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Eine ganz spezielle Liebesgeschichte
Szenendruck Projekt 'Felix' - Version b 07.09.2019 07:38
Der Tod im Sand
Meine Beine frieren im Boden fest. Keinen Schritt geh ich weiter. Da kannst du ziehen und zerren, soviel du willst.
»Mensch Kerrie, stell dich nicht so an!«
Willst du mir den Arm rausreißen? Glaubst du, ich bin freiwillig stehen geblieben? Was soll ich dir antworten? Ich bekomme kein Wort raus. Aber ich will ohnehin nicht. Ich will dir viel lieber derart eine scheuern, dass du mich endlich loslässt, und dann will ich mich umdrehen und nur noch rennen, egal wohin, nur weit weg von hier.
»Komm schon, so schlimm wird es nicht.«
»Das hör ich nicht zum ersten Mal!« Das sollte sich bestimmt anhören, aber es wurde ein Hauchen draus. Ich hasse mich dafür. Ich hasse dich. Ich hasse die ganze Welt, und diesen Ort besonders.
Ein lautes Knarren fährt mir bis ins Mark. Ich fühle, wie mein Herz aussetzt. Das Tor wird langsam aufgeschoben, fährt nach rechts in die Wand. Ich würde so gerne die Augen schließen, verschwinden, im Boden versinken, sterben, alles ist besser, als hier zu stehen. Meine Augen können nur auf den Spalt starren, der langsam größer wird.
Das letzte Mal hat sich das Tor geöffnet, um mich in einen Rettungswagen zu spucken. Diesmal reißt es sein Maul auf, um mich zu fressen.
»Hallo Kerrie! Schön, dass du den Mut gefunden hast. Komm doch rein!«
Sandra. Wie klein sie aussieht, in diesem gewaltigen Schlund, der sich vor mir aufgetan hat. Klein, muskulös, ganz in Leder gekleidet. Ihre Ausstrahlung bannt mich. Ich kann nur noch ihre Augen sehen, die Welt hört auf zu existieren. Sie sieht direkt in meine Seele.
»Komm mit.«
Zwei Worte, und meine Beine gehorchen. Das war keine Bitte. Das war kein Befehl. Das war ein Naturgesetz. Sie sind einfach losgelaufen, haben mich nicht gefragt. Sie legt einen Arm um mich und führt mich in den Schlund. Ich will nicht, ich will nichts sehen, nichts hören, nicht leben, nicht hier. Mein Körper gehorcht mir nicht, reagiert auf die leiseste Weisung von ihr, beugt sich ihrer Macht.
»Augen auf, Kleines. Rate mal, wer hier ist?«
Ich weiß es eh schon. Ich spüre ihn, sein Geruch wird mich mein Leben lang verfolgen. Wer könnte so etwas jemals wieder vergessen?
»Jetzt mach dich doch mal locker, Kerrie.« Wie denn, es kommt mir vor, als hätte ich das Wort noch nie gehört.
Ich fühle mich mit einem Ruck hochgerissen, die Welt um mich herum explodiert in einem gellenden Schrei. Ohne es zu wollen, gehen meine Augen weit auf.
Es war mein Schrei gewesen. Felix! Ruhig und selbstbewusst steht er da. Stockmaß einssiebzig, sechshundert Kilo pure Bosheit.
»Und jetzt rauf mit dir, aber zackig!«
Sandra, von was träumst du nachts? Ich kann kaum stehen, da komm ich nie rauf.
Meine Hand krallt sich in seine Mähne, mein Fuß stellt sich in den Steigbügel, dann fühle ich, wie meine Beine auseinander gedrängt werden, wie sich sein Körper dazwischen presst, wie ich mich auf ihn setze. Ihr verdammten Verräter, wer haut euch das erlaubt? Ich versuche gar nicht erst, mich zu wehren, es ist doch ohnehin sinnlos, gegen soviel Niedertracht bin ich hilflos, mein eigener Körper hat mich verraten.
Felix!
Er wird es wieder tun. Und es wird ihm Spaß machen.
Eine Berührung an meinen Händen lässt mich zusammenzucken. Ich sehe nicht hin, ich weiß genau, was sie tun, fühle, wie Sandra die Zügel um meine Hände legt. Meine Wangen werden feucht.
»Nein, Sandra, bitte, ich hab es mir anders überlegt, lass mich doch gehen.«
Durch den Tränenschleier kann ich sie kaum sehen. Wenn doch wenigstens Wut in ihrem Blick läge, Hass, Verachtung. Aber ich sehe nur Selbstsicherheit und Freude. Sie hat Spaß an dem, was sie tut. Sie wird mir nicht helfen. Niemand wird mir helfen. Nicht hier.
»Vergiss es.« Jeder ihrer Griffe sitzt, strahlt unendliche Erfahrung aus, als sie noch ein letztes Mal den Sitz der Riemen kontrolliert. Dann wuschelt sie Felix durch seine braune Mähne, klatscht ihm auf den Hintern, und er trägt mich fort.
Oh nein, genau so hat er das letzte Mal auch angefangen. Ich beiße die Kiefer so fest aufeinander, dass ich etwas splittern fühle, kralle mich in die Riemen, warte auf den Schmerz, der kommen wird.
Wie konnte ich ihm nur vertrauen? Warum lerne ich nie aus meinen Fehlern? Ich habe ihm doch schon einmal vertraut. Er wird es wieder tun. Warum geht er genau da hin? Warum?
Ich erkenne die Stelle wieder. Die Bohlen, die Nieten, die Maserung, jedes kleine Detail. Ich werde es mein Leben lang nie wieder vergessen, so tief hat sich das Bild in meine Erinnerung gebrannt. Hier hat er mich in den Staub geworfen. Hier ist meine Hüfte zerschmettert worden, hier habe ich vor Schmerz in den Sand gebissen und so lange geschrien, bis ich nur noch zu einem lautlosen Hauchen fähig war.
Er wird es wieder tun.
Er trabt los. Ich spüre den Sattel hart gegen mich prallen, schneller, immer schneller, da ist nichts durchgängig, da ist kein Rhythmus. Sein Atem geht heftiger. Ich sehe die Freude in seinen Augen. Dieses Schwein, dieses verdammte Arschloch, er freut sich wirklich.
»Sei locker, Kerrie, sei entspannt! Sitz den Trab aus, nimm ihn auf!« Sandra, ich hasse dich. Ohne jede Hoffnung sehe ich über die Schulter. Sie lachen. Alle lachen. Sandra klatscht in die Hände. Sie feuern Felix an.
Sandra küsst Felix zu, und er reagiert sofort. Ein gewaltiger Stoß reißt mich herum, er ist losgallopiert, einfach so. Oh nein, es wird wieder passieren. Gleich werde ich wieder da liegen, seinen gewaltigen Körper über mir, den Triumph in seinen Augen. Ich will es nicht sehen. Ich kann nicht. Ich schließe die Augen, ich bin fort, ganz weit fort, ich komme nie wieder zurück, nicht hierher, nicht zu Sandra, zu niemandem.
Weit weg.
Etwas rührt sich in mir. Mein Körper erinnert sich. Er kann nicht nur gegen meinen Willen aufsteigen. Meine Hüfte streicht den Sattel aus, nimmt die Bewegung auf, leitet sie weiter, eine Welle, die vom Steiß über die Wirbelsäule bis in den Nacken schwingt. Ich bin ganz leicht, ich fließe, unsere Bewegungen werden eins. Das schmerzhafte Hämmern des Sattels gegen mich wird zu einem Gleiten. Es fühlt sich an, als würde ich fliegen. Ein Kitzeln breitet sich in meinem Bauch aus.
Mit dem Schwingen kommen Erinnerungen. Wir fliegen durch den Schnee, Äste streichen an meinem Hut vorbei. Eine tiefe Ruhe lässt alle Spannung aus meinem Körper fließen. Meine Bewegungen passen sich Felix Vorgabe an, ich tanze, ich schwebe, ich fliege.
Ich fühle, wie sich meine Gesichtszüge lösen, mein Schreien wird zu einem Lachen. Sandra! Sie klatscht, feuert jetzt mich an, nicht mehr Felix, schwenkt ihren Hut.
Wir nähern uns der Stelle, dem Ort, meinem Grab. Nein! Er wird mich nicht in den Staub werfen. Kein Schmerz, kein Arzt. Nicht diesmal.
Ich küsse Felix zu, presse meine Hüfte rhythmisch an ihn, schneller, immer schneller. Go, Felix, Go! Die Leute um uns herum schreien, feiern, johlen. Alles ist gut. Es ist vorbei.
Ich kann es wieder.
Der Ring der Angst ist gebrochen.
Wir fliegen an meiner Nemesis vorbei. Ich sehe die Freude in Felix Augen, nicht weniger lebhaft als meine eigene. Ich sitze fest im Sattel. Ich löse meine Füße aus den Steigbügeln, ich lasse die Zügel los, ich breite die Arme aus und fliege wie ein Vogel.