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Der Umschlag
Nur ein Umschlag. Weiß. Gefüttert. Mit meinem Namen darauf. Vor- und Zuname. Keine Adresse. Keine Briefmarke. Jemand muß ihn eingeworfen haben. Meine Hand ist schneller als mein Wille. Versicherung, Rechnung, Rechnung, Postkarte, Werbung und wieder der Umschlag.
Noch eine blöde Urlaubskarte. Das Bild zeigt eine sonnige Landschaft irgendwo im Süden. Keine Ahnung, wo. Auf der Rückseite eine Mädchenschrift. Gegen die Leserichtung, sauber aber verschnörkelt, viel zuviel Text. Nur Weiber schreiben so.
Conni schreibt auch so. Die Karte ist an sie. An den Rand gequetscht heißt es noch: „und auch an ...“. Blöde Kuh. Das hätte sie sich auch sparen können. Sie weiß genau, was ich von ihr halte.
Ich betrachte den Umschlag. Er ist breiter als die anderen. Connis Schrift ist das nicht. Ähnlich. Aber nicht ihre. Er ist nicht zugeklebt. Die Lasche wurde nun in den Ausschnitt gesteckt.
Erst ´mal sehen, was die Versicherung will. Mein Zeigefinger bohrt sich in die Falzlücke, und nach mehrmaligem Reißen ist der Umschlag der Länge nach auf. Conni haßt es, wenn ich die Umschläge so zerfetze. Eine dieser „vielen Kleinigkeiten“, die ich wohl nie verstehe. Ist mir einfach zu blöd.
Nur die Quartalsrechnung. Wenn an der Karre auch nur eine Schramme ist! drohe ich im Geiste. Die kann ´was erleben! Früher oder später kommt sie schon zurück. Und dann geht´s aber rund im Karton! Schnappt sich einfach die Maschine! Die hat sie wohl nicht alle! Führerschein hin oder her. Ich will´s eben nicht. Das weiß sie verdammt genau. Und da kann sie drei Mal auf sie zugelassen sein. Es ist und bleibt meine!
Die Post landet auf dem Tisch. Nur den Umschlag behalte ich in der Hand. Das ist auf keinen Fall Connis Schrift. Ihr großes „A“ sieht ganz anders aus. Glaube ich. Sie ist doch bestimmt zu ihrer Mutter gefahren. Tut sie doch sonst auch immer. Dann ist das wohl deren Schrift.
Warum sollte die mir schreiben? Hab´ ich etwa kein Telefon? Und warum schellt sie nicht, wenn sie schon da ist? Traut sich wohl nicht.
Was also mag das sein? Eine Einladung zum Grillen auf Schwiegermamas Terrasse? Zum Glück immer noch Schwiegermama in spe. Die hat immer so tolle Einfälle. Wahrscheinlich hält sie das für eine prima Gelegenheit, um ´mal wieder alles in Ruhe zu belabern. Günther, diese Witzfigur, der sich von seiner Frau auf der Nase ´rumtanzen läßt, steht am Grill, während Madame mir die Ohren vollsülzt. Nee, schönen Dank auch. Außerdem kann ich gar nicht. Am Wochenende machen wir nämlich schon eine Tour durch die Eifel. Ist schon lange geplant. Tut mir leid.
Scheiße! Wie konnte ich auch die Ersatzschlüssel vergessen! An die Wagenschlüssel hab´ ich doch gedacht. Hab´ wohl einfach nicht damit gerechnet, daß sie so dreist ist. Klettert aus dem verdammten Fenster, und wusch, weg ist sie. Mit meiner Maschine!
Vielleicht ist sie auch gar nicht nach Hause zu Mama. Sie könnte zu Sylvi sein. Die wohnt viel näher. Und hat keine Garage. Wäre nicht schlecht, wenn sie da hin wär´. Ich könnte Tom anrufen, wir fahren schnell vorbei, und ich hab´ meine Maschine wieder.
Besser nicht. Der würde natürlich wissen wollen, was die Aktion soll. Und was sag´ ich dann? Er weiß auch, daß ich nicht will, daß sie Motorrad fährt. Paßt doch gar nicht zu ´ner Frau! Die gehört hinten ´drauf. Jannette hat nicht ´mal ´nen Führerschein. Wozu auch?
Na ja. Morgen reicht auch noch. Wir fahren erst Samstag.
Ich könnte ja ´mal anrufen und hören, ob sie da ist. Dann weiß ich wenigstens, wo die Maschine steht, falls es eng wird. Dann darf ich mir zwar wieder anhören, was ich doch für ein egoistisches Arschloch bin, daß ich zuwenig Rücksicht auf die Gefühle anderer nehme und all so´n Zeugs. Alte Lesbe. Kriegt selber keinen ab und will anderen erklären, wie´s geht. Selber von Beziehung keine Ahnung, aber das Maul aufreißen!
Gefühle. Wenn ich das schon höre! Weiberkram. Was kann ich denn dafür, wenn mir ´mal die Hand ausrutscht? Das kann jedem ´mal passieren. Was muß sie auch ständig auf mir ´rumhacken? Tu´ dieses nicht, mach´ jenes nicht, laß´ nicht immer alles liegen, räum´ das auf. Verdammt, wer bringt denn die Kohle nach Hause? Und da soll ich mir vorschreiben lassen, wie ich mich zu benehmen habe? In meiner eigenen Wohnung? Soweit kommt´s noch! Die soll sich ´mal nicht so anstellen!
Okay. Ich hätt´ sie vielleicht nicht schlagen sollen. Wollt´ ich eigentlich gar nicht. Aber sie hat so gebrüllt, nein, gekeift hat sie. Ich kann´s einfach nicht ertragen, wenn sie so keift. Das geht wirklich durch Mark und Bein, so hoch ist das. Nicht zum Aushalten.
Ich mach´s wieder gut. Vielleicht kauf´ ich ihr ´was. Oder wir gehen ´mal wieder ins Kino. War´n wir schon lange nicht mehr. Bestimmt will sie ins Kino. Und dann können wir ja noch irgendwo essen gehen. Der Grieche in der Fußgängerzone soll nicht schlecht sein. Sagt Tom.
Also schön. Was haben wir hier? Einladung zum Grillen oder eine allerliebste Freundin, der Conni ihr Herz ausgeschüttet hat und mir jetzt fein säuberlich verfaßt den Marsch bläst?
Ich ziehe eine Karte aus dem Umschlag und klappe sie auf. Connis Name sticht sofort ins Auge. Darüber steht: „Durch einen tragischen Unfall verloren wir unsere von Herzen geliebte Tochter, Schwester, Schwägerin und Tante“.
Der Rest verschwimmt vor meinen Augen. Ich will hinsehen, aber ich kann nicht. Karte und Umschlag gleiten mir aus den Händen und fallen zu Boden. Ich kann mich nicht bewegen. In meiner Verkrampfung wie festgefroren sitze ich nur da und starre ins Leere.
Verflucht! Das habe ich nicht gewollt.