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Der Vater, ein Fremder (Heimkehr)

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09.08.2002
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Der Vater, ein Fremder (Heimkehr)

Die Straße, in der das Haus seiner Familie stand, sah genauso aus wie früher. Es hatte sich scheinbar nichts verändert. Die selben Häuser, die selben Autos am Straßenrand. Was sollte sich nach drei Jahren auch geändert haben, in einer reinen Wohnsiedlung? 'Schöne Familienhäuser von abgrundtiefem Durchschnitt überall’, dachte Jens. Es kam ihm zwar alles vertraut vor, doch war dies keine Vertrautheit, die ihn emotional berührte, keine Vertrautheit, die Geborgenheit versprach. Es war eine kühle, sachliche Vertrautheit. So wie einem Dinge des alltäglichen Lebens vertraut sind, zu denen man keine gefühlsmäßige Bindungen besitzt.
Etwas hatte sich aber doch verändert. Jens blickte zu dem gegenüber liegenden Garten seines alten Zuhauses. Die beiden großen Eichen waren nicht mehr da. Jetzt konnte man ohne Probleme von Jens’ ehemaligem Zimmer in das Schlafzimmer der Treikes schauen. Er musste plötzlich an ein Stück seiner Kindheit denken, wie er und sein Freund Boris diese Detektiv-Phase zusammen durchmachten und eine Zeit lang vermuteten, dass Herr Treike seine Frau zerstückelt im Wandschrank aufbewahrte. Und dann dachte Jens an Boris. Er nahm sich vor ihn später anzurufen. Auch Kathrin, seine erste große Liebe, wollte er gerne noch später treffen.

Jens stand nun vor der Haustür seines alten Zuhauses. Er drückte nicht sofort auf die Klingel, sondern spielte noch kurz das drohende Begrüßungsszenario im Kopf durch. Er fühlte sich ein wenig verkrampft.
Schon wenige Sekunden nachdem er geklingelt hatte, machte seine Mutter die Tür auf. Sie musste wohl im Hausflur auf ihn gewartet haben. Sie wirkte ein bisschen erschöpft auf Jens.
„Mein Schatz, da bist du ja endlich“, strahlte sie und gab ihm einen feuchten Kuss auf die Wange. Jens war erleichtert. Es schien, also ob sie sich wirklich freute ihn zu sehen.
„Hattest du eine angenehme Reise? Du bist bestimmt müde, oder? Lass uns gleich essen. Ich habe dein Lieblingsessen gekocht: Rippchen mit Sauerkraut. Das magst du doch so gerne“.
Jens konnte nur grinsen. Das war original seine Mutter. Liebenswert und besorgt wie immer. Das hatte sich in den drei Jahren, in denen er seine Eltern nicht mehr gesehen hatte, also nicht geändert.
Während Jens noch im Hausflur stand und seine Mutter über seinen Arm strich und gedankenverloren seinen Mantel zurecht zupfte, kam sein Vater im Bademantel und Pantoffeln aus dem Wohnzimmer. 'Auch er hat sich nicht verändert’, dachte Jens. Obwohl er jetzt schon auf die 60 zuging, war er immer noch ein sehr kräftiger Mann mit harten Gesichtszügen.
„Hallo, mein Sohn“.
„Hallo, Vater“.
„Wie geht’s?“
„Ganz gut. Und dir?“
„Kann nicht meckern“, sagte Jens’ Vater. Aus seinem Gesicht konnte Jens keine Freude erkennen, aber auch keinerlei Missmut. Es blieb ausdruckslos, wirkte fast gleichgültig.
„Der alte Treike hat seine Eichen gefällt“.
„Ja, hab’ ich gesehen“.
„Lust nachher mit Golf zu schauen? Es kommt Golf im Fernsehen“.
Jens nickte kurz und versuchte seine Mundwinkel zu einem Lächeln zu überreden. Der Vater vernahm es wohlwollend. ‚Und das ist gut so, nur keine Spannung aufkommen lassen’, dachte Jens.
„Ja, klar. Ich schaue mit dir Golf. Aber solange kann ich nicht. Ich will später noch Boris und Kathrin besuchen gehen. Der Vater nickte. Jens hatte den Eindruck, dass er darüber nicht sauer war.
„So, jetzt essen wir aber erst mal“, durchbrach die Mutter einen Augenblick des Schweigens. Und sie gingen alle drei daraufhin in die Küche.

Am Küchentisch wurden zunächst die Schüsseln hin und her gereicht. Nachdem Jens’ Anreise und die Kochkünste der Mutter als Gesprächshemen abgehandelt waren, herrschte Stille. Jens fühlte sich unwohl. Die Stille schien ihm das Atmen zu erschweren. Die Unsicherheit im Raum konnte man beinahe mit Händen greifen.
Diesmal war es der Vater, der als erstes das Wort ergriff.
„Wie geht es mit deinem Job?“
„Es läuft ganz gut.“
„Was machst du noch mal?“
Jens spürte eine Woge des Zorns in sich aufkommen, doch er versuchte sich sogleich zu beruhigen. Er fühlte sich provoziert. Hatte er seinem Vater nicht schon mehrmals erzählt, was er machte?
„Ich bin Schauspieler“. Jens wollte es entschlossen sagen. Es klang jedoch eher, als ob er sich selbst nicht so ganz sicher war. Er hatte sich eigentlich vorgenommen, hier als starker, selbstbewusster Mann aufzutreten, für den er sich hielt. Und der er war. Jedoch nur in Berlin, wo Jens nun lebte. Hier im kleinen Sulzbach, in der Bayrischen Provinz, neben seinem Vater fühlte er sich in der Regel klein und schwach. Denn hier herrschten andere Gesetze als im großen Berlin. Hier machte sich niemand etwas daraus wie viel Bücher er gelesen hatte oder wie gut er den König Lear spielen konnte.
„Ach ja“, sagte sein Vater etwas gleichgültig. „Und du hast im Moment eine Anstellung? Ich meine, du verdienst im Moment Geld?“
Sein Vater sagte dies in einem süffisanten Ton. Den er ansonsten nicht gut beherrschte. Dies mal jedoch war er gekonnt. Jens hatte den Eindruck, als ob seinem Vater nicht an einer Aussöhnung gelegen war. Doch der Sohn wollte keine Giftpfeile abschießen. Noch nicht. Seiner Mutter zu Liebe, wegen der er heimgekehrt war.
„Ja, ich verdiene auch Geld“, sagte Jens ganz ruhig, du brauchst keine Angst haben, dass dein nutzloser Sohn dich wieder anbettelt“.
'Verflucht’, dachte Jens. Weil er mal wieder in Sarkasmus verfiel. Er hörte schon die Alarmsirenen. Und seine Mutter hörte sie auch, denn sie schaute ihn vorwurfsvoll an.
Die Mutter versuchte schnell das Thema zu wechseln.
„Wie geht es Susanne?“, fragte sie etwas nervös. „Du bist doch noch mit ihr zusammen, oder?“
„Ja, ja, ganz gut“, antwortete Jens seiner Mutter, schaute jedoch dabei seinem Vater fest in die Augen, als ob er ihm damit eine Nachricht zukommen lassen wollte. Heute wollte Jens nicht klein und schwach sein. Heute nicht.
Der Vater schien die Botschaft zu vernehmen und fühlte sich herausgefordert.
„Wie lange wird es wohl diesmal dauern, bist du wieder ohne Einkommen bist? Vielleicht ein halbes Jahr? Das ist doch kein Leben!“
Den letzten Satz schmetterte der Vater energisch heraus, als würde er dadurch noch überzeugender wirken.
Jens hatte vor von seinem Stuhl aufzuspringen. Er wollte seinem Vater in einem möglichst lauten Ton sagen, dass das sein Leben sei. Er tat es aber nicht. Das Wochenende hatte noch eine Chance verdient. Da war er sich halbwegs sicher.
„Lass es gut sein, Hans“, versuchte die Mutter ihren Mann zu beschwichtigen. „Er hat sich nun mal für diesen Weg entschieden. Das müssen wir akzeptieren“.
Jens war froh, seine Mutter das sagen zu hören. Es kam nicht oft vor, dass sie sich in einem Streit mit seinem Vater auf seine Seite schlug.
Der Sohn konzentrierte sich jetzt auf sein Essen. Er war die endlosen Diskussionen mit seinem Vater leid, die sich immer wieder um das selbe Thema drehten und zu nichts führten. Er fragte sich, warum die Natur dafür gesorgt hatte, dass er und dieser Mensch am Ende des Tisches hier, Vater und Sohn wurden. Konnten zwei Menschen auf dieser Welt noch unterschiedlicher sein? Jens empfand das als puren Zynismus. Er hatte rein gar nichts mit seinem Vater gemeinsam. Nein, eigentlich war er das komplette Gegenteil seines Vaters. Und Jens konnte sich auch nicht erinnern, dass es irgendetwas gab, was er von seinem Vater gelernt hatte. Sein Vater hatte keinerlei Einfluss auf seine Lebensperspektive, seine politische Einstellung oder sein Moralempfinden. Viel lernte er also nicht von ihm. 'Wenn man mal die Kenntnisse über Fußball und Handwerksarbeiten außer Acht lässt’, dachte Jens.

„In welchem Stück spielst du denn gerade mit?“, fragte sein Vater und versuchte dabei möglichst interessiert zu wirken.
„Fragst du mich das im Ernst“, spottete Jens zurück, „du, der Faust für eine Krimiserie im Fernsehen hält?! Du verstehst doch nur etwas von Handerkerarbeiten, wohl kaum was von Kultur“. Und damit war es passiert. Er hatte mal wieder die Arroganz als Schutzschild benutzt. Er hasste das eigentlich.
Jens’ Vater wurde rot im Gesicht und stand von seinem Stuhl auf. Er wirkte aufgebracht, versuchte aber seine Wut unter Kontrolle zu halten.
„Du kleines, arrogantes Arschloch. Diese Handwerkerarbeiten haben jahrelang deine Schöngeisterei mitfinanziert. Und was hat es gebracht? Du krebst durch Deutschland und verdienst soviel wie die Lehrlinge in meinem Betrieb. Wenn du wenigstens Dankbarkeit zeigen würdest. Aber nein, man muss sich von dem Herr Akademiker auch noch von oben herab behandeln lassen.“
Der letzte Satz seines Vaters erschütterte Jens, traf ihn ins Mark. In manchen Momenten ertappte sich Jens wirklich dabei, dass er dachte, er sei etwas besseres als sein Vater, dem Arbeiter. Doch das war natürlich Quatsch. Jens wusste das. Zu oft war er jedoch unfähig gewesen mit seinem Vater ehrlich zu sprechen und ihm zu sagen, dass er ihn schätzte und stolz auf ihn war. Jens glaubte, es sei zu spät dies nachzuholen.

Vielleicht war Jens ihm geistig überlegen. Vielleicht war das der Grund, warum sein Vater häufig gleichgültig oder aggressiv auf seinen Sohn reagierte. Vielleicht war sein Vater auch nur unsicher, weil die Welt seines Sohnes ihm so fremd war. So wie umgekehrt auch Jens nichts mehr mit dem Leben seines Vaters anfangen konnte.

Jens war mulmig zumute. Er schaute auf sein Essen, in dem er mit der Gabel ein wenig rumstocherte. Es tat ihm leid. Vor allem tat ihm seine Mutter leid, die neben ihm anfing zu weinen.
Sein Vater war jetzt in Rage.
„Wenn du doch nur erst mal was Anständiges gelernt hättest, etwas Solides. Aber mit dieser Schauspielerei kann man doch kein Geld verdienen. Und bald willst du vielleicht mal Kinder haben. Was dann? Du schmeißt dein Leben weg mit deiner Träumerei“.
Jens putzte sich gelassen seinen Mund ab, stand von seinem Stuhl auf und ging zur Tür.
„Es ist aber nun mal mein Leben“, sagte er ruhig, aber bestimmt. „Wann kriegst du das endlich in deinen Kopf rein. Ich bin nicht wie du. Ich bin ich“.
Er ging aus dem Haus auf die Straße und rief von seinem Handy aus Kathrin an, die anders als er, immer in Sulzbach geblieben war. Und er hoffte, dass er bei ihr ein Stück Geborgenheit finden würde.

 

Hallo PeterPan,

eine sehr gute Geschichte, die Du da geschrieben hast. Das Knistern zwischen Vater und Sohn spührt man sehr genau. Auch hast Du die Vermittlerrolle der Mutter gut herausgearbeitet. Das Lesen hat viel Spaß gemacht.

Liebe Grüße
Conny

 

hei peter,

ohne frage eine sehr gelungene Schilderung einer möglichen Vater-Kind Beziehung!
Du hast gut dargestellt, wie der junge mann sich immer wieder versucht zu beherrschen, es aber doch nicht schafft.
Die beiden Generationen prallen immer wieder aufeinander, können anscheinend, selbst wenn sie es versuchten nicht miteinander umgehen. Der Schreibstil gefällt mir auch. Klar und deutlich.

Ich hatte bei dieser Geschichte sehr viele Bilder im Kopf, dass zeigt mir an, ob sie mir gefällt, bzw. ob ich etwas damit anfangen konnte.

P.s. das mit dem rauchen lese ich natürlich auch noch.

 

Lieber Peter Pan !

Eine ausgesprochen nachvollziehbare und wirklich sehr gut geschriebene Geschichte. Der Vater, dem der Sohn nie etwas recht machen könnte. Selbst, wenn er Handwerker würde, er sähe ihn schon irgendwo in der Zukunft den Beruf doch wieder an den Nagel hängen. An der Möglichkeitsform dessen, was er sich an Negativem ausmalen will, um des Gift verspritzen willens, wird er sich aufhängen bis zum St.Nimmerleinstag.

Die Mama, ja wie halt viele so sind. Ewig bedächtig auf Ausgleich hoffend. Hin- und hergerissen sagt sie manchmal doch was Mutiges um beim nächsten Mal wieder in Schweigen zu verfallen.

Und der Sohn, der sich so sehr Anerkennung wünscht. Der nichts anderes will, als dass sein Weg anerkannt wird. Dass der Vater respektiert was er für sich als richtig ansieht. Aber auf die ewig selben Angriffe reagiert er letztlich mit denselben Mustern. Wie soll er aber auch seinen Vater achten, der den Sohn seinerseits nicht zur Kenntnis nehmen will, so wie er ist.

Alles sehr klar rübergebracht.

Viele liebe Grüße - Eva

 

Hi Conny, hallo Eva, moinsen Stefan,

vielen Dank für das Lesen meiner Geschichte, an der mir wirklich etwas liegt. Der Konflikt zweier Menschen, die so viel Zeit miteinander verbracht haben und sich doch nicht kennen. Das ist ein Lieblingsthema von mir. Ich freue mich sehr, dass sie euch gefallen hat.

Stefan, die Geschichte mit dem Rauchen ist eh nur eine Sache, in der niedere Instinkte angesprochen werden, ohne Niveau... (ähhh... also vielleicht doch genau das richtige für dich)

Viele Liebe Grüße aus Trier

Jan

 

Hei Peter,

erst ist mir aufgefallen, dass du meinen namen schon bei arc en ciel in mitleidenschaft gezogen hast "alter chameur", und jetzt schon wieder. "Niederes Niveau gut für mich" :mad: noch soon ding arschvoll;)
Ich mach hier die Scherze bei kg, verstanden, ich:D

Liebe grüsse stefan

 

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