Der Tod
Er traf mich so heftig, dass ich dachte, ich würde sterben. Nichts war mehr da an dem ich mich hätte festhalten können. Ich fühlte nur noch Wasser und Feuchtigkeit, meine Lungen sehnten sich wahnsinnig nach ein bisschen Luft, doch das Schicksal schien mir keine zu gönnen. Immer tiefer sank ich und hörte nichts mehr, fühlte nichts mehr, sah nichts mehr. Bald war ich in einen Zustand übergangen, der dem Tod so nahe war, dass ich dachte, ich hätte es endlich geschafft. Vergeblich versuchte ich meine schweren Lider zu öffnen, doch kaum hatte ich das versucht, fühlte ich kurz wieder diese grausame Kälte, das Wasser, was überall in mich gedrungen war. Ich überließ mich meinem Schicksal und kämpfte nicht mehr um mein Leben, obwohl ich wusste, wieviel Kummer ich meiner Mutter bereiten würde. Sie hatte schon einen Mann und ein Kind verloren, es war nicht gerecht.
Die Schwärze, die mich immer mehr einhüllte, wurde auf einmal unterbrochen. Ganz weit in der Ferne sah ich etwas helles, etwas, das an ein Licht, vielleicht eine Kerze, erinnerte. Ich sehnte mich schon seit der ganzen Zeit hier unten nach ein wenig Wärme und ich zögerte nicht, nein, ich wünschte mir mit meinem ganzen Körper, von ganzem Herzen, bei diesem wärmenden Licht zu sein. Doch ich hatte keine Kraft, dahin zu gelangen. Es war hoffnungslos, dachte ich. Ich wundere mich, dass ich damals so viel denken konnte, aber in so einem Moment geht einem sehr, sehr viel durch den Kopf. Ich dachte über mein ganzes, bisher viel zu kurzes Leben nach und wollte mich gegen meinen Körper stemmen, ich wollte zurückfinden in die Wärme und in das Licht des Lebens, ich wollte meine Lungen mit Luft füllen, bis sie platzten, doch mein Körper war stärker als mein Wille. Er strömte und schwebte dem Licht entgegen und ich konnte nichts tun. Ich hatte meine Augen geschlossen, trotzdem fühlte ich wie das Licht da war und wie es immer näher kam. Ich wusste, es war der Tod. Er würde nicht auf mich warten, er würe einfach da sein, das hatte mein Vater gesagt. Zwei Minuten später war er tot gewesen. Es hatte uns alle sehr bewegt, wir lebten jahrelang in Trauer. Mir wurde wärmer und ich wusste, ich würde gleich angekommen sein, meinen Vater, meinen Bruder sehen. Vielleicht würde meine Großmutter auch da sein. Aber was würden sie sagen, was würde meine Mutter ohne mich tun? Ich konnte sie nicht einfach alleine lassen. Wieder und wieder versuchte ich mich gegen das Streben und Drängen meines Körpers zu wehren. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung war er da. Er war so plötzlich gekommen, dass ich mich nicht mehr erinnere, woher. Ich wusste nur, er war gut. Er war gekommen, um mir zu helfen, nicht um mir weh zu tun oder mich wieder zurück zu stoßen. Ich zögerte keine Sekunde, als ich seine Hand um meine Taille spürte. Er war da, um mich hochzuziehen, um mich zu retten. Jetzt hoffte ich, noch einmal kurz das Licht zu sehen, an meine toten Familienmitglieder zu denken. Doch mein Kopf war leer gefegt, als hätte er nie vorher etwas gedacht. Der Arm zog mich höher und höher, ich spürte nur noch den Arm und dann teilte sich die Wasseroberfläche und mein kaltes und gefühlsloses Gesicht tauchte in die Kälte des wunderschönen Winterabends. Ich hatte keine Kraft meine Lungen mit dem Lebenselixier zu füllen, was Menschen zum Leben brauchen und betete, man möge mir helfen. Ich hatte das Gefühl, als läge ich immernoch im Wasser und würde darüber schweben. Mit kräftigen Stößen glitt ich mit meinem Retter über die nasse Fläche, die mir beinahe zum Verhängnis geworden war. Ich begann wieder in einen undefinierbaren Zustand überzugehen und nahm nichts mehr von außen wahr, sondern konnte wieder die Wärme des kleinen Lichtes spüren. Es war da und lockte mich mit wunderschönen Bildern meines Vaters und meines Bruders. Ich dachte, nochmal könnte ich diesem Kerzchen nicht entkommen, nochmal würde ich nicht die kalte, schöne Winternacht spüren, meine Mutter sehen, meine Lungen mit Luft füllen können. Doch kaum hatte ich diese Gedanken gehabt, fühlte ich wie mein Herz pochte. Widerstrebend und ehrgeizig wollte es nicht aufgeben und ich schämte mich, dass ich schon wieder an mein Ende gedacht hatte. Mein Kopf wurde schwerer und schwerer und ich verfiel wieder der Schwärze, die meinen ganzen Körper einnehmen wollte. Nur das kleine Licht veränderte kurz die Eintönigkeit. Wie würde sich das anfühlen, wie würde mein Körper nach dem Tod aussehen? Ich schlief ein und gleich, dachte ich, gleich bist du da... Gleich hast du es geschafft... Das Licht wurde größer, es öffnete sich, wie ein Tor. Es wirkte so warm, freundlich und gut. Ich sah es so deutlich, als hätte ich meine Augen offen gehabt. Plötzlich schloss es sich wieder und ich brauchte kurz, um das zu begreifen, doch dann war ich der Verzweiflung nahe. War ich etwa nicht gut genug für dieses Tor gewesen? Immer weiter weg driftete ich in der Schwärze. Ich weinte, schrie, doch es war nichts zu hören, nichts zu fühlen. Alle meine Gefühle und Sinne waren taub und stumpf. Das druchdringliche und bedrohende Schwarz lichtete sich auf und ich schien jetzt rückwärts zu schweben. Das merkwürdige und neue Gefühl verwunderte mich. Und dann spürte ich wieder und dieses Gefühl werde ich nie vergessen. Es war wie eine warme angenehme Speise, die ich zu mir nahm. Immer mehr und mehr strömte in mich davon hinein, bis ich spürte, wie meine Lungen praller und praller wurde, es war wunderschön. Ich wollte die Luft nie mehr aus mir hinaus lassen, sie sollte für immer in mir bleiben. Ich wagte es auch garnicht sie wieder auszuatmen. Doch dann tat ich es doch. Und ich spürte einen weiteren Luftstoß, er kam in meinen Hals, ohne, dass ich etwas getan hatte und ich mochte dieses Gefühl. Völlig entkräftet und glücklich begann ich wieder mehr von meiner Umwelt wahrzunehmen und ich spürte die Nacht, die kalte, klare Nacht, den Mondschein und den Kies unter mir. Ich roch die wunderbare Luft, füllte meine Lungen mit Hilfe von irgendwas immer wieder mit ihr und konnte nicht genug von ihr kriegen. Die Kälte in meinem Körper klang ab, es wurde wärmer. Doch diesmal war kein Licht dafür zuständig.
Ich danke Gott dafür, dass ich leben durfte und ich danke ihm auch heute noch. Der Mordversuch gegen mich vor einem Jahr hat mein Leben verändert. Ich genieße jeden Tag, ich atme bewusster. Ich liebe das Leben!