Machma
Guest
Der Traum – vom Paradies
Prolog
Es ist bereits nach 21Uhr und Jan sitzt immer noch auf Arbeit, vor seinem Monitor. Er hätte schon seit über drei Stunden zu Hause sein können. Aber er hat keine Familie die auf ihn wartet oder Freunde die sich in der Kneipe fragen, wo er wohl bleibt. Wie oft hatten ihm seine Eltern gesagt das er sich eine Frau suchen solle. Das ist nicht so einfach wie sie es immer sagen. Tage wie dieser sind in seinem Leben normal. Früh am Morgen würde er schon aus dem Haus sein, wenn seine Frau aufwacht. Und wenn er von Arbeit kommt würde sie schon schlafen. Das kann niemand auf die Dauer aushalten. Seine Freunde aus seiner Jugend hat er alle aus den Augen verloren. Er weiß nicht einmal ob sie noch in der Stadt wohnen. Und für neue Freunde hat er keine Zeit. Er führt sozusagen ein Leben für den Beruf.
Sein Büro in dem er auch manchmal schläft, wenn er die Zeit total vergessen hat, ist größer als ein gewöhnliches Büro und es ist auch gemütlichter eingerichtet als das der Kollegen. Die eine Längsseite besteht von oben bis unten komplett aus Fenstern, die einen wunderschönen Blick auf New York frei geben. Jan kann auf alles herab sehen und der Anblick ist in der Nacht gleich dreimal so schön wie am Tag. Ein Meer aus Lichtern. An besonders stressigen Tagen setzt er sich vor das Fenster und genießt für einen Moment den Ausblick. Oft kann er sich etwas erholen.
Sein mit Papier voll gepackter Schreibtisch ist so zum Fenster ausgerichtet das er jeder Zeit, wenn er seinen Blick vom Monitor löst, auf die Stadt schauen kann. Hinter ihm befinden sich Regale mit Büchern, mit Akten und manche mit verschlossenen Türen. Am Ende der Regale befindet sich die Tür zu seinem Büro. Kommt ein Kollege oder ein Besucher muss er durch das ganze Zimmer laufen, um mit Jan reden zu können. Das ist meist nicht nötig, denn gleich neben der Tür steht ein hellgraues Sofa, zwei gleichfarbige Sessel und ein länglicher Wohnzimmertisch. Die Farbe der Sessel ist zur Farbe des Teppichs abgestimmt. Der Teppich ist etwas dunkler als die Sessel und das Sofa, damit man den Dreck nicht so sieht.
Es ist jetzt dunkel in seinem Büro, nur der Monitor wirft einen blassen Schein in das Zimmer. Jan öffnet eine Schublade und sucht wie wild darin. Als er aufhört mit suchen hält er eine Schachtel Aspirin in der Hand. Er nimmt jetzt schon die vierte Tablette an diesem Abend. Die waren auch nötig wenn sie bei ihm wirken sollten, denn Jan ist ein großer und kräftiger Typ. Wenn er die Wochenenden oder Feiertage zu Hause ist, verbringt er die Zeit meist im Fitnesscenter oder mit seinen Hanteln. Das tut er nicht wegen der Gesundheit, sondern wegen des Aussehens. Wie ein gewöhnlicher Informatiker will er nicht aussehen. Dafür muss er aber die typische Bürokleidung tragen. Wegen seines besonderen Körpers musste er sich die schwarzen Anzüge extra angefertigt lassen.
Er stützt jetzt seinen schweren Kopf in die großen Hände und schaut aus dem Fenster, in die strahlende Nacht von New York. Er geht langsam zum Lichtschalter, macht Licht und geht wieder zu seinem Schreibtisch zurück. Sein Tag ist für heute beendet es hat keinen Sinn weiter gegen die Kopfschmerzen anzukämpfen. Wahrscheinlich hat sich sein Körper an die Aspirin, die er jeden Tag nimmt, schon gewöhnt und haben nun auf ihn keine Wirkung mehr. Er schaltet den Monitor aus und zieht sich sein Jackett an. Nachdem er noch einen letzten und langen Blick aus dem Fenster geworfen hat geht zum Fahrstuhl.
01
Die Ampel schaltet auf Grün. Und eine große Masse an Menschen kommt auf Jan zu. Alle, egal ob Frauen oder Männer, sehen gleich als, alle haben schwarze Anzüge an. Jan kümmert es nicht wohin sie gehen oder woher sie kommen. Ihm und all den anderen kommt es nur darauf an pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Es ist doch erstaunlich das so viele Menschen dicht gedrängt nebeneinander und hintereinander stehen, aber keiner sagt auch nur ein Wort. Alle stehen da und schauen auf einen Punkt. Viele, vielleicht auch alle, sind alleinstehend, doch keiner bemüht sich das zu ändern, nicht einmal eine nette Geste, kein Lächeln und auch kein Blinzeln.
Jan ist stolz ein Teil dieser Firma, stolz ein Teil von diesem perfekten System zu sein. Er hatte noch nie auch nur mit dem Gedanken gespielt einmal richtig auszuschlafen. Immer pünktlich sein und ja nicht das perfekte System gefährden. Jan drängelt sich zwischen den vielen ausdruckslosen Gesichtern vorbei. Es ist kein Problem für ihn vorwärts zu kommen, mit seinem großen und kräftigen Körper. Seit 15 Minuten ist er unterwegs. Er hat alles genau ausgerechnet, jede rot Ampel und jede befahrene Straße. Aber nicht das.
Eric und sein Kollege Jack sind schon seit einer Stunde an ihrem luftigen Arbeitsplatz. Acht Stahlseile halten sie in der kleinen Gondel, die für nur zwei Personen angefertigt worden war. Eric ist der erfahrenere der beiden. Er hat eine Frau mit der er seit 5 Jahren verheiratet ist und zwei Jungen, 4 und 2 Jahre alt. Er führt eine sehr glückliche Ehe. Seine Frau ist Sekretärin in einer der vielen Wolkenkratzer. Und trotzdem geht es den beiden Kindern gut. Eric und seine Frau verbringen sehr viel Zeit zu Hause, ohne das die Arbeit zu knapp kommt.
Eric wollte schon immer einen Beruf der sich hoch oben in der Luft abspielt. Seine Frau hat sich daran gewöhnt, das er in solchen schaurigen Höhen arbeitet. Jeder seiner Handgriffe ist für ihn zur Routine geworden und die Höhe ist auch kein Problem mehr. Nur Jack hat noch viele Probleme. Er arbeitet erst seit 3 Wochen an der Seite von Eric. Viele seiner Handgriffe sind noch sehr zittrig. Wenn in diesen Höhen mal ein Windstoß kommt fängt Jack sein Herz an zu rasen. Er weiß zwar das er sehr gut gesichert ist, aber es ist doch ein komisches Gefühl. So auch an diesem Morgen. Immer wieder bringen heftige Windböen die kleine Gondel ins Schwanken. Jack spürt wie seine Knie immer weicher werden und auch Eric merkt, das mit ihm etwas nicht stimmt.
„Sollen wir eine kurze Pause machen?“, fragt Eric.
„Oh man, es ist verdammt hart aber ich denke es wird schon wieder.“
„Bleib ruhig stehen, ich wische deine Seite mit.“
„Ist gut.“, seufzt Jack mit zittriger Stimme.
Eric versucht Jack mit ein paar aufmunternden Worten etwas von seiner Angst zu befreien. Jack geht ganz an die Seite und hockt sich langsam hin. Dann lehnt er seinen Rücken an das klapprige Seitengestell und streckt die Beine vorsichtig aus. Unbemerkt rutscht das Handy aus der Seitentasche seiner blauen Hose. Es ist das Handy das er kurz zuvor, gegen die Vorschrift, eingesteckt hatte, damit er seine neue Freundin während der Mittagspause anrufen konnte. Und da fliegt es nun und verändert das Schicksal zweier Menschen.
Jan schenkte den beiden Fensterwischern, die an dem Gebäude seiner Firma hängen, keine Achtung, als er um die Ecke bog um zum Eingang einzutreten. Er grüßt noch einen seiner Kollegen und dann passiert das, was nur Jack hätte verhindern können. Jan spürt nur noch einen harten Schlag auf seinem Kopf, dann verliert er sofort das Bewusstsein.
02
Das Zimmer in dem Jan liegt ist aus Holz. Die Wände sind komplett aus Holz, dunkle Bretter die waagerecht übereinander genagelt sind. Das Zimmer ist nicht sehr groß und nur mit einem Tisch, Stuhl und einem Bett ausgestattet. In einer Wand ist ein Fenster das aber von außen verriegelt ist. Es ist nicht besonders warm, aber auch nicht ungemütlich kalt. Es ist eine erträgliche Temperatur.
Jan findet langsam wieder zu seinem Bewusstsein, aber er hält die Augen noch geschlossen. Er fängt an bruchstückhaft zu denken. Die erste Frage die er sich stellt ist die Frage ‚Wo befinde ich mich?’. Immer mehr Fragen kommen auf. Was war geschehen? Und warum tut ihm sein Kopf so weh? ‚Ach ja, der Schlag oder was immer es war.’ beantwortet er sich selbst. Er öffnet nun schwerfällig die Augen. Er schaut auf die von Kerzen beschienene Holzdecke. Erneut kommt die Frage ‚Wo bin ich?’ auf. Es ist eindeutig kein Krankenzimmer. Sie sind meist weiß und nicht aus Latten und Balken gezimmert. Seine Kräfte sind noch zu schwach um aufzustehen und sich um zu sehen. Sie reicht nicht einmal um nach Hilfe zu schreien. Nach zwei vergeblichen Versuchen aufzustehen bleibt er ruhig liegen und beginnt stark über seine Situation zu grübeln.
Hatte man ihn entführt? Es konnte gut sein das Terroristen ihm vor dem Eingang seiner Firma niederschlugen und ihn dann in ein Auto zogen. Aber warum er? Es konnte nicht wegen seiner Fähigkeit sein, Datenbanken entwickeln zu können. Es gibt bessere in der Firma als er. Vielleicht sind seine Kollegen auch mit verschleppt worden? Ist er das Mittel bei einer Erpressung geworden? Bloß gegen wen? Eine Familie oder eine Freundin, nicht einmal richtige Freunde hat er nicht, die man erpressen könnte. Und die Regierung würde für ihn ganz bestimmt nichts bezahlen. Keiner würde ihn Vermissen, es gibt nicht einmal jemanden der an ihn denkt. Vielleicht wurde er auch von der Regierung verschleppt. Und man hat ihn in einen tiefen Wald gesteckt. Zusammen mit einem experimentierfreudigen Forschungsteam, die neue Biowaffen an ihm testen wollen. All diese grausamen Gedanken gehen jetzt durch seinen Kopf. Es geht noch eine Weile so weiter bis er schlagartig mit Denken aufhört und ganz still und bewegungslos daliegt.
Stimmen, ja es sind tatsächlich Stimmen die in sein Zimmer dringen. Sie können nicht weit weg sein. Jan kann trotzdem nichts von dem Gespräch hören, aber es klingt sehr nah. Er hat plötzlich große Angst davor etwas zu sagen. Auch den Hilfeschrei den er vorhin noch los werden wollte, bringt er nicht heraus. Er lauscht mit angehaltenem Atem. Bis er feststellen muss das die Stimmen leiser werden. Vermutlich gehen die Leute gerade weg.
Als wieder stille eingezogen ist, fasst Jan sich ein Herz und steht vorsichtig auf. Wie ein frisch geborenes Reh steht er vor seinem kleinen Holzbett. Und mit ganz wackeligen Schritten, um zu verhindern das die Fußbodenbretter anfangen mit knarren, geht er langsam auf den Tisch in der Mitte des Zimmers zu. Er kennt diese Dunkelheit, diese Dunkelheit mit einem blassen Schein im Raum. Alles sieht für ihn so unprofessionell aus. Der wackelige Tisch, der krumme Stuhl und das harte Bett alles als wäre es von Hand ausgesägt und zusammen geleimt worden. Auf einmal sind Schritte zu hören, harte gleichmäßige Schritte die den Holzboden erschüttern und Jan erstarren lassen. Als er begreift was los ist und die Schritte immer lauter und härter werden macht er einen großen Satz Richtung Bett, legt sich leise hinein und schließt seine Augen. Im gleichen Moment quietscht die Türklinke, es ist ein langes schauriges Quietschen, das es Jan kalt dem Rücken runter läuft.
03
Die Decke von Jan vibriert leicht, denn sein Herz rast wie das eines Spitzensportlers in Aktion. Er versucht auch ganz ruhig zu Atmen, das gelingt ihm aber nicht. Immer wieder sind kleine unhörbare Seufzer in seiner Atmung. Ganz gespannt hört er über seine Atmung hinweg und horcht was der andere im Zimmer macht.
Der geheimnisvolle Unbekannte, der jetzt mit Jan im Zimmer ist, geht geradewegs auf den Stuhl zu. Jan kann nur hören wie etwas auf dem Holzboden entlangschrammt, wie der Unbekannte den Stuhl zum Bett stellt und sich drauf setzt. Der Unbekannte schweigt und horcht genau wie Jan es auch macht, aber er hat den Nachteil das er nicht sieht was sein Gegenüber macht. Vielleicht schwebt schon ein langes Messer über ihm?
Die beiden Verbringen noch einige Minuten mit schweigen, bis der Unbekannte auf dem Stuhl mit freundlicher Stimme beginnt:
„Um dir deine größte Frage zu beantworten: Du bist nicht entführt. Du kann dich hier frei bewegen und wenn es dir besser geht wirst du auch gehen können.“
Jan schlägt überrascht die Augen auf. ‚Woher weiß er...’, da wird er auch schon von dem Unbekannten in seinen Gedanken unterbrochen:
„Es fällt dir bestimmt schwer es zu glauben oder zu verstehen, aber das Lesen deiner Gedanken ist etwas völlig normales. Du bezeichnest es vielleicht als übersinnlich, das Wort übersinnlich drückt aber nur die neidische Haltung gegenüber dem Unbekanntem aus. Du kannst es auch lernen wenn du bereit dafür bist.“, erzählt er mit seiner freundlichen Stimme.
‚Oh mein Gott wo bin ich hier nur gelandet?’, fragt sich Jan unbewusst, aber der Andere reagiert nicht darauf. Schweigen zieht wieder für eine Weile ein, bis der Unbekannte fortfährt:
„Eines unserer Kinder hat dich im Wald gefunden, nicht weit von unserer Siedlung. Du lagst bewusstlos und regungslos, wie eine Leiche da. Anschließend haben wir dich hierher getragen.“
Das was er erzählt ist für Jan unvorstellbar. Im Eingang seiner Firma war er und nun hier? In der Wildnis. Jan vertraut dem Unbekannten und dreht sich in seinem Bett um. Ein älterer Mann in einem mollig warmen Pullover sitzt ihm gegenüber. Die braune, trockene und sehr verknitterte Haut in seinem Gesicht formt ein schwaches, aber beruhigendes Lächeln. Während Jans Gesicht Verzweifelung schreit, bis er dann Hilflos meint:
„Das verstehe ich alles nicht, wieso?“
Das gehaltene Nicken des Fremden signalisiert Jan das er mitfühlen kann was jetzt in ihm vor geht. Kurz darauf meint er:
„Jeder nennt mich ‚Der Zuhörer’ und wie kann ich dich nennen?“
„Jan“, zögert er.
„Ich werde dich jetzt alleine lassen. Du kannst dich ausruhen und in Ruhe über alles nachdenken. Du kannst auch noch etwas schlafen, Jan.“
Nach diesen Worten verlässt ‚Der Zuhörer’, wie er genannt wird, das Zimmer und Jan ist wieder alleine mit noch mehr Fragen als vorher.
‚Was hat das alles zu bedeuten? Was soll das heißen: Wenn es mir wieder besser geht werde ich wieder gehen können. Wie bin ich hierher kommen? Im Wald bewusstlos gefunden? Warum kann man hier meine Gedanken lesen? Ich verstehe das alles nicht.’, sind seine Überlegungen. Und immer mehr Fragen. Fragen über Fragen. Und seine Knie werden immer weicher, bis sein Körper von der Angst durchströmt wird. Er schließt die Augen und versucht an nichts mehr zu denken. Einfach nur einen klaren Kopf haben, mit dem Nachtbild von New York, wie er es hat wenn er vor seinem Fenster verharrt. Bis er schließlich wieder einschläft.
04
Ein heller Sonnenstrahl scheint in das Fenster, welches am Abend zuvor noch geschlossen war. Jemand muss es geöffnet haben. Der Strahl scheint genau aus den Tisch in der Mitte des Zimmers. Auf ihm stehen drei abgebrannte Kerzen. Das übergelaufene Wachs schimmert jetzt in einem hellen Weiß.
Jan wird von den singenden Vögeln geweckt. Den Gesang von Vögeln hatte schon lange nicht mehr gehört, es muss eine Ewigkeit her sein. Bevor er darüber nachdenken kann wann er das letzte mal das Zwitschern der Vögel gehört hatte, hört er wieder die gleichmäßigen Schritte. Diesmal klingen sie nicht so schaurig wie im Dunkeln. Und da steht auch schon der Zuhörer in der Tür mit einem Hemd und einem Pullover in der Hand.
„Zieh das an. Es ist bequemer als das was du an hast.“, sagt er und streckt ihm das Hemd und den Pullover entgegen. Wortlos nimmt es Jan. Er hat immer noch seinen Anzug an. Nun aber einen warmen Pullover und seine dünne Hose.
„Du hast sicher Hunger. Komm mit es gibt jetzt Frühstück.“, sagt er und geht zur Tür. Jan nickt nur und folgt ihm.
Gleich hinter der Tür ist ein riesiges Zimmer, fast schon ein kleiner Saal. In der Mitte des Saals ist ein langgezogener Tisch. Um ihn herum sitzen etwas über 20 Leute, die jetzt alle Jan anschauen. Er geht mit dem Zuhörer an eines der kurzen Enden des Tisches. Da ist Platz für zwei Personen. Hinter den beiden ist ein großer Kamin, in dem ein wärmendes Feuer lodert.
Der Tisch ist reichlich mit Essen bedeckt. Brötchen liegen in handgeflochtenen Körben, Butter in flachen Holzschüsseln und andere Beläge. Jan bekommt ein Brötchen von seinem Nachbarn, den er noch nicht kennt, gereicht. Es sieht so unförmig aus, nicht wie er sie kennt.
Er schaut sich die Runde an, Gesicht für Gesicht. Alle schauen blitzschnell weg wenn Jans Augen die Augen eines anderen suchen. Vermutlich wühlen sie gerade in seinem Kopf rum. Jan kann die Ruhe nicht ertragen. Er muss sich und die anderen irgendwie ablenken.
„Wie verdient ihr euer Geld?“, fragt Jan, da ihm spontan nichts anderes einfällt.
Alle blicken auf und durch die Menge geht ein lächeln. Was ist los hatte er was falsches gesagt?
„Um es einfach auszudrücken: Es gibt hier kein Geld. Bei uns verdient man etwas besseres als Geld. Zum Beispiel Anerkennung. Geld besitzt zu viel Macht und würde hier nur alles Zerstören. Wir sind alle gleich, Geld würde das sofort ändern. Derjenige der das meiste Geld besitzt könnte dann alles zu seinem besten manipulieren, das würde für die anderen Leid bedeuten. Verstehst du?“ erklärt ihm der Zuhörer.
Jan nickt mit gerunzelter Stirn.
„Wie kauft ihr dann das Essen oder die anderen Dinge hier?“, fragt Jan weiter, weil er neugierig geworden ist. Alle schweigen und essen in Ruhe weiter. Der Zuhörer beist von seiner Brötchenhälfte ab, kaut es genüsslich runter und antwortet: „Wir machen alles selber. Jeder hat ein Talent und es gilt es richtig zu nutzen. Wenn in jemandem das Talent entdeckt wird, das er gut Kochen oder Backen kann wird er Bäcker. Die Arbeit nimmt nur ein paar Stunden des Tages ein, denn es wird nur soviel hergestellt wie benötigt wird.“
Jan denkt das die Fabrikarbeiter die über acht Stunden am Tag an einem Fließband stehen und immer die selben Bewegungen machen. Diese Leute produzieren mehr als sie wirklich brauchen. Er denkt noch eine Weile darüber nach. Nachdem er sein zweites Brötchen mit Käse gegessen hat fragt er aus Sorge: „Wo bin ich hier, gehört das hier noch zu Amerika?“
„Amerika? Wir gehören niemandem. Man kann vielleicht etwas benennen, aber man darf es nicht besitzen. Das würde wieder dazu führen das der Besitzer über die Lebewesen entscheiden kann, die in seinem Land leben. Das würde wieder Leid mit sich bringen.“
Durch Jan geht eine große Leere. Wo ist er und was ist geschehen?
05
Alle sind mit essen fertig. Es haben sich kleine Grüppchen gebildet die sich unterhalten. Der Zuhörer fordert Jan auf mit zu kommen. Und sie gehen zum Ausgang der kleinen Halle. Als sie an der freien Luft sind bietet sich von Jan eine wunderschöne Landschaft. Die kleine Siedlung muss auf einem Hang oder auf dem Gipfel eines Berges stehen, denn man kann in ein langes Tal schauen. Im Hintergrund sind wieder kleine Berge zu sehen. Die Farbe der Laubbäume verrät das es gerade Herbst geworden ist. Tausende von Farben und Farbmischungen leuchten im Sonnenlicht. Jan wusste nicht das es schon Herbst ist, denn er sah aus seinem Zimmer immer nur Häuser.
Der Zuhörer führt ihn zu einem kleinen Haus, das mit gelb leuchtendem Stroh bedeckt ist. Drei Holzstufen führen zu der Eingangstür. Die knarrende Tür wird geöffnet und Jan tritt in einen fast leeren Raum ein. Nur ein paar kuschelig weiche Felle liegen herum. Jan überkommt ein komisches Gefühl.
„Mache es dir bequem. Am besten legst du dich auf den Rücken.“, fordert ihn der Zuhörer auf. „Du brauchst keine Angst vor mir haben.“, fügt er noch hinzu.
Jan legt zwei Felle, in der Mitte des Zimmers, nebeneinander und legt sich darauf. Der Zuhörer legt sich ein Fell in eine hintere Ecke des Zimmers und setzt sich hin.
„Schließe deine Augen. Und sage mir was du siehst und was du denkst.“, sagt der Zuhörer.
Jan tut es. Er schließt die Augen. Schwarz. Vor dieser schwarzen Fläche leuchten Punkte auf und erlöschen wieder. Es kommen Striche dazu lange, kurze, wagerechte, senkrechte.
„Häuser, ich sehe aus meinem Fenster auf meine Heimatstadt. Mein Chef, Kollegen rennen durch meine Gedanken.“, antwortet Jan.
„Gut. Ich möchte das du ganz entspannt bist. Kein einziger Muskel darf noch angespannt sein. Einfach alles los lassen. Deine Muskeln im Gesicht, in den Beinen und in den Armen.“, möchte der Zuhörer weiter von Jan.
Durch ihn strömt eine Art Glücksgefühl, Glückshormone die aus seinem Inneren bis unter die Haut gehen.
„Und was siehst du jetzt?“
Jan erinnert sich an seine große Jugendliebe. Damals lag er auch so entspannt auf seinem Bett, mit den selben Glücksgefühlen. Er hat nicht geglaubt das man dieses Gefühl einfach so haben kann, durch los lassen aller Muskeln.
„Ich sitze zusammen mit meiner Freundin auf meinem Bett. Wir reißen uns leidenschaftlich die Kleider von Leib. Hemd, Hose und so weiter. Mit wilden Küssen. Wie meine Lippen auf ihrer zarten und weichen Haut hin und her wandern. Immer tiefer.“, erzählt Jan erregt. Dann hört er auf und Atmet tief durch.
„Sehr schön. Bleibe so entspannt. Zum schloss der Übung sollst du alles vergessen. Denke nicht mehr an deine Freundin oder deinen Chef. Du sollst einen klaren Kopf haben. Konzentriere dich auf die Luft die durch deine Nase weht oder darauf wie sich dein Bauch hebt und wieder senkt. Und an nichts denken.“
Jan bestätigt das mit einem schwachen: „hmm“. Und beginnt, sich auf seine Nase zu konzentrieren. Wie die Luft hinein und wieder raus strömt. Er konzentriert sich so sehr das das Atmen von ganz alleine geht. Auch die Vögel sind nicht mehr zu hören nur noch die Luft wie sie hinein und wieder aus strömt. Die Zeit vergeht. Jan ist so konzentriert das er auch kein Zeitgefühl mehr hat. Ein und wieder aus. Doch da, ein Gedanke das Wort ‚Jan’ immer wieder zwei, drei mal ‚Jan’. Aber er beachtet es nicht. Ein und wieder aus. ‚Jan. Du liest gerade meine Gedanken. Und wir sollten hier die Übung abrechen’, rauscht, nach dem wiederholtem ‚Jan’, durch sein Kopf. Jan ist überrascht und voll mit Freude zugleich. Er steht auf und schaut zu dem Zuhörer, der immer noch in seiner Ecke sitzt, doch er lächelt nur.
„Kommt mit. Wir müssen das Mittag vorbereiten. Heute gibt es Fisch und er will noch gefangen werden.“
06
Jan, der Zuhörer und einer der sich Jan als Fischer vorgestellt hat machen sich auf den Weg in den Wald. Jan wurde gesagt das sie einen großen Fluss aufsuchen. Aber wie lange es dauern würde konnte man ihm nicht sagen, da sie keine Uhren oder ähnliches Besitzen. Sie meinten es ist schlimm genug das es die Zeit gibt, warum sollte man ihr noch beim Vergehen zuschauen.
Sie gehen nun schon eine Weile. Und Jan bestaunt die Bäume, die wie gemalt dastehen. Vereinzelt hängen lange Kletterpflanzen von ihnen runter. Ab und zu liegt ein morscher Baum quer über ihrem Weg. Und das saftig grüne Moos macht das laufen für Jan leichter, da er immer noch seine Büroschuhe an hat. Das ist unberührte Natur, wie Jan sie noch nie gesehen hat. Alles ist voller Leben.
Dann sind sie endlich da. Klares Wasser fliest den Fluss hinunter. Weiter oben ein paar kleine Wasserfälle. Man kann die Fische, die sich an dieser Stelle des Flusses angesammelt haben, auch sehen. In der nähe des Flussufers stecken 5 lange Stöcke in der Erde, die als Speere verwendet werden. Jan bekommt auch einen und der Fischer erklärt ihm wie er ihn zu halten hat. Er holt aus und trifft beim ersten Versuch einen Fisch. Jan ist schwer beeindruck. Der Speer steckt im Sand den Flusses und auf ihm ein Fisch gespießt. Jan probiert es als zweiter. Er holt aus, aber der Speer klatscht, wie ein Stein, auf das Wasser. Nach dem dritten fehlgeschlagenen Versuch hört er auf. Er steckt den Speer wieder zurück in den nassen Sand und spaziert etwas in der Gegend herum. Dabei entfernt er sich immer mehr von den beiden und geht, ohne jedes Zeitgefühl, tiefer in den Wald. Jan merkt es auch nicht. Immer entdeckt es etwas schöneres, das ihn magisch anzieht. Nie in seinem Leben hätte er sich so etwas erträumen lassen. Er wusste bis eben nicht das es so etwas überhaupt gibt.
Der Zuhörer und der Fischer merken das Jan nicht mehr da ist, aber fangen weiter Fische. Als sie dann fertig sind stecken sie den Speer zu Jan seinem und gehen, ohne auch nur an Jan zu denken, wieder zurück zu ihrer kleinen Siedlung.
Als er schließlich merkt das er sich zu weit von dem Fluss wegbegeben hat ist es aber schon zu spät. Hilflosigkeit durchkommt Jan zusammen mit unendlich vielen Gefühlen. Er schaut sich um, alle Richtungen doch nichts. Hilfe schreie schallen ihm entgegen, seine eigenen. Ob sie jemand hören wird? Er setzt sich verzweifelt auf einen großen runden Stein.
Womit hat er das nur verdient? Eben hat er gelernt die Gedanken anderer zu lesen und nun wird er hier im Wald jämmerlich sterben. Jan stützt seinen Kopf in die Hände und schreit innerlich um Hilfe, da es ja doch keinen Sinn macht seine Kraft zu vergeuden. Ein kleiner Käfer krabbelt durch das Laub. Dauernd fällt er von den großen Blattkanten, richtet sich wieder auf und krabbelt weiter. Bis er irgendwann ganz unter den Blättern verschwindet. Und auf einmal rauscht durch Jan der Gedanke: ‚Folge der untergehenden Sonne.’. Das muss es sein. Seine unbewussten Hilferufe wurden erhört. Er springt auf und schaut in den Himmel, doch da ist nichts. Es ist zwar hell, aber keine Sonne. Eine Lichtung, er muss eine Stelle finden wo die Bäume etwas freier stehen. Und er läuft los. Da, die Sonne und im gleichen Augenblick denkt er an das warme Bett in dem Holzzimmer.
Nach kurzer Zeit merkt er das es doch viel weiter weg ist als er erst dachte. Kleine Schweißperlen tropfen von seinem Kinn. Die Anstrengung ist er nicht gewöhnt. Er fasst sich aber ein Herz und geht weiter. Als die Sonne fast unter gegangen ist sieht er am Horizont Rauch aufsteigen, der große Kamin in dem Saal muss an sein. Er ist gerettet. Gerade als die Sonne untergegangen ist und den Himmel rot glühen lässt, erreicht Jan die Siedlung. Alle stehen aufgereiht da, klatschen und freuen sich.
Jan bekommt ein Holzbecher mit Wasser gereicht, den er mit einem Hieb austrinkt. Er lässt sich auf die Wiese fallen und genießt den Abendhimmel.
07
Das Feuer im Kamin lodert und wärmt Jan den Rücken. Sein flauschiger Pullover liegt vor dem Kamin und dampft etwas. Jan hat sich von der Strapaze etwas erholt, denkt aber nicht mehr darüber nach. Viel größer ist die Freude das er jetzt Gedanken lesen kann. Das alles ist aber noch von der Unwissenheit überschattet, das er nicht weiß wo er hier ist. Die Menschen hier haben ein traumhaftes Leben, trotzdem zieht ihn irgendetwas wieder nach New York.
Der Fischer betritt den Saal und hält eine Holzschale in den Händen. Er geht zu Jan an den Tisch und schiebt ihm die Holzschale lächelnd zu. In der Schale liegt ein gebratener Fisch. Er wurde extra für Jan aufgehoben. Er legt auch noch ein Tuch neben die Schale, damit sich er die Finger abwischen kann. Jan bedankt sich bei dem Fischer freundlich und daraufhin verlässt er wieder den Saal. Als Jan gerade mit essen beginnen will öffnet sich wieder die Tür. Es steht diesmal der Zuhörer in der Tür. Mit gemächlichem Schritt geht er Richtung Tisch und setzt sich neben Jan auf einen Stuhl. Jan fängt an, an seinem Fisch zu knabbern.
„Wie geht es dir jetzt?“, fragt der Zuhörer laut.
„Meine Muskeln tun weh, aber sonst geht es mir super.“, antwortet Jan.
„Freut mich das zu Hören.“
Jan isst weiter an seinem Fisch. Nach etwas schweigen fährt der Zuhörer fort:
„Ich muss dich jetzt fragen was du Heute alles gelernt hast.“
Jan runzelt die Stirn. Warum muss er das? Er fängt an zu überlegen und erinnert sich an das Gespräch beim Frühstück.
„Ein Leben ohne Geld macht viel mehr Spaß als ein Leben mit Geld, weil Geld nur Unheil bringt. Dann soll jeder sein Talent nutzen das man hat und sich nichts aufzwingen lassen.“
Jan schweigt und überlegt weiter:
„Und das wichtigste ist das man kein Land oder allgemein nichts besitzen darf. Aber das beste was ich Heute gelernt habe ist das Gedankenlesen.“
Der Zuhörer nickt und bestätigt:
„Ich sehe du hast hier wirklich etwas gelernt. Und ich muss auch sagen das du eine besondere Begabung für das Gedankenlesen hast.“
Bei diesem Satz huscht Jan ein lächeln über die Lippen. Das zu hören macht ihn stolz.
Er ist fertig mit dem Fisch und wischt sich seine Finger an dem Tuch ab, das ihm der Fischer dagelassen hatte. Sein Pullover ist jetzt trocken und warm, er nimmt ihn und zieht ihn sich wieder über. Der Zuhörer steht auch auf und dreht sich zu Jan:
„Du wirst morgen wieder gehen können, zurück in deine Heimat. Bitte frage nicht nähr zu diesem Thema. Alle Antworten wirst du morgen bekommen.“
Jan nickt und ist damit einverstanden. Die beiden verlassen den Saal und gehen ins Freie. Jan wird von dem Zuhörer auf den Nachthimmel aufmerksam gemacht. Und er staunt. Es ist lange her das er den Sternenhimmel gesehen hat. Oft ist die Luft in New York so dick das man nicht einmal die Sonne sieht. Er setzt sich auf die Stufen vor der Tür und schaut sich den Himmel an. Der Zuhörer verabschiedet sich und verschwindet im Dunkeln. Jan schaut sich aber weiter die funkelnden Sterne an und genießt den Anblick.
Nun kommt aber doch die Müdigkeit durch und er entschließt sich sein kleines Zimmer auf zu suchen. Er zieht den Pullover aus, da es doch sehr warm im Zimmer ist, und legt ihn auf den Stuhl. Es stehen drei neue Kerzen auf dem Tisch und das Fenster ist auch wieder verriegelt. Jan legt sich hin und schläft auch sofort ein.
Epilog
Es ist hell. Jan erwacht und dreht sich weg. Das ist das? Er öffnet die müden Augen vorsichtig und kneift sie sofort wieder zu. Es ist weiß und sehr hell. Und es ist auch nicht mehr so ruhig wie gestern. Irgendetwas piept immer in gleichen Abständen. Jan hört schnelle schleifende Schritte und eine hysterische Stimme die immer wieder: „Herr Doktor, Herr Doktor.“, ruft. Jan hat sich nun etwas an das Licht gewöhnt und öffnet die Augen. Wie er schon vermutet hat sieht er das er wirklich in einem Krankenzimmer ist. Vor seinem Bett steht ein Mann der in seiner Mappe schreibt und eine Frau die an den Apparaten rumdreht. Der Mann legt seine Mappe weg und beginnt mit Jan zu reden:
„Ich freue mich das sie wieder da sind.“
‚Woher weiß er das ich weg war?’, fragt sich Jan.
Und der Arzt redet weiter: „Wir haben es kommen sehen, denn in den letzten Stunden haben sich ihre Werte stark verbessert. Sie lagen fast zwei Tage im Koma. Vorgestern hat sie ein Handy stark verletzt. Das Handy ist einem Fensterwischer aus der Hose gefallen. Wenn sich ihr zustand noch etwas verbessert können sie morgen das Krankenhaus verlassen.“
Es ist für Jan schwer zu verstehen. Er war zwei Tage im Koma, aber das was in den zwei Tagen geschehen ist war so real. Es ist unmöglich das es nur ein Traum war. Während sein Körper uns Überleben kämpft baumelt seine Seele im Paradies.
Das Arzt geht zur Tür und gibt für Jan den Blick auf einen Stuhl frei. Auf ihm liegt ein Pullover, der bei Jan eine Gänsehaut verursacht.
„Sehen sie den Pullover da? Woher kommt er?“, möchte Jan wissen.
„Das ist aber komisch. Als ich gestern Nachmittag nach ihnen geschaut habe lag er noch nicht da. Wenn sie möchten kann ich ihn wegbringen lassen.“
„Das ist nicht nötig ich glaube ich werde ihn behalten, er gefällt mir.“
Der Arzt geht wieder und die Schwester folgt ihm. Und Jan starrt an die Decke. Ein und wieder aus.
Jan ist nie wieder auf seine Arbeit gegangen. Unter den Kollegen geht das Gerücht um, das er in einer kleinen Siedlung im Süden der Staaten wohnt. Aber man weiß es nicht und keiner hat ihn je wieder gesehen. Seit dem Vorfall mit Jan ist es immer häufiger passiert das Menschen einige Tage im Koma liegen und danach nie wieder gesehen werden. Verwunderlicher Weise nur Leute die im ‚Hospital paradise’ lagen, wie auch Jan.