Der Wachmann
Der Wachmann
Ich bin der Bewacher, und somit der Beschützer der Lagerhäuser. Im Grunde genommen sind es viel mehr Kühlhäuser, zur Aufbewahrung von Lebensmitteln jeder Art, aber dennoch lagern sie doch, auch wenn sie gleichzeitig kühlen und dadurch frisch halten, diese Lebensmittel. Eigentlich sind es nicht irgendwelche Lebensmittel, nein es sind eure, die ihr mit euren Händen hart erarbeiten musstet bis sie den Weg hierhin fanden. Und weil ihr eben soviel und unnachgiebig gearbeitet habt kommen sie hier her, um zu warten bis sie wieder gebraucht werden. Es ist nicht so, dass ein unnötiger Überschuss dieser produziert wurde, nein es ist ein wohl kalkulierter Vorrat der für gewisse Zeiten und Notfälle erarbeitet wurde. Diese sind leider nicht so einfach zu kalkulieren wie dieser Vorrat, weshalb immer mit dem schlimmsten gerechnet werden muss. Man stelle sich nur mal vor, dass aus irgendwelchen Gründen ein Krieg sämtliche Ernten und Bauern vernichten würde. Genau deshalb ist dieses Lager, dieser gesamte Vorrat an frischen und gesunden Lebensmitteln absolut nötig.
Nun wird man sich fragen, wieso denn dieses Lager überhaupt einen Wachmann braucht, wenn der Zweck dessen doch so logisch und nötig ist? Erstens bewache ich nicht nur die Kühlhäuser, sondern kümmere mich auch, wie der Name es einem schon andeutet um den Erhalt der leider so verderblichen Lebensmittel und zweitens gab es doch schon in allen Jahrhunderten der Menschheitsgeschichte Leute die selbst die einfachsten und notwendigsten Dinge nicht akzeptieren wollten.
Die Kühlung der Lebensmittel ist einer der wichtigsten Teile meiner Arbeit, auch wenn er mich nicht sonderlich in Anspruch nimmt. Mindestens einmal täglich muss der Temperaturregler überprüft und den Bedingungen gemäß eingestellt werden. Obwohl dieser Temperaturregler sich automatisch den Klimatischen Bedingungen anpasst, muss er doch von mir überprüft werden, um auf jeden Fall ein vorzeitiges Verderben der Waren zu verhindern. Auch muss ich von Zeit zu Zeit neue Kühler einbauen und das alte festgefrorene Eis von diesen abkratzten um deren einwandfreies funktionieren zu gewährleisten. Einen viel grösseren Teil meiner Zeit verbringe ich allerdings damit, die ankommenden Vorratslieferungen anzunehmen und ihnen die richtigen Plätze im Lagerhaus zu zuweisen. Meistens kommen unerfahrene Lieferjungen, den ich auch den kleinsten Weg und manchmal sogar das richtige, gefahrlose Transportierend er Waren erklären muss. Es gibt verschiedene Abteilungen und diese spalten sich in viele Untergruppen auf. So kommt logischerweise eine Tomate in die Abteilung Gemüse und dann in den für sie vorgesehenen Platz, was davon abhängig ist welche grösse und Herkunft diese besitzt. Aber auch dieses simple Prinzip wollen und können diese Laufburschen nicht verstehen, was zur folge hat, dass ich jeden Weg mit ihnen gehen muss, was eine sehr Zeitraubende Angelegenheit ist. Obwohl ich zugeben muss, dass ich sehr gerne durch diese kilometerlangen Gänge gehe und den Geruch nach Kälte und frische tief einatme. Mit der Zeit ist es sogar eine meiner Lieblingsbeschäftigungen geworden durch die Gänge zu gehen und die vielen Waren zu betrachten. Die Betrachtung dieser schier unendlichen Anzahl von Lebensmitteln fasziniert mich immer wieder. Tagsüber hingegen nehme ich eine menge Anrufe entgegen, in denen es oft um Bestellungen, Lieferungen und die neuesten Einstellungen für Kühltruhen und ähnliche Sachen geht. Ansonsten laufe ich über das Gelände und kontrolliere die Zäune und die Umgebung im Allgemeinen. Aber eigentlich gibt es hier kaum etwas anderes als die Kühlhäuser, die von einem weiten Ackerland umgeben sind. Auch ist dies nicht grade eine bewohnte Gegend, was mir einen Job aber um einiges erleichtert. Unser Gelände wird geschützt durch einen Zaun, keinen grossen auffälligen Zaun, sondern einem ganz normalen Gitterzaun, der nicht einmal mit Stacheldraht umgeben ist.
Die Kühlhäuser selbst liegen nur zu einem sehr kleinen Teil draussen, der Rest liegt unter der Erde, was mir deren Bewachung wesentlich einfacher macht. Schon alleine die Energiesparung die durch diese Lagerung in der Erde entsteht, erklärt deren nutzen. Aber viel wichtiger ist, dass durch das nur klein wirkende Gelände, kaum oder gar keine Aufmerksamkeit erweckt wird. Zwar hat das Gebäude und deren Inhalt an sich nicht viel zu befürchten, aber die gelagerten Lebensmittel sind einfach zu wichtig, als dass man sie auch nur der kleinsten Gefahr aussetzten könne.
Allerdings kommen ab und zu Menschen aus der Stadt, die ich dann, wie es meine Aufgabe ist, am Tor empfange, ihnen aber keine Auskunft über dieses Gelände gebe. Allerdings sind diese meistens schon voll im Klaren darüber, was sich hier befindet. Im Volksmund existieren diese Kühlhäuser nur als Legende, was aber doch einige nicht abschreckt dieser nachzufolgen. Viele dieser „Besucher“ , so will ich sie mal nennen, verschwinden sofort, weil ihnen diese glanzlosen und so winzig wirkenden Gebäude suggerieren hier vollkommen falsch zu sein. Andere hingegen sind sich ihrer Sache nur umso sicherer und beginnen oft hitzige Debatten mit mir am Tor. Oft wird mir von diesen dann vorgeworfen eine ungerechte Sache zu unterstützen, ja die Ungerechtigkeit selbst erst möglich zu machen. Welch merkwürdige Betrachtungsweise dies doch ist! Ich kann mir keine sinnvollere, gerechtere Sache als meine vorstellen! Es ist ja eben auch für sie von grossem Nutzen, wenn der Ernstfall einmal eintreten sollte! Doch auch solche Belehrungen bewirken meistens nichts, sie werden dadurch nur noch aufmüpfiger und beginnen mir ihre abstruse Betrachtung der Welt zu erzählen. Sie selber leben meist in ihrer eigenen kleinen heilen Welt, in der all das dass von draussen grundlegend falsch ist. In dieser müssten alle zu gleichen Teilen die Lebensmittel bekommen bis sie alle aufgebraucht wären, ohne sie später in Kühlhäusern, wie diesen aufzubewahren. So vernünftig diese Sicht am Anfang auch wirken möge, so verliert sie umso mehr daran wenn man sie genauer analysiert. Erstmal geht diese Sichtweise von einer sehr vereinfachten Form des Handels, der Arbeit und der Welt im Allgemeinen aus. Weder leben wir zur Zeit des Tauschhandels, noch ist jede verrichtete Arbeit gleichwertig. Jetzt wo jeder Arbeiter sein Gehalt, entsprechend seiner Arbeit bekommt, kann man doch unmöglich verlangen, dass diese wieder alle gleichgemacht werden, die Arbeitsverhältnisse und sogar die unterschiedlichen Gehälter ignorieren und ihnen ihren Lohn in Lebensmittel auszahlen! Sollten dann nur noch Lebensmittel produziert werden und alle anderen Sachen vernachlässigt werden? Wieso soll ein Angestellter in einem Krankenhaus, der in 3 Schichten zu arbeiten hat, Wochenendarbeit zu leisten hat genauso viel bekommen wie jemand der nur 4 stunden täglich in einer Fabrik arbeitet? Und wer würde überhaupt noch arbeiten wollen, wenn sich seine unterschiedliche Leistung nicht unterschiedlich auszahlt? Alles fragen, von denen es noch hunderte ähnliche gibt die ihre Argumente zerwerfen und auf die diese selbsternannten Weltverbesserer keine Antwort wissen. Sie sind Träumer und Taugenichtse. Man sieht es ihnen meisten schon an und ihre irreführenden, alles gleichmachende Ausführungen beweisen dies zu meist. Die Haare ungekämmt lässig über den Schultern als wäre ihnen alles egal, stehen sie da, rattern ihre unumstößlichen Wahrheiten herunter und fühlen sich besonders emanzipiert und gelehrt. Mit den Jahren habe ich es aufgegeben mit ihnen zu diskutieren, versuche einem Fisch das Fliegen beizubringen, er wird es ja doch nie können! Aber ich will nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt doch solche und solche. Manchmal kamen ganze Familien an, den man den Hunger schon auf ihrem Ausgemarterten Gesicht ansehen konnte, die darum bitteten etwas Brot zu bekommen wenn hier wirklich „die Lagerhäuser“ sein sollten. Diese Situation war mir immer sehr unangenehm und quälte mich auch noch Tage danach. Trotz meiner Dienstbegeisterung bin ich doch kein Unmensch, so kämpfte ich immer wieder mit mir selber, wog alle Möglichkeiten ab, prüfte genau ob ich vielleicht doch eine Ausnahme machen könnte kam aber doch wieder zu dem Schluss, der Gerechtigkeitshalber hier meine Prinzipien und besonders die meiner mir auferlegten Arbeit nicht erweichen zu können. Ihr kraftloses Betteln und flehen verfolgte mich noch über Wochen im Schlaf, weshalb ich mir immer wieder schwor bei ähnlicher Sachlage anders zu handeln, was ich aber nur als guten Vorsatz hielt und niemals wirklich umsetzte. Wie könnte ich auch wo doch meine Aufgabe ist die Kühlhäuser zu beschützen, ihr Geheimnis zu hüten und bedingungslos Sorge für das Unbeschädigte, verlustlose Lagern zu tragen! „ Sie sind sicher selber verantwortlich für ihre Misere, sie haben ihr Leben ja selber in der Hand„, mit diesen Gedanken versuche ich mich öfters zu trösten. Und natürlich gibt es gar keine andere Möglichkeit als diese, sie müssen es selbst durch stetiges Faulenzen bewirkt haben, denn wer hier ehrlich arbeitet der wird nie Hunger leiden! Es kann zwar jedem Mal kurzzeitig passieren, durch eine Produktionskürzung oder sogar eine ganze Produktionsumlagerung auf andere Gebiete seinen Job zu verlieren und wird dann, wie es normal bei uns ist, von den anderen kurzzeitig mitfinanziert, kann sich aber nach kürzester Zeit eine neue Arbeitsstelle suchen.
Der Posten als Wachmann hier war sehr begehrt, er wurde vor vielen Jahren unter besonders fähigen Wachleuten bekannt gemacht, wovon sich gleich etliche bewarben. Aber es gab keine offizielle Ausschreibung dieser Stelle in einer Zeitung oder auf dem Arbeitsamt, es wäre viel zu auffällig gewesen und hätte böse Gerüchte aufkommen lassen, nein sie traten einzeln an besonders fähige und schweigsame Leute heran. Sicher habe ich auschliesslich meiner Kompromisslosigkeit und bedingungslosen Loyalität zu verdanken trotz der harten Konkurrenz die Anstellung bekommen zu haben. Diese stellte ich bei dem Bewerbungsgespräch absichtlich übertrieben zur Schau, weil mir bewusst war welche Art von Mensch sie bevorzugen würden für eine solch wichtige Aufgabe.
Nun übe ich diesen Beruf, es ist eigentlich besser ihn als Berufung zu bezeichnen, schon seit Jahren aus, wobei ich aufgehört habe die Tage und Monate, die an mir vorbeirauschen als würde ich in einem Schnellzug sitzen, zu zählen. All diese Jahre bin ich nun hier, abgeschnitten von der Aussenwelt, meinen Freunden und von fast jeglichem menschlichen Kontakt. Aber es ist nun mal keine Arbeit für Jedermann, wer kann auch schon solche Belastungen und Entbehrungen auf Dauer ertragen? Ich habe allerdings nicht das geringste Recht mich zu beschweren oder auch nur mit meiner Lage zu hadern, denn es ist schließlich immer mein Wunsch gewesen genau dieses Leben für so hohe Ziele führen zu können. Ich beschütze eure Lebensmittel, eure wertvolle Arbeit, geopferte Zeit und Mühe, dessen nicht genug, kann ich damit euch allen in einer Notlage das Leben retten. Auch wenn diese bis jetzt nicht eingetreten ist und niemand die Aufbewahrung dieser Lebensmittel bisher von Nutzen war, so bin ich doch zuversichtlich, nein überzeugt davon, dass er Überlebensnotwendig sein wird! Leider wird bis dahin weiter der Lebensmittelvorrat verderben, wie es sich bis jetzt mit allen gelieferten Waren zugetragen hat. So bin ich hier, drehe meine Runde um das Gebäude und warte auf den Tag an dem der Ernstfall eintreten und man meine wichtige Tätigkeit, deren Nutzen erkennen und zu schätzen wissen wird.