Der Tod des Subjekt X
Der Tod des Subjekt X
Stellen Sie sich mal vor, wie schwer es ist, die Hölle zu organisieren.
Denken Sie nur mal an die vielen tausend netten Leute, die täglich das Zeitliche Segnen.
Doch obwohl so viele Leute ganz heiß darauf sind, ins Jenseits zu gelangen,
läuft genau genommen alles am Schnürchen im Hades:
Subjekt X starb, klopfte an die Tür, machte Bekanntschaft mit dem Fragensteller, welcher jedem Toten die 3 Fragen stellte. Danach wird dann von einem Ausschuss (ja, so richtig mit Gremien, Ausschüssen und Ermittlungskommissionen geht das hier in der Hölle) weitergeleitet, je nachdem, welche Antworten Subjekt X gab.
Ein Fallbeispiel dazu: Subjekt X starb, von mir aus wegen einem Herzinfarkt oder einem tragischen Unfall (es hat auch schon Tote gegeben, die an Langweile, exzessivem Kartenmischen oder äußerst kritischem Durchfall starben).
Was dann mit dem Toten passierte, wollen Sie wissen?
Ist doch klar: Er (oder sie) klopfte an die große Tür, zu welcher er (oder sie, aber wir gehen jetzt mal von einem „Er“ aus) direkt nach seinem Tod gelangt. Die Tür schwebt frei im Nichts. Mit dem Nichts ist es so eine Sache: Einige in der Hölle lebende und somit tote Philosophen meinen, das Nichts sei Etwas, ist es aber eben nicht. Oder doch?
Doch zurück zur Tür: Es ist eine große, massivgoldene Tür, an welcher hoch oben silberne Letter angebracht sind, die „ZUTRITT NUR FÜR TOTE“ besagen.
Meistens sind die lieben Leutchen, wenn sie sich so urplötzlich im Nichts schwebend vor einer goldenen Tür an der „ZUTRITT NUR FÜR TOTE“ steht, wiederfinden, so geschockt, dass sie an dem daraus resultierenden Hirnschlag sterben würden. Doch sie sind ja schon tot, somit kann eigentlich nichts passieren.
Das ist auch der Grund, warum Lebensversicherungen im Jenseits stets Konkurs anmelden.
Jedenfalls stand Subjekt X dann vor der Tür, und wusste nicht, was er tun sollte.
Abhauen? Geht nicht, denn es gibt wahrlich nicht viele Orte im Nichts, an die man verschwinden könnte.
Schreien? Kann man machen, ok, aber es nützt nichts (außer vielleicht einer
Beruhigung seiner selbst), weil niemand antwortet.
Was würden Sie machen? Klar, ich würde auch anklopfen. Genau das ist nämlich der richtige Weg, den früher oder später alle gehen: Sie klopfen an und werden eingelassen.
Manchmal brauchen die Toten Tage oder gar Wochen, um auf die Idee zu kommen, dass sie es einfach mal mit Anklopfen versuchen könnten. Da liegt natürlich der Gedanke nahe, ob sich während ihrer Zeit vor der goldenen Tür andere, ebenfalls frisch gebackene Tote zu ihnen gesellen oder nicht. Aber das ist natürlich nicht der Fall, sonst entstände vor der Tür ja ein riesiger Stau. Tatsächlich gibt es viele, ja sogar sehr, sehr viele dieser Türen, für jeden Toten eine, um genau zu sein.
Diese Tore sind so etwas wie Super-Duper-Individuelle-Höllentürchen.
Doch zurück zu unserem Fallbeispiel: Subjekt X klopfte also an. Pock, pock. Nichts. Nochmal: Pock, pock. Ein träges, scharrendes Geräusch erklang. Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt, seichtes Licht durchflutete das Nichts. Subjekt X stand vor der Tür, besser: Er ging langsam ein paar Schritte zurück, und starrte gebannt auf die sich öffnende Tür. Der Spalt wurde immer größer. Mehr Licht hob sich aus der Tür auf das Gesicht von Subjekt X. Angstverzehrt kniff er die Augen fest zusammen. Wer erwartet ihn auf der anderen Seite? WAS erwartet ihn? Die Antwort kam schneller als ihm lieb war:
„Ah, schon wieder einer. Jetzt stehen sie da nicht so tatenlos rum. Kommen sie her!“
Wenn Tote in Ohnmacht fallen könnten, wäre genau das jetzt passiert.
Was Subjekt X sah, war ein kleiner, dicker Mann mit Knubbelnase und Nickelbrille. Er hatte ein paar Papiere bei sich und einen braunen Pullover sowie eine schwarze Hose an. Die Nickelbrille war überaus dick und im Verbund mit der zudem fetten Knubbelnase glich die Visage des Mannes einer Abrissbirne.
„Jetzt starren sie mich nicht so an. Folgen sie mir!“ nuschelte der Nickelbrillenmann.
Was soll man auch anderes machen? Also ging Subjekt X dem dicksten Nickelbrillenmann der Hölle nach. Sie marschierten durch das Nichts, immer weiter, bis sie an einen hölzernen Tisch mit 2 Stühlen kamen. Um diesen herum standen allerlei Geräte, die die Toten noch nie im Leben gesehen haben.
Der Nickelbrillenmann rückte seine Brille zurecht und sprach:
„Setzen sie sich, Herr X.“
Subjekt X setzte sich auf einen der beiden Holzstühle; der Nickelbrillenmann setzte sich daneben. So geschieht das immer, schon seit Jahrtausenden.
„Sie sind jetzt Tod.“, sagte jener dann, wie immer, und kratzte sich an der überdimensionalen Nase.
In einem Traum wäre das jetzt endgültig die Stelle, an der man schweißgebadet aufwacht, aber es kommt noch schlimmer:
„Wollen sie einen Kaffee?“
Viele Verstorbene versuchen an dieser Stelle, den Nickelbrillenmann zu schlagen. Das bleibt jedoch vergeblich, da sie wie durch einen Geist immer durch ihn durchschlagen. Er ist keine feste Materie.
„Kommen sie, trinken sie einen. Mit Milch oder Zucker?“
Die Allerwenigsten sprechen den Nickelbrillenmann, dessen richtiger Name eigentlich Sense ist, direkt an, aber jetzt sagen viele einfach, was sie für einen Kaffee wollen. Schwupps ist der Kaffee auch schon da – doch nur ein sehr kleiner Teil trinkt ihn tatsächlich.
„Schnittchen dazu?“
Hier kommen häufig erste Gegenfragen der Art „Wer sind sie?“ „Wo bin ich?“. Das Denken, dass man sich in einem Traum befindet, ist bei nahezu allen an dieser Stelle noch nicht vorüber, was natürlich unglaublich hilfreich für das Orga-Team der Hölle ist: Die Kunden denken, sie sind in einem Traum, und werden dann besser damit fertig.
„Ok, dann keine Schnittchen. Kommen wir zu dem Fragebogen: Wie hießen sie?“
Wurden Sie schon mal gefragt, wie sie HIEßEN?
Subjekt X sagte seinen Namen.
„In welchem Land wohnten sie?“
Subjekt X sagte sein Herkunftsland.
Diese Daten reichen Sense, dem Nickelbrillenmann und gleichzeitig unermüdlichsten Beamten des Einwohnermeldeamtes der Hölle, um den Toten zu identifizieren.
Danach kommt er zum wirklich wichtigen Teil des Gesprächs, nämlich zu den 3 höllischen Fragen. Die Antworten auf eben diese entscheiden über den weiteren Lebensweg, pardon, Totensweg des Verstorbenen.
Die erste Frage:
Wie lautet die Nummer des örtlichen Pizzadienstes?
Antwort (die bis jetzt noch niemand wusste): 06584 / 297513
Zweite Frage:
Wie viel Borkenkäfer waren auf der Arche Noah?
Antwort (die bisher nur Noah wusste; seine Frau und seine Söhne haben jeweils um 1-3 Zahlen daneben gelegen): 26
Und jetzt die eigentliche, entscheidende Frage, die sich JEDER nach seinem Dahinscheiden fragen muss:
„Wer sind sie?“
Viele Leute neigen dazu, lange Vorträge darüber zu halten, was sie in ihrem Leben getan und was sie erreicht haben. Sie erzählen, wie reich sie waren oder wie viel Frauen sie hatten, sie erzählen stolz von ihrer Villa auf den Seychellen, von ihrem Privatjet, von ihrer Luxusyacht.
Doch nur wenige sagen die wahre, einzig richtige Antwort, ohne Floskeln und Bandwurmsätze:
„Ich bin ich.“
Und mit dieser Antwort gelangen sie in den Himmel (wo sie vor nervenden Nickelbrillenbeamten bewahrt sind).