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Der Visionär

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12.07.2002
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Der Visionär

Dr. Horst Richter ist ein herausragender Fachmann in den Bereichen Wirtschaft und Volkswirtschaft. Sein Doppelstudium machte er an den Universitäten in Deutschland, die für diese beiden Studienzweige am berühmtesten sind. Mit Auslands-Semestern in USA, Japan und am Schluss auch in Russland vertiefte er seine Kenntnisse. Er achtete immer darauf, dass das theoretische Wissen mit praktischen Erfahrungen ergänzt wurde. Deshalb arbeitete er in verschiedenen Firmen auf unterschiedlichen Positionen. Diese Erfahrung hat ihn zu einer gewissen Weitsicht, zu einem Blick über den Rand des eigenen Suppentellers hinaus, gebracht. Er verachtet – nicht nur heimlich – die Politiker, die ein steriles Politik-Studium absolvieren und dann sofort versuchen der Menschheit, oder zumindest ihrer Partei, Gutes zu tun, ohne vorher mal Praxis-Luft geschnuppert zu haben.

Seinen Eltern ist Horst für seinen Vornamen sehr dankbar: ein schöner, deutscher Name. Männlich. Kurz und bündig. Dabei hatte Horst vor Jahren schon einen Traum, den er aber bis heute keinem Menschen anvertraut hat: Es wäre großartig gewesen, wenn ihn seine Eltern Adolf genannt hätten – obwohl das für ihn schon fast an Blasphemie grenzt. Immerhin war Adolf sein Vorbild – früher schon. Er war ein Mann mit Visionen. Man kann sie heute noch in jenem Buch nachlesen, das er damals im Gefängnis von Landsberg schrieb. Schwarz auf weiß. Klar und deutlich. Eindeutig.

Diese Visionen haben für Horst in ihrem Kern heute noch Gültigkeit. Vielleicht sogar mehr, als damals, als sie niedergeschrieben wurden.

Nein, Dr. Horst Richter ist kein ewig Gestriger. Im Gegenteil. Da es den Begriff noch nicht gibt, muss er hier und heute für ihn geschaffen werden: Er ist ein ewig Morgiger. Er beschäftigt sich intensiv mit der Zukunft seines Volkes. Und zwar Zukunft in jeder Beziehung. Er nutzt dazu die neuesten Technologien, diskutiert mit Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Management und Medizin. Er ist immer am Puls der Zeit.

Aber was macht die heutige Politik aus Adolfs Visionen? Klar, die Linken müssen Sie in Bausch und Bogen verdammen, sonst würden sie ihr Gesicht verlieren, was in der Politik gleichbedeutend ist mit Stimmen- und Machtverlust. Die Rechte hat langsam begriffen, dass diese Visionen gar nicht so schlecht sind, auch wenn sie das natürlich erst unter vorgehaltener Hand zugeben dürfen. Geschickte Taktiker treiben in ihrem Lager die allmähliche Annäherung an Adolfs Gedan-kengut voran und bereiten das Gelände dafür vor.

Aber, ums Himmels Willen, was machen die Ultrarechten, die eigentlichen Söhne und Enkel der Bewegung mit Adolfs Visionen? Egal wo und in welcher Form sie auftreten, sie scheinen nur das eine Ziel wirklich mit Energie und Systematik zu verfolgen: sich in der Welt unsympathisch zu machen. Ihr glatzköpfiges Aussehen, die aggressiv zur Schau gestellte Dummheit, das laute Grölen von widersinnigen Sprüchen und dummen Liedern. Wenn das alles nicht reicht mischen sie noch Arroganz und Gewalt in ihre Auftritte. Mit diesem Mittel-Mix erreichten sie dieses Nahziel meistens früher oder später. Aber wozu dient das? Wem hilft es weiter? Welches Fernziel steht dahinter?

Die Realität liegt doch auf der Hand, ist täglich in Zeitungen nachzulesen, in den Nachrichten zu hören und in Talk-Shows mitzuverfolgen: Vier Millionen Arbeitslose, politikverdrossene Bürger, schwindendes Vertrauen in die Wirtschaft, gepaart mit großen Verlusten an den Aktienmärkten. Ein unaufhaltendes Stolpern der führenden Wirtschaftsnationen in die offene Schuldenfalle.

Und was ist der Grund dafür? Die Menschen haben es einfach verlernt, für das was sie tun, und für das was sie unterlassen, die Verantwortung zu übernehmen. Sie sind verwöhnt. Sie lehnen sich zurück, geben jede Eigeninitiative auf und sonnen sich im Gefühl ihres Anspruchsdenkens. „Der Staat, die Gesellschaft, die Politik sollen doch mal für mich....., darauf habe ich schließlich einen Anspruch“, so lautet ihr Credo.

Würde jeder Mensch nur den Raum im eigenen Haus und vor seiner eigenen Haustüre sauber halten, hätten wir morgen schon das Paradies auf Erden.

Und genau hier setzt das Programm von Dr. Richter an.

Die Ziele des Visionärs sind für Horst auch heute noch gültig: der überlegene, aktive, selbstverantwortliche Mensch und Bürger. Damit kann man effizient den heutigen Problemen begegnen.

Die Methoden des Visionärs waren damals goldrichtig. Er verstand es Millionen von Menschen zu motivierten Mitkämpfern zu machen. Und das zu einer Zeit, in welcher die Umstände gar nicht viel anders waren als heute.

Aber heute sind diese Methoden veraltet. Neue Methoden und zukunftsträchtige Technologien braucht das Land, um nicht nur eine Schlacht zu gewinnen, sondern den Krieg.

Horst beginnt die Fragmente zu seinem Programm auf ein Stück Papier zu kritzeln.

- Die Uniform hatte damals den Sinn, Menschen Macht, Ansehen, Selbstbewusstsein, und somit Sicherheit zu geben. Außerdem: sie schaffte ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Uniformen sind heute out. Der „Neonazi-Leder-Glatzen-Gewalt-Look“ ist falsch. Wir müssen subtiler vorgehen. Horst ließ für seine Getreuen bei einem Modedesigner eine neue Kopfbedeckung entwickeln. Eine Mischung aus Uniformmütze, Baskenmütze und Kopftuch. Im Briefing für den Designer standen die geforderten Attribute „dynamisch“, „aggressiv“ und „elegant“. Als weiteres gemeinsames äußerliches Merkmal wurden für beide Geschlechter ein kleiner, seitlich zu tragender Haarzopf vorgesehen. Er wurde bewusst in Anlehnung an die Intellektuellen, die vor einigen Generationen lebten, ausgewählt. Mehr brauchte es nicht, um das zu erreichen, was die Uniform früher geschaffen hat.

- Die damaligen Massenaufmärsche waren äußeres Zeichen für die Macht und die Potenz der ganzen Nation – aber auch jedes einzelnen Mitgliedes des Ganzen. Aktuell sind Großveranstaltungen nur noch im Bereich des Sports sinnvoll einzusetzen. Die Medien schaffen es heute viel effizienter, wichtige Botschaften zu transportieren. Schneller, flexibler und viel billiger. Das Internet, zusammen mit einem neu zu schaffenden nationalen Intranet, haben die Aufgabe, den Medien Meinungen, Fakten und als Tatsachen aufgemachte Fakten, zuzutragen und danach für die daraus gewonnenen und gestrickten Informationen als unendliche Multiplikatoren zu dienen.

- Die damaligen Jugendorganisationen schafften Kameradschaftsgefühl und Teamgeist, implementierten Disziplin und Dynamik. Sie schafften den Unterbau für eine neue Herrengeneration. Heute muss den jungen Menschen, hauptsächlich den Arbeitslosen, Selbstsicherheit und Erfolgsgefühl vermittelt werden. Warum also nicht die Gründung von kleinen Unternehmereinheiten fördern? Warum nicht die Voraussetzungen schaffen, dass diese Bürger ihre Zukunft selber in die Hand nehmen können? Erfolg spornt an. Natürlich müssen sie dazu verpflichtet werden, spätestens nach zwei Jahren ein Tochterun-ternehmen zu gründen. Die Lawine muss losgetreten werden. Danach wird sie zum Selbstläufer. Und wir kommen unserer Vision wieder ein Stück näher. Unser Land zurück auf dem Weg an die Weltspitze.

Dr. Horst Richter schreibt die ganze Nacht und das darauf folgende Wochenende an seinem Konzept. Dann liegt es auf dem Tisch.

Acht Monate später: es steht die große Wahl ins Haus.

Die von Dr. Horst Richter angeführte NEUE RECHTS-PARTEI kann über 15% der Stimmen auf sich vereinigen.

Eine Katastrophe für die satte, innerlich angefaulte Demokratie in diesem, unserem Lande.

 

Lieber Ernst Clemens,
erteinmal sollte ich vielleicht sagen, dass ich deine Geschichte durchaus interessant fand. Besonders die hinter der Geschichte stehende Ironie mit der du den Protagonisten beschreibst fand ich äußerst bemerkensert.
Störend fand ich lediglich das Ende, welches in meinen Augen zu klar und ausformuliert daherkommt. Wäre nicht auch ein offeneres Ende denkbar, in welchem du die ironische Leitlinie weiterverfolgst? Vielleicht würde eine tiefer versteckte Kritik eher zum nachdenken anregen.Was denkst du? viele Grüße Prodi

 

Hallo Prodi, danke für Deine Gedanken. Ich hatte schon zuvor über einen "offenen" Schluß nachgedacht. Angesichts der heutigen politischen Verhältnisse (z.B. LePen in Frankreich; Neonazis in Deutschland) wollte ich aber lieber auf Nummer sicher gehen. Die Sache ist mir zu gefährlich, als daß man (falsche) Interprätationen zulassen darf. Ich möchte also das Ende so stehen lassen. Gruß. Ernst

 

Hi Ernst Clemens!

Find ich gut; deinen Visionär. Besonders interessant finde ich die Art und Weise wie du die einzelnen Gedankengänge des Visionärs beschreibst und vorallem,dass du damit beginnst zunächst einige allgemeine Auffassungen wiederzugeben, die isoliert betrachtet noch keinen Hinweis darauf geben, dass es sich hier um einen intellektuellen Rechten handelt. Die gedankliche Auseinandersetzung des Dr. Horst mit den "dummen Skinheads" und seine Distanzierung von ihnen hat mir ebenfalls sehr gefallen; nicht zuletzt auch deswegen weil dies vieleicht die Voraussetzungen dafür sein können, die dazu führen dass intellektuelle Rechte die "dummen Faschisten" für sich instrumentalisieren.

Auch wenn sich der Text für meine Begriffe ersthaft mit dem Thema auseinandersetzt. Hier musste ich irgendwie schmunzeln:

Nein, Dr. Horst Richter ist kein ewig Gestriger. Im Gegenteil. Da es den Begriff noch nicht gibt, muss er hier und heute für ihn geschaffen werden: Er ist ein ewig Morgiger.
Der folgenden Satz werde ich in Zukunft in Diskussionen mit Freude sicher noch häufiger zitieren.

Geschickte Taktiker treiben in ihrem Lager die allmähliche Annäherung an Adolfs Gedankengut voran und bereiten das Gelände dafür vor.
Insgesamt stellt dein Visionär auch ein gutes Kontrastprogramm zum meinem Text dar, weil du all das "durchleuchtest" was ich in meinem Text komplett vernachlässigt habe.

Deinen Schlusssatz finde ich gut. Es ist immer dasselbe Problem: Schreibt man es nicht in aller Deutlichkeit interpretieren es einige falsch. Schreib man es doch dann ist es anderen wieder zu deutlich und nicht versteckt genug. Letzteres ist bei so einem Thema aber das geringere Übel. Also: Stehenlassen.

LIebe Grüsse

[ 01.08.2002, 18:44: Beitrag editiert von: softrunner ]

 

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