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Der Trödler

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18.08.2003
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Der Trödler

Der Trödler

Ich bin ein Trödler. Ich kaufe alte Sachen auf. Greifbare Abbilder der Vergangenheit. Dies heißt jedoch nicht, dass ich morgens meinen alterschwachen Wagen anwerfe, oder Gott bewahre einen schnarrenden Handkarren aus dem Hauseingang schiebe um durch die Höfe von einem Müllhaufen zum nächsten zu ziehen. Wie in jedem Beruf, haben auch die Trödler eine eigene Elite, höchste Klasse, eine in sich geschlossene Kaste. Auch gibt es Spezialisten von denen niemand etwas weiß. Ich arbeite zu Hause.
Alle meine Kunden bringen ihren „Kram“ selbst zu mir. Neugier ist ihnen nicht fremd. –„Was machen sie denn mit all dem?“ – fragen sie mich. –„Wohin kommt das alles?“ – oder einfach nur –„Wozu?“. Ich lächele nur und nenne den Preis. Meistens hört die Fragerei dann auf. Wenn es sie denn wirklich interessiert was ich mit dem ganzen Plunder anstelle, werde ich antworten. Ich vernichte ihn. Und erhalte dafür einen mehr als angemessenen Lohn von meinem Vorgesetzten.
Am liebsten habe ich alte Fotographien und Briefe. Sie anzukaufen ist am günstigsten und sie schaffen die geringsten Unannehmlichkeiten. Man kann sie verbrennen. Mein Haus ist ein Vorkriegsbau und hat einen großen bequemen Ofen. An langen kalten Winterabenden muss ich immer viel Zeit und Geduld aufwenden um den Ofen zum Brennen zu kriegen. Statt der Kohle lege ich die zerknitterten Briefe, Umschläge und Fotographien in den Ofenschlot und warte bis ihr Feuer meine Knochen aufwärmt. Von Zeit zu Zeit verbrenne ich auch Bücher mit Autogrammen. Urkunden und Zeugnisse, Gratulationen. Niemals verbrenne ich Kleider. Die verschiedensten Kleider bringt man mir sehr oft, aber immer häufiger ist es synthetischer Material der bei den Versuchen ihn zu verbrennen unangenehm riecht und nur schwer Feuer fängt. Dies ist sehr mühsam. Die Kleider zerreiße ich in Stücke und schneide sie dann mit der Schere in noch kleinere Schnipsel.
Einmal in der Woche kommt mein Vorgesetzter mit einem Lastwagen und zwei Trägern in blauen, anonymen Uniformen. Sie holen die Früchte meiner Arbeit ab. Einen Zinkeimer mit der Asche der Fotographien und Briefe. Grosse Ballen mit den zerstückelten Kleidern. Körbe mit in kleine Scherben zerschlagenem Geschirr. Getrennt davon – zusammen gequetschte Aluminiumtöpfe, Besteck, zerstörte Elektrogeräte. Zuletzt – auseinander genommene Möbel. Mein Vorgesetzter überprüft kritisch die Qualität der Schnitte am Stoff und die Größe der Scherben. Alles ist strengen Normen unterworfen. Möbel zum Beispiel, müssen vollständig auseinander genommen werden. Das heißt: der Stoff abgerissen und zerschnitten, Metallteile verbogen und zerquetscht, Holzteile bestrichen mit Ölfarbe. Wenn die Möbelteile Aufschriften oder Prägungen tragen, sollen diese mit Schleifpapier weggewetzt werden. Es ist erstaunlich, dass solche Möbel am meisten Wert sind.
Früher brachten die Wertsachen die meisten Sorgen und Unannehmlichkeiten mit sich. Medaillen und Orden, Münzen und Steine. Mein Vorgesetzter verlangt solche Art von Gegenständen mit einem Schleifeisen zu Spänen zu verarbeiten. Keine Frage, die Angelegenheit ist kompliziert. Selbst in Anbetracht dessen, dass ich in der Küche eine stattliche Feilbank besitze.
Deswegen ließ ich die Feilbank eines schönen Tages stehen und ging für eine kurze Zeit aus dem Haus um diese Kleinigkeiten auf die Schienen der durch meine Strasse verkehrenden Straßenbahn zu legen. Das Resultat übertraf meine kühnsten Erwartungen. Münzen und ähnliches verwandelten sich im nu in kleine unansehnliche Metallscheibchen. Ganz zu schweigen von den Steinen, wenn selbst die viel gepriesenen Diamanten unter den Rädern zu Staub zerfielen. Blieb nur noch übrig die Edelmetalle in meinem kleinen Schmelztiegel zu einem kleinen Barren zu schmelzen.
Mein Vorgesetzter wiegt diesen Barren in der Hand, nickt zufrieden und greift zu einem Metallkästchen, die die Asche meines Finanzberichtes enthält. Die Sache ist die, dass ich ausführlich Buch darüber führe, wie viele Kunden diese Woche zu mir kamen, ich notiere ihre Namen, die Gegenstände die sie mir brachten und wie viel ich ihnen für diese gezahlt habe. Wenn die Woche um ist verbrenne ich mein Buch und mit dem Buch auch den Rest von dem mir für diese Woche zugewiesenen Geldes, welcher auch in den Listen verzeichnet ist und welchen ich nicht in der folgenden Woche verwenden darf. Die nächste Woche – heißt neues Leben, ein neues Buch und neues Geld. Manchmal schaue ich zu wie die bunten Scheine sich im Feuer verdrehen und genieße meine Freiheit. Dieses Geld erregt mich nicht.
Mein vorgesetzter öffnet das Kästchen, schnuppert an der Asche. Er befeuchtet sich den Finger und steckt diesen in die Asche, leckt daran und geht in einem zuhöchst befriedigten Grinsen auf. – „Alles exakt“ – sagt er und schüttet sich flink den Inhalt des Kästchens in die Tasche. Daraufhin gibt er mir ein Bündel Scheine für die folgende Woche, lässt mich das Geld durchzählen und reicht mir vor dem Gehen, mit einem öligen Schmunzeln meinen Wochenlohn. Das ist gutes Geld. Nicht nötig zu erklären, dass meine Wohnung früher einem Großindustriellen gehörte. Mit meinem Lohn kann ich sie mir leisten.
Eine Sache die ich mich manchmal frage ist: wie finden mich meine Kunden? Sie klingeln mehrmals täglich an meine Tür. Nie sind mehrere Kunden gleichzeitig zugegen, nie irren sie sich in der Tür. Es kommt vor, dass manche von ihnen mehrmals kommen. Sie bringen verschiedene Gegenstände, viele Dinge. Oft schleppen sie Möbel zu mir in den vierten Stock. Ihre zitternden, oder festen, oder gleichgültigen Finger holen die mitgebrachten Wertsachen ihres Lebens aus Handtaschen, Portmonnais, Rucksäcken und legen sie mir auf meinen Tisch.
Ich sehe mir die Gegenstände an, höre meinen Kunden aufmerksam zu, erkläre ihnen, dass der Wert des Gegenstands von dem persönlichen Wert für den Besitzer abhängt. Ich als Spezialist bestimme diesen wahren Wert. – „Nein ich kann Ihnen nicht sofort sagen wie viel ich ihnen für diesen Haufen zahlen werde. Ich muss mir das erst näher ansehen“. – „Keine Sorge, ich sehe das diese Fotographie Ihnen viel bedeutet. Ich würde sagen, ich zahle Ihnen Neunhundertfünfzig! Gratuliere!“ – „Sie ist das zweifellos wert.“ – „Ach das ist die letzte Fotographie Ihres Mannes? Und Ihres Sohnes?“ – „Nein, auch ohne dieser Fotographie werden Sie die nie vergessen.“ – „Das versichere ich Ihnen! Sie werden nur dieses Ereignis vergessen.“ – „ Ja für immer!“ – „Halten Sie das für nie geschehen.“ – „ Ja.“ – „Bitte zählen Sie durch.“ – „Nun, wenn Sie mir alle ihre Fotographien bringen, werden Sie alle abgebildeten Geschehnisse und Personen vergessen.“ – „Ja.“ – „Es ist nicht leicht. Aber Sie werden reich sein und können neu anfangen!“ – „Ach, es ist nie zu spät.“ – „Sehen Sie selbst. Jeder braucht Geld.“ – „Ja, das Leben ist nicht leicht.“ – „Sie werden auch diese Visite vergessen.“ – „Wie man mich wieder findet?“ – „Ich weiß nicht. Sie müssen es wollen.“
Sie verkaufen mir die wertvollsten Dinge die sie haben. Ich habe mich daran gewöhnt. Jeder verkauft das was zu verkaufen er bereit ist. Hauptsache es gibt einen Käufer. Ich kümmere mich nicht um Probleme anderer. Das einzige was mich kümmert, ist diese kleine ergraute Frau, die manchmal lange auf der Bank unter der Kastanie vor meinem Haus sitzt, zu meinem Fenster hinaufschaut, oder beobachtet wie ich aus dem Haus gehe um ein Paar Orden auf die Schienen zu legen.

 

Hallo Voland,
es tut mir leid, dass bisher noch keine Reaktion auf deine Geschichte gekommen ist. So will ich den Anfang machen, sicher werden sich noch einige andere anschließen.
Ich finde, du hast die Geschichte gut erzählt. Man kann sich sehr gut in den Mann hineinversetzen. Die Idee ist auch gut, denn auch ich frage mich manchmal, was mit dem ganzen Kram passiert, der sich so im Laufe der Jahre ansammelt, und der den Besitzern auch viel bedeutet. Bedeutsam sind sie aber nur im jeweiligen Kontext, für andere sind das eben Fotos von früher, oder altes Zeug.
Allerdings finde ich den Schluss etwas unbefriedigend, ich frage mich, wer ist dazu bereit, für das Entsorgen zu bezahlen? Vielleicht hast du das ja beabsichtigt?
Rätselnde Grüße schickt dir Marion

 

Dank' dir für die netten Worte Marion! In der Tat ist "der Vorgesetzte", der dem Trödler für das Entsorgen der Sachen zahlt, eine Gestalt etwas übernatürlicher Natur.
Ich dachte, als ich schrieb, über das Problem des Wertes der Errinnerungen heutzutage nach und ein Bisschen an Die Schöne Alte Welt aus dem Blickwinkel Huxley's vielleicht. Auch kam mir der Gedanke: Wenn meine Erinnerungen mir nichts mehr bedeuten, wie kann ich sie loswerden?

 

Hi Voland,
auch ich finde die Geschichte gut erzählt. Bestimmt haben viele schon das Erlebnis gehabt, dass sie beim "Ausmisten" auf Dinge stoßen, die sie nicht mehr brauchen, aber die gewisse Erinnerungen mit sich tragen. Es kommt auch sehr gut rüber, dass dieser Wert für andere unsichtbar und nicht einschätzbar ist. Ob man Erinnerungen zerstören kann, indem man diese Gegenstände zerstört kann ich nicht wirklich entscheiden. Ich denke, dass einschneidende Erlebnisse immer in unserem Gedächtnis bleiben werden. Also insgesamt ein Thema, über das man sich viele Gedanken machen kann. Allerdings bin ich aus dem Ende noch nicht ganz schlau geworden... vielleicht stehe ich auf dem Schlauch, aber die Rolle der alten Frau ist mir noch nicht ganz klar.
LG, Girouan

 

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