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Der Virus
Der Virus
Sein Atem ging schwer, stoßweise und seine Lungen brannten vom langen Rennen. Armand spürte schwer das Gewicht der Kalaschnikow, die über seiner rechten Schulter hing. Nach seinem Empfinden wog sie gerade mehrere Tonnen. Erschöpft lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand und rang keuchend nach Luft. Diese war stickig und abgestanden. Scheinbar war er in eines der Tunnelsysteme geraten, wo die Filteranlage für die Frischluftzuvor von der Oberwelt ausgefallen war. Um sich neu zu orientieren, holte er seinen kleinen Taschencomputer aus seiner Jackentasche und ließ auf dem Display eine Karte der New Yorker Subway erscheinen. Ein Wirrwarr aus bunten Linien in Grau war zu sehen und Armand suchte seine Position.
Dort.
Er befand sich in den Tunneln der Lenox Avenue Line, zwischen der 96 Station und der 110 Station Central Park. Direkt vor ihm würde sich bald der Tunnel der Lenox Avenue Line mit dem der 8 Avenue Line kreuzen. Doch er musste weiter der Lenox folgen, um auf die Metro-North zu gelangen. Bis zur Melrose Station war es noch ein langer Weg und Armand konnte einen Seufzer bei dem Gedanken nicht unterdrücken.
Eine kurze Pause.
Von seiner linken Schulter nahm er seinen kleinen Rucksack, der aus stabilem Segeltusch gefertigt war und wühlte darin nach seiner Feldflasche. Mit klammen Fingern schraubte er sie auf und nahm einen tiefen Schluck von seinem Wasser. Nachdem er seine Feldflasche wieder verstaut hatte, folgte er weiter dem Tunnel. Seine Umwelt war durch das Nachtsichtgerät in grün und schwarz Nuancen eingefärbt. Es war totenstill, nur seine Schritte hallten durch das selbst geschaufelte Grab der Menschen. Immer wieder drehte sich Armand um, um sicher zu gehen, dass Sie nicht hinter ihm waren. Nach einem zermürbenden Fußmarsch erreichte er endlich die 110 Station Central Park, doch kurz davor nahm er erst einmal sein Nachtsichtgerät ab. Die Station wurde durch das rote Notlicht beleuchtet und er war erleichtert festzustellen, dass es hier noch nicht ausgefallen war, wie die Filteranlage. Seine Nerven waren schon bis zum Zerreißen angespannt gewesen und die Erschöpfung breitete sich langsam in seinen Glieder aus.
Doch in der Station musste er zu seiner Enttäuschung feststellen, dass diese nicht bewohnt war oder sich reisende Händler dort aufhielten, um zu rasten. Steif kletterte Armand von den Schienen auf den Bahnsteig und torkelte zu einer der Bänke, die in der Mitte des Bahnsteiges aufgereiht standen. Mit letzter Kraft ließ er sich auf diese sinken und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Als er sie wieder öffnete, inspizierte er die Station ein wenig genauer. Der Bahnsteig war in der Mitte des Tunnels, sodass die Subway auf jeder Seite in entgegengesetzter Richtung fortbewegen konnte. Wenn sie denn noch fahren würde. Die Decke wurde durch mehrere schmale Säulen gestützt, deren Farbe aufgrund der roten Notbeleuchtung nicht zu erkennen war. Welche Farben gab es wohl alle damals oben an der Oberfläche? An einer der Wände hing ein Schild, auf dem in langsam abblätternden Lettern „Central Park Station“ stand. Neben den Buchstaben war das Bild eines Baumes zu erkennen. Schmerzhaft wurde Armand bewusst, dass er in seinem ganzen Leben noch nie einen echten Baum gesehen hatte oder jemals sehen würde.
Er kannte die Oberwelt nur aus den Erzählungen der Älteren, die gerne durch ihre Geschichten in alten verlorenen Erinnerungen schwelgten. Durch den 3. Weltkrieg und unaufhaltsame Naturkatastrophen war die Oberfläche der Erde für den Menschen unbewohnbar geworden. Diejenigen, die Glück hatten, konnten sich noch rechtzeitig in die Schützenden unterirdischen Tunnelsysteme der Subway flüchten.
Nun vegetierte der Virus Mensch, der ganz Gaia befallen und fast zerstört hatte, in ihrem schützenden Leib im Dunkeln dahin. Doch Mutter Erde hatte um sich zu Schützen ein weiteres Abwehrsystem entwickelt, welches jetzt jagt auf den Menschen machte.
Auch wenn es gefährlich war, Armand brauchte Schlaf. So streckte er sich auf seiner Bank aus und schloss wieder die Augen. Nach einigen Stunden unruhigen und von Albträumen geplagten Schlafes erwachte er wieder unversehrt. In seinem Rucksack fand er noch eine Dose mit Trockenfleisch, dessen Inhalt er hungrig hinunterschlang. Er musste weiter, doch vorher überprüfte er das Magazin seiner Kalaschnikow. Noch halb voll. Aus seinem Rucksack packte er eines seiner Ersatzmagazine griffbereit in eine seiner Jackentaschen. Als er sich bückte, um seine Habseligkeiten wieder zu schultern, fand er einen alten Lippenstift auf dem Boden. Er schraubte ihn auf und in seinem Inneren befand sich noch etwas von der Farbe. Nachdem er Aufbruch bereit war, sprang er wieder auf die Schienen, ging aber nicht sofort weiter, sondern ging zu dem Schild mit dem Baum.
Unter den Baum setzte er den Lippenstift an und fing an in etwas ungelenkigen Buchstaben „Armand war hier 2058“ zu schreiben. Er wusste nicht, ob das jemals ein anderer lesen wird oder warum er das tat. Vielleicht um ein Zeichen für seine Existenz im Lauf der Zeit zu hinterlassen. Mit seinem Nachtsichtgerät vor den Augen und der griffbereiten Waffe tauchte er wieder ins Dunkel der Tunnel ein.
Wenn er es bis Melrose schaffte, war er in Sicherheit. Sie war eine der bewohnten Stationen der New Yorker Subway, die auch in einer friedlichen Allianz mit den anderen Stationen lebte. Dort gab es noch Regeln und Gesetze, die ein friedliches miteinander gewährleisten sollten und nicht Anarchie und Willkür.
Armand hoffte sehr, das wenn der Mensch es schaffte hier zu überleben und die Oberfläche wieder für sie bewohnbar, dass sie daraus gelernt hatten und Gaia ihnen noch mal eine zweite Chance geben würde. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und schlagartig wusste er, Sie waren in seiner Nähe. Alarmglocken in seinem Kopf schrillten, um ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen. Entschlossen griff Armand noch seiner Kalaschnikow und entsicherte sie. In der Ferne waren die wabernden Umrisse der Kreaturen zu erkennen, die ihn und die anderen jagten. Die Antikörperchen waren bereit, ihn den Virus aus dem Organismus der Erde zu tilgen. Doch er war noch nicht bereit aufzugeben und zu sterben.
Egal wie aussichtslos die Situation der Menschheit war, er war bereit zu kämpfen, um Sein überleben und das der anderen. Sein Körper schickte Unmengen von Adrenalin in seinen Körper und ein aufgeregtes und angespanntes Gefühl durchflutete ihn. Mit einem entschlossenen Schrei stürzte er sich auf seine Verfolger und drückte den Abzug der Waffe.