Der Typ aus dem Laden
Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere gewesen. Ich bin morgens aufgestanden, habe die morgendliche Routine hinter mich gebracht und war bereit hinaus zu streiten um meine Pflichten zu erfüllen.
Auf dem Weg zur Arbeit ist auch nicht sonderlich viel passiert, wenn man sich einmal an das U-Bahnfahren in Berlin gewöhnt hat, wundert man sich nicht mehr so leicht über Paradiesvögel.
Das einzige was ich mich bei jedem Paradiesvogel, den ich so auf der Straße oder in den Öffentlichen begegne frage, ist, was machen solche Leute um ihren Leben zu unterhalten?
Denn rein optisch passen die überhaupt nicht in irgendeine Firma.
Das sind in meinen Augen alles Möchtegernkünstler, die höchstwahrscheinlich in der Gastronomie arbeiten. Schlimm.
Die arbeiten dort, wo andere Spaß haben. Trauriges Leben.
Natürlich bedenke ich, dass wir hier in Berlin sind und sich jeder, rein optisch, entfaltet wie er will.
Bei Studenten kann ich das noch nachvollziehen, die sind aber noch nicht im Ernst des Lebens angekommen, die dürfen sich das noch erlauben.
Ausgefallene Klamotten.
Aber treffe ich eine Person, die schon aus dem Studentenalter raus ist, sich aber immer noch nicht dem Ernst des Leben gestellt hat, überkommt mich immer ein Gefühl des Unbehagens und der Trostlosigkeit.
Was machen diese Leute mit ihrem Leben? Haben die keine Ambitionen eine Familie zu gründen, sich auf das Rentenalter vorzubereiten? Man muss doch Vorsorge treffen.
Vor-Sorge.
Ich bin ja der Meinung dass man sich, wenn man einen sicheren Job haben will, auch dementsprechend kleiden sollte, sich dementsprechend verhalten sollte.
Ich für meinen Teil bin ganz zufrieden mit mir. Ich habe einen sicheren Job, den ich dank meines Studiums bekommen habe. Ich wohne in einer ordentlichen und geräumigen Wohnung zusammen mit meiner langjährigen Freundin. Ich bin Mitglied in einem Fußballclub in meiner Nachbarschaft und beim Fitness bin ich auch angemeldet.
Meiner Freundin ergeht es genauso. Sie hat einen Job den sie wegen ihres Studium Abschlusses bekommen hat. Beide haben wir eine vierzig bis fünfzig Stundenwoche und dreißig Urlaubstage. Erst neulich haben wir uns ein neues Auto auf Leasingraten angeschafft.
Das Schöne an unserer Beziehung ist, wir haben in etwa die gleichen Vorstellungen vom Leben und sogar gleichen Geschmack. Das ist eine Sache die mir besonders wichtig ist. Gerade weil wir den gleichen Geschmack haben, haben wir keinen Stress bei der Auswahl einer neuen Serie auf Netflix.
Und wenn wir mit einer Serie durch sind, haben wir ordentlich Gesprächsstoff bis zur nächsten.
Wie gesagt, es ist ein normaler Tag gewesen, keinerlei Spektakel, keine Aufregungen. Von der Arbeit bin ich früher als sonst gegangen, ich wollte noch durch die Einkaufszentren bummeln und mich nach einem Geschenk für meine Freundin umsehen, Weihnachten steht vor der Tür.
Ich hab mich in allen möglichen Geschäften umgeschaut, ich bin bei Klamottenläden gewesen, bei Elektronikhändlern aber wirkliche Inspiration habe ich nicht erfahren. Ich habe das Handtuch schon geworfen und machte mich auf den Weg zur U-Bahn, auf den Weg nachhause. Man kommt direkt vom Untergeschoss des Einkaufszentrums zur U-Bahnstation. Also begab ich mich nach unten und marschierte direkt zum Ausgang, als mir im Augenwinkel dieser Laden aufgefallen ist.
Die bieten dort Ledertaschen für Frauen und Männer an. Unisex, wie der Typ aus dem Laden mir gesagt hat.
Der Laden war leer, was ihn aber nicht weniger anziehend machte. Sehr stylischer Laden, schön minimalistisch gehalten. Die haben die Innenausstattung echt schön hinbekommen, es ist ein Mix aus Holz und Metall, sehr rustikal, warmes Licht.
Die Taschen haben mich auch sehr beeindruckt, schön und preiswert. Mehr beeindruckt als von den Taschen hat mich der Typ der dort arbeitet.
Wenn man das so nennen kann.
Er saß seelenruhig an seinem Platz. Sein Platz ist ein pultartiger Tisch auf kleinen Rädern etwa auf Hüfthöhe. Ebenfalls ein Mix aus Metall und Holz, wobei die Tischplatte eine halbe Scheibe aus einem Baumstamm ist. Das muss ein mächtiger Baum gewesen sein.
Auf der Platte waren nur ein paar Utensilien, ein iPad das als Kasse dient, ein Kartenlesegerät, ein Stück Leder das zu Demonstrationszwecken dient, eine Musikbox, das Handy des Typen. Er selbst saß auf einem erhöhten Stuhl.
Er saß also dort auf seinem Stuhl, las ein Buch und hört Musik. Charles Dickens „Große Erwartungen“ gelesen und den ehemaligen Gitarristen (er hat mir den Namen genannt, habe ihn aber vergessen) der Red Hot Chili Peppers gehört.
Bei der Arbeit! Unglaublich!
Ich geh in den Laden rein und erwarte eine Reaktion von dem Typen. Nichts. Ich schaue mich kurz um, gehe an ihm vorbei und immer noch nichts. Keine Reaktion, er ist vertieft in sein Buch. Ich bin zwar froh, dass er mich nicht vollquatscht und versucht mir um jeden Preis etwas zu verticken.
(Das ist das Wort das er benutzt hat)
Trotzdem fühle ich mich beleidigt, er hat mich zumindest zu grüßen, er will doch schließlich Geld verdienen. Kunde ist König, wenn ich mich nicht irre.
Mein erster Eindruck von ihm: respektlos, arrogant und höchstwahrscheinlich auch einer dieser Paradiesvögel. Das habe ich daran erkannt, dass er einen Ring am kleinen Finger trägt und ein rückwärts getragenes Capy, unter dem man deutlich lange Haare erkennt. Sein Gesicht ist unrasiert. Nichtsdestoweniger wollte ich in Kontakt mit ihm kommen um mir meine Theorie bestätigen zu lassen und sollte dem so sein, kann ich ihm meine Meinung geigen.
>> Kann ich die Tasche hier mal aus dem Regal nehmen und sie mir anschauen? << fragte ich.
>> Bitte, das musst du machen. Leder muss man anfassen und fühlen. << antwortete er.
Das hat mich mächtig aus dem Konzept gebracht. Ich habe ein schlichtes „Klar“ erwartet. Er aber hat das mit einer so einfühlsamen Energie gesagt, dass ich erst mal überfordert war.
System overloaded.
Ich wollte die Tasche aufmachen um mir das Innenleben anzuschauen, als er auch schon auf dem Weg zu mir war. Jetzt fängt die Show an, denke ich mir und sage es ihm auch.
>> Show? << Antwortet er.
>> Na ja, jetzt fangen Sie doch an das Produkt zu preisen um es mir schmackhaft zu machen. <<
>> Erst mal, kannst du bitte aufhören mich zu Siezen. Wo sind wir denn hier?! Weiß du, in manchen Kulturen sind die Menschen beleidigt wenn man sie siezt. Kannst du dir vorstellen warum das so ist? <<
Wieder hat er meinen Worten jeden Wind aus den Segeln genommen.
>> Die Leute sind der Meinung, dass wenn man sie nicht duzt, man nicht ihr Freund sein will. Sich vielleicht sogar für etwas Besseres hält. << Somit hat er seine Frage selbst beantwortet. Aber sein ganzes Auftreten, wie spricht, in welcher Tonlage, seine Satzbildung, man kann ihm nicht böse sein. Egal ob er einem vor den Kopf stößt.
>> Und jetzt zurück zu deiner Aussage, ich wolle das Produkt preisen. Tatsächlich denke ich die Tasche ist eine der wenigen die wirklich nicht schön sind. Komischer Weise wird die aber relativ häufig gekauft. Ich bin immer der Meinung gewesen, ich hätte einen guten Geschmack aber die Verkaufszahlen belehren mich eines Besseren. <<
So etwas habe ich noch nicht erlebt, erst beachtet er mich nicht sondern liest sein Buch. Dann belehrt er mich warum ich ihn nicht sitzen soll und jetzt erzählt er mir die Tasche für die ich mich interessiere ist scheiße. Man könnte meinen das gehört alles zu seiner Verkaufsstrategie aber auf meine Aussage, dass das alles nur Masche sein, antwortete er und ich zitiere:
„Ich sage was ich meine und meine was ich sage. Sehe ich wirklich wie ein Typ aus der einen Plan hat?“
Nach ein bisschen Smalltalk und Präsentationen von Taschen die ihm gefallen, habe ich mich dazu entschieden die Tasche für meine Freundin zu kaufen.
Mir hat es auch eine Tasche angetan, ein sogenannter Weekender. Eine kleine Reisetasche aus Büffelleder, wunderschön, für dreihundert Euro.
>> Das ist eine Tasche die echt war hergibt, ich finde es gibt zu viele Menschen mit hässlichen Reisetaschen. Besonders wenn das irgendwelche Sporttaschen sind. Einfach nur hässlich. << das waren seine Worte als ich mir die Tasche näher angesehen habe.
>> Irgendwo haben Sie, tschuldigung, hast du recht. Vielleicht lasse ich sie mir zu meinem nächsten oder übernächsten Geburtstag schenken. << sagte ich.
>> Schöne Sachen muss man sich selbst kaufen mein Freund. Und nicht nur zu seinem Geburtstag.<<
Das habe ich am Anfang gar nicht richtig wahrgenommen, sondern erst nachts im Bett.
Er nahm meine EC-Karte entgegen, der Betrag wurde abgebucht und ich hatte das Geschenk.
Zum Abschied tauschten wir warme Worte aus und verabschiedeten uns.
>> Eine Sache noch Kumpel. Wer sich nicht selbst liebt, kann auch keinen anderen lieben. << sagte er beiläufig und in so einem unschuldigen Ton, dass ich nichts als ein Lächeln zurückgeben konnte.
In der Nacht, am Morgen, bei der Arbeit. Ich konnte an nichts anderes denken als an seine Worte.
Schöne Sachen muss man sich selbst kaufen, wer sich nicht selbst liebt kann auch keinen anderen lieben. Was wollte er mir damit sagen? Was sind das für Aussagen? Je länger und intensiver ich über die Worte nachdachte, desto mehr Groll fing ich an gegen ihn zu hegen. Ist das versteckte Kritik? Was denkt er wer er ist? Ich fing an ihn für ein materialistisches Schwein zu halten, der nichts als Oberflächlichkeit betrachtet.
Über den Tag hinweg formulierte ich mir ein paar Sätze, die ich ihm später an den Kopf werfen wollte.
Feierabend.
Jetzt kann ich losgehen und es ihm zeigen.
Dort sitzt er wieder und liest sein Buch, diesmal aber ein anderes. Ich glaube es war irgendetwas von Hermann Hesse.
>> Kumpel. sagte ich. Ich hab mal über deine Worte nachgedacht und muss dir sagen, dass du echt Scheiße laberst. Außerdem denke ich dass du einer bist, der nur aufs Materialistische achtet. << So, jetzt hatte Dampf abgelassen, habe ihn meine Sätze und meine Meinung an den Kopf geworfen. Ich war bereit für ein Wortgefecht.
>> Deine Worte haben kein Gewicht bei mir. << Das war seine Antwort.
>> Du hast dich für Krieg und gegen Frieden entschieden. << fügte er hinzu.
Dann widmete er sich wieder seinem Buch und ignorierte mich.