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Der unglückliche König
Es war einmal ein alter König, der herrschte über ein mächtiges Königreich. Seine Untertanen waren stets zufrieden mit allem und es gab niemals Aufruhr oder Verbrechen. Er hatte alles, außer das, was er wollte - sobald sein einer Wunsch erfüllt war, hatte er einen neuen, stärkeren, besseren, und so wurde er von Tag zu Tag grimmiger und unzufriedener und erreichte nie das Glück, das er sich wünschte.
Eines Tages ertrug er die Last der ewigen Unruhe in seinem Herzen nicht mehr und er ging zu seinem Arzt und klagte ihm sein Leid.
„Das ist wahrhaft nicht schwer, mein König“, antwortete dieser, „was Ihr braucht, ist Ruhe und eine Pause von euren großen Verpflichtungen und Eurem ewigen Stress. Legt Euch für sieben Tage in Eure Gemächer und lasst Euch umsorgen von den Dienern. Trinket den besten Wein und esset das fetteste Schwein, das sich am Hof befindet. Das wird Euren Körper sättigen und Eure Seele befriedigen und stärken und den Kummer erdrücken.“
Also tat der alte König, was der Arzt ihm geraten hatte und ging in seine Gemächer und ließ seine Diener rufen. Sie betteten ihn in die weichsten Decken, gaben ihm sein liebstes Buch zum lesen und brachten ihm den teuersten Wein und das größte Schwein.
Aber nach einem Tag war der Wein nichts Besonderes mehr und das prächtige Tier schmeckte ihm zäh.
Und am dritten Tage war sein Bett nicht mehr weich und sein Buch nicht mehr gut, die Kerze nicht mehr hell und die Kammer nicht mehr groß.
Vor dem siebten Tage aber schrie der König seine Diener an und jagte sie fort, denn sie schienen ihm nicht mehr folgsam genug.
So ging es ihm noch schlechter als vorher; daher suchte er Rat bei einem vertrauten Mönch.
„Das ist wahrhaft nicht schwer, mein König“, sagte dieser, „was Ihr braucht, ist Frieden und Ausgeglichenheit. Führt nur sieben Tage lang ein bescheidenes Leben! Trinket Wasser von der Quelle und esset einfaches Brot. Schlafet auf dem Boden, gehüllt in eine bloße Leinendecke. Es wird Euch schätzen lehren die kleinen Freuden und Besonderheiten, die Euch geschenkt sind.“
Also tat der König, was der Mönch ihm geraten hatte und ging zur Quelle und trank ihr reines Wasser und aß einfaches Brot dazu. In der Nacht aber schlief er auf dem Boden, bedeckt mit einem leichten Tuch.
Aber nach einem Tag schmeckte das Wasser ihm stumpf und das Brot war trocken wie Staub.
Und am dritten Tage tat der Rücken ihm weh von dem harten Boden.
Vor dem siebten Tage aber verbrannte er das Tuch in seinem Zorn, denn es kratzte ihn bei Nacht, wenn er schlafen wollte.
So ging es dem alten König noch einmal schlechter als zuvor und nun wusste er auch keinen Ausweg mehr.
Da kam seine einzige Tochter zu ihm und als sie ihn in diesem Zustand der Verzweiflung sah, fragte sie ihn voll Sorge nach der Ursache seines Leids.
Er seufzte schwer und erzählte ihr bekümmert von seinem Unglück: „Sieh dich nur um- alles, was ich mir auch wünsche, habe ich mir verwirklicht. Ich habe alles und mehr noch, als meine Untertanen haben und stehe niemanden in etwas nach. Dennoch bin ich nicht glücklich, aber doch meine Untertanen. Ich habe nach der Lösung gesucht, aber nichts konnte mir helfen.“
Die Prinzessin dachte darüber nach und sprach dann zu ihm: „Ich bin kein Arzt und auch kein wissender Gelehrter – aber das ist, was ich dir dazu raten kann: Du sprichst vom Glück deiner Untertanen – warum also reist du nicht zu ihnen und fragst sie nach diesem Glück? Wenn du wüsstest, was sie glücklich macht, weißt du vielleicht auch, was dich vom eigenen Glück abhält.“
Der alte König bedachte dies und beschloss, noch am selben Tage aufzubrechen. Er hüllte sich in das Kleid eines armen Bauers, denn er wollte seinem Volke nicht als König gegenübertreten, wenn er nach der Wahrheit suchte, und verließ das Schloss im Morgengrauen mit einem Esel.
Er ritt einige Zeit quer durch sein Königreich, bis er an das Haus eines sehr wohlhabenden Landbesitzers kam. Der König klopfte und man tat ihm die Tür auf, gab ihm eine warme Suppe und schaute ihn recht mitleidig an.
Bald kam der Landbesitzer hinzu und fragte den scheinbaren Bauern nach seinem Anliegen. Der König antwortete: „Ich habe mein Glück auf den Feldern versucht und auf der Weide bei den Tieren und in der Stube als Wirt – Ihr, edler Herr, werdet wohl erkennen, dass es vergeblich war – und nun frage ich mich und Euch, was wohl das Rezept zum Glücklichsein sein möge. Glaubt Ihr, Ihr seid glücklich?“
Der Landbesitzer lachte schallend, breitete die Arme aus und rief: „Sieh mich nur an, Alter! Wie könnte ich nicht glücklich sein? Ich bin frei!“
Über diese Antwort wunderte sich der König und fragte: „Was aber macht Euch frei, wenn Ihr Tag um Tag auf Euer Geld aufpassen müsst?
Der Landbesitzer lachte noch ein wenig und erklärte dann: „Sieh her, ich bin frei in dreierlei Wegen: Ich bin frei von Sorgen um meine Existenz oder mein Wohlergehen; ich bin frei von Neid, denn ich habe immer besseres als die übrigen; und ich bin frei von aller Abhängigkeit oder Schuld einem Menschen gegenüber, denn alles, was ich brauche und will, kann ich mir selbst mit meinem Reichtum beschaffen.“
Der alte König erhob sich, dankte für die Gastfreundschaft und stieg wieder auf seinen Esel, um weiterzureisen. Als er aber so dahin ritt, dachte er bei sich: „Es ist schon richtig, was der Reiche sagt und all das, was ihn glücklich macht, habe ich auch.“
Nach einer Weile kam er zu der Pforte eines gemütlichen kleinen Hauses, aus dessen Fenstern Kinderaugen lugten. Der alte König klopfte auch hier, man tat ihm auch diesmal auf, bat ihn in die Stube und teilte die Speisen, die noch von der letzten Mahlzeit geblieben waren.
Die Hausmutter setzte sich bald hinzu und fragte, was wohl sein Anliegen sei.
Der König antwortete abermals: „ Ich habe mein Glück auf den Feldern versucht und auf der Weide bei den Tieren und in der Stube als Wirt – Ihr, werte Dame, werdet wohl erkennen, dass es vergeblich war – und nun frage ich mich und Euch, was wohl das Rezept zum Glücklichsein sein möge. Glaubt Ihr, Ihr seid glücklich?“
Die Mutter lächelte und antwortete besonnen: „Denkst du nicht, ich sei glücklich? Ich bin frei!“
Der alte König nickte und fragte: „Was aber macht Euch frei, wenn Ihr Euch Tag ein, Tag aus um Eure Kinder sorgen müsst?“
Die Mutter lächelte weiter und erklärte: „Sieh her, ich bin frei in dreierlei Wegen: Ich bin frei von Feinden, denn meine Kinder lassen mich eine gute Frau und Mutter sein und dem entsprechen, was eine Frau sein sollte; ich bin frei von Hass und anderen bösen Gefühlen, denn meine Familie erfüllt mich mit Liebe und ewigem Stolz; und ich bin frei von Zweifeln an dem Sinn meines Lebens, denn meine Kinder machen mich zu einem Ursprung weiteren Lebens.“
Der alte König erhob sich abermals, dankte für die Gastfreundschaft und machte sich auf, weiterzureisen. Als er aber so seines Weges ritt, dachte er bei sich: „Es ist schon richtig, was die Mutter sagt und all das, was sie glücklich macht, habe ich auch.“
Es dämmerte schon zum Abend und der König schlug den Pfad ein, der zurück zum Schloss führte, da sah er einen Bettler, der am Wegesrand saß. Er schwang sich vom Esel, um dem Mann Almosen zu geben, da bemerkte er, dass dieser sich leise ein Liedchen pfiff.
„Bist du etwa glücklich?“, fragte der alte König mit Erstaunen den Bettler.
„Sollte ich das etwa nicht sein?“, entgegnete der arme Mann.
„Nun - du hast kein Vermögen und nichts sonst, was dir dein Wohlergehen und Weiterleben sichert“, erklärte der König.
Der Bettler lachte lauter als der Reiche es getan hatte. „Na und? Ich bin frei!“
Der König schüttelte verwundert den Kopf und fragte weiter: „Wie kannst du frei sein?“
Der Bettler antwortete: „Ich bin frei in dreierlei Wegen: Ich bin frei von Gütern, Menschen oder Tieren, um die ich mich sorgen muss; ich bin frei von all den Sorgen der Gesellschaft von den Steuern bis zur Arbeit; und ich bin frei von jeder Erwartung an das Leben!“
Der alte König ritt verwirrt davon, ohne für das Gespräch zu danken.
Als er aber in seinem Schloss ankam, eilte er sogleich zu seiner Tochter.
„Ich, Tochter, habe verstanden, wie Glück geht. Ein Bettler ließ es mich erkennen - schau, glücklich ist man, so denke ich jetzt, durch Freiheit. Und frei ist man, wie man sich selbst für frei hält.“
Die Prinzessin verstand nicht und fragte, was er damit meine.
„Ich glaubte immer, für dein Glück musst du alles auf das höchste bringen, bis du nicht mehr denken musst, dass du etwas verfehlest. Aber ich irrte! Glücklich, liebe Tochter, bist du, wenn du dich selbst für glücklich hältst.“
Und mit einem Lachen voll Glück verschwand der alte König in seinen Gemächern.
Die Königstochter aber dachte darüber nach und als sie es verstanden hatte, legte auch sie sich zum Schlafen.
Am nächsten Morgen fand sie ihren Vater tot im Bett liegend. Die Ärzte kamen hinzu und fühlten kein Blut mehr durch seine Adern fließen und schauten sich betreten nach der Tochter um.
Die aber weinte nicht, sondern lachte über sie und rief: „Denkt doch nur, wie glücklich er sein muss! Er ist frei von allem.“