Der Wald
Teuflische Finsternis. Sie umschloß das Wäldchen wie mit eiserner Hand. Grausame Mächte regierten den Ort. Fauna und Flora waren vom Bösen besessen. Sie gehorchten nur noch dem Willen, dessen Werkzeug auch die Schwarze Magie war.
Unheimlich ... .
Irrlichter tanzten umher. Es waren die verlorenen Seelen von Mördern und Verbrechern längst vergangener Zeiten. Bald ... bald würde es soweit sein, wo sie aus ihrer Lethargie erwachen würden, um das Unheil über die Menschheit zu bringen.
Gespenstisch ... .
Kälte! Unglaubliche Kälte! Die Kälte des ewig lauernden Todes durchstreifte den Forst. Sie suchte nach Opfern. Ohne Ruhe, ohne Rast.
Niemals drangen Sonnenstrahlen zwischen den dunklen Bäumen hindurch. Eine satanische Aura schützte den Wald. Ließ nur das Böse ungehindert ein und aus. Irregeleitete Fremde zog er in seinen Bann. Was aus ihnen wird, blieb ein ewig verborgenes Geheimnis.
Die Dämmerung brach herein. Der Horizont glich einem flammenden Inferno. Der Tag des jüngsten Gerichts schien herangebrochen, und niemand auf Erden vermochte das gefürchtete Ereignis aufzuhalten, geschweige denn, zu verhindern.
Instinktiv glitt der Blick der jungen Frau von dem sensationellen Naturschauspiel zu dem rechter Hand liegenden Wäldchen. Ruhig lag es da, doch strahlte es etwas ungewöhnliches aus - nicht definierbar. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Es kribbelte - von den Zehen bis in die Fingerspitzen. Mit einem kalten Schauer versuchte sie das fremdartige Gefühl abzuschütteln. Es gelang problemlos.
Schlagartig wurden Erinnerungen in ihr wachgerufen. Es waren Träume aus Theresias früher Kindheit, die ihr in den Sinn kamen. Sie behandelten immer nur ein Thema. Den Wald! Aber es war nicht irgendeiner, sondern der Wald, der ihr Leben vollständig verändern sollte.
Hatte dieser Wald, der sie auf mysteriöse Weise anzog, mit dem Wäldchen aus ihren Träumen eine Gemeinsamkeit? War es vielleicht nur Zufall? Oder bildete sie sich das alles nur ein? Welche des Thesen entsprach der Wahrheit? Oder gab es gar keine?
"Ist es denn die Möglichkeit?" fragte sich Theresia leise. Ihr Gesichtsausdruck verriet nicht nur Erstaunen, sondern auch Skepsis und Neugierde. Eine äußerst interessante, emotionale Mischung. "Wie kann das nur sein?" wiederholte sie ihre Frage mit anderen Worten. Erneut jagte ein kalter Schauer ihr den Rücken hinab. Das ungewöhnliche Kribbeln, welches ihren gesamten Körper nun durchflutete, war wieder da. Irgendetwas seltsames bahnte sich an.
Theresia wollte der Sache auf den Grund gehen. Die Spannung in ihr nahm unerträgliche Ausmaße an. Sie wollte nicht eher umkehren, bis sie des Rätsels Lösung gefunden hatte.
Nach einem zehnminütigem Marsch über das Brachland, das sie von ihrem Ziel trennte, erreichte die junge Frau den Rand des Waldes. Erneut fröstelte es sie. Ihre Gefühle schwankten zwischen Zuneigung und Ablehnung.
"Theresia, was ist nur los mit dir?" schellte sie sich selbst. "Kannst du nicht mehr unterscheiden, was Illusion und Wirklichkeit ist?" Gleich darauf schüttelte sie den Kopf. Nein, hier ging etwas ganz anderes vor sich, das mit Worten nicht zu beschreiben war.
Ohne sich erst einen ausgetretenen Pfad zu suchen, betrat sie den Wald. Ihre Aufmerksamkeit war nach vorne gerichtet.
Es war wahrhaftig sehr dunkel. Nur schemenhaft zeigte sich die Vegetation. Theresia mußte achtgeben, daß sie sich nicht an herunterhängenden Zweigen verletzte.
Ein markerschütternder Käuzchenschrei erschreckte sie fast zu Tode. Ihr Puls raste, ihr Kopf drohte zu zerspringen. Noch rechtzeitig fiel ihr ein, daß es nur der Ruf eines Vogels war, der ihr die Angst in die Knochen trieb.
Vorsichtig ging sie weiter.
Moment! War da nicht gerade ein Geräusch?
Die junge Frau hielt in all ihren Bewegungen inne.
Ja, da war es wieder! Es ... es hörte sich an, als schläge jemand mit einem Hammer auf einen Amboß. Hatte vielleicht ein Schmied seine Werkstatt hier irgendwo?
Kling! Kling!
Theresia wühlte sich durch das Dickicht. Sie platzte beinahe vor Neugierde. Sie mußte unbedingt herausfinden, was hier vor sich ging.
Kling! Kling! Das Geräusch nahm an Lautstärke zu. Demzufolge näherte sie sich allmählich dem Ursprung.
Kling! Kling! Es mußte hier ganz in der Nähe sein. Nur noch ein paar Meter, dann müßte sie es doch sehen.
Ohne die Gefahr erkannt zu haben, stolperte Theresia über eine wurzelne Fußangel. Gerade noch konnte sie den Sturz abfangen.
Kling! Kling!
Etwas langsamer tastete sich Theresia vorwärts.
Ein Hindernis versperrte ihr den Weg. Die Frau fühlte nach, um was es sich handelte.
"Oh, verdammt, lauter Dornen!" Sie waren nicht besonders spitz, aber dennoch unangenehm. Vorsichtig bog sie die stechenden Zweige des Gebüsches nach beiden Seiten weg. Es kostete sie einiges an Kraft, aber sie schaffte es.
Unglaublich! Theresia stockte der Atem. Was für ein fantastisches Schauspiel wurde ihr hier presentiert. In ihrem ganzen Leben hatte sie so etwas noch nie gesehen. Einige Schritte von ihr entfernt stand ein Baum. Kein gewöhnlicher. Er bestand aus Stein - seine sichtbaren Wurzeln, sein Stamm, die Äste und Zweige mit den Blättern daran.
"Ein versteinerter Baum", flüsterte Theresia fasziniert. Ihr Blick glitt zu dem davorstehenden Grabstein. Er war mit Schmutz bedeckt und an einzelnen Stellen mit Moos bewachsen. Sagenhaft! In dem oberen Teil des Steines steckte ein Schwert. Die Hälfte der herausragenden, zweischneidigen Klinge bestand aus einen glänzenden Metall. Und eben auf diese Klinge fielen rhythmisch Wassertropfen, die die Illusion erzeugten, daß jemand mit dem Hammer auf den Amboß schlug. Parierstange und Griff waren auf das Kunstvollste gearbeitet. Im Knauf steckte ein blutroter Rubin. Um das Mal herum schwirrten kleine Lichter.
"Es ist wundervoll!" Theresia war von dem Anblick völlig hingerissen, auch wenn es sich um eine Totenstätte handelte.
Ein kühler Lufthauch umfächelte die Gestalt der Frau. Sie nahm ihn erst kaum wahr. Ihr Blick haftete unvermindert auf dem ungewöhnlichen Denkmal. Ein unbeschreibliches Gefühl durchflutete sie. Es schien ihr, als bestünde eine Verbindung zwischen ihr und diesem Ort.
"Theresia!" lockte eine fremde Stimme. Sie klang freundlich, besaß jeoch einen schaurig bösen Unterton. "Theresia, du hast also endlich zu uns gefunden. Wir haben bereits auf dich gewartet."
Die junge Frau schaute verwirrt um sich. "Wer ist da? Wer spricht dort? Woher kennen Sie meinen Namen?"
"Ich bin der Wächter! Ich weiß alles über dich, über deine Vergangenheit und deine Zukunft."
"Was wollen Sie von mir? Was ist das hier für ein Ort?"
"Erinnere dich, Theresia! Deine Träume von diesem Wald. Ich habe sie dir geschickt. Sie sollten dich herbringen. Du fragst dich, was das für ein Ort ist? Die Frage ist nicht nötig, denn dein Unterbewußtsein weiß alles, was du wissen willst."
"Ich weiß gar nichts!" wehrte sich Theresia. "Woher soll ich Dinge wissen, die ... .
"Schau auf den Grabstein!" befahl die Stimme hart. "Schau genau hin!"
Die 22jährige trat nahe heran an das Mal. Wie bitte? Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Da stand ihr Name - Theresia von Leichenstein. "Nein, das kann unmöglich sein." Angst wollte sich merkwürdigerweise nicht einstellen.
"Ziehe das Schwert heraus!" befahl der Wächter weiter.
"Warum?"
"Tu es!" dröhnte die Stimme. Sie duldete keine Verzögerungen mehr. "Tu es endlich!" wiederholte der Wächter seine Anweisung.
Theresia trat noch näher an die aufrechte Steintafel heran. Sie war unentschlossen.
"Greife das Schwert und ziehe es heraus, dann wirst du wissen, was ich weiß."
Mit leicht zittriger Bewegung legte die Aufgeforderte ihre rechte Hand um den Griff der Stichwaffe. Sofort verschwanden all ihre Zweifel.
"Ziehe es jetzt heraus!"
"Ja", antwortete Theresia bedenkenlos. Stück für Stück zog sie das Schwert aus dem Stein, und von Sekunde zu Sekunde drang mehr Schwarze Magie in sie ein. Sie wurde von ihr überschwemmt. Alles Gute wich aus ihrem Körper.
Theresia hatte die Waffe nun vollständig herausgezogen. Sie hielt das Schwert am ausgestreckten Arm nach oben. Sturm kam plötzlich auf. Blitze zuckten umher. Theresia stand wie ein Fels in der Brandung.
"Ich bin zurück!" schrie sie. Ihre Augen hatten einen alles zerstörenden Blick bekommen. Das Gesicht war zu einer Maske erstarrt. "Eine Ewigkeit mußte ich warten, doch nun bin ich zurückgekehrt, um die Prophezeiung wahr werden zu lassen. Der jüngste Tag ist gekommen. Nur noch Satan wird über die Menschen herrschen, und ich ... ich werde für immer unsterblich sein."