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Der Tycoon
Der Tycoon
Gill Bates war der reichste Mann der Welt. Vielleicht existierten 3 oder 4 Menschen, die noch reicher waren als er. Aber nur, weil sie den all zu liberalen Steuerbehörden in ihren exotischen Ländern weis zu machen vermochten, sie wären nicht halb so reich wie er. Nach Gills persönlicher Schätzung war er nur der drittreichste Mann der Erde, aber das betrachtete er als sekundär, denn Gill Bates war der bei Weitem einflussreichste.
Sein Trick schien so simpel wie genial: Die beste Ware verschenkte er. Gills Firmen hatten zu Beginn der Gründerzeit flexible und bedienerfreundliche Beriebssysteme für Computer entwickelt und in einem Anfall von wohl kalkuliertem Altruismus mehr oder weniger verschenkt. Daraus resultierte die unvermeidliche Tatsache, dass fast jedes Arschloch, das irgendwo auf der Welt einen Computer benutzte, sich seines Betriebssystems bediente. Es begann mit Doors 3.1, schnell folgten 4.1er und 5.1er Releases, doch spätestens als Doors 95 raus kam, waren seine Produkte der allgemeine Standard. Das Geld machte Gill durch die Hintertür, über Ergänzungsprogramme, Zubehör, Lizenzen oder Internetbrowser. Gill Bates war der Mann, der die Schraube erfunden, und alle Schraubenzieherhersteller des Planeten bei den Eiern hatte. Und Gill Bates war sich dessen bewusst.
Er parkte die gepanzerte Limousine in der für ihn reservierten Zone im dritten Untergeschoss der firmeneigenen Tiefgarage. Die Wagen mit den Personenschützern kamen direkt neben ihm zum Stehen. Gill fuhr gern selbst. Chauffeure nahm er nur in Anspruch, wenn er sich abends mit einer seiner obligatorischen Stretch-Limos zu lästigen gesellschaftlichen Verpflichtungen kutschieren ließ. Zu einem dieser Show-off-meetings selbst zu fahren, bedeutete die soziale Ächtung. Genau aus diesem Grund war er letzte Nacht zum 100.000$-Wohltätigkeitsessen des nächsten demokratischen Präsidentsschaftskandidaten höchstpersönlich am Steuer seines Chrysler-Hummers erschienen. Der Geländewagen hatte einiges Aufsehen erregt – inmitten all der Mercedes-, Rolls Royce- und Lincolnlimousinen, welche die anderen prominenten Gäste angekarrt hatten. Gill Bates war seiner Zeit nun mal immer einen Schritt voraus. Al Gore soll schon am darauffolgenden Morgen mit einem bunt lackierten Beach-Buggy im Weißen Haus erschienen sein, erzählt man sich...
Der Fahrstuhl identifizierte sein Stimmprofil und katapultierte ihn in sein New Yorker Büro. Als die Fahrstuhltür sich im 144. Stock öffnete, nahm keiner von ihm Notiz. Alle Angestellten, die er traf, bewegten sich zügig und bestimmt. Kaum ein Blickkontakt. Und wenn, dann kein “Guten Morgen!”, sondern höchstens ein unscheinbares, erkennendes Nicken. Gill hatte das so eingeführt, denn es war ermüdend und unendlich langweilig, sich jeden Morgen von seinen Untergebenen schwanzwedelnd anhimmeln und begrüßen zu lassen. Aus 2 Gründen: Es schmeichelte seiner intellektuellen Eitelkeit längst nicht mehr. Und es war kontraproduktiv.
Scheinbar unbemerkt ging der einflussreichste Mann der Welt zu seinem Arbeitsplatz, goss sich selbst einen Kaffee aus der Maschine seiner lokalen Chefsekretärin ein und kratzte seinen stinkreichen Hintern: “Sind die Jungs fertig, Merryl?”
“Sie sitzen seit einer halben Stunde in Konferenzraum II und scharren mit den Hufen.”
“Wann ist das Meeting angesetzt?”
“In 4 Minuten, Sir.”
“Gib mir in einer Viertelstunde Bescheid!”
Merryl schmunzelte ihn wissend an. Das Meeting drehte sich um extrem wichtige Multimilliarden Dollar-Deals. Dennoch sollte keiner der anwesenden Verhandlungspartner sich irgendwelche Illusionen über seine eigene Wichtigkeit machen. Gill Bates las grundsätzlich erst mal in der Morgenzeitung und schlürfte seinen Kaffee. Vorher war nix zu machen.
Nachdem er seinen traditionellen Buttercroissant goutiert und die Comicseite gelesen hatte, war er bereit für sein Tagewerk. Merryl reichte ihm eine Serviette, schnippte professionell einen Krümel Blätterteig von seinem Revers und öffnete die scheunentorgroße Flügeltür zum benachbarten Konferenzraum. Er betrat den Saal mit der Kaffeetasse in der Hand, nickte beiläufig in die Runde und nahm am Kopfende eines futuristischen Monstertisches Platz. Ein stämmiger Bodyguard hauchte einen Funkspruch in sein Mikro und schloss die Tür von außen.
12 internationale Topmanager blickten ihn erwartungsvoll an, sahen, wie er seine Tasse leerte und sein Laptop betrachtete: “Seid ihr mit British Telebus fertig?”
Jemand hackte den Bruchteil einer Sekunde auf seiner Tastatur herum, dann konnten alle Anwesenden die Eckdaten auf ihren Displays studieren. Der Verantwortliche warnte: “Die Börse hat heute Morgen schon leicht auf die Übernahmegerüchte reagiert. Wir sollten den Kauf sofort abwickeln, oder es wird zu teuer.”
Gill nickte, flinke Hände sandten Orders in die virtuelle Welt hinaus, und 82 Milliarden Dollar wechselten den Besitzer.
“Was ist mit Sodafone und telefique francaise?”
“Ist längst in die Wege geleitet.”, meldete sich der Zuständige, “Wir mussten unsere europäischen Tochtergesellschaften einschalten, denn die Kartellbehörde sitzt uns wieder im Nacken und die lässt sich in dieser Angelegenheit nicht schmieren. Aber bis Freitag haben wir die Sache unter Dach und Fach.”
“Und dieser Deutsche?”
“Mister Ron Winter...”, erklärte der Boss von Macrotough Germany, “...hat am Montag einen langjährigen, persönlichen Beratervertrag unterschrieben. Wir zahlen ihm jährlich 5 Millionen Deutschmarks dafür, dass er auf unseren Cocktailparties das Buffet plündert, unsere Edelnutten pimpert und bei Präsentationen euphorisch in die Kameras lächelt. Er wird sich kooperativ verhalten.”
Gill war so weit zufrieden. Alles lief nach Plan. Die Entwicklungsabteilung bestätigte die Fertigstellung von Doors 2001½ und die Marktanalytiker prognostizierten steigende Verkaufszahlen. Er fragte noch ein paar Details ab, damit seine Executives sich mal so richtig aufplustern konnten. Das brauchten sie für ihr Selbstwertgefühl. Ein wohlwollender, anerkennender Blick von ihm war mehr wert, als die achtstelligen Summen, die er ihnen zahlte. Dressierte Affen – aber kompetent, das musste man ihnen lassen. Er warf ihnen noch ein paar Bananen zu, amüsierte sich darüber, wie sie sich stolz auf die behaarte Brust schlugen, und kam dann zu dem unvermeidlichen Thema, das sie alle fürchteten: “L.O.A.? Habt ihr schon einen neuen Ansatz?”
Betretenes Schweigen.
Sicher, es war nur eine Frage der Zeit, bis er L.O.A. schlucken würde, doch bis dato waren alle feindlichen Übernahmeversuche fehlgeschlagen. Macrotough brauchte L.O.A., um den Markt auch bei den Providern zu kontrollieren. Gills japanische Strohkonzerne arbeiteten daran, doch die Fortschritte waren minimal. Sie hatten 4 große Hollywoodstudios, 12 Internetsuchmaschinen sowie 6 Konnkurrenzprovider aufgekauft und versuchten, über die laterale Produkterweiterung an L.O.A. ranzukommen. Kontakte waren geknüpft, internationale Handelsvereinbarungen nur eine Frage des Preises, aber L.O.A. spielte die zickige Jungfrau.
Beschämt starrten die Topmanager auf ihre 300$-Kravatten.
Gill stand auf: “Treten sie unseren japanischen Freunden in den Arsch. Richten sie den Verantwortlichen unserer Strohkonzerne aus, sie hätten noch bis zum Ende des Quartals Zeit, um die Fusion in die Wege zu leiten. Sonst ziehe ich mein Kapital ab: 4 Wochen vor den japanischen Wahlen. Was das für die Regierung bedeutet, wird ihnen klar sein. Vielleicht bekommen wir da diesen kleinen extra Kick an bedingungslosem Engagement, der im Moment noch zu fehlen scheint – gratis. Guten Tag, meine Herren!”
Auf dem Dach wartete bereits der Helicopter, um ihn nach Washington zu bringen. Er nutzte die Zeit, um das Wall Street Journal durchzuackern. Merryl hatte alle relevanten Entwicklungen farbig markiert. Das ansonsten schwarzweiße Blatt leuchtete vor lauter Textmarkerstreifen. Er war sich der Ironie bewusst, doch der Mann, der die Printmedien überflügelt und weit hinter sich gelassen hatte, las nun mal gerne Zeitung.
Der Hubschrauber setzte ihn auf dem Landeplatz hinter dem Weißen Haus ab. Ein Rudel Bodyguards geleitete ihn zum Allerheiligsten. Der Präsident begrüßte ihn herzlich und führte Gill in das kleine Arbeitszimmer neben dem Oval Office. Kaum, daß die Tür geschlossen war, kam er zur Sache: “Ich konnte in dieser Angelegenheit nichts unternehmen. Unseren Jungs bei der Kartellbehörde sind die Hände gebunden. Es tut mir Leid, Gill, aber das Urteil steht. Sie werden es nächste Woche verkünden.”
“Verdammt! Das kostet mich Milliarden. Und das soll ein freies Land sein? Wenn man nicht einmal die Möglichkeit hat, sich legal ein Monopol zu verschaffen?”
Gill Bates kochte. Macrotough hatte Millionen Arbeitsplätze geschaffen, die Raumfahrt der NASA durch 88 Satelliten entscheidend mitfinanziert, und diesem Präsidenten ins Amt geholfen. Und jetzt so etwas. Er beschloss, demnächst mehr Richter zu kaufen: “Geht der Deal mit Südkorea wenigstens klar?”
“Aber natürlich!”, beeilte sich der Präsident, zu versichern, “Ich habe gestern noch persönlich mit Präsident Fat Check Sum telefoniert, du bekommst die Lizenzen ganz sicher.”
Sie tranken noch ein bis drei Gläser Whisky zusammen und unterhielten sich über Manipulation, Frauen und Football, doch der belgische Außenminister wartete schon über eine Stunde. Also verabschiedete man sich mit einem ganz speziellen Händedruck.
Gill flog frustriert zurück. Mitleidig ließ er seinen Blick über das Weiße Haus schweifen. Präsident der Vereinigten Staaten zu sein, war ein beschissener Job. Man hatte einfach zu wenig Einfluss...
Es war 23.30, als er das New Yorker Dachappartment betrat. Was für ein grauenhafter Tag! Zeit für etwas Entspannung. Gill ließ die Soundanlage Wagners Walkürenritt spielen und goss sich einen steifen Drink ein. Der Schlag traf ihn völlig unerwartet.
“Wo hast du dich wieder rumgetrieben, du kleiner, schleimiger Wurm?”
Gill fiel auf die Knie. Er schmeckte Blut in seinem Mund: “Ich komme direkt von der Arbeit, Darling.”
“Ein Lügner bist du, ein widerlicher, dreckiger Lügner. Du must bestraft werden!”
Gill Bates bekam eine Erektion, als sich ihr Pfennigabsatz in seinen Handrücken bohrte. Gierig leckte er ihre schwarzen Lackstiefel und bat um Gnade. Doch die Peitsche knallte wütend auf ihn nieder und zerfetzte seinen 12.000$-Anzug: “Böser Junge!”
Devot blickte er zu seiner Herrin auf, der Informatikstudentin Susan Kinkychick aus Oklahoma, welcher er dieses Appartment für gelegentliche Dienste gekauft hatte.
“Habe ich dir erlaubt, mich anzusehen?”
Er spritzte ab, als der süße Schmerz eines weiteren Peitschenhiebs ihn wollüstig zucken ließ.
Morgen würde er sie alle fertig machen.