Mitglied
- Beitritt
- 16.06.2017
- Beiträge
- 11
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Der Wald
Ich lief immer schneller und wich den Bäumen und Wurzeln aus, die dicht bewachsen über den ganzen Waldboden ragten. Eigentlich war ich gar nicht im Stande, diese Geschwindigkeit zu erreichen. Das war wohl das Adrenalin. Ich stolperte über eine Wurzel und fiel erst auf mein Knie, fing mich dann mit den Händen ab. Auf das Blut an meinem Bein konnte ich keine Rücksicht nehmen. Sofort rappelte ich mich wieder auf, um weiter zu laufen. Doch da stand sie direkt vor mir: „Du kannst nicht fliehen! Du hast schon längst verloren!“ Ihre Stimme war bitter und genauso kalt und ausdruckslos wie ihr Gesicht. „Nein!“, schrie ich mit aller Kraft. Ich wusste, dass sie meine Angst nicht nur hören sondern auch fühlen konnte. Ich drehte mich um und rannte so schnell ich konnte in die entgegengesetzte Richtung. Meine Beine bewegten sich wie von selbst. Mir ging nur ein Gedanke durch den Kopf: Das kann nicht wahr sein! Ich muss sofort aufwachen! Auch wenn ich wusste, dass all das hier real war, musste ich daran festhalten, dass es eine Lüge, ein Traum war. Etwas anderes würde ich nicht verkraften. Meine Schuhe knirschten auf dem nassen Laubboden, während der Regen meine Haare ruinierte und meine Wimperntusche verschmierte. Ich keuchte laut und ich war mir nicht sicher, ob es auch ein Schluchzen war. Ich drehte mich noch einmal um, ob sie dicht hinter mir war. Doch plötzlich merkte ich, wie meine Beine zur Seite wegrutschten und mein ganzer Körper den Hang herunter fiel. Ich hielt mich an ein paar Wurzeln fest und schrie laut auf. Ich schaute hinunter. Der Hang war genauso steil, wie tief, aber das Schlimmste war, dass darunter ein tiefer Fluss mit reißender Strömung und spitz hervorragenden Felsen war. Langsam lösten sich die Wurzeln und ich rutschte mit ihnen langsam immer weiter herunter. Mit einem Mal rissen sie und ich rutschte ruckartig ein ganzes Stück weiter nach unten, als ich ein paar andere Wurzeln zu greifen bekam. Ein paar Blätter flogen runter und landeten auf dem Wasser. Sie glitten schneller davon als ich jemals hätte schwimmen oder laufen können. Das machte mir noch mehr Angst. Ich blickte wieder auf meine Hände und die Wurzeln. Mehr Blätter fielen runter und plötzlich erkannte ich… dass es Leichen waren an denen ich mich gerade festhielt. Vollkommen verängstigt und erschrocken kreischte ich. Dann ließ ich los. Ich schaute die Sterne an während ich mit dem Rücken nach unten in Richtung Wasser fiel. Ich dachte an meine Familie, Freunde, die alle tot waren. Dann schloss ich die Augen und spürte, wie mir Tränen hochkamen. Jetzt wehrte ich mich nicht mehr. Ich ließ mich leblos in den Fluss fallen, ließ den Tod zu. Kurz bevor ich unter der Wasseroberfläche verschwand öffnete ich meine Augen ein letztes Mal und sah noch einmal zu den Sternen. Ich war bereit, bereit für den Tod. Ich gab mich ihm hin. Ich hatte jetzt keine Angst mehr davor. Mein Körper wurde mit unglaublicher Geschwindigkeit nach unten und dann mit der Strömung weggezogen. Das war mein Ende. Aber wenigstens hatte ich keine Angst davor. Ich schloss meine Augen, bis das Licht verblasste.