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Der Unfall

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28.10.2003
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Der Unfall

Ich war froh, auf die Knie gehen zu können, um das Blut vom Boden aufzuwaschen. Nach allem, was ich diese Nacht erlebt hatte, war ich immer noch wackelig auf den Beinen. Und obwohl es fünf Uhr früh war, hätte ich unmöglich schlafen gehen können.
Wie war das alles passiert? Was war in Katjas Kopf vorgegangen, was war in Wirklichkeit geschehen? Ohne auf eine Antwort zu hoffen, versuchte ich, alles nochmals der Reihe nach durchzugehen.
***
Ich hatte abends mit einem seltsamen Gefühl im Bauch die Wohnung nochmals Richtung Büro verlassen. Danach versuchte ich mehrmals, Katja zu Hause anzurufen, doch ohne Erfolg. Schließlich war sie es, die mich erreichte: Ihre Stimme hatte seltsam verschwommen geklungen, wie durch Watte.
Dieser mir an ihr unbekannte Klang hatte mich zutiefst beunruhigt. Unter einem Vorwand hatte ich das Büro wieder verlassen und war nervös im Taxi nach Hause gefahren.
***
Das Blaulicht und die Sirenen sind mir am stärksten in Erinnerung geblieben. Wir jagten im Ambulanzwagen durch die Stadt, Katja lag mit starrem Blick auf dem Bett. Dann das Krankenhaus, die Notambulanz: stöhnende Menschen, die ihr Unglück nicht fassen konnten.
***
Doch zuvor das Blut – das war das Erste, das ich wahrnahm, als ich nach Hause kam. Dann sah ich Katja: Sie kniete mitten drin am Boden, nackt. Mit einer Kehrichtschaufel und einem Besen versuchte sie, die überall verstreuten Scherben aufzukehren. Erst beim zweiten Hinsehen sah ich ihren Rücken, die große dunkelrot klaffende Wunde, die sich von ihrer linken Schulter über mehr als vierzig Zentimeter nach unten zog.
In Panik riss ich sie hoch, sie sah mich aus verhangenen Augen an, schwankte auf ihren Beinen. Ich führte sie ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett, ohne daran zu denken, dass sie so alles blutig machen würde. Der Gang war ohnehin verschmiert mit Blut, was machte das noch aus?
„Was ist geschehen?“, schrie ich Katja an, stellte aber die Frage mehr mir selbst. Ich verständigte den Notarzt und rannte zurück in den Gang. Der obere, verglaste Teil der Küchentür war zertrümmert. Blut klebte zum Teil noch an den spitzen Scherben, die im Holzrahmen steckten. Mir wurde übel, doch jetzt war nicht der Moment, um sich selbst nachzugeben.
Hatte Katja gespürt, was an diesem Samstagnachmittag geschehen war?
Schritte hinter mir rissen mich aus meinen Gedanken. Sie stand wieder da und blickte mich wie fiebrig an, etwas von einer heißen Dusche stammelnd, die sie genommen hatte, dass ihr schwindlig geworden war, als sie aus dem Bad gestiegen war und durch den Gang zurückging.
Die Türglocke läutete schrill. Ich warf Katja den Bademantel über und öffnete. Es war der Notarzt. Seine Anwesenheit beruhigte mich auf mehr als eine Art. Er nahm die Verantwortung von mir, sowohl die vordergründige über Katjas körperliche Gesundheit, aber auch die über die Geschehnisse dieses Nachmittags.
Nach der Fahrt ins Krankenhaus das lange Warten im Spital: Zunächst wurde Katja notversorgt, und dann musste sie in diesen langen Gängen auf einer Bahre warten. Das kalte Neonlicht, die mit Desinfektionsmittel geschwängerte Luft, das Leiden, das von allen Patienten ausgehend in der Atmosphäre lag, bedrückten mich.
Der Arzt kam zu mir und sprach vom Glück, dass ich Katja gefunden hatte. Sie hatte sehr viel Blut verloren, so wollte er sie über Nacht im Spital behalten, aber sie würde keine Schäden davontragen. Ich fragte ihn, wie das hatte passieren können. „Trinkt ihre Frau gerne einmal zu viel Alkohol?" Ich starrte ihn an. „Nein", stammelte ich, „das glaube ich nicht, das hat sie noch nie getan!". – „Behalten sie das jedenfalls im Auge, irgendetwas hat sie heute Abend im wörtlichen Sinne ‚umgeworfen'".
***
Ich stand mit dem blutigen Fetzen in der Hand auf, warf ihn ins Waschbecken und wusch ihn aus. Die Wohnung war seltsam leer ohne Katja. Ich ging in die Küche, dann ins Wohnzimmer, suchte überall nach Spuren von Alkohol, Gläsern, einer Flasche. Wie erwartet fand ich nichts.
Ich war sicher, was es gewesen war. Doch wer würde mir das glauben? Wer würde mir abnehmen, dass Katja gespürt hatte, dass ich mit einer anderen Frau unterwegs gewesen war, sie betrogen hatte? Der Unfall mit der Glastür war ihr Hilfeschrei gewesen, mich ihr zuzuwenden, mich um sie zu kümmern. Und der Schrei war so laut zu mir gedrungen, dass ich ihn im Unterbewusstsein bis in mein Büro gehört hatte.
Ich kannte Katja zu gut und auch mich selbst. Nie würde ich eingestehen können, was an diesem Nachmittag geschehen war. Und sie würde ihren sehrenden Verdacht nie zugeben. Wir werden in Zukunft mit dieser Geschichte leben, wissend, doch nie bekennend; nicht ich, der Schuldige, nicht sie, die Hintergangene. Und jedes Mal, wenn ich sie fortan ausziehen werde, wenn meine Hände über ihren nackten Rücken fahren, werde ich die Narbe spüren, die Narbe unserer Beziehung. Sie wird erschaudern, ihren Blick wegwenden, und wenn wir dann miteinander schlafen und ich dabei die Augen schliesse, werde ich wieder das Blut sehen, das ich nie ganz wegwischen kann.

 

Hallo,
größtenteils einwandfreie Geschichte, auch sprachlich gut erzählt. Das Einzige, was man vielleicht bemängeln könnte, ist, dass durch die komplizierte Schreibweise die Verbindung zum Leser erschwert wird, was mir persönlich jedoch gefallen hat, da man so etwas nicht alle Tage zu lesen bekommt. Hier sind noch einige wenige Wendungen, die mir trotzdem aufgefallen sind:

in der Reihenfolge
hier müsstest du sagen, in welcher Reihenfolge. Wie wäre es mit "in chronologischer Reihenfolge" oder "der Reihe nach"
von ihr unbekannte Klang
ich würde "Tonfall" nehmen, sonst ist es schwierig, ob man "an" oder "von" ihr nehmen müsste
Unter irgendeinem Vorwand
"einem Vorwand" ist besser, aber warum braucht er einen Vorwand, um abends sein Büro zu verlassen? Ist dann nicht Feierabend?
die Frage mir selbst
mir selbst die Frage

Fazit: durchaus ansprechend, du könntest die Geschichte aber vielleicht noch einmal durchlesen, um geringfügige Holprigkeiten wie "wegwenden" auszumerzen.
Gruß
Arthuriel

 

Hallo Diego,

dein Erzählstil gefällt mir gut, auch wenn ich mir zum Fremdgehen ein idyllischeres Plätzchen vorstellen kann, als das Büro. ;)
Den vordergründigen Plot beleuchte ich mal nicht, der ist halt eine typische Betrugsgeschichte. Den Hintergrundplot über Ahnungen, über Verbindungen auch über Entfernungen und die Verbindug zu dem Unglücksfall finde ich gut gelöst. Ab der schrill läutenden Türglocke wirst du leider in deinem Stil etwas angepasster und einfacher Vielleicht scheint mir das aber auch nur der überflüssigen Erklärung Es war der Notarzt wegen so.
Was mir sonst noch aufgefallen ist:

etwas von einer heißen Dusche stammelnd, die sie genommen hatte, dass ihr schwindlig geworden war, als sie aus dem Bad stieg
genommen hätte
Und sie würde ihren sehrenden Verdacht nie zugeben.
du meintest sicher zehrenden
das ich nie ganz wegwischen kann
mE wegwischen können werde da es ein Blick in die Zukunft ist.

Insgesammt eine gelungene Geschichte, die du noch ein bisschen aufpeppen kannst. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Danke für die Kommentare. Wie ihr an der Anzahl meiner Beiträge sehen könnte, bin ich noch ein Kurzgeschichten-Baby. Ich werde eure Anregungen wirken lassen und sehen, wie ich sie anwende.

Irgendwie ist mir an der Geschichte viel gelegen, mehr als an denen, die ich bisher hier veröffentlicht habe, warum weiss ich nicht. Und deshalb habe ich vielleicht etwas voreilig veröffentlicht, ohne nochmal genau durchzulesen, sorry!

Sim, da muss was falsch rausgekommen sein, das Fremdgehen hat nicht im Büro stattgefunden, sondern vorher, am selben Tag nachmittags.

Danke nochmals für die Kritik und auf bald.

Diego

 

Hier muss ich dir in einem Punkt widersprechen: sehrend ist korrekt, siehe Duden: sehren (veraltet, aber noch mdal. für verletzen)

 

Danke Rubinstein, ich habe auch nochmals nachgesehen, "sehrend" kam mir auch richtig vor und trifft genau das, was ich sagen wollte, aber wahrscheinlich klingt das etwas altmodisch.

Diego

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Diego,

deine Geschichte hat mir wieder sehr gefallen, wie Froschrün im Grunde auch. Der Anfang zieht hier den Leser deutlich besser in die Story als bei Froschgrün. Wenn jemand Blut aufwischt und ominöse Andeutungen über die Erlebnisse der vergangenen Nacht macht - dann ist das ein rasanter Auftakt, das gefällt mir.

Dann kommen ein paar Zeitsprünge, die du mit drei Sternchen markierst. Ein Zeitsprung macht es dem Leser natürlich immer etwas schwerer, aber hier fand ich es klar. Vor allem folgt man dir gern, weil es spannend bleibt.

Ein starkes Bild ist Katja, wie sie im Blut kniet und die Scherben aufkehrt.

Ein paar sprachliche Details wären aber verbesserungsfähig, vor allem die komplizierten Formulierungen, Arthuriel hat es schon angemerkt. In Froschgrün gabs das auch.

- Dieser mir von ihr unbekannte Klang (Warum nicht einfach: Dieser unbekannte Klang)

- und legte sie aufs Bett, ohne daran zu denken, dass sie so alles blutig machen würde. Der Gang war ohnehin verschmiert mit Blut, was machte das noch aus?
(Der Erzähler achtet nicht auf das Blut, dann gleich danach überlegt er: Was macht das Blut schon aus? Das ist für mich ein Widerspruch.)

- "Was ist geschehen?", schrie ich Katja an, mehr die Frage mir selbst stellend. (Diesen Nachschub würde ich weglassen, das interessiert keinen, außerdem sind Partizipialkonstruktionen immer ziemlich hässlich. Dafür einfügen, dass sie nicht antwortet) Ich rannte zurück in den Gang, nachdem ich telefonisch den Notarzt verständigt hatte. (Halt, halt - langsam. Ich würde vorschlagen: Ich rief den Notarzt an. Dann vielleicht zwei drei Zeilen Dialog einfügen, die deutlich machen, wie durcheinander der Mann ist: "Blutenburgstraße!" - "Nein nicht Buntburg! Blutenburg!" oder so) Der obere, verglaste Teil der Küchentür war zertrümmert. Blut klebte zum Teil noch an den spitzen Scherben, die im Holzrahmen steckten. Mir wurde übel, doch jetzt war nicht der Moment, um sich selbst nachzugeben. (Warum nicht: Mir wurde übel, aber ich unterdrückte es.)

Was ich hier nicht verstehe: Katja sagt sinngemäß, sie wäre im Bad gestürzt - wie kommt dann Blut an die Küchentür? Und wieso hat sie eine Wunde am Rücken, wenn doch das zersplitterte Glas der obere Teil der Tür war? Entweder da ist was unlogisch, oder es ist schlecht erklärt.

- und legte sie aufs Bett, ohne daran zu denken, dass sie so alles blutig machen würde. Der Gang war ohnehin verschmiert mit Blut, was machte das noch aus?
(Der Erzähler achtet nicht auf das Blut, dann gleich danach überlegt er: Was macht das Blut schon aus? Das ist für mich ein Widerspruch.)

- Seine Anwesenheit beruhigte mich in doppelter Hinsicht. Er nahm die Verantwortung von mir, einerseits die vordergründige ..., andererseits aber auch die über die Geschehnisse dieses Nachmittags.
(Huh, das ist der Stil eines Beamten. In doppelter Hinsicht! Einerseits und andererseits!)

Den Schluss find ich gelungen, die Narbe, die Verdrängung. "Wer würde mir abnehmen, dass Katja gespürt hatte, dass ich mit einer anderen Frau unterwegs gewesen war, sie betrogen hatte?" Dieser Satz löst die Spannung auf, aber es siond noch ein paar Zeilen bis zum Schluss. Das muss nicht schlecht sein, aber überleg doch nochmal, ob der Satz ganz am Schluss vielleicht besser ist.

Grüße nach Wien + bitte weiterschreiben,
dein Stefan

 

Die komplizierte Sprache habe ich aber nicht kritisiert, sie gefällt mir sogar. Gerade das macht diese Geschichte aus, so möchte ich einmal sagen.

 

Hallo Diego noch mal,

verzeih, ich kannte das Wort sehrend wirklich nicht. Deshlab hatteich den Satz so interpretiert, dass es sich um einen an ihr zehrenen Verdacht handelte.
Ich danke für die Korrektur Arthuriel.
Das andere Missverständis kam, da du den Gang ins Büro viel detailierter erzählst, als den nachmittäglichen Treuebruch. Sorry for it.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Leixoletti, Sim und Rubinstein,

Leixoletti, danke für den ausführlichen Kommentar und die aufmunternden Worte, das tut gut!

Sim: Kein Problem, und "sehrend" klingt auch ein wenig nach Richard Wagner...

Rubinstein: Du hast das richtig gespürt, ich verwende die komplizierte, oder ich würde lieber sagen, komplexe Sprache absichtlich, aber weiss die Klinge halt noch nicht sicher zu führen. Ich hätte eine Bitte an dich. Kannst du auch mal "Froschgrün" in dieser Rubrik lesen, und mir sagen, was du davon hältst. Danke

An alle: Werde die Geschichte auch über die Woche "reifen" lassen, und dann nochmals redigieren.

Danke
Diego

 

So, jetzt habe ich ein paar Kleinigkeiten überarbeitet und ausgemerzt. Nochmals danke an alle

Diego

 

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