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Der Trick Tod
Als ich aufwachte, hatte ich Durst. Meine Kehle fühlte sich so ausgedorrt an wie der Kaktus auf meiner Fensterbank. Er war ein Geburtstagsgeschenk von vor drei Jahren gewesen. Ein stinklangweiliges Geschenk, das man seinem alten Herren hat schenkt, wenn er 65 wird. Den könnte ich auch mal wieder gießen, dachte ich und schlurfte ins spießig eingerichtete Badezimmer, wo ich mir kaltes Wasser aus dem Wasserhahn ins Gesicht spritzte. Ich mag dieses Badezimmer. Die grünen, mit Blümchenmuster verzierten Kacheln, die flauschigen Badvorleger.
Als ich mich aufrichtete, fiel mein Blick in den Spiegel. Ein faltiges und graues Monster starrt aus Blutunterlaufenen Augen zurück. Ich fühlte mich so leer, ausgebrannt. Fast so, als ...würde ich die Radischen bald von unten betrachten. Ich war überrascht. das ich keine Trauer darüber spürte, meine Familie zu verlassen. Nur Grau. In meinem Leben hatte es überhaupt nichts gutes gegeben. Alles war normal, gewohnheitsmäßig und langweilig gewesen.
Aber ehrlich: Emma war meine Tochter. Selbst wenn sie mir vertrocknete, langweilige Kakteen schenkte, musste ich sie doch nicht einfach so verlassen können! Ich musste sie doch lieben können!
Oder nicht?
Was ist das: Oder nicht? Eine einfache Frage, die meine sorgfältig vorgebrachten Argumente einfach so zum Wackeln brachte. Mir brach der kalte Schweiß aus. Was ist, wenn die Antwort "Doch. Ich kann es nicht." lautete?
Konnte das sein?
Ich starrte mein Spiegelbild an.
"Was ist der Sinn des Lebens?", fragte ich mich.
Und jetzt wieder. „Das Leben hat keinen Sinn.“
Ich starre auf die Chipstüte in meiner Hand, die ich am Eingang der Kinokasse erhalten habe. „Wieso nicht?“, frage ich.
„Kennst du einen Sinn?“
ich überschlug kurz meine Möglichkeiten.
„Wenn du dich unbedingt darauf einlassen willst...“
„Will ich.“, antwortet mein Mann im Ohr, der liebe Gott, wie ihr es nennen wollt.
Langsam drehe ich eindeutig durch. Meine Kindergärtnerin hätte gerne 'eindeutig' gesagt. Irgendwie verspüre ich jetzt keine Lust mehr auf Chips. Chips und Philosophie passen irgendwie überhaupt nicht zusammen. Genausowenig wie meine Kindergärtnerin.
„Manche Menschen glauben, das Leben ist dazu da, einen auf den Tod vorzubereiten.“, fange ich an.
„Aber das glaubst du nicht.“
„Nein.“
Ich blicke zur Leinwand. Irgendwie kann mich der Streifen, "Wer früher stirbt ist länger tot.", nicht mehr faszinieren. Ich bin hierhergekommen, um Zerstreuung zu finden, aber nicht mich wieder mit solchen Fragen zu quälen! Aber, bei dem Film muss man einfach anfangen zu grübeln.
Ich werde diese Diskussion mit meinem anderen Ich jetzt austragen, bevor es mich ans andere Ende der Welt verfolgt! Entschlossen zermalme ich einen der Chips zwischen meinen altersschwachen, gelbe Zähnen.
„Manche glauben, das Leben diene dazu, möglichst viel Kapital anzuhäufen.“
„Das glaubst du auch nicht.“
„Nein“
Wieder eine Pause.
„Ich glaube, Ich fange an, dich zu hassen.“, erklärte ich meiner Stimme.
„Tust du?“
„Ja.“
„Wirklich?“
„Ja. Wirklich.“
„Ganz sicher?“
„Ach, halt die Klappe!“
Ich lehne mich in meinen Sessel zurück. Echt angenehm, solche Kinosessel.
„Manche glauben, wir sollen unser Leben damit verbringen, zu Gott zu beten.“
„Du sagst immer nur, was du alles nicht glaubst.“
„Jetzt mecker nicht rum!“
„Mmh...“
„Ich glaube, der Weg ist das Ziel.“
„Wie meinst du das?“
„Unser Leben dient dazu, herauszufinden, was der Sinn des Lebens ist.“
„Und? Hast du es schon herausgefunden?“
„Nein! Ich glaube, man erfährt es erst, wenn man stirbt. Oder man stirbt, wenn man es erfährt.“
„Gutes Argument.“
Er verstummt.
Ich bemerke, das der Kinosaal erstarrt ist. Sogar der Film hat aufgehört, sich zu bewegen.
Was passiert hier? Doch nicht...
Alles bewegt sich nach unten, oder ich mich nach oben.
„Ihr verdammten Saukerle!“
Der Typ in der weißen Robe, wahrscheinlich Petrus, hebt mahnend den Finger.
„Das ist jetzt aber nicht nett!“
„Das war ein ganz fieser Trick!“
Der zweite, fast kniegroße Engel auf meiner Schulter erhebt sich in die Luft. Ich kann wieder ein ganzes Stück gerader gehen. Wahrscheinlich hat er da die ganze Zeit unsichtbar gesessen.
„Hast du dich nie gefragt, warum alte Menschen Selbstgespräche führen und gebeugt gehen?“, fragt Petrus.
„Nein.“
Wir fangen an, zu gehen, immer ins Licht hinein.
„Ist meine Methode der richtige Glaube?“, frage ich.
„Jeder hat seinen eigenen Glauben.“, erklärt Petrus. „Sobald du hundertprozentig glaubst, stirbst du. Aber manchmal, manchmal, da müssen wir nachhelfen.“
Er kratzt sich am Hintern.
"Und die ungläubigen?"
"Welche ungläubigen?"
"Die, die nicht glauben."
"Glaube ist alles, glaubst du nicht, lebst du nicht."
Ihr Bibelmenschen habt beknackte Sprüche, wollte ich sagen, ließ es dann aber doch. Keine Ahnung, vielleicht hätte mich Petrus zur Strafe ins Fegefeuer gesteckt.
„Samael, wo war nochmal das Tor?“, wollte Petrus wissen.
Der Engel zuckt die Achsel. „Irgendwo hier...“, sagt er mit der Stimme eines zwölfjährigen Mädchens. Er deutet auf das grenzenlos grelle Licht, indem ich rein gar nichts erkennen kann.
„Na toll.“, mosere ich. „Und wann können wir rein?“
„Sobald ein Engel mit einem Toten kommt, der weiß, wo es reingeht.“ Der göttliche Hausmeister tippt sich an die Stirn. „Gehe zurück, Menschenwesen. Wir werden dich finden.“
Alles bewegt sich nach oben, oder ich mich nach unten...