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Der Vorfall in der Nacht vor August
„Oh mein Gott, wie konnte mir das nur passieren. Heute morgen war noch alles okay.. Und dann.. Ach, wieso habe ich nur diesen blöden Test gemacht, am liebsten hätte ich es nie erfahren. Ach oje, er wird böse sein, sehr böse... unendlich böse.. er wird’s mir nie verzeihen.. Was mach ich bloß.. Wie sag ich’s ihm..
Ich koche was Schönes, ja sein Lieblingsessen... Und ich räume auf und ich lege ihm seine Zeitung und seine Hausschuhe bereit. Und ich zieh das enge Kleid an, das er mir geschenkt hat, das ich aber nie anziehen wollte. -Ach, ich bin einfach zu dick, abnehmen wollte ich auch.. Aber das kann ich ja jetzt vergessen.
Die Klingel.. Er ist da.. Er kommt nach Hause.. Ganz ruhig.. Schau verführerisch, Mädchen, schau sexy.. Verführ ihn und dann... erzähls ihm.
...Aber so hat das doch alles erst angefangen..“
Die junge Hausfrau öffnet nervös die Haustür.
„Er hat einen Blumenstrauß für mich.. Ach.. Er ist so rücksichtsvoll, er liebt mich so... und ich, dumme Kuh, muss ihm so etwas mitteilen. Ich hoffe er kann mir verzeihen.. Und Pralinen.. Nein, wie soll ich’s ihm nur klarmachen..“
Der attraktive Ehemann tritt in das kleine Wohnzimmer und überreicht seiner Frau feierlich lächelnd Pralinen und Blumen, dann greift er in seine Tasche, nimmt ein kleines Etui heraus.
Darin befindet sich ein goldener Ring. Der junge Mann steckt ihn seiner Frau an, dazu sagt er: „Als Zeichen meiner Liebe“, aber dann fügt er noch hinzu: “ Wir müssen reden.“
Sie fürchtet sich sehr vor seiner Reaktion, denn er wollte nie Kinder und jetzt ist es passiert.. Er weiß es sicher schon... vielleicht hat er’s an ihrem Bauch bemerkt.. Vielleicht wollte er deswegen in letzter Zeit keinen Sex mehr.
Doch der junge Ehemann wird nicht anfangen von ihrer Schwangerschaft zu reden, denn zu diesem Zeitpunkt weiß er’s noch nicht. Er wird ihr nur von der kleinen blonden Sekretärin erzählen die in seiner Kanzlei arbeitet und, dass er es nicht tun wollte, es ist einfach passiert. Er war betrunken und sie hat ihn verführt und dann sind sie eben weiter gegangen als sie sollten.
Der junge Mann wird nach einem Funken von Verständnis in ihren Augen suchen, er ist doch nicht schuld. Von Anbeginn der Zeit war es des Menschen größter Reiz, das Verbotene.
Wenn er in ihren versteinerten Augen nichts als Hass findet, wird er es aufgeben. Er wird durch das kleine Wohnzimmer, vorbei an dem liebevoll angerichteten Mittagessen, der Zeitung und den Hausschuhen, ins Schlafzimmer gehen. Er wird ein paar Sachen packen und für einige Nächte in ein Hotel ziehen, dann wird er sich eine Wohnung suchen. Dann wird er im Wirtshaus sein Geld verprassen, doch an diesem Tag ist mehr Verkehr als sonst.
Der LKW-Fahrer hat ihn nicht gesehen, ihn trifft keine Schuld. Der Betrunkene hat nicht aufgepasst, es sah beinahe so aus als hätte er sich absichtlich vor das Fahrzeug gestürzt.
Aber bevor das alles passiert, wird er die Sekretärin kündigen.
Herr Hansel kommt voller Schuldgefühle nach Hause. Er ist schon ein älterer Mann und in seinen 19 Jahren als LKW-Fahrer ist ihm noch nie ein Unfall passiert. Nicht einmal einen Strafzettel hat er je bekommen und jetzt so etwas. Er erzählt Frau Hansel und der gemeinsamen Tochter von den Ereignissen die ihm heute widerfahren sind. Man sieht im an, dass er sehr erschöpft ist. Frau und Tochter versuchen ihn mit einem heißen Tee und warmen Worten aufzumuntern, doch so richtig scheint sich die Stimmung nicht zu heben. Er geht früh zu Bett doch schlafen kann er nicht, der Unfall erscheint immer und immer wieder vor seinem inneren Auge. Nachdem er um 5 Uhr morgens noch immer keinen Schlaf findet, verlässt er das Bett ganz leise um seine Frau nicht zu wecken, geht in Richtung Küche, schnappt sich die Autoschlüssel seiner Tochter, denn die braucht die ja nicht mehr seit sie von ihrem Chef gekündigt wurde, und verlässt das Haus. Er wird nun wo anders Trost suchen, seine Geliebte bringt ihn sicher auf andere Gedanken.
Da Frau Hansel von „der Anderen“ nichts weiß, macht sie sich auch keine Gedanken um das Verschwinden ihres Mannes, er geht oft schon früh aus dem Haus und kommt spät heim, doch sie vertraut ihm und er liebt sie dafür, denn wie er immer sagt, macht sie das zu etwas Besonderem. Der sonnige Tag verbesserte ihre Laune noch mehr und im Gegensatz zu ihrem Gatten hat sie keine Schuldgefühle wegen dem was gestern passiert war. Sie weiß, er war die Schuld des Wahnsinnigen, der mit seinem Leben abschließen wollte weil es keinen Sinn mehr hatte. Doch der nächste Tiefschlag trifft sie an einer Empfindlichen Stelle. Die junge, hübsche Tochter hatte gestern ihren Job verloren, doch sie wollte die Familie gestern nicht noch trauriger machen als sie wegen dem Unfall schon waren. Sie arbeitete schon seit 2 Jahren als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei und half ihren Eltern immer etwas mit den Rechnungen, doch jetzt plötzlich wurde sie gekündigt. Als sie dachte, dass sie alles erreicht hatte was sie wollte, beging sie ein großen Fauxpas, sie schlief mit ihrem betrunkenen Boss und zwar nachdem dieser ihr schon zwei Mal (im nüchternen Zustand!) einen Korb gegeben hatte.
„Wenn man jemanden schon über Jahre liebt, obwohl er nichts von einem wissen will. Wenn man denkt, dass die schlimmste Phase der Verliebtheit vorbei ist, man es überstanden hat und sich nun endlich anderem widmen kann, man sich aber bei jedem Wiedersehen von neuem verliebt, in die selbe Person, jede Woche von neuem, jeden Tag wieder. Kann man das nun die wahre Liebe nennen? Ist man vielleicht für einander bestimmt? Soll man ausharren und warten bis man bemerkt wird? Obwohl die Person diese Liebe nicht erwidert? Wird sie es irgendwann tun? Oder ist diese Liebe nur eine Einbildung die man jedes Mal von neuem aufbaut damit man nicht der Realität ins Auge sehen muss? Aber wie sich jemanden anderen suchen, wenn man gar nicht aufhören will diese Person zu lieben? Ist es vielleicht wie eine Sucht? Muss ein Raucher erst aufhören zu rauchen um gesünder zu werden? Braucht man eine langwierige Entwöhnungstherapie? Doch sobald man eine Zigarette in die Hand nimmt, fängt alles wieder von vorne an. Ist es so wie es sein soll?
Gibt es keinen leichteren Weg? Ist das Liebe? Diese eine Person erobern zu wollen, egal was es kostet, nur für ganz kurze Zeit, nur für eine Nacht? Jede Nacht dem Himmel Tränen zu schenken, nur für einen Rat, einen Hinweis, eine Person?!
2 Jahre hatte ich das durchgestanden, hatte alles daran gesetzt ihn zu erobern, hatte alles für ihn getan. Es war verboten das war mir klar, aber ich konnte es nicht aufhalten, ich wusste, dass er es auch wollte.“
Sie öffnet die Tür und schaut ihn mit ihren verheulten Augen an. Die schlaflose Nacht war beiden deutlich anzusehen. Er nahm sie in die Arme und sie fühlte die Schuldgefühle gegenüber ihrem toten Mann an ihr fressen. Trotzdem ließ sie ihn in ihr Haus, wie so viele Male zuvor, aber jetzt brauchte sie ihn mehr denn je.
„Das Baby kommt im April. Ein schöner Monat, vielleicht wird es ein Stier, wie sein Vater.
Ich weiß nicht, ob ich ihn noch geliebt habe, aber das Kind brauchte einen Vater und allein deswegen wäre ich bei ihm geblieben.
Alles ist so vergänglich, man vergisst so schnell. Das ist das Dilemma mit den Gefühlen. Sie halten nicht lang genug an um wirklich sagen zu können man hat gefühlt. Ich möchte einmal über den Tod hinaus lieben um sagen zu können ich liebte. Ist es wirklich Liebe gewesen, wenn man die Gefühle für eine Person so schnell verdrängt?!
War es wirklich nicht so wichtig, wenn alles vergänglich ist?
Es prägt uns doch, aber verbleiben tut nichts, von dem was wir anfangs gefühlt haben bleibt am Schluss nur noch eine Narbe zu sehen.“