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Der Viehkönig
-Samuel-
Noch vor Sonnenaufgang nahm Samuel zwei Eimer und schlenderte über seine Farm, hin zur Anhöhe, auf der die Kühe grasten. Er hatte keine Milch mehr, die letzten Liter am Vortag verkauft, und seine Frau Hannah bestand bei jedem Frühstück auf ein Glas. Samuel wusste, wenn sie ihre Milch nicht bekäme, würde sie zetern und schreien, dann bloß noch wimmern. Als hätte sie erfahren, dass sie sterben müsse.
Samuel gähnte und ging schneller. Rötliche Wolken hingen über der Farm, der Horizont wurde allmählich heller. Grillen zirpten in den Büschen, als wollten sie einen guten Morgen wünschen. Der Wind war kalt. Ungewöhnlich für einen August in New Mexico.
Neben seiner Scheune hielt Samuel inne. Sie müsste jeden Moment erwachen, mit den ersten Sonnenstrahlen, wie immer. Samuel wollte kurz nach Hope sehen. In der Nacht hatte er wieder von ihr geträumt, diesmal jedoch nicht von ihrem Lächeln oder ihren vollen Lippen.
In seinem Traum hatte sie Angst. Mit aufgerissenen Augen stand sie inmitten der Scheune. Heu hing in ihren Haaren, ihre Hände zitterten. Vorsichtig öffnete Hope das Scheunentor und spähte hinaus, erblickte Dutzende Fackeln und Gewehre. Es erklangen aufgeregte Männerstimmen. Tränen rannen über Hopes Wangen und sie flehte um Hilfe, rief nach Samuel, wieder und wieder und immer lauter. Da entdeckten die Männer sie, marschierten auf sie zu, die Gewehre auf ihr Gesicht gerichtet.
Dann war Samuel aufgewacht, hatte sich aufgesetzt. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, bedeckte Kopfkissen und Laken; doch neben ihm atmete Hannah ruhig und regelmäßig und vor dem Fenster war es dunkel und still, da waren keine Fackeln, keine Männerstimmen.
Samuel war zurück auf sein Bett gesunken. Er vermisste Hope, sehnte sich nach ihr, so sehr, dass er immer öfter von ihr träumte. Zu lange hatte er ihre schwarze Haut nicht mehr berührt, die so viel weicher war als die faltige und trockene Haut seiner Frau.
Samuel entschied sich, Hope nicht mit seinem Traum zu belästigen. Hannah mochte es ohnehin nicht, wenn er mit Hope allein war, würde wieder mit ihm streiten. Er ging weiter und erklomm die Anhöhe.
Als er die Weide erblickte, erstarrte er. Es war kein Tier zu sehen, vierzig Kühe und zwei Stiere waren verschwunden. Samuel ließ die Eimer fallen, mit einem Scheppern landeten sie vor seinen Füßen. Er öffnete den Mund, wollte fluchen, aber kein Laut entwich. Reglos stand er da und hoffte, immer noch zu träumen. Doch diesmal schlief er nicht, nichts veränderte sich.
Die braune Ebene vor ihm erstreckte sich bis zu einer Felsformation in der Ferne. Graugrüne Grasbüschel sprossen aus dem trockenen Boden, die meisten waren abgefressen. Samuel kniff die Augen zusammen. Vielleicht sah er die Rinder nur nicht, vielleicht versteckten sie sich hinter den Kakteen, die vereinzelt in den Himmel ragten wie grüne Mistgabeln. Mehrere Minuten stand er da und sah sich um, aber er entdeckte kein Vieh, hörte kein weit entferntes Muhen.
In seiner Nähe war der Zaun zerstört. Samuel ging hin, hob ein Brett auf. Die Ränder waren gezackt, das Holz durchgesägt. Samuel zuckte zurück, als Schmerzen durch seine Hand schossen. Ein Nagel ragte aus dem Brett und hatte sich in seinen Zeigefinger gebohrt. Blut sickerte aus der Kuppe, tropfte auf das Brett und auf den Boden. Zwischen Holzspänen schimmerte es hellrot im Licht der aufgehenden Sonne. Da entdeckte Samuel, dass er auf Hufspuren stand, sie führten die Anhöhe hinab, vorbei an der Scheune. Sie verliefen gen Norden, wo sich die Ebene zwischen Santa Fe und dem Sangre-de-Cristo-Gebirge erstreckte. Samuel wusste, er würde seine Rinder dort in der Weite so schnell nicht finden. Aber vielleicht wusste Hope mehr. Vielleicht hatte sie etwas gesehen.
Die Scheunentore öffneten sich mit einem Quietschen und Samuel trat ein. Staub schwebte durch die Luft und es roch nach Heu und Erde. Samuels Schritte scheuchten zwei Schwalben auf, die Richtung Dach flogen, sich versteckten. „Hope? Bist du da?“ Er sah sich um, erspähte sie nicht. Der Stall, in dem Samuels Pferd für gewöhnlich stand, war leer. „Hope?“
Samuel erklomm die Leiter, die auf den Heuboden führte. Dort, wo Hope schlief. Nicht, weil Samuel es von ihr verlangte, sondern weil sie es wollte. Das erinnere sie an ihre Kindheit und an ihre Eltern, die Samuels Vater gehört hatten. Nach Ende der Sklaverei und dem Tod ihrer Eltern war Hope auf dem Hof geblieben, ihrem Zuhause.
Mit jedem Schritt die Leiter rauf fühlte sich Samuel unwohler. Um diese Zeit war Hope meist wach, und wenn er nach ihr rief, antwortete sie auch. Doch heute nicht, denn sie war weg, die Schlafstatt verlassen.
Samuel ging neben der leeren Strohmatratze auf die Knie, betrachtete die plattgedrückten Stellen. Sonnenlicht zeichnete Streifen auf Samuels Brust und erhellten den Heuboden. Neben der Matratze lag eine Stoffpuppe mit langen Strähnen aus schwarzem Pferdehaar. Samuel hatte sie Hope geschenkt, als sie noch ein Kind war. Niemals würde sie die Puppe zurücklassen.
Samuel nahm sie und atmete tief ein. Er glaubte, Hopes Geruch wahrnehmen zu können, der an der Puppe haftete. Er schloss die Augen und dachte an Hopes Brüste und ihr wohlgeformtes Becken, an ihre sanfte Stimme und ihre weichen Haare, die nach Narzissen dufteten. Aber ihr Geruch war bloß Erinnerung.
Als Samuel die Scheune verließ, hatte sich der Duft bereits verflüchtigt.
-Hannah-
Zum Frühstück gab es Brot mit Käse. Hannah saß Samuel gegenüber, sah auf seine Hände, fragte: „Haben die Kühe heute keine Milch gegeben?“
Vor Samuel lag die Zeitung, die der Nachbarsbursche einmal die Woche vorbeibrachte. Unter dem Datum 14. August 1878 standen zwei große Schlagzeilen. Weitere Eisenbahnstrecken in New Mexico geplant. Qualmende Ungetüme bald auch auf Ihrem Land? und Vermehrt Viehdiebstähle nahe Santa Fe - Sheriff verdächtigt Navajo. Samuel reichte seiner Frau den Zeitungsteil mit den Haushaltstipps und dem Horoskop. Er sagte: „Nein.“
„Schade.“ Hannah schlug die Zeitung auf und begann zu lesen. Ihre Haut war blass, und sie bekam allmählich tiefe Falten um Augen und Mundwinkel. „Der Doktor sagt, ich müsse meine Milch trinken, wenn …“ Sie presste die Lippen zusammen. „Du weißt schon.“
Samuel lehnte sich zurück - der Holzstuhl knarzte - und fragte: „Weißt du, warum ich dir keine Milch geben kann?“
Sie las weiter, sah nicht auf. „Keine Ahnung, Darling. Die Euter waren jedenfalls dick genug.“
„Waren sie.“ Er nahm einen Schluck von dem starken Kamillentee, den Hannah gern braute. Die bittere Brühe kratzte im Rachen. Samuel räusperte sich, sagte: „Die Kühe sind weg. Wohl über Nacht verschwunden.“
Hannah lugte über den Rand der Zeitung, ihr Blick fand Samuels. „Was sagst du da? Sind sie weggelaufen?“
Samuel trank den Tee aus, leckte sich die Lippen. „Glaub ich nicht. Der Zaun wurde angesägt.“
Hannah riss die Augen auf. „Jesus! Es waren die Viehdiebe, die aus der Zeitung.“ Sie zeigte auf das Papier. „Es wird immer schlimmer mit denen, und nun hat's uns auch erwischt. Der Herr stehe uns bei. Was machen wir denn jetzt?“
„Weiß nicht.“
„Die Indianer sind's, Eliza ist auch der Meinung.“
„Die Frau vom Deputy Kingsley?“
„Ja, in Santa Fe ist's in aller Munde. In den letzten Wochen wurden hunderte Rinder gestohlen. Das sind die Rothäute. Erst holen sie sich unser Vieh, dann unser Land.“
Samuel zog die Augenbrauen zusammen. „Wozu brauchen denn Rothäute so viele Rinder? Sie könnten sie nicht mal verkaufen, das fiele auf.“
„Sie planen was, ganz sicher.“
Samuel rieb sich die Stirn. „Hast du denn letzte Nacht irgendwas mitbekommen? Geräusche?“
„Nein, ich habe nichts gehört, nichts gesehen. Ich habe … geträumt.“ Hannahs Wangen röteten sich. „In meinem Traum hat die Tinktur gewirkt.“
„Die Tinktur, dass ich nicht lache. Der Quacksalber aus der Stadt hat dir Pferdepisse verkauft, kein Wundermittel.“
Hannah antwortete nicht, blätterte stattdessen die Zeitung um, überflog das Horoskop.
Samuel biss in das Brot, es schmeckte fad. Er kaute lange, schluckte, wünschte sich, er hätte noch etwas Tee zum Nachspülen. „Es gibt viele Rothäute hier.“
„Du solltest zum Sheriff gehen. Erzähl ihm alles. Vielleicht weiß er Genaueres. Wir brauchen unser Vieh zurück.“
„Denkst du, ich weiß das nicht?“
„Na, da bin ich mir nicht so sicher. Du bist in letzter Zeit mit den Gedanken oft woanders.“
„Achso? Und wo?“
„Bei dem Niggermädchen.“
Samuel hob den Zeigefinger, sagte: „Du sollst sie nicht so nennen.“
„Sie ist schwarz, ein Nigger. Das ist ihre Rasse, oder nicht?“
„Lass es einfach.“
„Aber sag, vielleicht hat sie ja was gesehen gestern Nacht. Hast du mit ihr gesprochen?“
„Nein, also …“ Samuel verschränkte die Arme, betrachtete die Maserung des Holztisches und sagte: „Sie ist auch verschwunden.“
Hannah schwieg eine Weile, sagte schließlich: „Oh.“ Dann verstummte sie und widmete sich wieder der Zeitung. Doch ihre Augen bewegten sich nicht.
In den nächsten Tagen marschierte Samuel lange über die Ebene, suchte nach seinem Vieh, fand nichts. Der Himmel blieb grau, tauchte Kakteen und Geröll in Halbdunkel. Trotzdem war es so schwül, dass Samuel schwitzte und seine Kleidung auf der Haut klebte, als wäre der Schweiß aus Honig. Und es war still, nicht einmal Geier krächzten über der Ödnis.
Täglich nahm Samuel den langen Marsch nach Santa Fe auf sich. Der Sheriff konnte ihm nicht helfen, war überfordert. Sieben Viehhirten hatten bereits Diebstähle gemeldet, und vermehrt wurden Rothäute in den Bergen gesichtet. Der Sheriff hatte per Kurier Hilfegesuche nach Albuquerque und Los Alamos gesandt, bisher ohne Antwort.
In Santa Fe kaufte sich Samuel von seinem Notgroschen einen braunen Wallach, aber er ritt nur langsam nach Hause, hielt dabei Ausschau, hoffte auf schwarze Umrisse von Rindern in der Ferne. Und er genoss die Stille. Zuhause erwartete ihn Hannahs Gezeter.
Sie verlangte nach ihrer Milch und die Tinktur ging ihr aus, sie brauchte neue, aber ohne Vieh hatten sie kein Geld dafür. Hannah wurde mürrischer, Stunde um Stunde. Und das alles nur, weil ihr neunmalkluge Kerle aus der Stadt weisgemacht hatten, Milch und Tinktur würden gegen ihre Unfruchtbarkeit helfen.
Gestern Nacht hatte sie Samuel wieder so angesehen, so begierig. Sie hatte sich halbnackt an ihn geschmiegt, ihm zugeflüstert: „Wollen wir es nochmal versuchen?“
Samuel starrte an die Zimmerdecke. Täglich betete Hannah zu Gott, wünschte sich einen Sohn. Doch Samuel war sich nicht sicher, ob sie überhaupt ein Kind wollte. Hannah genoss die Ruhe in dem Farmhaus, die viele freie Zeit. Nie hatte sie bei der Viehzucht geholfen, beschwerte sich immerzu, wenn Samuel fragte, ob sie ihm beim Melken oder Stallmisten zur Hand gehen könne. Das sei nicht gut für ihre makellose Haut, behauptete Hannah, sie würde überall Schwielen bekommen und verschrumpeln von der Arbeit in trockener Hitze. Sie bleib lieber allein in der dunklen Wohnstube. Ein plärrendes Kind im Haus, das würde Hannah bloß überfordern. Denn dann hätte sie weniger Zeit zum Stricken und Lesen und für die Treffen mit ihren Freundinnen aus Santa Fe. Samuel war aufgefallen, dass Hannah zunehmend geknickt wirkte, wenn sie von diesen Treffen heimkehrte, sie ging auch seltener hin. Als wäre sie beleidigt worden. Samuel fragte sich, ob Hannah nur Mutter werden wollte, damit die anderen Frauen nicht mehr mit den Fingern auf sie zeigten und tuschelten.
Hannah fragte erneut: „Wollen wir es versuchen?“
Samuel sah aus dem Fenster, die Scheune war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Es brannte kein Licht in dem kleinen Fenster über Hopes Schlafstatt. Samuel schob Hannah sacht von sich. „Heute nicht. Ich bin müde.“
Sie klang traurig, als sie sagte: „Na, dann schlaf gut und träum was Schönes.“
„Werde ich.“ Er küsste ihre Stirn und schloss die Augen.
Er träumte von Hope. Sie stand in einem zerfetzten Kleid vor seiner Haustür und sagte, sie sei von Rothäuten entführt worden. Doch sie hätte sich befreien können, sei tagelang gelaufen, mit Hunger und Durst als einzige Begleiter. Aber sie lief immer weiter, so schnell sie konnte. Weil sie die Farm und Samuel liebte und seine Erben austragen wollte.
-Jeremiah-
Eine Woche später stand Samuel auf seiner Weide, er wollte endlich den Zaun reparieren. In der einen Hand hielt er den Hammer, in der anderen die Nägel. Er ging in die Hocke, griff ein Brett und begann, es festzunageln. Es regnete, nur über dem Gebirge im Norden war der Himmel klar. Samuel hämmerte weiter. Dicke Tropfen landeten auf seinem Kopf, durchnässten Haare und Kleidung. Aber das machte Samuel nichts aus, er mochte das Geräusch des Hammers, der auf Holz traf. Es klang nach Arbeit, nach Leben. Seit Tagen war es so ruhig auf der Farm. Als wäre niemand mehr hier. Sogar Hannah sagte kaum ein Wort, las in der Bibel, betete, strickte und schenkte Samuel kaum Beachtung.
Wenn er nicht spazieren ging, saß er mit Hannah im Wohnzimmer und sie schwiegen sich an, als warteten sie auf ein besonderes Ereignis, das nie eintreffen würde. Zu hören war nur das laute Ticken der Standuhr im Schlafgemach.
Als Samuel das erste Brett befestigt hatte, hörte er Hufgetrappel. Er richtete sich auf und grinste und sein Herz raste. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, Hope und die Rinder seien zurückgekehrt. Aber es war nur der Bursche vom Nachbarhof, der auf Samuel zu galoppierte und rief: „Mister Davidson, Sir!“
Samuel legte den Hammer beiseite, wischte sich Haare von der Stirn und fragte: „Zeitung?“
„Nein. Mister Jeremiah schickt mich. Gestern Nacht wurde sein Vieh gestohlen.“
„Jeremiah hat sich beklauen lassen? Der knallt doch sonst jeden ab, der in die Nähe seiner Farm kommt.“
„Ganz genau, Sir. Er hat einen von der Bande gefangen.“
Samuels Augen weiteten sich. „Ist das wahr?“
Der Bursche nickte. „Mister Jeremiah möchte, dass alle Viehhirten morgen zu ihm kommen. Er plant etwas.“
„Morgen?“ Vielleicht wusste das Bandenmitglied etwas über Hope, könnte ihm sagen, wo sie war, wie es ihr ging. „So lange kann ich nicht warten, ich reite gleich rüber.“ Samuel schenkte ihm ein Lächeln. Der Bursche erwiderte es und schickte sich an, fortzureiten. Samuel hob die Hand. „Warte kurz.“ Er kramte in der Hosentasche, zog Münzen heraus. „Hier, für die gute Nachricht.“ Er gab dem Jungen zwölf Cent. Dann schlenderte er zur Scheune und sattelte sein Pferd.
Jeremiah stand neben einem Kaktus hinter seinem Haus. Vor ihm frisch aufgewühlte Erde. Seine Kleidung war verdreckt, das Gesicht voll brauner Schlieren. Es hatte zu regnen aufgehört, nur vereinzelte Quellwolken standen am Himmel, verdunkelten hin und wieder die Sonne, zeichneten runde Schatten auf braunes Gestein. Jeremiah hielt einen Spaten in der Hand, und als er Samuels Schritte hörte, hob er ihn, als wolle er auf den Störenfried eindreschen. Aber als er Samuel erkannte, ließ Jeremiah den Spaten sinken, rammte das Blatt vor sich in den Boden, starrte wieder auf die aufgewühlte Erde. „Ach, du bist's nur.“
Samuel blieb neben Jeremiah stehen. „Sag, ist das ein Grab? Ist wer gestorben?“
Jeremiah stützte sich gegen den Spaten, als könnte er ohne nicht stehen, und dann nickte er. „Mein Salem.“
„Dein Hund?“
Jeremiahs Augen waren gerötet und glitzerten. Rotz klebte auf seinem Oberlippenbart. „Die Viehdiebe haben ihm gestern den Schädel eingeschlagen, als er mit dem Gebell nicht aufgehört hat.“ Er schniefte. „Mein guter Sal. Er hat mich geweckt. Gerade noch rechtzeitig. Konnte einem der Arschlöcher ne Ladung Schrot in die Kniescheibe jagen, bevor die Bande abgehauen ist.“
„Hast tatsächlich einen erwischt?“
„Jep.“ Er nickte Richtung Farmhaus. „Der Dieb ist auf meinem Dachboden. Willst ihn sehen?“
„Mhm.“
Jeremiah presste die Lippen zusammen. „Dann geh schon mal vor, Agnes wird dir einen Tee machen. Ich will noch ein Gebet sprechen.“
Samuel nickte. „Lass dir Zeit.“ Da lachte Jeremiah, aber nur kurz, es klang gekünstelt. Samuel fragte: „Alles in Ordnung?“
Jeremiahs breites Kreuz verdeckte die Berge am Horizont und die Sonne, die über den Gipfeln stand. Er zog eine kleine Bibel aus seiner Hosentasche und blätterte in ihr. „Schon komisch, was die Leute alles glauben. Muss nur irgendwer was niederschreiben, schon wird es zur Wahrheit.“
„Wie meinst du das?“
„Liest du Zeitung?“
„Klar.“
„Dann weißt du, wer die Rinder gestohlen hat.“
„Navajo.“
Jeremiah hört auf zu blättern, schien eine passende Stelle für sein Gebet vor dem Grabe gefunden zu haben. „Ich sag dir jetzt mal was, Sam. In der Zeitung steht Schwachsinn, und die Leute in der Stadt haben auch keine Ahnung. Die reden viel, aber gesehen haben sie nichts. Ich schon. Nein, Rothäute haben mich gestern Nacht nicht überfallen. Diese Viehdiebe, das sind allesamt Nigger.“ Er sah zum Sangre-de-Cristo-Gebirge. „Und was sie meinem Salem angetan haben, werden sie schon bald bereuen.“
Der Nigger-Dieb auf dem Dachboden war tot. Er lag zwischen alten Kleidern und kaputten Schränken in einer Pfütze seines Blutes, das zwischen den Dielen entlanggelaufen und dort geronnen war. Nun klebte es da wie schwarzer Leim.
Jeremiah beugte sich über den Toten, die Hände in den Hosentaschen vergraben, das Gesicht angewidert verzogen. „Versaut mir das gute Holz.“
In Samuels Magen kribbelte es. Die Luft war stickig und roch süßlich. Samuel befürchtete, ein Schwall Kotze bräche aus ihm heraus, wenn er seinen Mund zu weit öffnete. Er flüsterte: „Wolltest du ihn nicht befragen?“
„Hab ich.“ Er zeigte auf die blutüberströmten Beine des Diebes. „Hab ihm gesagt, ich würde seine Wunden versorgen. Er musste mir nur sagen, wo sich seine Bande versteckt.“ Jeremiah schüttelte mit dem Kopf. „Hättest die anderen Nigger mal sehen sollen, Sam. Sind einfach weggeritten. Haben nicht mal das Feuer erwidert und den Burschen hier einfach zurückgelassen, so feige waren die. Da dachte ich mir, befragst ihn mal, wird seine tollen Freunde sicher verraten.“
Samuel sah in die Augen des Toten, die ausdruckslos auf Spinnenweben an der Decke gerichtet waren. „Hat er?“
Jeremiah zuckte mit den Schultern. „Naja.“ Er stieß die Leiche mit der Fußspitze an. „Der Bursche hat ständig wiederholt, er sei erst seit Kurzem mit der Bande unterwegs, kenne sich kaum aus in der Gegend. Kam wohl von auswärts. Ist ja auch egal.“ Er ging auf Samuel zu, blieb dicht vor ihm stehen, sodass Samuel die Leiche nicht mehr sehen konnte. Jeremiah sagte: „Der Bursche hat gesagt, die Bande wird von 'nem Nigger angeführt, der sich Viehkönig nennt. Ist das zu fassen?“
„Ein Dieb, der sich König nennt?“
„Tja, was will man von solchem Gesindel erwarten. Jedenfalls verstecken sich die Nigger im Gebirge. Da reiten wir morgen hin.“
„Wir?“
„Du, ich und all die anderen Viehhirten der Umgebung.“
„Obwohl wir nicht wissen, wo genau die Diebe sind?“
„Sam, die haben tausende Rinder gestohlen, die kann man ja kaum übersehen, oder? Es wird Spuren geben, wir müssen ihnen nur folgen. Und Gott wird uns leiten. Wir tun sein Werk.“ Jeremiah ging wieder zur Leiche. „Wir räuchern die Ketzer aus. Wirst schon sehen.“
Auf dem Dachboden war es heiß, Schweiß stand Samuel auf der Stirn. Fliegen schwirrten umher, saßen auf Schränken und Kisten und der Leiche. „Was meinst du mit Werk Gottes?“
„Unsere Heimat geht vor die Hunde, Sam. Bald wird hier alles zerstört sein. Städte, Gemeinden, Gesetze. Alles, was unsere Vorväter aufgebaut haben. Und warum geht es zugrunde? Wegen Niggern und Rothäuten. Was wissen die denn von Christlichkeit und von Ehre? Das sind Tiere, die sich nur aus dem Dreck erhoben haben, weil wir ihnen halfen. Und die feinen Kerle aus Washington meinen auch noch, dieses Gesindel sei uns ebenbürtig. Nein, das glaube ich nicht. Sie hätten Sklaven bleiben sollen. So, wie es jahrzehntelang Tradition war.“ Er wandte sich Samuel zu. „Jetzt spielen sich die Nigger auf, nennen sich Könige. Wie lange wird es dauern, bis sich diese Tiere unser Land gewaltsam nehmen, weil sie glauben, sie hätten das Recht dazu? Sieh doch, was sie mit unserem Vieh gemacht haben, es fängt schon an. Und wenn Nigger und Rothäute unser Land erstmal haben, wird sich Gott von uns abwenden. Denn in der Bibel steht geschrieben: Die Völker Afrikas werden sich dir ergeben und dir gehören. Sie werden dir in Fesseln folgen müssen. Sie werden vor dir niederfallen und dich anflehen, denn Gott ist bei dir, und er ist der einzige Gott.“ Jeremiah legte eine Hand auf Samuels Schulter. „Und ich werde den Herrn nicht enttäuschen. Morgen zeigen wir den Niggern, wo sie hingehören. Und wenn ich sie alle abknallen muss, dann soll es so sein.“ Er lächelte, und seine Stimme klang freundlich, fast väterlich, als er sagte: „Und werft den unnützen Knecht hinaus in die Finsternis; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“
Samuel sah an Jeremiah vorbei. Zum Gesicht des toten Diebes. Seine Haut war gräulich, seine Augen milchig. „Nicht alle Schwarzen sind schlecht.“
„Ach nein? Schau doch, was sie mit meinem Salem gemacht haben.“ Jeremiahs Augen glitzerten wieder. „Der Hund hat meiner Tochter gehört, sie sind zusammen aufgewachsen. Und als meine Kleine letzten Winter …“ Er räusperte sich. „Der Hund war alles, was von ihr geblieben ist. Und jetzt habe ich nicht einmal mehr das.“ Sein Blick verharrte kurz auf Samuels Brust. „Nicht einmal mehr das.“ Dann ging Jeremiah zur Treppe, die hinab ins Haus führte. „Morgen früh also. Komm nicht zu spät, sonst reiten wir ohne dich los.“
Während Jeremiah die Holztreppe hinabstieg und seine Schritte immer leiser wurden, starrte Samuel auf die Leiche, auf die verkrampften Finger und das schwarze Blut. Dabei dachte er an Hope und hörte Jeremiahs Worte, als würde ihr Echo auf dem Dachboden widerhallen, jedes Mal lauter als zuvor. Samuel beschloss, morgen sein altes Jagdgewehr mitzunehmen.
-Amos-
Am nächsten Morgen ritten Samuel und Jeremiah alleine aus, die anderen Viehhirten waren nicht erschienen. Nach kurzem Warten auf Jeremiahs Farm hatte Samuel eingesehen, dass niemand mehr kommen würde, dass die anderen Hirten zu viel Angst hatten und mit der Rache an den Dieben nichts zu tun haben wollten. Sie waren schließlich keine Sheriffs. Aber Jeremiah war entschlossen, dennoch aufzubrechen; und Samuel wollte nicht zurück zu Hannah und der Farm, die ihm ohne Hope so tot vorkam.
Stundenlang ritten sie über die weite Ebene mit ihren Kakteen und vertrockneten Büschen. Bis zu den Bergen, deren Gipfel in der Hitze flirrten.
Während des Ritts starrte Jeremiah zum Gebirge. Als würde es verschwinden, wenn er nicht hinsähe. Die Krempe des Hutes legte Schatten über seine Augen, die von links nach rechts zuckten, sich verengten und weiteten, unablässig. Jeremiah redete nicht. Nur die Grillen zirpten monoton und das Hufeklappern der Pferde schallte durch die Schluchten und Felsspalten.
Über steile Pfade ritten sie weiter. Geröll knirschte unter den Hufen der Pferde. Samuel hielt sein Gewehr fest umklammert. Bevor er aufgebrochen war, hatte er es geladen. Hannah hatte er erzählt, dass er mit Jeremiah in die Stadt reiten würde, um nachzusehen, ob gutes Vieh zu kaufen sei. Hannah hatte nichts gesagt, nur genickt und dann weitergestrickt. Socken, die meist zwei Nummern zu klein waren.
Als der Himmel langsam eine rötliche Färbung annahm, fragte Samuel: „Wollen wir nicht umkehren? Ich habe keine Lust, im Dunkeln durch die Wildnis zu reiten. Ist gefährlich.“
Jeremiah zügelte sein Pferd und stieg ab. Neben dem Pfad schlängelte sich ein Bach vorbei an den Felsen und Steinen. Es war kaum mehr als ein Rinnsal. Jeremiah kramte seine Feldflasche aus einer Satteltasche. Seine Stirn war voller Staub, der sich mit Schweiß vermischte und bräunlich das Gesicht herabrann. Nase und Nacken waren verbrannt, und Jeremiah atmete schwer. Keuchend ging er neben dem Bach in die Knie. „Geh doch, verkriech dich zuhause wie die anderen Feiglinge.“
Samuel regte sich nicht. „Komm, das ist doch sinnlos. Wir finden die Diebe nie ohne Hilfe. Ich möchte mein Vieh ja auch zurück, aber das ist Irrsinn. Du holst dir noch einen Hitzschlag und kippst um.“
„Wir finden die Nigger bald. Wir müssen. Schert sich ja sonst keiner drum.“ Das Rinnsal plätscherte leise. Jeremiah trank einen Schluck aus der Feldflasche. Dann setzte er ab, leckte sich die Lippen. „Sag, bei dir lebt doch ein Niggerweib, oder?“
Samuel kniff die Augen zusammen. „Was hat das jetzt mit unserer Suche zu tun?“
„Hast du mit ihr geredet? Über das, was ich dir gestern erzählt habe?“
Samuel reckte sich in seinem Sattel, das Leder knirschte. „Nun, also …“
Jeremiah hob den Blick. Seine kalten Augen musterten Samuel, als wäre er ein angeschossenes Kalb, das erlöst werden müsse. „Weiß sie was?“
„In der Nacht des Überfalls, also … Sie ist von den Schwarzen entführt worden.“
„Entführt?“ Jeremiah kicherte. „Oh Sam, mein Freund, die Nigger entführen doch ihresgleichen nicht.“
„Warum nicht? Freiwillig ist Hope sicher nicht mit denen gegangen. Es geht ihr gut bei mir.“
„So?“ Jeremiah stand auf, klopfte sich Dreck von der Hose. „Sag, warum bist du wirklich hier? Wegen deiner Kühe? Oder wegen deines schwarzen Liebchens, hm?“
Samuel antwortete nicht. Jeremiah ballte die Hände zu Fäusten, atmete noch schwerer.
„Ich mach nur schnell die Flasche voll.“ Eine fremde Stimme erschallte nahe des Pfades. Hinter einer Biegung trat ein Mann hervor, ein Schwarzer.
Jeremiah riss die Augen auf. „Verdammt.“ Er wollte zurück zu seinem Pferd eilen. Dorthin, wo er seine Pistole gelassen hatte. Doch der Schwarze reagierte schneller. „Jungs, schnell hierher!“, brüllte er und zog einen Revolver.
Samuel wollte das Gewehr heben, doch es war zu schwer für seine Arme. Mit offenem Mund saß er auf seinem Pferd, starrte auf den Revolver, der auf Jeremiahs Gesicht zielte. „Keine Bewegung!“, rief der Schwarze. „Sonst puste ich deinen Schädel weg.“ Jeremiah blieb stehen.
Drei weitere Schwarze betraten den Pfad, alle bewaffnet mit Revolvern, die auf Samuel und Jeremiah gerichtet waren. Samuel ließ sein Gewehr in den Dreck fallen und hob langsam die Hände. Seine Finger zitterten.
„Was haben wir denn hier“, sagte der größte der Männer. „Zwei verirrte Wanderer. Was treibt ihr hier draußen ganz allein im Gebirge? Was wollt ihr in New Samaria?“
„New Samaria?“, wiederholte Samuel.
Jeremiah spuckte aus. „Mit Schaben sprech ich nicht.“
Der Große nickte. „Wie ihr wollt. Francis, gib mir die Seile. Ihr zwei, Hände hinter den Rücken. Soll der König entscheiden, was mit euch passiert.“
„Willkommen in New Samaria“, sagte der Nigger namens Francis. Nachdem sie eine enge Schlucht durchquert hatten, erreichten sie ein Tal. Eine Ebene kreisförmig umschlossen von kargen Felswänden. Da waren keine Pflanzen und keine Häuser, nur graues Geröll und ein Steinbrunnen, der größtenteils zersplittert war. Die Hitze war erdrückend, es wehte kein Wind. Die Luft stank nach Verwesung.
Tote Kühe bedeckten den Boden. Ihre Augen waren weiß, ihr Fell gräulich und dreckverkrustet. Hunderte Fliegen krochen in ihre Nüstern und Ohren und wieder heraus. Einige Rinder atmeten noch langsam, wirbelten mit schweren Atemzügen Sand auf. Ihre Zungen hingen aus den Mäulern und wurden von der Sonne ausgetrocknet. Indianer häuteten und zerlegten die toten Tiere. Blut verwandelte den Sand in rostbraunen Matsch. Als die Rothäute die Ankunft von Samuel und Jeremiah bemerkten, hoben sie die Köpfe und verengten die Augen. Samuel wandte den Blick ab.
Die Schwarzen trieben Samuel und Jeremiah vorwärts, die gefesselt auf ihren Pferden saßen. Seit dem Vorfall am Bach bewegte sich Jeremiah nicht und sagte kein Wort. Als wäre er zur Statue erstarrt. Samuel wollte ihn fragen, ob er in Ordnung sei. Aber er wagte es nicht. Nicht, solange er Gewehrmündungen in seinem Rücken spürte.
Am anderen Ende des Tals stand eine Hütte. Das Holz war grau und spröde und die Tür hing aus den Angeln. Neben dem Haus klaffte ein Loch in der Felswand. Ein verwittertes Schild war vor dem Eingang in den Boden geschlagen worden. Tekoa-Mine. „Da wären wir“, sagte Francis.
Im Schatten der Hütte saß ein Nigger auf einem Felsen. Er trug einen Hut, hatte einen grauen Vollbart und Pockennarben und er las in einem Buch. Als er Francis hörte, sah er auf, musterte Samuel und Jeremiah und klappte das Buch zu. „Ah, Gäste.“ Er erhob sich.
Samuel fragte: „Seid Ihr der Viehkönig?“
„Den Namen haben sich meine Brüder ausgedacht. Nennt mich Amos.“
Jeremiah sagte nichts. Einige Indianer schleppten das frisch zerhackte Rindfleisch in die Höhle, aus der Rufe schallten und etwas, das an rollende Fässer erinnerte.
Amos verschränkte die Arme. „Was wollt ihr hier?“ Mehrere Männer traten aus der Holzhütte hinter ihm, alle bewaffnet.
Samuel versuchte, sie zu ignorieren. „Unser Vieh.“
Amos hob die Augenbrauen. „Wirklich? Ich fürchte, ihr kommt schon zu spät …“
„Leute!“ Ein junger Schwarzer deutete auf Jeremiah und rief: „Das ist der Irre, der Louis abgeknallt hat. Ganz sicher.“
Amos legte den Kopf schief. „Ist das wahr? Kommst du zu uns, um dich zu stellen, oder was? Hm? Antworte, Mörder.“
Jeremiahs Augen waren ausdruckslos auf seine Füße gerichtet. Seine Unterlippe zitterte. Nach einem Augenblick völliger Stille - nur der rasselnde Atem sterbender Kühe war zu hören - lächelte Jeremiah und schnaubte laut. Wie ein Stier vor dem Losstürmen. Und dann sah Jeremiah Amos zum ersten Mal in die Augen und sein Lächeln wurde zu einem gehässigen Grinsen. Jeremiah machte einen Schritt nach vorn. Nur einen, mehr schaffte er nicht. Der große Schwarze, der neben ihm stand, schmetterte seinen Gewehrkolben gegen Jeremiahs Hinterkopf. Jeremiah keuchte und torkelte zur Seite. Blut lief über seinen Nacken und Sabber tropfte aus seinem Mundwinkel; dann ging er leblos zu Boden, mit dem Gesicht voran. Blut glänzte auf seinen Haaren. Samuel glaubte, er sei tot. Aber Jeremiah atmete noch, sein Körper hob und senkte sich.
Amos zeigte auf die Höhle. Der große Schwarze nickte, packte Jeremiah am Kragen seines Hemdes und schleifte ihn in die Mine. Samuel sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. „Was … was geschieht jetzt mit ihm?“
Amos zuckte mit den Schultern. „Er hat einen unserer Brüder ermordet und gehört bestraft.“
Samuel senkte den Blick. „Und welche Strafe sieht euer New Samaria für Diebe vor?“
„Diebe? Wir sind hier nicht diejenigen, die gestohlen haben. Nein, das wart ihr Weißen.“ Er ging einen Schritt auf Samuel zu und deutete auf das Feld der toten Tiere. „Wie fühlt es sich an, hm? Spürst du ein Ziehen in der Brust? Oder ein Hämmern in deinem Kopf, das nicht leiser wird? Alles zu verlieren, das muss doch schmerzen.“
„Was soll das? Was willst du?“
„Gerechtigkeit.“
„Was?“
„Mein Volk hat eure Häuser errichtet, eure Äcker gepflügt, mit Blut und Schweiß und Opferbereitschaft. Ohne uns hättet ihr eure Farmen nicht, keine Ländereien, keine Kühe. Und was war der Dank, hm? Gespuckt habt ihr auf uns, wie Vieh habt ihr uns behandelt. Und während der weiße Mann reicher und fetter und fauler wurde, wurden wir immer ärmer. Doch sieh dich um, euer wertvolles Vieh, alles, was euch wichtig war, ist fort, endet als Pökelfleisch in unserer Mine. Damit werde ich mir heute Abend den Bauch vollschlagen.“
Samuel entgegnete nichts.
Amos fuhr fort. „Und wir werden Santa Fe aushungern, ohne euer Vieh wird es nicht lang dauern. Und bald wird die Stadt uns gehören. Und dann werden sich Schwarze und Navajo und Mexikaner New Samaria anschließen. Und wir werden eine Armee sein. Und wir werden uns das Land zurückholen, das wir aufgebaut haben, das uns vom weißen Mann gestohlen wurde. Und so Gott will wird eure Herrschaft über uns enden; und dann gibt es endlich Gleichheit.“
Samuel sah sich um. Die Augen der anderen Männer funkelten, während Amos sprach, und sie nickten stolz bei jedem Satz. Samuel sagte: „Das ist doch Irrsinn. Santa Fe hat bereits Kuriere ausgesandt, die anderen Städte werden uns unterstützen. Euer Plan wird fehlschlagen, seht ihr das denn nicht? Sterben werdet ihr, sonst nichts. Da könnt ihr noch so viele Kühe klauen und Reden schwingen.“
Amos lächelte. „Unser Plan ist bereits ein Erfolg, denn das hier“, er ließ den Zeigefinger kreisen, „das ist nicht New Samaria. Nein, New Samaria ist hier.“ Er tippte gegen seine Schläfe. „Und unsere Hoffnung auf ein Leben ohne Unterdrückung könnt ihr Weißen nicht töten.“ Er hob den Kopf und betrachtete den Sonnenuntergang und die Schatten im Tal, die länger wurden. „Ich habe das Ende bereits gesehen. Vor zwei Jahren am Little Bighorn. Ich war da, als die Indianer die Army überrollten. Und ich habe das Schießpulver gerochen, die Kriegsschreie von tausenden Indianern gehört, den Staub gesehen, der die Ankunft ihrer Kavallerie ankündigte. Und als Major Custer abgeknallt wurde, wusste ich, dass eine Ära endet und eine neue beginnen wird. Und New Samaria wird diese Ära der Gleichheit einläuten. Solange, bis es keine Farben mehr gibt.“
Eine Frau trat aus der Holzhütte. Ihre langen schwarzen Haare umspielten das junge Gesicht. Lippen glänzten im Sonnenlicht. Samuel sah auf und sein Magen verkrampfte. „Hope.“ Er vergaß Amos und die anderen, sie waren nicht wichtig, nur Beiwerk.
Die Frau musterte ihn, zog die Augenbrauen zusammen. „Samuel? Bist du das?“
„Ja, ich bin es“, hauchte er.
Amos sagte: „Oh, ihr kennt euch?“
Samuel wollte auf Hope zugehen, sie umarmen. Aber die Männer hatten noch immer Waffen auf ihn gerichtet und seine Hände waren gefesselt. Das Seil schnitt in seine Handgelenke. „Hope, haben sie dir wehgetan?“
Hope schüttelte mit dem Kopf. „Nein.“ Sie sah sauber aus und trug ein hübsches Kleid, das Samuel nicht kannte. „Bist du den weiten Weg nur meinetwegen gekommen?“, fragte sie.
„Ja.“ Er wandte sich Amos zu. „Ihr habt sie entführt, ihr Tiere.“
Amos hob die Hände. „Entführt? Nein, sie ist …“
„Ich bin freiwillig mit ihnen gegangen“, sagte Hope. „Damals in der Scheune … Ich hatte Angst und wollte nicht, dass mir die Männer wehtun. Deshalb habe ich behauptet, ich wolle New Samaria helfen.“
Amos legte die Stirn in Falten. „Hä? Aber …“
Hope sah Amos in die Augen. Lange und intensiv. Dann ging sie langsam auf Samuel zu, niemand regte sich. Sie umarmte ihn. Ihr weiches Haar strich sanft über seine Wange. Hope sagte: „Ich bin so froh, dass du gekommen bist, Sam.“ Dann küsste sie ihn, warm und zärtlich. Als sich ihre Lippen lösten, sagte sie: „Lass uns nach Hause gehen.“
Amos sagte: „Damit er seinen Freunden in Santa Fe verrät, was wir vorhaben und wo wir sind?“
Hope und Amos sahen sich wieder lange an. Dann sagte sie: „Das wird er nicht. Nicht wahr, Liebster?“
Beim Klang des letzten Wortes spürte Samuel ein Kribbeln im Schritt und Wärme breitete sich in seinem Körper aus, wanderte bis in die Fingerspitzen, ließ ihn lächeln. Er fühlte sich geliebt und geborgen und alle Sorgen erschienen so nichtig. „Nein, werde ich nicht.“
Amos nickte langsam und sagte: „Dann verschwindet, bevor ich euch beide abknallen lasse.“
Während seine Fesseln gelöst wurden, sagte Samuel: „Du wirst schon noch erkennen, dass ihr euren Kampf nicht gewinnen könnt. Alle werdet ihr im Wüstensand verbluten.“
Amos sagte: „Ich bin sicher, Gott wird schon bald über mich richten, mein Freund. Und über dich.“ Er berührte die Krempe seines Hutes, schenkte Hope ein warmes Lächeln und sagte, ohne den Blick von ihr abzuwenden: „Ich wünsche eine angenehme Heimreise.“
-Hope-
Gemeinsam ritten sie auf Samuels Wallach. Hope umfasst mit beiden Armen Samuels Brust, presste ihr Gesicht an seinen Rücken. Samuel wünschte, der Ritt würde ewig andauern.
Als die Nacht hereinbrach, sagte Hope: „Lass uns ein Lager aufschlagen, Liebster.“
„Gut.“ Er schwang sich vom Sattel und half Hope beim Absteigen.
Sie sagte: „Sammelst du allein Feuerholz? Ich muss nämlich pinkeln.“
Samuel lächelte. „Gerne.“
Sie küsste sacht seine Wange. „Ich habe gehört, die Nächte können kalt werden. Nicht, dass wir uns gegenseitig wärmen müssen.“ Sie zwinkerte und verschwand hinter einem Kaktus.
Samuel drehte sich um, sah zu den funkelnden Sternen. Es war eine kalte Nacht, aber Samuel spürte es kaum. Als würde ein Feuer in ihm brennen, das die Kälte fernhielt. In der Ferne heulte ein Kojote. Samuel sagte: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht von Tieren entdeckt werden.“ Er wartete kurz, erhielt aber keine Antwort. „Liebste?“ Er drehte sich zu dem Kaktus um.
Hope stand vor ihm und richtete einen Revolver auf seine Stirn. Samuel erstarrte kurz, verengte die Augen, dann lächelte er. „Jesus, erschreck mich doch nicht so. Hast du den Revolver von Amos gestohlen? Gut.“ Er nickte. „Sehr gut. Damit können wir uns die Tiere vom Leib halten.“
Hope atmete schwer, ihre Unterlippe bebte. Sie spannte den Hahn. Der Revolver klickte. Samuels Lächeln erstarb. „Hope? Was … was soll das?“
Mit beiden Händen umfasste sie den Griff des Revolvers. Trotzdem zitterte der Lauf. Hope sagte: „Geklaut? Nein. Ich hab Amos gebeten, ihn mir zu geben. Ich wusste, dass du kommen würdest. Und ich habe versprochen, alles zu tun, um New Samaria zu beschützen. Das ist jetzt mein Zuhause.“
Der Stahl der Pistole glänzte silbern im Mondlicht. „Was soll das heißen?“ Samuel hob die Hände auf Schulterhöhe, die Handflächen Hope zugewandt. „Was hast du vor?“
„Du musstest mich unbedingt suchen, nicht wahr?“
Er leckte sich über die rissigen Lippen. „Wir gehören doch zusammen.“
Das Haar hing Hope ins Gesicht, verdeckte ihre Augen hinter einem dunklen Schleier. Eine Träne rann über ihre Wange. Aber Hopes Stimme blieb fest. „Du liebst mich nicht, ich liebe dich nicht.“
„Warum sagst du sowas?“
„Du willst mich nur benutzen, um deine Erben zu gebären. Weil Hannah es nicht kann. Damit deine Farm für die nächsten Generationen in Familienbesitz bleibt. So ist es doch.“
Samuel sagte nichts, atmete ruhig. Er ging einen Schritt auf Hope zu. Schotter knirschte unter seinen Schuhen, ansonsten geschah nichts. „Das ist nicht wahr.“
„Egal, wohin ich gehen würde, immer würdest du mir folgen. Ich bin nicht dein Eigentum. Jetzt nicht mehr.“
„Was redest du da? Was hat Amos dir angetan, hm? Hat er dir Opiate gegeben?“ Wieder machte Samuel einen Schritt.
Nun brach Hopes Stimme doch. „Solange du lebst, kann ich nicht frei sein.“ Der Lauf zitterte immer stärker. „Ich muss das tun.“
Samuel schüttelte den Kopf. „War ich nicht immer gut zu dir? Habe ich dich nicht stets verteidigt, wenn Hannah es auf dich abgesehen hatte?“
Hope entgegnete nichts, schniefte bloß leise.
Samuel sagte, so beruhigend er konnte: „Und warum sind wir hier draußen? Du oder Amos, ihr hättet mich auch in der Mine erschießen können.“
„Wir sind hier, weil …“ Sie ließ die Pistole sinken. „Geh nach Hause, Samuel. Geh zu deiner Frau. Solltest du jemandem von New Samaria erzählen oder je wieder nach mir suchen, stirbst du.“
„Sag sowas nicht.“
„Geh bitte nach Hause und sieh nicht zurück.“
Wieder ein Schritt. Samuel konnte Hopes Duft riechen, die Narzissen. „Das werde ich nicht. Ich liebe dich.“
„Nein, tust du nicht.“
Sie sahen sich in die Augen. Der Mond spiegelte sich auf Hopes tränennassen Wangen. Samuel legte seine Hand langsam auf die Pistole. „Ist schon gut.“ Er berührte Hopes verkrampfte Finger. „Lass uns zuhause darüber reden.“
„Verschwinde aus meinem Leben.“ Sie wollte den Revolver wegziehen.
Samuel hielt ihn fest. „Du bist bloß verwirrt. Amos hat deine Gedanken vergiftet, siehst du das denn nicht?“
„Hör auf“, zischte sie, zerrte fester am Revolver. Samuel ließ nicht locker und hob die Stimme. „Zwing mich nicht, dir wehzutun.“
Hope zerrte erneut, noch kräftiger diesmal. Und dann knallte es. Das Echo hallte über die Ebene, erstickte jedes Geräusch, machte weitere Worte überflüssig. „Hope?“, fragte Samuel.
Sie schrie auf und ließ den Revolver fallen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir leid“, sagte sie. „So leid.“ Sie presste ihren Handrücken an den Mund, drehte sich um und lief zum Pferd, ohne zurückzublicken, und schwang sich in den Sattel.
Samuel wollte ihr folgen, sie aufhalten. Aber er konnte sich nicht bewegen, die Beine waren schwer und steif. Er sah an sich hinab. In seinem Schritt sickerte Blut aus der Hose. Samuel wollte aufschreien, doch es entwich nur ein Keuchen. Er sank auf die Knie. Hope ritt davon, das Hufgetrappel wurde leiser, verklang bald.
Samuels Oberkörper wurde schwerer und schwerer, als würde ihn eine unsichtbare Hand niederdrücken. Er knallte zu Boden. Schmerz strahlte von seinem Schritt in den gesamten Körper aus, machte Denken unmöglich. Samuel presste die Hände auf sein zerfetztes Glied, aus dem heißes Blut sprudelte; und mit jedem vergossenen Tropfen wurde die Nacht kälter. So kalt, dass Samuel zitterte und seine Zähne klapperten. Das Heulen der Kojoten wurde lauter, kam näher. Die Sterne am Firmament verblassten. Und das Sangre-de-Cristo-Gebirge, über dem der Mond hing, verschmolz mit der Dunkelheit. Samuel schloss die Augen.
Er war zuhause. Die Sonne strahlte. Die Farm und die Scheune sahen aus, als wären sie erst gestern errichtet worden. Der Zaun auf der Weide war fort und Gras spross aus dem kargen Boden. Grün und kräftig. Tau glitzerte auf den Halmen. Dort, wo einst die Rinder grasten, tanzten Kinder im Kreis. Sie lachten und johlten und hielten sich bei den Händen. Die Augen der Jungen waren voller Freude, und die Mädchen hatten bunte Schleifen im Haar, die bei jeder Drehung flatterten.
In der Mitte des Kreises stand Hannah. Sie lachte und klatschte und trug eine Krone aus Blättern und Zweigen. Als sie Samuel erblickte, errötete sie und ihre Lippen formten Worte. Ich liebe dich. Dann tanzte sie noch ausgelassener, und die Kinder taten es ihr gleich. Obwohl sie sich schneller drehten und höher sprangen, glänzte kein Schweiß auf ihren weißen Gesichtern.