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Der Unfall
Ich wischte mit einem Tuch über das dunkle Massivholz des Tresens meiner Kneipe. Stets beschäftigt aussehen. Ein Wirtstrick, den ich von meinem Alten gelernt habe. Ich nahm ein eigentlich sauberes Glas und ließ das Geschirrtuch darin kreisen. Die Leute wollen herkommen, um sich ohne Vorwürfe ein Bier zu genehmigen. Stehst du da wie ein Ladenverkäufer, werden sie nervös.
Diesen Abend blieben die Hocker jedoch leer. Nur ein Tisch vor den bunt gekachelten Fenstern war von Jürgen besetzt. Sein Gesicht wurde vom einzigen Spielautomaten in der Kneipe angeblinkt, während er auf das Glas Bier schaute. Er nippte von, streifte mit der Unterlippe den haftenden Schaum vom Bart und räusperte sich nach jedem Schluck.
Der Regen prasselte gegen die Fenster und bildete kleine Wellen. Was ein Sauwetter!
Die Kneipentür ließ das Tosen des Regens einen Augenblick passieren, als ein Mann in mein Gasthaus stürmte. Die Deckenlampe ließ die wenigen Haare auf seinem Kopf erblassen. Der Mann ist wohl ein Handwerker, was ich den Schriftzügen seiner Jacke entnahm, die am Garderobenhaken baumelte. Mit strebendem Gang kam der Handwerker zum Tresen und setzte sich.
„Ein Bier“, sagte er in gereiztem Ton.
Als ich ihm das Fassbier vor seine Nase stellte, hob er seine Hand, was ich als Dank erkannte. Das Bier schwappte über, nachdem er zwei Schlucke trank und den Tresen poltern ließ.
„...einfach Feierabend wollt' ich machen.“
Meinen Wirtstrick nicht vernachlässigend, erwiderte ich seine Aussage nicht. Eine Einladung des Wirts, dass er ein offenes Ohr für all die Gemütslagen hat.
„Jetzt muss ich warten, bis der lahme Abschleppdienst kommt, um meine Karre zu befreien, meinten die Bullen. Das kann doch ewig dauern“, fügte der Mann hinzu.
Mir war nicht ganz klar, wovon er sprach. Er machte auch keinen Anstand mich einzuweihen und meckerte weiter:
„Ich habe Feierabend... ich sollte jetzt mein Bier zuhause, auf dem Sofa genießen. Nicht hier in diesem Schuppen!“
Ich hob meine Augenbraue. Er schien vor Wut nicht sonderlich umsichtig daherzureden.
Die Kneipentür öffnete sich und das Prasseln des Regens bahnte sich aufs Neue einen Weg. Schwarze Schuhe klackerten auf den Fliesen und der ebenfalls schwarze Regenschirm verdeckte die Person, die in mein Gasthaus stolperte. Einklappend schwang der Schirm zu Boden und wurde von einer Frau mittleren Alters in den Ständer gelegt. Ihr Gesichtsausdruck verkündete ein zerstreutes Gemüt, weswegen sie uns nicht anschaute. Die Frau öffnete den Knebelverschluss ihres Wollmantels. Mir kam der makellose Fummel so Fehl am Platz vor, wie Champagne auf meiner Biertafel.
Mit angespanntem Gang kam sie zum Tresen und setzte sie sich auf einen der Hocker, wo sie von ihrem neuen Sitznachbarn gemustert wurde.
„Was haben Sie so da?“, fragte mich die Frau. „Also an Schnaps, meine ich“, ergänzte sie.
„Ich kann Ihnen einen guten Obstler anbieten. Sogar lokal, gebrannt in unserer Kleinsta...“,
„Ich nehme einen“, unterbrach mich die Frau.
Nervös spielte sie mit ihrem Blusenknopf, während ihre Augen ins Nichts starrten. Ihre Verschlossenheit ließ mich nickend den Obstler in ein Schnapsglas füllen. Die Frau kippte sich den Hochprozentigen die Kehle hinab und stellte das Glas vorsichtig wieder auf den Tresen.
„Sie kenne ich!“, posaunte es aus dem Mann neben ihr heraus.
Die Frau zuckte leicht zusammen und schaute apathisch zu ihrer Linken.
„Woher sollten Sie mich kennen?“, wehrte die Frau ab.
„Naja, kennen tun wa' uns nich' wirklich“, sagte der Mann,
„allerdings erinnere ich mich an Sie. Sie saßen zusammen mit 'nem anderem Mann vor der Imbissbude. Beide wart ihr bleich wie Kreide!“
Die Frau drehte sich empört zum Mann.
„Entschuldigen Sie mal! Wie würden Sie denn aussehen, wenn Sie fast von zwei PKW's erwischt werden!“
In mir kam eine Vermutung auf, was die beiden verband.
„Gerade noch rechtzeitig konnte ich zwischen die parkenden Autos huschen, als es kurz darauf hinter mir krachte“, fuhr die Frau fort, „die verbogenen Karosserien hätten ich sein können!“
Sie schaute zu mir. Ihre Augen waren glasig.
„Noch einen“, orderte sie.
Erneut füllte ich das kleine Glas mit dem Obstler. In die Schranken gewiesen, drehte der mürrische Mann sich wieder zum Tresen. Unverständlich nuschelte er vor sich hin. Eine ganze Weile saßen der Mürrische und die Aufgelöste in meinem Gasthaus. Beide mit ihren Gemütern beschäftigt.
Die Kneipentür schnellte wieder auf und der Regen durchbrach die Ruhe der Trinkenden.
„Chef!“, hallte es mir entgegen „Ein Bier und einen Schnaps für mich.“
Eine bekannte Stimme. Es war Johannes, der direkt um die Ecke seine Imbissbude betrieb. Er wand sich aus seiner Bomberjacke und warf sie regelrecht an den Garderobenhaken. Mit freudigem Gang kam er zu uns an den Tresen und setzte sich an den äußeren Hocker. Sein Grinsen schien fast eingestanzt. So fröhlich hatte ich ihn länger nicht gesehen. Zumindest kam er sonst etwas gemächlicher in meinen Laden.
„Ein erfolgreicher Tag, sag' ich dir!“, fuhr er fort.
„Durch das miese Wetter drohte der Tag echt ein Desaster zu werden. Fast keine hungrigen Kunden, die Lust auf meine Currywurst hatten. Kurz vor Ende gab es allerdings ein Desaster, was meins schlagartig in einen Glücksfall wandelte.“
Ich stellte ein kleines und ein großes Glas auf den Tresen, um diese mit Johannes' Bestellung zu füllen. Ich hatte das Gefühl, zu wissen, welches Desaster er meinte. Zumindest fast.
„Direkt vor meinem Imbiss...bumm! Zwei Autos stoßen aneinander. Der eine Fahrer wirkte etwas benommen, weshalb er kauernd vor meinem Laden saß, während der andere Fahrer haarsträubend die abgefallenen Autoteile inspizierte. Die Schaulustigen ließen nicht lange auf sich warten. Auch die Polizei kam mit Blaulicht ums Eck, die später noch einen nörgelnden Typen zurechtwies, der nicht mehr mit seinem Auto aus der Parknische kam. Der hat gewütet sag ich dir“, lachte Johannes.
„Ach ja, und 'ne Frau, die es fast erwischt hat. Die Arme. Saß dann vor meinem Imbiss“, erzählte Johannes.
Mein Blick huschte zur aufgelösten Frau und zum mürrischen Mann. Sie starrte weiter auf ihr Glas, während der Mann entrüstet zu Johannes schaute, dem er angriffslustig eine Standpauke hielt:
„Schön, dass du so einen grandiosen Feierabend hast. Toll! Wunderbar! Andere nicht!“
Verdutzt schaute Johannes den Mann an. Dann zur Frau vor ihm. Sein Blick wurde wieder von Freude befallen.
„Ich kenne Sie, gute Frau!“, sagte Johannes.
Die Frau, weiterhin in sich gekehrt, ignorierte die freudige Stimme neben ihr. Mit einem eher abfälligen Blick schaute er zum mürrischen Mann.
„Und Sie auch..“
Der Mann sackte erneut in sich zusammen, sichtlich eingeschnappt, dass er auch an dem neuen Gast nicht seine Wut entladen konnte. Johannes weihte mich weiter in seine Erzählung ein.
„Wie dem auch sei. Wegen dem ganzen Regen suchten die Leute am Unfallort Schutz unter meiner Markise. Der Duft meiner Currywürste hat wohl Appetit gemacht. Trotz Unfall. Ich hab ordentlich Patte eingenommen, kurz vor Feierabend!"
Ich nickte zustimmend.
"Die beiden Fahrer mussten allerdings zur Vorsichtsmaßnahme vom Krankenwagen abgeholt werden. Dem benommenen Mann schien es aber gut zu gehen. Konnte sogar selbst einsteigen.“
„Dem Mann geht es also gut?“, unterbrach ihn die Frau und schaute ihn an.
Johannes blickte neben sich.
„Jo, der war wohl einfach nur etwas geschockt und musste sich sammeln“, antwortete er lächelnd. „Glaube allerdings, die Autos warten stets auf den Abschleppdienst“, sagte er und linste mit schmalem Blick über den Tresen zum Handwerker.
Der Handwerker nuschelte erneut vor sich hin und ich entnahm ein Fluchen seinem unverständlichem Wutgerede. Freudig setzte Johannes das Glas Schnaps an, kippte es den Rachen hinab und nahm daraufhin ein paar Schlucke vom Bier. Anstatt es zurück auf den Tresen zu stellen, hielt er das Glas Bier in seiner Hand.
„Ahhhh“, tönte es befriedigend aus ihm heraus, „was ein tolles Desaster.“
Neben ihm war ein Seufzer und ein Grummeln zu hören. Meinen Wirtstrick nicht vernachlässigend, blickte ich nacheinander auf den freudestrahlenden Imbissbesitzer, die aufgelöste Frau und den mürrischen Handwerker, immer mit einem offenen Ohr für all die Gemütslagen.