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Der Vogel sollte fliegen
Wer ich bin? Dafür hat sich nie einer interessiert, aber nagut.. für all jene von euch, die es noch nicht wissen oder zumindest so tun als ob.
Mittlerweile habe ich einen Namen - Ich bin Arne, ein ganz normaler Typ wie du und alle anderen auch. Unauffällig, von mittlerer Größe, schwarze Haar und so weiter. Nein, ich habe keine tragische Geschichte zu erzählen, keinen verstorbenen Bruder, keine geisteskranke Mutter und keinen autoritären Vater, man.. sogar meine Großeltern sind alle noch am Leben. Normal, normal, normal nur angepisst von dem ganzen Dreck und der Ignoranz, die mich mit Wut füllte und Grundlage für ein neues Ich schaffte.
Ich hatte keine große Lust, wie immer, mit meinen Freunden feiern zu gehen, doch einer meiner besten Freunde wollte seinen 18ten feiern, also ließ ich mich überreden. Wir leben in einer Vorstadt und es gibt eigentlich nur eine Disco die in Frage kam, also stiegen wir in den überfüllten, stinkenden Bus und taten so als würden wir nicht lieber zu Hause auf der Couch liegen. Zwei Reihen vor mir nahm ich ein Mädchen war und bildete mir ein sie hätte mich flüchtig angesehen. Sie hatte intelligente, glückliche Augen und gefiel mir recht gut.
Der Abend verging, nur viel zu langsam. Mein Mädchen beobachtete ich unauffällig weiterhin und versank in Fantasien, als jenes Mädchen auf einmal vor mir stand und mich lächelten ansah: ,,Schönes Shirt, du stehst auf CCR? ‘‘ Ich sortierte mich und antwortete ihr so freundlich wie nur irgend möglich: ,,Ja, du etwa auch? ‘‘ Wir führten belanglose Gespräche und die kommende Zeit verging ein wenig schneller, bis natürlich, um das Klischee zu erfüllen, irgendein betrunkener Vollpfosten uns störte und den Abend versaute. Sie schien ihn zu kennen und bat ihn zu gehen, aber nein - welcher Typ geht denn bitte dann einfach so ohne einen banalen Spruch? Naja, ihm schien meine Frisur nicht zu gefallen und auf einmal entwickelte sich meine melancholische Grundstimmung in pure Aggression. Ich hatte keine Ahnung wo dieses Gefühl herkam, wie ein Vogel der aus dem nichts gegen die Fensterscheibe fliegt und einen erschreckt. Überwältigt und hilflos zu gleich, packte mich jene Aggression und ich schlug ihm ins Gesicht. Diese überwältigende Aggression, welche ich zuvor nur unterschwellig wahrnahm, war das eine, aber dieses tiefe Bedürfnis, was in mir zu schlummern schien, jemanden mitten in die Fresse zu hauen, überkam mich wie eine Lawine aus Emotionen, die mich aus dem Trist des alltäglichen Lebens, für kurze Zeit befreite und mich ein nie da gewesenes Gefühl spüren lies, das mich von Grund auf ändern sollte.
Der Moment schien in Zeitlupe zu vergehen und ich sah sein Glas mit ihm zu Boden fallen, doch nicht langsam genug, um die Faust zu sehen, die mich einen Augenblick später traf. Ein Gerangel folgte und wir wurden schließlich auseinander gehalten. Da einer seiner Freunde den Besitzer des Ladens kannte, wurde ich natürlich vom netten Türsteher mit tätowiertem Gesicht sanft auf die Straße geworfen. Mir taten Hand und Kiefer weh und die Stimmen meiner Freunde gingen mir auf die Nerven, ich hörte ihnen nicht zu, doch fühlte mich großartig. Irgendetwas ist in diesem Moment ans Licht getreten, das mich aus diesem Dreck der Welt rausholen sollte. Ich kanalisierte meinen Zorn, er traf in Gedanken alle: Eltern, Lehrer, Freunde, Politiker, Künstler all diese ganzen Heuchler die mir die Welt schön reden wollten, all diese widerwertigen Kreaturen, die uns irgendeinen ETWAS vorgaukelten. Glück, Freude und Nächstenliebe waren vielleicht IHRE Maxime, doch längst nicht mehr meine.
Am nächsten Morgen blieb ich elektrisiert, fühlte mich wie ein Held, als meine Mutter mich schreckhaft anschrie, woher ich das blaue Auge hätte. Mein Vater entgegnete dem nur ein stolzes lächeln. Den Tag verbrachte ich in meinem Zimmer, las Bukowski, schaute mir Filme an und versank weiter in meine neuen Euphorie. Fight club wurde zu meiner Bibel und Tyler Durden war mein persönlicher Jesus, auf einmal fühlte ich mich verstanden. Am nächsten Tag in der Schule wurde ich etliche Male erstaunt angesehen und gefragt was passiert sei. Wie kann es sein, dass die Unfähigkeit des Menschen sich für andere zu interessieren, sich in andere hinein zu versetzten, völlig revidiert wird, sobald es um Gewalt geht. Geschichten werden ja bekanntlich erst gut, wenn man sie erzählt, also hört mir zu und ich werde es euch erzählen, ICH!
…..
Es zogen einige Wochen ins Land und ich war inzwischen der personifizierte Hooligan, der nicht mehr nach Masken suchte, sondern seine Rolle endlich fand. In der Schule interessierte man sich nun für mich, hörte, wenn ich was zu sagen hatte und sprach wenn ich was wissen wollte. Es gab kein ,,HEY, du‘‘ mehr, nur noch ein demütiges ,,Arne?‘‘ Meine Bücher verstaubten, es gab mittlerweile wichtigeres – Wochenende!
Das Wochenende kam und wir, ach ja.. einen neuen Freundeskreis hatte ich inzwischen auch schon, sie waren nicht die hellsten, aber genauso gefüllt mit Zorn wie ich es war, auch wenn die Gründe andere waren. Also gingen wir Freitagabend los und suchten uns eine Kneipe in der nächsten Stadt, die voll war. Ohne hinein gesehen zu haben wusste ich wer heute dran war, ich machte mir ein Bild von ihm, ein Typ ohne Namen, ohne Wesen und ohne Hass. Ich hätte jeden verfluchten Bastard dieser Welt die Nase zerbersten wollen, für all diese Gleichgültigkeit, die er in sich trug. Die Freude, diese Gespielte, es widerte mich an. Zur Tür eingetreten sah ich ihn schon vor mir sitzen, wie sehr hatte ich auf ihn gehofft, ein Niemand, dessen Namen ich nicht mal kannte, aber seinen Charakter, den sah ich in seinen Augen, der gleiche Charakter in verschiedenen Körpern. Er stieß heraus, wie mein blaues Auge am Schultag nach meiner ersten Prügelei. Er hätte mir egal sein können, wie ich ihm, aber das war er nicht, er sollte bezahlen, für sein widerliches Grinsen, für den Blick, mit dem er seine Freundin ansah.
Die Jungs betranken sich, aber ich ließ mein Opfer nicht aus den Augen, wie ein Löwe seine Beute. Ein Löwe, genauso fühlte ich mich, wie ein Löwe! Die Zeit vergeht und ich warte auf die passende Gelegenheit.
hätte ich sie - doch einfach verpasst.
Endlich, er entschuldigt sich und geht raus zum Telefonieren und ich werde meinen neuen Freund begleiten. Mit einem Rempler fang ich an, ihn interessiert es nicht, nein… im Gegenteil, er grinst mich sogar noch an. Was fällt diesem Idioten ein mich anzugrinsen? Ich schubse ihn und er fragt was mein Problem sei. ,,Dein verfluchtes Grinsen! ‘‘ antworte ich ihm und komme ihm so nah, das ich seinen Atem spüre. Seine Freundlichkeit ist verflogen, er versucht rein zugehen und lässt irgendwas folgen, das ich nicht ganz verstanden habe. Es wird bestimmt etwas Beleidigendes gewesen sein, also reiße ich ihn zurück und er fällt zu Boden, versucht aufzustehen und ich verpasse ihm einen Tritt. Er will ein Mensch sein, also soll er sich wie ein Mensch fühlen. Ich bin kein Mensch mehr, ich nicht. Er stöhnt, ich sage ihm er solle sich freuen, manche Philosophen würden das Existenzschmerz nennen, er soll sich freuen, freuen, dass er noch was fühlt! ,,Also sei endlich ein Mensch, du Hund! ‘‘ Ich schlage auf ihn ein, all die Sünden, seine und die seiner gesamten Ahnen, werde ich aus ihm herausprügeln. Mit jedem Schlag wird er den Dreck des Menschseins zu spüren bekommen, wäre er doch nur ein Tier und kein Mensch. Ich trete, schlage, würge, denn hier hört uns keiner. Ich stehe auf, aber bemerke nicht die Tür der Kneipe aufgehen, mache einen Schritt nach vorn und trete ihm den Kehlkopf ein. Ein Schrei wirft mich zurück….
Das Ganze ist jetzt eine halbe Stunde her und ich laufe immer noch, das Leben habe ich nun kennengelernt, als Mensch, als Löwe und nun als Ratte. Die Puste geht mir aus, als ich die letzten Stufen erreicht habe. Hier oben, auf irgendeinem Gebäude und sehe mir die graue Welt an, die nur jetzt, in der Nacht, an Farbe gewinnt. Enttäuscht vom Leben, nehme ich meinen letzten Anlauf, denn ich will gehen, fort von hier, ich bin nicht zum Leben geschaffen. Ich will diese Welt nicht als Ratte verlassen, nicht als Löwe und nicht als Mensch, Ich will von der Erde fliegen, wie ein lachender Vogel.
Und ich springe.