Der Verlust
Langsam glitt das blutverschmierte Langschwert aus ihrem schwachen Griff zu Boden. Mit einem lauten Platschen kam es auf dem nassen, schlammigen Grund des Waldes auf.
Regentropfen bedeckten ihr blasses Gesicht und mischten sich mit den klaren Tränen an ihren Augenwinkeln. Sie hob bedächtig den Kopf dem wolkenverhangenen Himmel entgegen. Ihre zittrigen Knie gaben unter ihr nach. Während sie kraftlos zur Erde sank, entwich ein verzweifelter Schrei ihren von der Kälte blauen Lippen, die Vögel in den kahlen Bäumen zu Tode erschreckend. Mit panischem Krächzen flogen sie auf der Suche nach einem ruhigem Ort in die Dunkelheit der Nacht hinaus.
Fast blind vor Tränen fokussieren ihre Augen den verschwommenen Körper vor ihr. Blut durchtränkte das weiße Hemd, sein einst blondes Haar dunkelgefärbt von dem matschigen Boden.
Sie zog den leblosen Mann in eine enge Umarmung, während ihr Schluchzen und ihre Tränen in seiner kräftigen Schulter, die ihr einst so viel Sicherheit und Trost gab, versiegten. Doch nun war es kalt. So unglaublich kalt. Keine Hand strich ihr über den Rücken, keine warme Stimme beruhigte ihre angespannten Nerven. Einzig der Klang der fallenden Regentropfen drang an ihre Ohren und hinterließ ein Gefühl der Leere.
Sie hob ihren Kopf und ihre Augen fanden das stille Gesicht ihres Geliebten. Sie strich ihm mit den Fingerspitzen über die dreckige Wange und presste ihre Lippen zart auf seine kalte Stirn.
„Keine Sorge, du wirst die Unterwelt nicht lang alleine durchstreifen“, flüsterte sie mit gebrochener Stimme, bevor sie seinen Leichnam vorsichtig auf den Boden bettete, wissend, dass er nichts mehr zu fühlen vermochte, doch ängstlich, sie könnte seinen gebrechlichen Körper verletzen.
Mit geschlossenen Augen nahm sie einen tiefen Atemzug, während alte Erinnerungen ihre Seele peinigten. Erinnerungen an ihr Liebe, an ihre Streitigkeiten, an seinen Tod.
Schlagartig öffnete sie die dunklen Augen. Sie kniete in einem Meer von Leichen, zu denen sie nun auch ihren Geliebten zählen musste. Strahlend rotes Blut sickerte zusammen mit dem frischen Regen langsam in den Grund und verschmutzte die Reinheit des Waldes.
Wie in Trance betrachtete sie die Banditen, die ihren Partner und sie ohne Vorwarnung angegriffen hatten, doch schien ihr Geist keine Informationen mehr aufzunehmen. Sie hatten ihr alles genommen, als sie ihn töteten. Ihre Freude, ihre Hoffnung, ihre Zukunft. Einzig der Hass blieb ihr und verunreinigte ihr gebrochenes Herz.
Sie hatte nicht alle Angreifer töten können, einige wenige waren geflohen, als sie bemerkten, dass sie keine hilflose Frau war und sehr wohl mit einem Schwert umzugehen wusste. Doch würden sie nicht mehr lange leben, schwor sie sich, die kochende Wut in ihren Adern spürend. Sie würde sie finden und zur Strecke bringen.
Ihr verschleierter Blick blieb an einem bewusstlosen Banditen hängen, der mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt saß. Neben ihr der einzige Überlebende des Massakers. Selbst in der Besinnungslosigkeit war sein Gesicht vor Schmerz verzerrt.
Sie ging vor ihm in die Hocke und untersuchte die Wunde an seiner Schulter, durch die sie vor wenigen Minuten ihr Schwert getrieben hatte. Er hatte vor Schmerz aufgeheult und sich in die schützenden Arme der Ohnmacht begeben, weshalb sie ihn nicht weiter beachtete. Doch nun schien seine Existenz umso wichtiger für sie.
Mit einem Ruck zerriss sie den rechten Ärmel ihres Kleides und verband mit dem blauen Stoff seine verletzte Schulter, dann packte sie ihn mit festem Griff an dem Kragen seines Hemdes. Sie schüttelte ihn gnadenlos, doch zeigte er keinerlei Reaktion. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck hob sie eine Hand in die Höhe und schlug ihm mit aller Kraft mit der flachen Hand auf die Wange. Noch immer regte er sich nicht. Sie schlug ihn wieder und wieder, bis seine Augenlider sich endlich flatternd öffneten. Seine rechte Wange schien in der Dunkelheit zu glühen.
„Was...“, begann er mit schwacher Stimme, doch der Schmerz ließ ihn verstummen. Ein Stöhnen entwich seinen spröden Lippen und wurde von dem kühlen Wind in die Nacht hinausgetragen.
„Lasst mich erklären“, entgegnete sie mit einer zuckersüßen Stimme, ihr Gesicht aufgehellt von einem falschen Lächeln.
„Eure dummen Freunde ließen Euch für mich zum Spielen zurück.“ Sie näherte ihr Gesicht dem seinen, bis ihre Nasen sich fast berührten. Ihre Augen hielten seinen noch immer benommenen Blick gefangen. „Ich mag eigentlich keine Geschenke und Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass ich Euch leben ließ.“ Mit ihrer freien Hand deutete sie auf die verstümmelten Leichen um sie herum, die andere umfasste noch immer seinen Kragen. Er schluckte schwer, während er langsam die Situation zu begreifen schien. „Wenn Ihr also nicht wie sie zu enden wünscht, rate ich Euch, mir den Aufenthaltsort der Feiglinge, die vor mir armer, schwachen Frau davonliefen, zu offenbaren. Solltet Ihr dies nicht tun... nun, sicherlich werde ich Euch keinen schnellen Tod bescheren, wie ich es bei ihnen tat.“
Anzeichen der Angst krochen in sein verschmutztes Gesicht und lösten in ihr ein dunkles Gefühl der Befriedigung aus. Sie konnte sich vorstellen, wie unheimlich sie nun zu wirken schien, doch war sie von Beginn an keine vernünftige Person gewesen. Er hätte sich nie mit ihr anlegen sollen, doch nun war es zu spät. Man erntete, was man säte und so er hatte einen verfaulten Samen der Rache in ihre Seele gepflanzt, den er nie wieder würde entfernen können, bis der letzte der Gruppe der Banditen durch ihre Hände fiel.
„Eure Antwort..?“, fragte sie langsam in freundlichem Ton, der im starkem Gegensatz zu ihren bisher gesprochenen Worten stand.
Für eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, in dem er mit seiner inneren Stimme zu diskutieren schien, wer gefährlicher war: seine flüchtigen Kameraden oder die Frau vor ihm mit dem irren Glitzern in ihren Augen. Er senkte seinen Blick. Sie gewann.
„Helft mir auf“, verlangte er in arrogantem Ton, der in Anbetracht seiner aussichtslos anmutenden Situation fehl am Platz wirkte, doch zeigte sie nicht den Hauch einer Bewegung. „Sie sind wahrscheinlich zu unserem Versteck zurückgekehrt, wo Ihr auch unseren Anführer antreffen werdet. Doch finden könnte Ihr es nicht, wenn ich Euch nur den Weg beschreibe. Ich muss Euch führen.“
Genervt seufzte sie, doch zog sie ihn an einem Arm in die Höhe. Natürlich umfasste sie jenen mit der verletzten Schulter, um ihm neue Schmerzen zu berieten, die ihn daran erinnern sollten, dass er ihr Gefangener war. Fast wünschte sie sich, sie hätte ihn wie die anderen umgebracht. So hätte sie in den Taschen der Leichen nach Hinweisen suchen müssen, doch war es ihr fast wehrt, nun, da sie seine Gesellschaft ertragen musste.
„Bewegt Euch“, zischte sie verstimmt, ihre Stimme fern jeder Freundlichkeit.
Er zog eine Grimasse, doch setzte er den ersten Schritt. Sie folgte ihm, keine Zeit verschwendend, indem sie sich die Leiche ihres Partners zum letzten Mal ansah. Was auch immer folgte, sie würden sich in der Hölle wiedersehen.