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Der Urinstinkt
Alois Klein war ein sehr kleinkarierter Mensch. Gross hingegen war seine Hirnrinde - Alois galt gemeinhin als Genie ohne Sozialkompetenz. Er sah wie folgt aus: Ca. 165 cm gross, Halbglatze, leicht rundlich, jedoch nicht fett, eher gut genährt, ein normales Gesicht, ca. 45-jährig, und trug stets ein säuberlichst gebügeltes Hemd sowie einen perfekt getrimmten Schnurrbart und eine Brille. Er war Junggeselle.
Eines Morgens klingelte es an seiner Tür, als er gerade zur Arbeit wollte. Er war im örtlichen Kernkraftwerk als Sicherheitstechniker angestellt. Da er sowieso zur Tür raus musste, um in seine Garage zu kommen, öffnete er sie.
Draussen angekommen äugte er ins Leere - niemand war da. Doch dann bemerkte er ein Paket auf der Türschwelle. Es war schwarz eingepackt und daran hing ein Zettelchen mit der Aufschrift „summum". "Hmm...", sagte Alois und hob das Paket auf. "Was ist drin?", fragte er und öffnete es. Es kam ein Holzkästchen mit einem roten Knopf obendrauf zum Vorschein. "Hmm...", dachte er, "Was das wohl ist?"
Ihm war die Sache suspekt, er war eigentlich kein ängstlicher Mensch, doch dieses Kästchen hatte etwas Suspektes an sich. Er entschied nicht auf den Knopf zu drücken und ging zurück ins Haus. Er legte das Holzkästchen auf die Kommode beim Eingang. Dann treppte er die Treppe in den Keller hinunter. Auf halbem Weg sagte er: "Moment, was mach ich denn? Ich wollte doch zur Arbeit." Er kehrte sich um und stieg wieder empor. Oben angekommen, schloss er die Kellertür. Er nahm seinen Mantel und ging zur Haustür, als es erneut läutete. "Was zum..?", fragte er sich. Er öffnete. Da stand ein grosser Mann in einem grauen Mantel. Auf dem Kopf trug er einen Hut und in der Hand eine Aktentasche. Auf der linken Seite seines Gesichts waren tief-vernarbte Furchen. "Guten Tag", sagte er ernst und lächelte leicht.
"Ja?", fragte Alois, wie er es immer tat, wenn sein Gegenüber ihm Anlass dazu gab.
"Sie erhielten letzte Nacht ein Päckchen", sagte der Fremde.
"Nein, ich erhielt gerade eben ein Päckchen."
"Was zum... Erst jetzt? Dieser unzuverlässige Bengel... Bestimmt wieder die ganze Nacht abgefeiert... Der macht noch die ganze Mystik kaputt."
"Mystik?"
"Vergessen Sie's. Im Päkchen war eine Box. Mit einem..."
"...roten Knopf, ich weiss. Was soll das Ganze?"
"Sie erhalten eine Million Dollar, das sind in Euro ca. 800'000 Mark. Dazu müssen Sie nur den Knopf drücken."
Der Mann öffnete seinen Koffer, in dem sich Notenbündel befanden, und zeigte Alois den Inhalt.
"Wollen Sie mich..."
"Aber dafür wird jemand sterben. Jemand, den Sie nicht kennen. Es wird Sie nicht weiter kümmern."
"Hmm.., das klingt plausibel. Eine Million wäre schon nicht schlecht, ich könnte mir damit eine Yacht kaufen, und die Frauen würden mir nur so zufliegen..."
"Nun ja, zumindest die Yacht hätten Sie."
"Wie meinen... Und die Frauen? Soll das etwas heissen, dass ich..."
"Hören Sie, es ist Ihre Entscheidung. Drücken Sie den Knopf innerhalb der nächsten 24 Stunden und Sie erhalten das Geld. Es werden keine Fragen gestellt, Sie werden mich nie wieder sehen, und Sie gehen keine Verpflichtungen ein. Falls Sie ablehnen, wird die Box abgeholt und das Angebot jemand anderem gemacht. Guten Tag, der Herr."
Mit diesen Worten stieg der Fremde auf eine schwarze Vespa und brauste davon. Alois legt das Kästchen auf einen Stuhl im Gang. Dann ging er zur Toilette. Während dem Stuhlgang fühlte er sich für ein paar Sekunden pudelwohl, doch dann erinnerte er sich wieder an das Kästchen auf dem Stuhl im Gang und dachte:"Soll ich den verdammten Knopf drücken?" Vor lauter Aufregung, musst er wieder zum Kästchen und vergass dabei, seinen Hintern zu putzen. Er zog seine weisen Slips hoch und ging wieder in den Gang mit dem Stuhl auf dem Kästchen. "Soll ich..?", fragte sich Alois erneut. Doch es blieb keine Zeit, er musste zur Arbeit. Er stieg in seinen Volvo und sauste davon.
Im Kraftwerk angekommen passierte er die nötigen Sicherheitsbarrieren und begab sich in den Umkleideraum des Personals. Fritz Müller, ein Schwarzer, kam gerade nackt aus der Dusche. Er hatte eine Afro-Frisur, in der schräg ein grosser Kamm steckte, und einen sehr grossen Penis, der beim Gehen hin und her baumelte. Alois war gebückt und schnürte gerade seine Arbeitsschuhe, als Fritz genau vor ihm stehen blieb und sich mit dem Handtuch die Haare trocknete: "Sag mal Alois, hast du heute Morgen auch ein grosses, schwarzes Paket erhalten?"
"Was..? Ich.., nein. Was für ein Paket? Haha, wovon redest du bloss?! Du spinnst doch..!", stammelte Alois, während er angestrengt auf seine Schuhe starrte.
Alois richtete sich auf ohne Fritz anzuschauen und meinte: "So, ich muss dann mal an die Arbeit." Gesagt, getan. Alois arbeitete im Hochsicherheitstrakt des Kraftwerks. Dies bedeutete, dass er jeweils mehrere Sicherheitsschleusen passieren musste. Bei der Schleuse 1 stand ein bewaffneter Wärter. Alois trat an ihn heran. Der Wärter starrte streng gerade aus und sagte monoton: "Wie ist das Wetter auf dem Mond?" Alois erwiderte: "Ohne Schal würden Sie frieren." Der Wärter nickte und drückte einen Knopf. Das Tor vor ihnen öffnete sich und Alois betrat die Sicherheitsstufe 2. Beim nächsten Tor war ein seltsames Gerät in der Wand installiert. Alois streckte seinen Kopf hindurch, es summte kurz, und das Tor öffnete sich. Schliesslich kam er bei der letzten Schleuse an. Neben der Schleuse war ein schönes Gehege mit Katzen- und Hundebabys, doch Alois wusste, dass dies eine Falle sein würde, also passierte er die Schleuse, ohne die Tierchen anzurühren. Geschafft. Am Arbeitsplatz angekommen, öffnete er erstmals das Fenster, denn er empfand die Luft, welche im Raum war und unsichtbar war, als unangenehm. Da erblickte er draussen auf dem Parkplatz etwas, das ihn stutzig machte. Da stand eine schwarze Vespa! "Heiliges Kanohnenrohr!", sagte Alois zu sich selbst. Ihm wurde mulmig. Im selben Moment klopfte es an seiner Tür. Alois zuckte zusammen:
"Wer... Wer ist da..?"
"Öffnen Sie."
"Nein!"
"Warum?"
"Weil!"
"Weil was?"
"Weil ich wissen will wer da ist!"
"Machen Sie auf."
"Ich sagte nein!"
"Na los!"
"Hauen Sie ab! Lassen Sie mich in Ruhe!"
"Ich will rein!"
"Ich lasse Sie nicht!"
"Die Tür ist aber nicht abgeschlossen."
"Trotzdem. Ich erlaube es nicht."
"Ich komme jetzt rein."
"Nein! Das ist mein Büro!"
"Achtung, ich komme..."
"Bleiben Sie draussen!"
"Ach kommen Sie schon!"
"Nein!"
"Doch, ich komme."
Die Tür öffnete sich, Alois schloss die Augen und schrie.
"Verdammt, was ist bloss mit Ihnen los, Klein?" Sein Chef stand in der Tür, sichtlich verärgert über Alois' seltsames Verhalten. "Ich wollte Ihnen bloss diese Berichte zurückbringen!" Er knallte einen Stapel Papier auf den Schreibtisch und verschwand wortlos. Alois starrte schweissgeplantscht auf die Dokumente. Schliesslich setzte er sich auf seinen Stuhl und begann, in den Papieren zu blättern. Plötzlich schrie er auf. Auf einem der Blätter stand in grossen roten Buchstaben geschrieben: "Sie haben noch 16 Stunden. Überlegen Sie es sich gut." Instinktiv meldete seinen Darm den nächsten Stuhlgang an. Alois nahm dieses Papier und begab sich zur Toilette. Um diese zu erreichen, musste er jedoch wieder eine Schleuse passieren. Bei dieser waren die Sicherheitsvorkehrungen etwas lascher: Er musst das ABC aufsagen. Gesagt, getan. Als er zurück kam, schaute er wieder aus dem Fenster. Die schwarze Verspa war weg. "Seltsam", dachte Alois. Er blickte auf die Uhr an der Wand. Es war schon kurz vor Mittag. "Hab ich vielleicht nen Hunger", sagte er zu sich höchstpersönlich. Er machte sich auf den Weg zur nächsten Sicherheitsschleuse, um in die Kantine zu gelangen. Hier wiederum waren die Sicherheitschecks rigorosere, er musste in eine Art Spiegel schauen und seine Iris mit Wasserfarbe abzeichnen. Eine Stunde später erreichte er die Kantine. Er stellte sich dort in die Schlange, um an den Frass zu gelangen. Er bestellte eine Tofu-Wurst sowie zwei Erdnüsse. Nachdem er diese verspiesen hatte, machte er sich auf den Heimweg. Denn er arbeitete nur Teilzeit.
Zuhause angekommen, setzte er sich vor den Fernseher. Es kam ein alter Western. Auf der Kommode stand immer noch die Box. Er äugte ständig zu ihr hin, also wolle er sagen "Verdammte Box." Er blickte auf die Uhr. Plötzlich klingelte das Telefon. Alois fühlte den Puls seiner Nebenschlagader; trotzdem nahm er den Anruf entgegen: "Alois Klein." Auf der anderen Seite der Leitung meinte eine unangenehme Stimme: "Und?"
"Lassen Sie mich in Ruhe", stammelte Alois direkt.
"Wer ist da?"
"Alois Klein, sagte ich doch."
"Ach so, dann habe ich mich verwählt. Guten Tag, der Herr."
Der Anrufer legte auf. Alois ebenso. Es verging keine Sekunde, als das Telefon erneut läutete. "Alois Klein", meldete sich Alois.
"Hier ist der Mann mit dem Aktenkoffer."
"Was soll das? Wieso rufen Sie zweimal an?"
"Hab ich gar nicht."
"Doch."
"Nein, erst jetzt erste Mal."
"Sprechen Sie gefälligst deutsch!"
"Scheiss doitsch, nix verstehn!"
"Was soll das?"
"Haha, kleiner Scherz. Haben Sie es sich überlegt wegen dem Geld?"
"Ich werden den Knopf nicht drücken"
"Wie Sie wünschen. Ich stehe vor Ihrer Tür und nehme die Box wieder mit, wenn Sie möchten."
"Sie stehen... Was? Wieso klingeln Sie denn nicht einfach?" Im nächsten Moment klingelte es.
"Etwa so? Hihi. Öffnen Sie.", sagte der Mann am Telefon.
Alois hängte auf und ging zur Tür. Er riss sie auf und sagte: "Jetzt hören Sie mal! Ich..."
"Scht!", sagte der Mann und legte seinen Zeigefinger auf Alois' Mund. Er nahm seinen Hut ab und griff sich dann mit der anderen Hand an sein Ohr. Er zog daran, und es schien sich eine Maske von seinem Gesicht zu lösen. Tatsächlich trug der Fremde eine Maske, die er jetzt langsam abzog. Alois starrte wie gebannt. Endlich war die Maske vom Kopf, und darunter kam sein Chef zum Vorschein. "Was? Sie? Was... Wie haben Sie...", stammelte Alois.
"Gratuliere. Sie haben den Test bestanden.", grinste sein Chef.
"Vielen Dank für die Gratulationen", meinte Alois nüchtern. Er schloss die Türe und ging endlich seine Slips auswechseln und war überglücklich.
ENDE