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Der Traum vom Siegen
Der Flieger ist rappelvoll. Die Gepäckfächer quellen über. Ein Typ im Anzug drängelt sich durch den Gang. Immerhin entschuldigt er sich jedes Mal, wenn er einen Passagier aus dem Weg kehrt. Vor einer unscheinbaren Brünetten kommt er zum Stehen. Sie ist überrascht, ihn zu sehen und traut ihren Augen kaum, als er vor ihr in die Knie geht. Sein Herz sei immer dort, wo sie gerade sei, behauptet er. Das rührt sie zu Tränen. Er traut sich und fragt die Frage aller Fragen. Und sie sagt natürlich: JA. Einige Passagiere jubeln und applaudieren. DIE SIEGREICHEN küssen sich. Dabei öffnet sich der Hosenstall des künftigen Bräutigams und etwas schießt den Gang entlang, um sich zwischen meine Lippen, die nur einen Spalt breit geöffnet waren, hindurch zu zwängen. Ich wirbele herum und hacke auf sämtliche Knöpfe meiner Armlehne ein. Eine Stewardess nähert sich.
“Do you need help, Sir?”
Ich schüttele energisch den Kopf. Dann krache ich schon durch die Deckenverschalung. Auf dem Scheitelpunkt meines Flugs trenne ich mich vom Schleudersitz. Gleitflug. Eine Möwe zieht vorüber und kreischt Beifall. Ich grüße sie galant. Mit gespreizten Armen lande ich auf einer Schäfchenwolke. Junge Frauen fläzen sich in watteweicher Flauschigkeit und machen mir schöne Augen. Ich werfe ihnen Haargummis zu. Sie fangen sie mit dem Mittelfinger auf und lassen sie freudig kreisen.
“Bas!”, schreit eine Männerstimme.
Erst jetzt entdecke ich den hageren Inder. Er schwebt im Schneidersitz über einem Thron aus zugespitzten Nägeln. Wie aus dem Nichts taucht ein mächtiger Bulle an meiner Seite auf. Ein silberner Ring ziert seine schnaubende Nase.
“Tat tvam asi”, spricht der Inder mit strenger Miene.
Wir fallen. Der Bulle und ich. Er glotzt mich an, als sei es meine Schuld. Ich packe seine Hörner, hieve mich auf seine Lenden und gebe ihm die Sporen.
“Is everything okay, Sir?”
Die Stewardess scheint ernsthaft besorgt. Ich löse mich von meiner Armlehne und nicke schon einmal.
“Yes, I -" eine Schmeißfliege entweicht meinem Mund. Ihr Rücken schimmert grünlich. Ekelhaft, scheint auch die Stewardess zu denken. Gebannt schauen wir zu, wie das Insekt auf den Bräutigam in spe zuhält. Dieser erhebt sich, tritt auf den Gang und öffnet feierlich seinen Hosenstall. Wir wenden uns zeitgleich ab.
"Something to drink, Sir?"
"Yes, definitely."