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Der Umzug
Furchtweiler, 22.04.2017
Sehr geehrter Herr Weber,
nachdem von unserer Seite aus alle Formalitäten erledigt sind, bitten wir Sie, das momentan noch von Ihnen bewohnte Haus termingerecht zum 31.05.2017 zu räumen.
Die Zimmer sind besenrein zu hinterlassen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Neumak
„Lies mal.“ Fred reichte seiner Frau das Schreiben, das er soeben aus dem Briefkasten geholt hatte.
„Was soll das denn?“, fragte Elke erschrocken, nachdem sie den Brief gelesen hatte. „Hast du hinter meinem Rücken etwa unser Haus verkauft?“, sagte sie und schob noch hinterher: „Und mit dem Geld haust du dann mit Deiner Freundin ab?“
„Irgendwie muss ich ja zu der Kohle kommen, um ihre Wünsche erfüllen zu können“, sagte Fred und grinste ihr ins Gesicht.
Und er setzte hinterher: „Ich finde es toll, dass wir immer noch so viel Humor haben, um über einen solchen Blödsinn lachen zu können.“
„Allerdings ist es schon bemerkenswert, mit welchen Späßen sich manche Menschen belustigen“, antwortete Elke.
Nachdem kurz darauf ihre beiden Töchter nach Hause gekommen waren und beim gemeinsamen Mittagessen erzählt hatten, wie sie die Lehrer wieder mit ihren Identitätsspielereien geärgert haben, war der Brief schnell vergessen. Da die Zwillinge Sarah und Lea die exakt gleiche Kleidung trugen, konnte man sie so gut wie gar nicht unterscheiden. Und damit machten sie jede Menge Blödsinn.
Allerdings ermahnte sie die Mutter: „Da habt ihr heute aber Glück gehabt“, und mit dem Blick auf Sarah gerichtet bemerkte Elke: „Ich habe einen Fleck auf deiner Hose gesehen, den Lea nicht hat.“ Sarah entfleuchte daraufhin ein erstauntes: „Ups.“
„Also, ab morgen ist ein genauerer Klamottencheck angesagt“, fügte Lea hinzu.
Eine Woche später bekamen die Weber´s erneut einen Brief vom selben Absender:
Furchtweiler, 29.04.2017
Sehr geehrter Herr Weber,
da meine Frau unter einer starken Gräserpollenallergie leidet, bitten wir Sie, einen Tag vor Ihrem Auszug den Rasen zu mähen. Andernfalls werden wir eine Nachforderung für den Gärtner in Rechnung stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Neumak.
Nachdem Fred den Brief vorgelesen hatte, rief ihm Elke zu: „Schreib doch zurück, dass unser Rasen immer ganz kurz geschoren ist, weil deine Frau ebenfalls unter einer Gräserpollenallergie leidet.“
„Ich finde das jetzt gerade nicht mehr witzig", entgegnete er ein wenig verärgert.
Und wie aus einem Mund fügten Sarah und Lea hinzu: „Was soll´s, ist doch wieder irgend so´n doofer Unsinn.“
So schlossen sich Elke und Fred der Meinung ihrer beiden dreizehnjährigen Töchter an und warfen auch diesen Brief in den Altpapierkasten.
Furchtweiler, 06.05.2017
Sehr geehrter Herr Weber,
Ihr Auszugstermin rückt nun immer näher. Wir fordern Sie erneut auf, alles Nötige in die Wege zu leiten, um zu dem angegebenen Termin nicht mehr anwesend zu sein, da wir ungestört einziehen möchten.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Neumak.
So ganz allmählich breitete sich Angst in der Familie Weber aus. Sie wollten jetzt doch wissen, was hinter diesen Briefen steckt. Die Nachforschungen bei Freunden und Bekannten blieben erfolglos. Auch die Ermittlungen der Polizei blieben ohne Ergebnis. Einen Ort namens Furchtweiler gab es nicht. Niemand konnte sich die Herkunft dieser Schreiben erklären. Auch der Name des Absenders war niemandem bekannt.
Man versuchte sie zu beruhigen mit den Worten: „Ist wohl ein übler Scherz – nichts Ernstes. Elke und Fred war es trotz der Versuche, sie zu beruhigen, mulmig geworden. Nur Sarah und Lea alberten über den „Unsinn“, wie sie es nannten.
Furchtweiler, 13.05.2017
Sehr geehrter Herr Weber,
wir sind sehr besorgt, weil wir keinerlei Aktivitäten erkennen, die darauf hindeuten, dass Sie ausziehen werden.
Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie keinerlei Chancen haben, nach dem 31.05.2017 dieses Haus weiterhin zu bewohnen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Neumak.
Nun wurden die Webers ziemlich sauer. „Das ist jetzt doch des Guten zu viel“, wetterte Fred.
„Aber was sollen wir tun?“, fragte Elke verzweifelt, „ich finde das nicht mehr lustig.“ „Nichts werden wir tun“, entgegnete Fred, „es kann uns ja nichts geschehen. Und soll mal nur einer kommen“, setzte er mit erhobener Faust triumphierend hinterher.
Am nächsten Tag traf wieder ein Brief ein:
Furchtweiler, 21.05.2017
Sehr geehrter Herr Weber,
da Sie scheinbar lernresistent sind und deshalb unseren Plan A nicht umsetzen, haben wir uns nun entschieden, Plan B zu aktivieren.
Wir wünschen Ihnen viel Glück
Gerhard Neumak.
Wie gelähmt begaben sich Elke und Fred am nächsten Morgen zu ihren Arbeitsstellen. Als Elke am Mittag das Haus betrat, war alles wie gewohnt. Sie musste sich sputen mit dem Zubereiten des Mittagessens. Darum war sie direkt in die Küche geeilt. Als sie ihr Kochgeschirr aus dem Schrank nehmen wollte, durchfuhr sie ein riesiger Schreck:
Der Schrank war leer. Panisch riss sie die Türen der übrigen Schränke auf: Sämtliches Geschirr und Besteck, und alles, was in einer Küche drin ist, war weg. Sie rannte zur Haustür, um nachzusehen, ob sie irgendwelche Beschädigungen vorwies, die auf einen Einbruch hätten hinweisen können. Aber die Tür war vollkommen in Takt. Auch alle Fenster waren verschlossen und unbeschädigt. Dann bekam sie den nächsten Schreck: Sie war ins Wohnzimmer geeilt, um Fred anzurufen. Entsetzt sah sie die Umzugskisten, vollgepackt mit ihrem Geschirr, auf dem Boden stehen.
„Ist das ein Traum, oder werde ich verrückt?“, dachte sie.
Einen Tag später hatten sie alles wieder eingeräumt und Fred sagte: „Wir lassen uns das nicht gefallen, was auch immer geschehen mag“.
Als Fred in der Nacht zum Sonntag mal musste, nahm er plötzlich unstrukturiertes Klaviergeklimper von unten aus dem Wohnzimmer wahr. Ohne die Klospülung zu betätigen, um nur ja keine unnötigen Geräusche zu verursachen, schlich er zum Kinderzimmer, um nachzusehen, welche von seinen beiden Töchtern mitten in der Nacht wohl eine so große Lust verspürte, Musik zu machen. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass beide friedlich schliefen. Nun bekam er es mit der Angst zu tun.
„Elke“, flüsterte er seiner Frau zu, „du musst mir helfen. Ruf bitte die Polizei. Es ist jemand in unserem Wohnzimmer am Klavier. Ich war bei Sarah und Lea nachschauen, aber sie schlafen.“ Und ängstlich und mutig zugleich fügte er hinzu: „Ich werde jetzt ganz vorsichtig hinuntergehen und nachschauen, was da los ist.“
„Bist du verrückt?“ Elke war Panik ins Gesicht geschrieben und verzweifelt sagte sie: „Das ist doch viel zu gefährlich.“ Worauf Fred antwortete: „Keine Angst, niemand wird mich sehen – kein Licht, keine Geräusche.“ Im Wohnzimmer hauchte ihm ein leichter Windzug mit der Frische der Nacht über das Gesicht. Eine wehende Gardine deutete auf ein geöffnetes Fenster hin. Als er angespannt hinaus in den Garten schaute, sah er eine Katze, die ihn kreischend, mit einem verzerrten Gesicht anstarrte und fluchtartig das Weite suchte.
Nachdem er das Fenster geschlossen hatte, drehte er sich um und richtete seinen Blick zum Klavier. Entsetzt sah er die Katzenhaare auf der Tastatur, und auf dem Boden befand sich eine streng stinkende Pfütze.
Die herbeigerufene Polizei war schnell wieder abgerückt. Einer der Beamten, der mit dem Fall vertraut war, hatte gesagt:
„Ich verstehe ja, dass ihr alle angespannt seid. Da wären doch ein paar Tage Urlaub ganz gut für euch.“
Nach diesen Worten fühlte sich Fred sehr einsam. Elke und seinen Töchtern sagte er allerdings nichts von dieser Äußerung. Zermürbt, verzweifelt und voller Angst harrte die Familie die ganze Nacht aus, und hoffte auf irgendetwas, was Aufschluss über die Geschehnisse geben würde. Völlig erschöpft schliefen sie irgendwann am Sonntagmorgen ein und konnten sich einigermaßen von den Strapazen erholen.
Lea und Sarah gingen am Montag wieder in die Schule, Fred musste für drei Tage geschäftlich verreisen und Elke ging ihrem Halbtagsjob nach.
Als sie von der Arbeit nach Hause kam, befand sich abermals ein Brief des mysteriösen Absenders im Briefkasten:
Furchtweiler, den 24.05.2017
Sehr geehrter Herr Weber,
Nun haben wir es bald geschafft. Wir freuen uns sehr auf unser neues Heim.
Wir wünschen Ihnen und auch uns einen reibungslosen Umzug. Wir sind sicher, dass sich alles zum Guten wendet.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Neumak.
Mit einem Mal fiel Elke in sich zusammen. Auch Lea und Sarah waren mittlerweile gezeichnet von den Ereignissen. Sie machten in der Schule keinen Blödsinn mehr, und sie achteten auch nicht mehr auf ihre Kleidung.
Der Möbeltransporter parkte seit gestern vorm Haus.
Als Fred nach drei Tagen spät abends von seiner Geschäftsreise zurückkehrte und gerade die Eingangstür aufschloss, hörte er hinter sich ein knarrendes Geräusch: Die hydraulische Ladeklappe des LKWs hatte sich geöffnet.
Es wurde hier immer bedrohlicher und Fred hatte nun richtig Angst. In seiner Verzweiflung fing er an zu schreien: „Hilfe, Hilfe!“ Aber nichts regte sich. Kein Fenster, keine Tür in den benachbarten Häusern öffnete sich, es schien nirgendwo jemand da zu sein.
Einzig und allein humpelte eine kleine, verschrobene Figur von der mittlerweile heruntergefahrenen Ladeklappe des Möbelwagens herunter auf die Straße und schaute eindringlich zu Fred:
„Laden Sie endlich Ihren Kram ein und verschwinden Sie von hier“, krächzte sie ihm entgegen, bevor sie in der Dunkelheit verschwand. Fred versuchte hinterher zu laufen – aber, die Figur war wie vom Erdboden verschluckt.
Als die Familie Weber am nächsten Morgen erwachte, nahmen sie den Geruch von frischer Farbe wahr. Schleunig standen sie auf und liefen zu ihren übrigen Räumen. Und sie waren erneut geschockt: Alle Möbel, die noch am Vorabend an den Wänden standen, waren in die Mitte der Zimmer gerückt worden, und sämtliche Wände waren frisch gestrichen.
„Wir müssen hier raus, sonst gehen wir kaputt“, stammelte Elke mit Tränen in den Augen. „Wir wissen nicht, was hier vor sich geht, vielleicht sind wir schon krank, aber scheinbar gibt es Mächte, die, wie auch immer, so groß und gewaltig sind, dass wir uns einfach beugen müssen“, fügte sie schluchzend hinzu. Fred nahm sie liebevoll in den Arm. Danach beruhigte sie sich ein wenig.
Es war nun schon der 29.Mai – nur noch zwei Tage bis zu der grausamen Frist, deren Herkunft niemand nachvollziehen konnte.
Als die Familie am Morgen des 31. Mai aufwachte, sahen sie, dass alle Möbel, außer ihre Betten, in denen sie geschlafen hatten, weg waren. Alles war leergeräumt. Lea und Sarah waren hinausgeeilt, weil sie eine Ahnung beschlich und sahen, das die Ladeklappe des LKWs geschlossen war. Elke fand im Eingangsbereich den Schlüssel des Lasters. Sie verließen das Haus, ohne es abzuschließen, und bestiegen den Transporter. Fred bewegte das Fahrzeug die Straße hinunter, ohne zu wissen, wo sich das Ziel der Reise befindet. Sie waren schon eine gute Stunde unterwegs, als er die Parkbucht ansteuerte. Seine Niedergeschlagenheit und die Angst waren einer Entschlossenheit gewichen, die nun auch Elke bemerkte, als sie ihn ansah.
„Was ist los?“, fragte sie ihn, warum hältst du an?“ „Wir fahren zurück, es wird uns nichts geschehen“, erwiderte er energisch. „Für den Fall, dass es morgen zu einem Zusammentreffen kommt, werde ich die Polizei einschalten“, sagte Fred. „Habt keine Angst, es ist unser Haus und das wird es auch bleiben“, fügte er hinzu. Und er sagte noch: „Ich glaube, dass wir da einem gewaltigen Blödsinn, wer auch immer ihn veranstaltet hat, auf den Leim gegangen sind.“
Nachdem sie zu Hause angekommen waren, fingen sie sofort damit an, den LKW zu entladen.
Zwei Tage danach war alles eingeräumt. Sämtliche Eirichtungsgegenstände befanden sich an ihrem gewohnten Platz, und somit konnte der ganz normale Alltag wieder stattfinden. Und Fred hatte Recht behalten: Am ersten Juni geschah nichts außergewöhnliches. Lediglich ein Streifenwagen der Polizei war des öfteren durch die Straße gefahren.
Jedoch am Abend des dritten Tages trat Fred kreidebleich ins Wohnzimmer. In seiner Hand hielt er einen Brief:
Furchtweiler, den0 1.06.2017
Sehr geehrte Herr Weber,
da der Sommer vor der Haustür steht, machen wir Sie darauf aufmerksam, dass es Ruhezeiten gibt, die Sie dringend einhalten sollten, wie z.B. kein Rasenmähen von 12.00 – 14.00 Uhr, oder Lärm machen zu später Stunde bei Grillfesten usw.
Bei Zuwiderhandlungen werden Sie ihr blaues Wunder erleben.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Neumak.
Elke war ebenfalls sprachlos. Nur Lea und Sarah sahen es locker und witzelten: „Papa, du musst morgen unbedingt den Rasen mähen, Mama hat doch Gräserpollenallergie.“ Daraufhin lachten alle vier und entspannten sich.
Elke sagte: „Wir sind eine glückliche Familie und lassen uns unsere Lebensfreude und unseren Humor nicht nehmen. Ich schlage vor, Briefe dieser Art zu ignorieren.“ Fred und die Kinder stimmten zu, und sie verbrachten den Rest des Abends damit, sich Witze zu erzählen, was sie die Angelegenheit einfach vergessen ließ.
Es kamen danach noch drei, vier Briefe aus Furchtweiler, die allerdings ungeöffnet in der Altpapierkiste landeten.