerade auf ihn zu, an dunklen Häusern vorbei, Richtung Mitte. Dort, er wußte es schon, war die Bar. Die Bar, in der er auch gestern abend schon gewesen war.
(c) Ingo Zoller, 2003