Der tote Vogel
Es war nur einer dieser zahllosen kalten Herbsttage.
In dem weißen Wolkenteppich war nicht eine einzige farbliche Abstufung zu entdecken. Der Himmel hatte seine Tränen ausgeweint, und ich wünschte, ich könnte es auch. Das Laub lag träge vom Wasser auf dem Boden herum, der Wind konnte die Blätter nicht mehr hoch wirbeln, ihm fehlte die Kraft dazu. Ich glaube, er fühlte sich wie ich: Leer und schwach.
Kein Mensch war hier auf den Straßen zu sehen, die Zeit schien stillzustehen. Die Welt war zusammen mit den Bäumen kahl geworden und jegliches Leben daraus verschwunden.
Manchem möchten diese Stille und der Tod der Umgebung ein unangenehmes Gefühl der Einsamkeit aufzwingen, dachte ich, als ich die dreckig-grauen Straßen entlang ging.
Ich war nicht einmal besonders traurig darüber, mit der Welt gestorben zu sein. Bald würde sie sich unter einem weißen Mantel bedecken, um zu ruhen, aber sie würde eine Renaissance erfahren. Ich wusste, ich würde ihr jederzeit folgen.
Mein untergründiger Wille führte mich weiter durch die ausgestorbene Stadt.
Mit mechanisch setze ich meine Schritte, so hatte sich es gelernt. Ich kannte meinen Weg auswendig, auch wenn ich nicht wusste, wohin er führte.
Irgendwie war ich schließlich auf dem kleinen, matschigen Pfad angelangt, der in den Schlosspark führte.
Verlassen standen hier die letzten Ruinen des einst prächtigen Kastells, erbärmliche Überreste einer unendlichen Zerstörung.
Das Regenwasser hatte sich in den Becken der abgestellten Springbrunnen gesammelt, welche hier einst den Garten geziert hatten.
Ich setzte mich an den Rand des nun entstanden, kleinen Sees.
Eine Weile hatte ich stumpf ins Wasser gestarrt, als mir plötzlich etwas ins Auge fiel: Ein Vogel schwamm in der dunklen Suppe. Er war tot, daran war wenig Zweifel.
Ich sah ihm zu, wie er langsame Bahnen zog, nur von dem seichten Wind beeinflusst.
Er war schön. Ich kannte die Art nicht, aber es war ein schönes Tier, es hatte gelb-rote Gefieder. Wirklich hübsch anzusehen…
Eine Sekunde hob ich den Kopf. „Kann ein toter Vogel wirklich schön sein?“, fragte ich laut.
Ich sah hinab. Wenn ich ihm diese Frage stellen würde, er würde gewiss verneinen. Bestimmt fand er sich kein bisschen hübsch, wie er hier im Brackwasser langsam verrottete.
Aber ich würde ihm keinen Glauben schenken. Er war schön, und auch er wurde durch seine plötzliche Schönheit im Tode wiedergeboren.
Ich stand auf und sah mich um.
Und in diesem Moment war ich mir sicher, dass alles auf der Welt eine Wiedergeburt erleben würde. Jeden Tag.
Diese Geschichte habe ich vor ein oder zwei Monaten aufgeschrieben. Persönlich mag ich sie sehr, sie markiert auch eine Art Wende in meinem Schreiben, da ich hierfür meinen Stil verändert und ein wenig daran geschliffen habe...
Ich wäre froh, Kommentare zu der Geschichte zu hören!
Liebe Grüße,
MyKona