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Diese Story entstand in Zusammenarbeit mit mat! Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!
Der Todessprung
Hans Buttfuk war ein Draufgänger, der den Nervenkitzel liebte. Er war 37 Jahre alt, und in der Extremsport-Szene schon eher ein alter Hut, wie man zu sagen pflegte. Trotzdem genoss er hohes Ansehen, da er einer der wenigen war, der den Todessprung von Valley Hill geschafft hatte. Von den wenigen, die diesen Stunt schon gewagt hatten, lebten nur noch zwei. Hans war einer davon. Der andere war Heimi Fistinger. Die beiden Extremsportler verband eine jahrelange Rivalität. Kaum hatte der eine einen Rekord gebrochen, stellte der andere einen noch waghalsigeren auf.
Das Gefährliche am Todessprung von Valley Hill war, dass er tödlich enden konnte. So geschehen vor einem knappen Jahr, als Ferdinand Otter sprang und dabei tödlich verunglückte. Wenn die Sonne in einem tiefen Winkel stand, täuschte der Schattenwurf der Felsen eine falsche Oberfläche vor, die den Springer irritieren und ihn dazu veranlassen konnte, die Abstände zwischen sich und den Felsen falsch einzuschätzen. Otter wagte es damals, kurz vor Sonnenuntergang zu springen. Der Sprung wurde live übertragen und zuvor von der Energy-Drink-Marke Buffalo Balls marketingmässig gross aufgezogen.
Beim Sprung stürzte sich der Springer im Prinzip vom Gipfel und segelte dann ca. 350 Meter tief in unmittelbarer Nähe zur senkrecht verlaufenden Felswand nach unten. An einer Stelle gab es ein Quadratmeter grosses Loch in der Felswand, das anschliessend in einen ca. 150 Meter langen, steil nach unten verlaufenden Tunnel führte, welcher auf der anderen Seite des Berges wieder hinausführte.
Otter bezahlte seine Adrenalinsucht damals mit seinem Leben. Die Aktien der Marke Buffalo Balls sackten kurzzeitig in den Keller, doch durch eine aufwändige Werbekampagne mit halbnackten Models konnte das Image schnell wiederhergestellt werden.
Hans Buttfuk hatte den Valley Hill erst einmal geschlagen, und zwar bei hellem Tageslicht. Deswegen hatte er sich, natürlich zusammen mit Buffalo Balls, für das zweite Mal etwas Besonderes ausgedacht. Zudem wollte er nach dem geglückten Sprung live am TV seinen Erzrivalen Heimi herausfordern.
Heute war es soweit: Das Ganze war medial wieder gross ausgelegt worden. Hans stand auf dem Gipfel und hatte seinen Wingsuit sowie den Helm bereits angezogen. Der Helm nützte natürlich einen Scheissdreck, würde Hans an den Felsen zerschellen, doch er hatte ja in erster Linie eine Werbefunktion, da das Buffalo Balls Logo darauf abgedruckt war.
Nicht unweit davon entfernt befand sich der Marketing-Chef von Buffalo Balls, Heinz Greedy. Er sah wie eine typischer Marketing-Heini aus: Abstehende Ohren, fett, Sommerprossen und eine breite, schweinige Nase. Seine Uglyness versuchte er mit einem teuren, aber zu engen Armani-Anzug zu kaschieren.
Kurz vor dem Absprung spürte Hans, dass etwas nicht stimmte. Er hörte in der Regel immer auf sein Bauchgefühl. Wenn eine Situation sich nicht richtig anfühlte, konnte es auch mal vorkommen, dass er einen Stunt vorzeitig abbrach. Doch diesmal ging es um viel. Der Energy-Drink-Gigant hatte ihm eine Gage von 100'000.- Dollar versprochen, wenn er direkt nach der Landung eine Dose Buffalo Balls aus der Jackentasche nehmen und einen Schluck trinken und dann grinsend in die Kamera sagen würde: "Buffalo Balls verleiht dicke Eier!" Deshalb entschied er sich diesmal, sein ungutes Gefühl zu unterdrücken. Er machte sich für den Sprung bereit. Alle Kameras waren auf ihn gerichtet, und Millionen Zuschauer starrten zuhause gebannt auf ihre Bildschirme. Auch das Publikum vor Ort zitterte vor Spannung. Um 20:13, also kurz vor Sonnenuntergang, nahm Heinz Greedy das Mikrofon, und aus der Lautsprecher-Anlage erklang seine grunzende Stimme:
"Sehr verehrte Damen, Herren und Kinder: Sie werden in Kürze Zeuge des bisher waghalsigsten Sprungs von Valley Hill. Wer sonst könnte diesen Sprung schaffen, wenn nicht Hans Buttfuk! Wir werden nun gemeinsam rückwärts zählen, so dass Hans zeitgleich mit dem Sonnenuntergang abspringen wird. Zählen Sie mit mir!" Die Menge jubelte und stimmte mit ein:
"10... 9... 8..." Hans spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.
"7... 6... 5..." Er nahm einen tiefen Atemzug und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln.
"4... 3... 2..."
In diesem Moment hörte man, wie jemand Greedy das Mikrofon entriss und hineinschrie: "Hans! Tu es nicht!" Hans drehte sich erschrocken zur Seite und sah niemand geringeren als den totgeglaubten Ferdinand Otter. Doch schon kamen von hinten zwei muskulöse Sicherheitsangestellte und überwältigten ihn, worauf sie ihn in einen schwarzen SUV zerrten und davonbrausten.
Heinz Greedy nahm das Mikrofon wieder an sich:
"Bitte vergessen Sie das, das war irgendein Verrückter, haha. Weiter gehts mit dem Countdown! 3...2...1... Und Absprung!"
Doch Hans blieb verdutzt auf der kleinen Rampe stehen.
"Ferdinand Otter... Das ist unmöglich, ich habe doch gesehen, wie er damals zu Tode stürzte..."
Greedy warf das Mikrofon zu Boden und schrie: "Nun spring schon!"
In diesem Moment hörte Hans hinter sich: "Mach den Weg frei, Buttfuk! Eins zu Null für Fistinger! Haha!"
Noch bevor sich Hans umdrehen konnte, sauste Heimi Fistinger an ihm vorbei und sprang von der Felskante.
Was niemand wusste: Der Tod von Otter letztes Jahr war nur vorgetäuscht. In Wirklichkeit wurde eine lebensechte Puppe vom Berg geworfen. Otter und Fistinger steckten unter einer Decke. Alles war Teil des Plans, Hans kurz vor dessen Absprung durch das Auftauchen des totgeglaubten Otter zu verwirren, so dass er zögerte und dafür Fistinger den Sprung vor ihm absolvieren konnte. Es sollte so aussehen, als kriege Hans im letzten Moment kalte Füsse. Wenn dann plötzlich Heimi an ihm vorbeisprang, wäre er wieder die Nummer eins.
Und genau so geschah es: Er segelte im Sturzflug an den Felswänden vorbei, die Zuschauer schauten gebannt zu. Hans verfolgte das Geschehen von oben. Heimi war nur noch hundert Meter vom Loch entfernt. Nun wurde es brenzlig: Aufgrund des Lichteinfalls war die Öffnung nur schwer zu sehen, und alle fragten sich, ob er das Loch treffen oder an den Felsen zerschellen würde. Doch mit einer unglaublichen Präzision verschwand Heimi im Loch und segelte durch den Tunnel. Kurz darauf schoss er auf der anderen Seite wieder raus: Der Sprung war geglückt!
Was niemand wusste: Der schwarze SUV, mit dem die Sicherheitsleute Otter abgeführt hatten, war gerade im Tal angekommen und fuhr just in diesem Moment am Höhlenausgang vorbei. Heimi hatte keine Chance: Er schoss wie eine Gewehrkugel in das Fahrzeug, das durch den Aufprall sofort expoldierte. Heimi sowie die drei Insassen waren sofort tot. Alles wäre gut gegangen, doch ironischerweise wurde Heimi sein eigener Plan zum tödlichen Verhängnis. Man könnte auch sagen: Wer anderen eine Grube gräbt, geht drauf.
Hans beschloss nach diesem Vorfall, den Extremsport aufzugeben und der Szene den Rücken zu kehren. Er realisierte an jenem Tag, dass es nicht mehr um Kameradschaft und sportliche Leistung, sondern nur noch um Kohle, Ruhm, Koks und Nutten ging. Er eröffnete eine Fitnesskette und wurde stinkreich, starb jedoch im Alter von 42 Jahren an geplatzten Hoden aufgrund einer Überdosis Buffalo Balls.
Auch für Heinz Greedy nahm jener Tag kein gutes Ende. Das ganze Tohuwabohu sowie die Angst vor einem erneuten Image-Schaden setzten ihm derart zu, dass sein Herz seinen Dienst verweigerte. Auch eine sofortige Buffalo Balls Infusion vor Ort konnte ihn nicht retten. Die Sanitäter konnten nur noch den Tod feststellen.
Ende