Der Verlust
Ich saß neben meiner Freundin auf dem Bett, sie schlief. Das wurde mir jedenfalls gesagt, aber das glaubte ich nicht. Sie war blass, sehr, fast weiß. Ich wusste nicht was passiert war, denn ich kam gerade von meinem Berlin-Trip zurück. Das Einzige, was mir gesagt wurde, war: „Sie schläft, ihr geht es nicht so gut. “
Ab dem Zeitpunkt, als ich in ihr Zimmer kam, merkte ich, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Mich durchfuhr ein Schauder, als ich in das sonst so saubere Zimmer ging. Hier sah es aus, als ob ein Kampf stattgefunden hätte. Bei anderen würde ich sagen: Ein ganz normales Zimmer eben, aber hier…
Hier konnte man meinen, man wäre auf einem Müllberg gelandet.
Ich ging mit schnellen Schritten auf meine Freundin zu. Ihre Brust hebte und senkte sich leicht. Neben ihrem Bett standen etliche Geräte, keine Ahnung wofür diese gedacht waren. Komisch. Eigentlich kannte sich Mary nicht so mit Technik aus. Aber egal.
Ihr Haar sah glanzlos aus und ihre Gesichtszüge entspannt.
In ihrem Zimmer roch es seltsam. Ein Geruch, den man nicht einordnen konnte. Ein Bisschen beißend, wie Desinfektionsmittel, aber irgendwie auch süßlich, als ob man versucht hatte das Beißende durch Raumspray zu überdecken. Durch das gekippte Fenster wehte frische Luft durch das Zimmer. Ich setzte mich an den Rand des Bettes, neben meine Freundin. Mary rührte sich nicht. Auch nach mehreren Minuten lag sie genauso steif da wie zuvor. In meinem Kopf schossen unendlich viele Gedanken umher. Ich flüsterte ihren Namen: „ Mary! Mary! “, aber nichts tat sich. Ich beschloss erneut zu warten. Warten, auf irgendwas. Diesmal nahm ich ihre Hand. Sie war eiskalt. Ich versuchte sie ein Bisschen zu wärmen. Ob es funktionierte, weiß ich nicht. Ich schaltete ab, von dem Anblick meiner Freundin schockiert. Das Einzige was ich jetzt noch hörte war das Ticken ihrer Wanduhr.
Nach einer knappen halben Stunde ging ich runter in die Küche, wo Mary’ s Mutter an der Theke stand. Ich fragte sie, was mit Mary ist, was sie denn hätte und ob es ernst wäre. Ich hatte so viele Fragen. Ihre Mutter schwieg. Ihr Blick wanderte leer im Zimmer umher. Worauf wartete sie?
Sie schwieg, ging auf und ab. Worüber dachte sie nach? Schließlich sagte sie: „Folge mir! “, Wir gingen ins geräumige Wohnzimmer und setzten uns auf das Sofa. „Du weißt doch “, fing sie an „dass Mary Gestalten sah, die nicht da zu sein schienen. Geister nannte Mary sie. Als du wegfuhrst, haben wir uns entschlossen, Mary‘ s Zimmer mit Kameras auszustatten. Wir haben auch noch ein paar Aufnahmen, aber als wir das Band das erste Mal tauschten, wurden die Kameras in der Nacht darauf zerstört. Mary sah diese ‘Geister‘ immer öfter und sie sagte, sie würden sie rufen und auf sie zukommen. Eines Nachts…“, jetzt weinte sie. Ich fragte: „Eines Nachts? Was passierte da?“ – „Eines Nachts schrie sie, wir liefen zu ihr und blieben wie angewurzelt in der Tür stehen. Mary‘ s Augen waren weit geöffnet, schienen von Wut und Furcht zu glänzen. Sie schrie. Immer lauter. Immer öfter. Plötzlich warf sie mit Sachen um sich. Sie redete mit sich selbst, sie nuschelte, ich verstand so gut wie nichts. Aber es schien so, als würde sie gegen sich selbst kämpfen. Immer wieder schrie sie. Einmal drangen diese Worte in mein Ohr ‘Verschwinde! Lasst mich in Ruhe! ‘ “, sie schluchzte und ich nahm sie in den Arm. Sie fuhr fort: „Das ging die ganze Zeit so weiter. Ein letzter Schrei, dann flog sie auf den Boden. Sie krümmte sich, wahrscheinlich vor Schmerz, denn sie blutete. Am Bauch. Als ob jemand ein langes Messer tief in Mary‘ s Magengrube gestoßen hatte. Mein Mann machte Licht. Ich lief panisch nach unten und rief einen Krankenwagen. Als sie endlich eintrafen, lag Mary in einer Blutlache. Die Männer nahmen sie mit und fuhren mit ihr in das nächste Krankenhaus. Wir folgten ihnen und blieben die ganze Nacht an Mary‘ s Seite. Nach einigen Tagen und einer OP sagte man uns endlich, was mit Mary geschehen war und wie ihr Zustand sei. Man nahm an, etwas scharfes sein in ihren Bauch gerammt worden. Allerdings wäre man sich nicht sicher. Sie liegt im Koma, bis heute. Und keiner weiß, wie lange noch “, „Ach deswegen die vielen Geräte “, dachte ich.
„Ich hab so Angst um sie, sie sieht so schwach aus und… ich will sie nicht verlieren! “, damit hörte Mary‘ s Mutter auf zu erzählen. Ich war geschockt! Mir liefen Tränen über die Wange aber ich musste stark sein. Ich musste nach vorne sehen und versuchen Mary und ihrer Familie zu helfen!
Ich umarmte Mary‘ s Mutter nochmal. Wir schwiegen. Ich durchbrach die Stille mit einer Frage: „Wie lange liegt Mary schon im Koma? Und wie lange schätzt der Arzt wird sie noch in diesem Stadium bleiben?“ – „Seit 10 Tagen. Der Arzt weiß es nicht. Er ist sich unsicher, ob sie überhaupt wieder zu Bewusstsein kommen wird.“
Das brach mir das Herz. Mir wurde warm, mein Herz pochte laut und Tränen flossen. Trauer und Schmerz übermannten mich. Ich wollte das nicht wahr haben.
Plötzlich kam ein Geräusch von oben. Mary‘ s Zimmer. War sie wach? Würde alles wie vorher werden? Was wenn die ‘Geister‘ sie weiterhin plagen würden?
Ein lautes Poltern holte mich in die Realität zurück. Mary‘ s Mum und ich liefen nach oben, die Geräte waren ausgesteckt und Mary zappelte für einen kurzen Moment, als stünde sie unter Strom, dann war alles wieder still. „Ich rufe den Notarzt! Er soll alles überprüfen! Schalte du die Geräte wieder an!“
Ich gehorchte. Fünf Minuten später war der Notarzt da und kontrollierte alles. Der Herzschlag von Mary war schwach, aber regelmäßig. Das beruhigte mich. „Was war geschehen?“, fragte der Arzt. Mary‘ s Mutter stand da wie eine geistlose Hülle. Ich antwortete für sie: „Wir wissen es nicht genau“ ich erzählte ihm was ich wusste. Ich hatte selbst viele Vermutungen, aber sie erschienen mir zu unwahrscheinlich.
Der Notarzt füllte noch ein paar Papiere aus und ging dann wieder weg. Mary‘ s Mutter und ich blieben noch kurz oben, gingen dann aber relativ bald wieder runter ins Wohnzimmer. Mary‘ s Mum ließ sich auch das Sofa fallen und stöhnte, gefolgt von einem schluchzen. Sie weinte.
Ich verabschiedete mich, denn ich verlor jeden Moment meine Beherrschung. Ich musste raus, einfach weg hier, weit, weit weg. Ich lief zum Bahnhof und nahm den nächsten Zug. In der nächstgrößeren Stadt stieg ich aus. Ich lief durch einen Park, vorbei an vielen alten Leuten, an Pärchen, an Jugendlichen, die verrückte Dinge taten und an jungen Frauen und Männern, die so sehr an ihre Arbeit gebunden waren, dass sie das Leben schon gar nicht mehr wahrnahmen. Ich irrte ein paar Stunden in der Stadt umher, bevor ich mich entschloss, nach Hause zu fahren.
Um ca. 10 Uhr war ich endlich daheim. Meine Augen waren rot und fühlten sich angeschwollen an. Meine Mum saß im Esszimmer. Sie hatte auf mich gewartet.
Als sie mich sah, war sie entsetzt, lief auf mich zu und drückte mich ganz fest. Ich war erst gestern Abend von der Berlin-Reise nach Hause gekommen und somit hatte ich meiner Mutter noch nicht erzählen können, was passiert war.
„Was ist passiert, Liebling? Geht es dir gut?“
Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mum, darum erzählte ich ihr alles von dem langen Tag. Als ich fertig erzählt hatte liefen mir erneut Tränen über die Wangen und meine Mutter nahm mich in den Arm.
Es tat gut mit jemandem darüber reden zu können.
Um kurz nach Mitternacht gingen wir ins Bett und ich schlief relativ schnell ein.
Am nächsten Morgen frühstückte ich dürftig und machte mich dann auf den Weg in ein Blumengeschäft. Ich wollte Mary weiße Rosen schenken. Das waren ihre Lieblingsblumen. Ich wurde schnell fündig und beeilte mich zu Mary zu kommen. Dort angekommen traf mich der Schlag! Um das Haus standen etliche Polizeiwägen und noch mehr Polizisten, auch ein Krankenwagen war eingetroffen.
Ich ging auf den nächstbesten Polizisten zu und fragte, was geschehen war. Anfangs wollte er mir nichts sagen, doch ich blieb hartnäckig.
„Wir wurden verständigt von Mrs. Cooper. Sie meinte, mit ihrer Tochter würde etwas nicht stimmen, sie hörte Schreie, obwohl Mary doch im Koma liegt. Sie traute sich aber nicht in das Zimmer von Mary zu sehen, deshalb rief sie uns. Als wir ankamen, hörten wir viele Geräusche, als würden Möbel verschoben werden und… “ – „Geht es Mary gut? Ist ihr etwas zugestoßen?! “, unterbrach ich den Polizisten. „Ihr Zustand ist stabil, aber sie hat neue Verletzungen. Einmal im Gesicht und einmal am rechten Oberschenkel. Es sieht so aus, als hätte sie jemand geritzt. Genaueres dürfen wir leider noch nicht preisgeben. “ – „Und Sie sagen Mary‘ s Zustand ist wirklich stabil?“
Der Polizist antwortete: „Ja, kurzzeitig war der Zustand instabil, aber jetzt ist er wie vorher. Mary liegt wieder im Koma.“ – „Was ist mit Mrs. Cooper?! Wo ist sie?“
Auch darauf antwortete der Polizist: „Sie wurde in die Klinik gebracht, damit sie dort ein Bisschen zur Ruhe kommt.“
Ich bedankte mich für die Auskunft, lief zu dem Haus und legte den Blumenstrauß vor die Tür. Ich lief weiter die Straße entlang bis ich vor dem Haus von Chris stand. Kurzerhand entschloss ich mich bei meinem besten Freund zu klingeln. Sein Dad öffnete und begrüßte mich freundlich. Chris kam runter und begrüßte mich ebenfalls.
Ich trat ein und wir gingen in sein Zimmer. Er lenkte mich ab. Das war gut. Wir zockten und ich fühlte mich wieder wohl in meiner Haut. Ich ging um halb 8 nach Hause.
Als ich unser Haus betrat kam mir der Geruch von leckerem Abendessen entgegen. Meine Mum hatte Ragout gemacht, das Lieblingsessen meines Vaters. „Peter, hilf mir bitte den Tisch zu decken, dein Vater kommt gleich “, trug sie mir auf. Ich gehorchte. Ein paar Minuten später traf auch mein Vater ein.
Wir aßen, unterhielten uns über die vergangenen Tage.
Ich aß schnell und ging früh zu Bett, morgen war ja Schule. Ich freute mich meine Freunde wieder zu sehen, andererseits war ich auch traurig, weil Mary nicht kommen konnte.
Ich fragte mich, wie es ihr geht. An was denkt man, wenn man im Koma liegt? Irrt man als Geist umher? Wenn ja, kann sie in Kontakt mit den Geistern treten, die sie riefen? Ich habe auf keine dieser Fragen eine Antwort gefunden. Ich legte mich schlafen. Meine Nacht war von den verschiedensten Albträumen geplagt.
Um halb 7 klingelte mein Wecker. Schläfrig stand ich auf und machte mich für die Schule fertig. Der erste Schultag nach meinem Berlintrip war interessant, aber eintönig. Ein ‚Wie war‘s in Berlin? ‘ hier, ein ‚Wie geht’s dir? ‘ dort…
Die nächsten paar Tage verliefen ähnlich. Nachmittags besuchte ich immer Mary und Mrs. Cooper.
Am Donnerstag, als ich wieder einmal zu Besuch bei Mrs. Cooper was, hatte ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Mary konnte Leben. Sie wird. Hoffe ich jedenfalls. Ich ging in Mary‘ s Zimmer. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Raumspray war schon ein wenig zurückgegangen, allerdings immer noch sehr streng. Ihre Haare hatten wieder ein wenig Glanz angenommen, vielleicht hatte sich ihre Mutter um sie gekümmert. Es standen Blumen neben ihrem Bett, das Chaos von vor einer Woche war, bis auf ein paar Teile, beseitigt.
Ich wechselte noch ein paar Worte mit Mrs. Cooper und machte mich dann auf den Weg nach Hause. Morgen würde ich nicht kommen, ich ging zu Chris. Ich brauchte einen Tag in der Woche an dem ich abschalten konnte.
Es ist Freitag, der letzte Tag meiner ersten Woche und ich kann es kaum erwarten ins Wochenende zu gehen. Die Schule ging schneller vorüber als gedacht. Ich ging nach der Schule nicht nach Hause sondern folgte Chris, bis wir bei ihm waren. Wie sonst auch redeten wir viel und zockten die Hälfte des Nachmittags. An diesem Abend ging ich spät ins Bett.
Ich schlief tief und fest. Zum ersten Mal diese Woche.
Mein Schlaf wurde um kurz vor 3 Uhr unterbrochen. Mein Handy klingelte. Wer ruft um diese Uhrzeit an? Als ich auf das Display sah, stockte ich kurz. 4 Buchstaben. M – A – R – Y. Was ging hier vor sich?
Zögernd aber neugierig hob ich ab. Schluchzen war zu hören. Ein Schrei. Ein Hilferuf. Mary’ s Stimme. Ich rief, sie solle durchhalten, ich schnappte mir einen Mantel und rannte durch die Nacht. Währenddessen immer das Handy an mein Ohr haltend. Ich hörte noch einen Satz, kurz bevor ich in ihre Straße einbog: „Ich liebe dich!“ Mir schossen Tränen in die Augen. Ich antwortete: „Ich dich auch! Mary, bleib stark! Ich bin gleich bei dir!“
Ein Knistern, ein Schrei, aufgelegt. Ich stand jetzt vor ihrem Haus und klingelte Sturm! Mrs. Cooper öffnete weinend und bedankte sich für mein kommen. „Der Krankenwagen und die Polizei sind schon verständigt.“
Ich stürmte an ihr vorbei in das Zimmer von Mary. Sie war wach. Aber ihr ging es noch schlechter als sonst, das sah man. Sie schrie und kreischte, ich ging an ihr Bett, flüsterte ihr ins Ohr, dass ich sie liebe. Umarmte sie und küsste sie. Für diesen Moment war alles perfekt. Sie war wieder wach, die Geister ließen sie in Ruhe und ich konnte sie endlich wieder in meinen Arm nehmen.
Doch der Schein trügte. Ganz plötzlich war dieser Moment der Stille wieder vorbei. Sie weinte und sagte: „Peter! Ich… ich liebe dich! Ich werde bald nicht mehr da sein. Es tut mir leid. Es zerstört mich!“
Ich war sprachlos, was geht hier vor?
„Ich liebe dich auch! Verlass mich nicht! Ich kann ohne dich nicht leben! Was zerstört dich? Ich werde es vernichten!!“, sagte ich entschlossen. „Das Monster! Es kann uns hören! Niemand kann es vernichten!“ – „Schatz, sag so was nicht! Du wirst leben! An meiner Seite! Geh nicht weg!“, ich wollte das nicht wahr haben!
Sie weinte und schrie: „Geh weg! Wieso ich? Such dir jemand anderen, den du töten kannst!“
Dann geschah es.
Sie hustete. Immer stärker. Immer lauter. Plötzlich hustete sie Blut. Ihre Hand umfasste meine. Ich weinte. Ihre Miene verzog sich. Ihre Augen rollten. Auch ihre Nase fing nun an zu bluten. Sie schrie. Ganz grell, wie man es nur aus Horrorfilmen kennt.
Ich hörte Sirenen. „Der Krankenwagen!“, dachte ich laut „Halte durch Mary! Halte dich durch! Ich liebe dich!“
Tränen liefen über meine Wangen. Sie hustete erneut Blut. Ihre Augen rollten nach hinten. Ich rüttelte sie. Sie musste wieder aufwachen! Kaum war sie wach schrie sie wieder. Ich sah, wie ein langer Riss an ihrem Hals entstand, als würde ein unsichtbares Messer den Hals aufschlitzen. Sofort floss Blut hinaus. Sie schrie. Sie hatte keine Kraft mehr. Sie sank in meinen Armen zusammen. Ich weinte und flüsterte: „Mary! Ich liebe dich! Gleich kommt Hilfe! Halte durch! Ich kann ohne dich nicht leben! Mary!!“
Das letzte was sie sagte war: „Tschüss Peter. Ich werde dich immer lieben.“
Mit diesen Worten war sie weg. Ich rüttelte und schüttelte sie. Nichts. Der Notarzt betrat das Zimmer. Ich sagte zu mir selbst: „Es ist zu spät. Alles vorbei.“
Der Arzt begutachtete Mary. Er überprüfte den Puls. Dann wurde seine Miene ernst. Er wechselte einen Blick mit Mrs. Cooper und mir. Er wandte sich Mary‘ s Hals zu. Er klappte den Schnitt auf und sah hinein. Der Anblick ekelte mich.
Ich konnte mir das nicht weiter mitansehen. Ich drehte mich um. Nach weniger Zeit kam der Notarzt aus Mary‘ s Zimmer. „Ich konnte ihr leider nicht mehr helfen“, sagte er. Ich weinte noch viel heftiger als sonst. „Was soll das heißen? Wollen sie damit sagen sie ist…?“, fragte ich stotternd. „Ja, es tut mir leid. Sie ist tot.“
Das war zu viel für mich. Ich stürmte aus dem Haus. Durch die nächtlichen Straßen. Nur die Laternen sorgten für Licht. Es war kalt, doch das war mir egal. Ich zitterte vor Schock und Kälte. Wie sollte ich jetzt noch leben können? Wenigstens konnte ich Mary noch einmal in den Arm nehmen und ihr sagen, dass ich sie liebe. Aber sie so sterben zu sehen war schrecklich. Jetzt war sie weg. Einfach weg. Ich hoffte sie führt dort, wo sie jetzt ist, ein besseres Leben. Ich weinte. Ich konnte es nicht glauben. Einfach weg. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte mich einfach nur noch vor das nächstbeste Auto werfen, von einer Brücke springen, egal was. Einfach nur sterben. Damit ich diesen Schmerz nicht mehr aushalten musste. Aber hier fuhren keine Autos und Brücken gab es hier auch nicht.
Es war jetzt 5 Uhr morgens. Ich ging nach Hause und legte mich in mein Bett. Ich starrte die Decke an und versuchte zu schlafen. Aber ich sah immer wieder die Bilder von Mary in meinem Kopf. Ich durchlebte diese Situation immer wieder aufs Neue. Ich konnte nicht aufhören daran zu denken. Um 8 Uhr entschloss ich mich einen Brief zu schreiben, also setzte ich mich an meinen Schreibtisch.
„Wenn ihr das hier lest, bin ich wahrscheinlich schon tot. Aber ich möchte, dass ihr noch folgendes wisst:
Ich habe das Leben geliebt und geschätzt, doch seit einer Woche geht es mir richtig schlecht. Ich hatte immer gehofft, Mary würde wieder zu Bewusstsein kommen. Heute Nacht war sie wach und starb kurz darauf in meinen Armen. Die Weise wie sie starb war grauenvoll und ich bekomme diese Bilder einfach nicht mehr aus meinem Kopf heraus. Mit so einem Schmerz kann ich nicht leben.
Ich würde auch gerne noch etwas an Mrs. Cooper, Chris und meine Familie sagen.
Ihr alle standet mir sehr nahe und ich hoffe, ihr kommt über den Tod zweier, junger Menschen hinweg. Ihr kanntet Mary‘ s und meine Lage. Ich liebe euch! Aber ich kann einfach nicht mehr.
Lebt wohl, wir sehen uns im Himmel wieder.“
Erneut liefen mir Tränen über die Wangen. Ich musste an Mary denken. Ich schlich in die Küche. Mein Dad war schon außer Haus, er hatte Frühschicht. Meine Mum schlief noch. Ich holte das größte Fleischermesser, das ich finden konnte. Ich ging zurück in mein Zimmer. Nahm den Brief und legte ihn auf mein Bett.
Nun stellte ich mich vor den Spiegel, schloss die Augen und dachte an meine Freunde, an meine Familie und auch an die letzten Tage. An Mary, die unschuldig und grauenhaft gestorben war. Ich weinte. Wie so oft in dieser Woche. Als ich versuchte, mir meine Zukunft vorzustellen, war da Nichts. Alles schwarz, Bilder von Mary‘ s Tod, die sich im Kreis drehten. Immer schneller, bis ich nichts mehr erkennen konnte. Ich war entschlossen. Ich werde es tun. Eine andere Möglichkeit sah ich nicht. Mein Leben war leer und ich war einsam.
Ich sah ein letztes Mal in diesen Spiegel und das letzte Mal blickte ich mit meinen Augen in die Welt hinaus. Dann traf das Messer, das ich in der Hand hielt, auf mein Herz.
Mein Herz war gebrochen, von dem Schmerz Mary verloren zu haben. Und der Schmerz der mich nun durchfuhr war nicht schlimmer, nur anders. Blut floss über mein T-Shirt, tropfte auf den Boden.
Dann war alles schwarz.
Ich bin tot.