Der Totschläger
„Er will mich verrückt machen.“, dachte Charles.
„Er ist gewieft, frech und mir immer einen Schritt voraus; es scheint, als spiele er Spielchen mit mir und das ausgezeichnet.“
Charles Gedanken drehten sich wieder um den Mann hinter dem er schon 2 Jahre lang her war. Wie Jack the Ripper war dieser Kerl zur Legende geworden. Er hatte zwar keinen Künstlernamen so wie der Londoner Killer, doch stand er dem Ripper in punkto Bestialität und Bösartigkeit des Verbrechens in nichts nach und die Presse brachte, wenn er mal wieder das Bedürfnis hatte über das Leben einer Frau zu richten, den Aufhänger „Der Totschläger mit dem Hammer hat wieder zugeschlagen“ .
Nicht besonders originell, fand Charles.
Charles war durch die Gassen von London gegangen, um den Kopf frei zu bekommen, frei von diesen unmenschlichen Bilder jener entstellten Frauen, die den unzähligen Schlägen eines Irren mit einem Dachdeckerhammer nichts zur Wehr setzen konnten. Wenn diese Bilder vor seinem geistigen Auge aufblitzten, wurde er wütend und die Wut bestärkte ihn in seinem Vorhaben dieses wilde Tier zu jagen, es zu finden und, wie es für ein wildes, tollwütiges Tier gehörte, es ohne mit der Wimper zu zucken zu töten. Charles konnte spüren, dass er in der Nähe war, konnte fühlen, dass es in nächster Zeit wieder passieren würde. Ein weiteres Opfer.
In nächtlicher Ruhe leuchteten die Sterne vom Vortag über seinem Kopf.
Manchmal glaubte Charles, so blöd es sich auch anhörte, mit diesem Serienmörder auf irgendeinem Wege verbunden zu sein, überkam ihn doch zeitgleich mit einem Mord dieses ungute Gefühl, das in seinem Kopf anfing und auf seiner Zunge einen bitteren, metallischen Geschmack entfachte.
Charles wollte sich in das Cafe setzen, bevorzugte jedoch die frische Luft, so dass er sich einen Platz draußen aussuchte und die Leute beobachtete. Es war relativ wenig Betrieb. Sein Platz war auch so ausgerichtet, dass er in die Gasse direkt neben dem Cafe einsehen konnte. Charles ließ sich noch mal das Profil des Totschlägers durch den Kopf gehen.
Er tötet mit Vorlieben Frauen. Frauen, die sich in gewissen äußerlichen Merkmalen ähnelten. Große, schlanke Frauen mit braunen, gelockten Haaren und nahezu gleichen Gesichtzügen. Frauen, die er zutiefst hasste oder liebte. Fest stand er suchte nach einem ganz bestimmten Typ Frau.
„Ein verdammt gewitzter Hundesohn.“, dachte Charles.
Er hinterließ nie eine Spur, niemand kannte ihn, es gab kein Foto, kein Phantombild, in den ganzen 2 Jahren hat ihn keiner zu Gesicht bekommen und ganz Scottland Yard war hinter ihm her.
„Ein verdammt gewitzter Hundesohn.“, wiederholte er gedankenverloren mit einem verschmitztem Lächeln.
Die Bedienung stand neben ihm und Charles wurde erst auf sie aufmerksam, als sie zum zweiten Mal und drängender „Ihre Bestellung, Sir!“ sagte. Er schreckte auf und hätte fast den sowieso nicht so stabilen Holztisch umgeworfen. Charles hielt den Tisch im letzten Moment fest, schaute zur der Person, die ihn aus seiner Phantasie riss und entschuldigte sich für seine Ungeschicktheit. Die Bedienung lachte.
„Wofür?“ fragte sie.
Charles musterte ihr Gesicht und er dachte, sie zu kennen, wusste allerdings nicht woher. Ihm fiel auf, dass sie sehr hübsch war.
„Für meine Dummheit.“
„Ist doch nichts passiert.“ entgegnete die Bedienung verlegen.
„Das sagen sie, aber der Herr neben mir hätte fast einen Herzanfall bekommen.“ sagte Charles und deutete auf den Tisch, wo ein älteres Paar saß.
Sie lachte wieder und wie er fand war es ein bezauberndes Lachen. Dezent, aber nicht gespielt. Er begann auch zu lächeln.
Und immer noch überlegte er, woher er sie kannte. Hätte sie ihm denn nicht auch bekannt vorkommen müssen, wenn er mit seiner Vermutung richtig lag. Und vor allem, hätte er dieses liebliche Lachen vergessen, würde er sie kennen.
Nein, dachte er.
„Tut mir leid, ich halte sie von ihrer Arbeit ab.“ Er gab sich von seiner charmanten Seite.
„Sie entschuldigen sich ja schon wieder.“ sagte die Bedienung.
Charles wollte wieder um Verzeihung bitten, überdachte noch einmal, was sie sagte und entschied sich, es nicht zu tun.
„Die Floskel war mir in meiner Jugend sehr nützlich!“ sagte Charles.
„Verstehe, sie meinen die Ich-werde-die-Fensterscheibe-bezahlen-die-ich-einge-worfen-habe-Entschuldigung.
Es schien ihm, als würde sie mit ihm flirten und er fühlte ein Schwäche für diese Frau.
„Ja ... aber viel mehr die Ich-wollte-ihre-Tochter-nicht-schlagen-Herr-Bürgermeister-aber-sie-hat-mich-geärgert-Entschuldigung.
Wieder lachte die Bedienung.
„War sie denn so schlimm?“ fragte sie.
„Sie hat mir im zarten Alter von 13 das Herz gebrochen, als sie und ihre Freundin sich über meine Dumbo-Ohren lustig gemacht haben. Sie war das begehrteste Mädchen in der Klasse und ich war in sie verknallt.“
„Die typische Jugend-Tragödie!“
„Ja, und deshalb hab ich mir die Haare lang wachsen lassen, um die Ohren zu verdecken. Ich bin halt eine etwas feinfühlige Person.“
Das ältere Ehepaar neben Charles zeigten der Bedienung an, dass sie zahlen wollten.
„Ich komme sofort!“ rief die Bedienung und drehte sich wieder zu Charles. Sie fragte ihn noch schnell, was er denn haben wollte.
„Cappuccino.“ erwiderte Charles kurz.
Die Bedienung rechnete bei dem Paar ab, bedankte sich und verschwand dann ins Innere des Cafes. Er schaute ihr nach. Charles vergaß in diesem Moment den Killer völlig und dachte daran, dass dieses entzückende Wesen eine willkommene Ablenkung sei. Er schaute zur Tür und wartete bis sie wieder kam. Indes überlegte er, wie er eine Verabredung erreichen konnte. Die hochgewachsene Bedienung erschien nach 5 Minuten. Sie ging vorsichtig mit dem heissen Getränk, um nichts zu verschütten. Als sie die Tasse auf den Tisch stellte, hatte Charles gerade vor sie anzusprechen, doch sie kam ihm entgegen.
„Entschuldigung..., ich will mich nicht aufdrängen, aber auch auf die Gefahr hin, dass sie es nicht interessiert...mein Name ist Michelle ... ich habe in 15 Minuten Feierabend und, wenn sie wollen, würde ich mich freuen, wenn wir was zusammen unternehmen, etwas trinken ... oder sonst was und ... falls ich mich doch ungestüm aufgedrängt habe, ist es mir peinlich und es würde mir leid tun.“
Charles war überrascht und wusste, dass er in diesem Augenblick ein dement-sprechend überraschtes Gesicht machen musste, was er auch an dem verunsicherten Gesicht von Michelle erkannte. Er lächelte und glaubte eine Erleichterung bei ihr festzustellen.
„Jetzt haben sie sich aber ohne Grund entschuldigt.“ sagte Charles. Beide lachten.
„Auf ihr Angebot hin...ich würde gerne, ich heiße Charles.“
„O.K. wie wär´s dann in einer Viertelstunde hier draußen...Ich bring noch schnell den Müll weg und zieh mich um.“
„Alles klar, in einer Viertelstunde dann.“
Er bemerkte, dass ihre Augen glänzten. Sie verschwand wieder ins Cafe. Charles fühlte sich gut. Er war entspannt. Ihm war aufgefallen, dass sie vergaß vorher den Kaffee abzurechnen oder wollte sie das Getränk bezahlen. Dann werde ich ihr das Geld später geben, dachte er.
Auf einmal überfiel ein Kopfweh bösester Art. Er hielt sich die linke Hand an die Schläfe und schloss die Augen. Er machte ein schmerzverzehrtes Gesicht. Dieser Geschmack, als lutsche man eine Münze stellte sich sofort ein. Als er die Augen wieder öffnete, sah er einen Schatten in die nebenliegende Gasse huschen. Er hörte deutlich das Knirschen, das Kies unter Schuhen erzeugte.
Und nun wusste er genau, woher er sie kannte, wer sie war. Er erinnerte sich an ihr Lachen. Er stand schnell auf und lief in die Gasse. Er verlangsamte seine Schritte, weil er nicht wollte, dass man ihn hörte und ging vorsichtig weiter. Eine kleine Neonlampe war über dem Hintereingang des Cafes angebracht, die sich einen Kampf mit der Dunkelheit in der Gasse lieferte, welchen sie aber verlor. Charles erschrak, als die Hintertür aufgestoßen wurde. Michelle schob mit dem Rücken die schwere Tür auf. Sie gab einer anderen Person drinnen noch eine Bestellung bekannt. Als Michelle die zwei Säcke neben die Mülltonnen stellte, fiel die Tür zu. Sie fluchte und wollte gerade gegen die Tür klopfen, als wieder das Knirschen, was Kies unter Schuhen machte, in einem unruhigen, schnellen Rhythmus zu hören war.
„Wer ist da?“ rief Michelle.
Charles kam aus der Dunkelheit geschritten, nervös nach hinten und nach allen Seiten schauend. Dann richtete er seinen Blick wieder auf Michelle und ging auf sie zu.
„Dachtest du, du könntest dich verstellen. Ich bin schon wieder auf dich hereingefallen, nicht wahr, und das amüsiert dich. Das bringt dich zum Lachen. Stimmt ´s nicht, Lisa.“ schrie Charles.
Michelle wusste nicht, wovon er sprach.
„Warum lachst du nicht? Mach dich doch über mich lustig. Na los, ... lach doch, lach doch!“
Sie wusste gar nicht, was los war. Sie war völlig verängstigt und merkte, dass dieser Kerl nicht der Mann war, den sie vorhin bedient hatte. Charles zog im Laufen den kurzstieligen Hammer aus der Innenseite seines Mantels, hob ihn und ließ ihn auf sie niederschmettern.
„Lach doch, Lisa...warum lachst du denn nicht.“ schrie er. Lisa Wright hieß die Tochter eines Bürgermeisters.
Immer und immer wieder drosch er mit dem Hammer auf sie ein, bis von ihrem Gesicht nichts mehr zu sehen war.