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Der Tod auf dem Felde

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17.02.2002
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Der Tod auf dem Felde

Es war der schwärzeste Tag. Noch nie hatte Johnny einen so schwarzen Himmel gesehen. Die dunklen Wolken bildeten eine undurchdringliche Wand, die sämtliches Sonnenlicht, das versuchte durchzudringen, verschluckte. Johnny war ein sehr gläubiger Mensch und er fühlte die unheilvolle Gewissheit, dass Gott keine Möglichkeit mehr hatte, auf die Erde zu blicken und zu sehen, was hier geschah.
Johnny war wie viele andere hierher gekommen, um Gutes zu tun, um das kommende Unheil abzuwenden, das die Welt zu verschlucken drohte. Die Führer vieler Länder hatten sich zusammengetan, um gemeinsam sich den Unaufhaltsamen zu stellen. Viele junge Männer, unter ihnen auch Johnny wurden gerufen, um diese Aufgabe zu bewältigen, die als die wichtigste der Menschheit galt.
Johnny war auf einer Farm in seinem großen Land, das ihn zu einen stattlichen jungen Mann hatte reifen lassen, aufgewachsen. Viele Jahre kannte er nur dieses Fleckchen Erde, welches er liebte. Aber selbst bis hierhin war die dunkle Kunde vom kommenden Unheil vorgedrungen. Johnny glaubte wie viele an die Reden seines Landesführers und war sofort bereit, in den Kampf zu ziehen, bevor die braue unmenschliche Bedrohung auch seine geliebte Heimat verschlucken würde. Dies wurde zu seinem Antrieb, das geschützte Elternhaus zu verlassen und für eine heilige Sache zu kämpfen. Aber hier war nichts heilig, hier war die Hölle.
Johnny hatte gelernt zu kämpfen und zu überleben, bevor er mit vielen anderen in dieses Land gebracht worden war, dass er nur von Bildern und den wortgewandten Erzählungen der Politiker und seiner Ausbilder kannte. Es sah hier genauso aus wie bei ihm zu Hause, wo man Jahr für Jahr Weizen anbaute, der golden in der Sonne glänzte. Aber hier, in der trügerischen, so heimatlichen Idylle, sollte das Unheil der Erde ihren Ursprung haben.
Johnny wusste nichts davon, tat nur was man ihn befahl, und das schien am Anfang auch ganz leicht. Doch dann begann die Schlacht und sie hörte nicht mehr auf. Keine Stunde verging, in der man nicht die Kanonen feuern hörte. Überall stiegen Feuersäulen in den Himmel auf und verbrannten die Luft. Die einst so grüne Erde hatte sich in ein blutgetränktes Feld aus menschlichen Gebeinen verwandelt, ein Acker der Verwüstung und des Sterbens, eine alptraumhafte Vision dessen, was auch mit Johnny Heimat passieren würde. Aus allen Richtungen hörte man Schreie verletzter Leiber, denen ein verkrüppeltes Leben oder ein qualvolles, nie enden werdendes Sterben bevorstand. Und es schien so, als würde es von nun an ewig so sein.
Johnnys Kompanie hatte eine Feuerpause, andere würden jetzt kämpfen, vergessen, warum sie hier waren, sich erinnern, dass sie mal Menschen waren und hier sterben, denn niemand kehrte zurück. Aber diese Gedanken hatte Johnny schon gedacht und sie waren weit weg. Er saß nur da, erstarrt über seinen Essen, das er gelernt hatte, schnell runterzuwürgen, und blickte ins Nichts, das ihn überall umgab. Seine Uniform war total verdreckt vom Rauch und Matsch, der mehr von menschlichen Körperflüssigkeiten als vom Regen getränkt wurde. Aber selbst das nahm Johnny nicht mehr war. Seine Befehlshaber planten in einen kleinen Zelt hinter ihm den nächsten, vernichtenden Angriff mit menschenverachtender Genauigkeit. Neben Johnny saß ein total in Schwarz gekleideter Mann. Neben seiner altmodischen Uniform trug der Fremde einen weiten Umhang und einen großen Hut, der tief ins Gesicht gezogen war und es so verbarg. Aber wahrscheinlich hätte man dort nur die gleiche Ausdruckslosigkeit sehen können, wie in jeden anderen Gesicht. Der Fremde wärmte sich die Hände an dem kleinen Feuer, was vor Johnny brannte. Johnny nahm keine Notiz von ihm, zu viele hatte er schon kommen und wieder gehen sehen.
"Es wird eine arbeitsreiche Nacht", meinte der Fremde, ohne den Blick vom Feuer zu nehmen. Johnny wurde sich seines Nachbarn bewusst und sah ihn aber nicht an und sagte auch nichts. Aus dem Zelt der Befehlshaber kam aufgeregtes Geplapper, was den nächsten genialen Schlag ankündigte, der die Erde wieder mit neuem Blut tränken würde.
"Zeit, dass man sich vorbereitet", meinte der Fremde, "Es scheint so, als wollten die Knechte des Krieges ihrem Herren neue Nahrung geben. Es gelüstet ihn nach neuen jungen Fleisch verblendeter Mannen mit falschen Idealen." Der Fremde blickte in den rabenschwarzen Himmel. "Ja, es wird wieder eine gottlose Nacht in diesem gottlosen Land."
Johnny hörte die Worte wie aus weiter Ferne, sie kamen zwar zu ihm durch, nur er konnte sie nicht mehr verarbeiten.
"Ist Gott auch schon tot?" kam es Johnny über die trockenen Lippen. Er hatte einst geglaubt, dass Gott ein unvergängliches Wesen sei, aber nun glaubte Johnny, dass auch Gott ein Opfer des Krieges geworden war. Der Fremde sah Johnny gleichgültig an, dann blickte er zum Himmel.
"Oh, Gott ist noch da, aber er sieht nichts mehr. Irgendwo hinter den Wolken ist er noch anzutreffen, und vielleicht können ihn auch einige sehen, aber das hier sieht er nicht mehr. Dieser Krieg ist zu Gottes blinden Fleck geworden."
"Wie konnte er es zulassen, dass das geschieht?" Johnny sah weiter ins Feuer.
"Wie konntest du glauben, dass er es verhindert kann? Dieser Krieg ist weder Gottes Werk, noch kann er ihn beenden. Der Krieg besteht unabhängig von ihm und trifft nur die Menschen. Er ist Menschenwerk und nur für sie bestimmt. Der Krieg kommt und geht, nimmt, was er haben will und hinterlässt nur Zerstörung. Keiner weiß, wann er zurückkehrt, aber er sendet seine Boten der Vernichtung, auf dass sie es seinen treuen Knechten mitteilen, damit sie sein Kommen vorbereiten. Er braucht junge Männer, die seinen Boden nähren, Ideale, die sie sterben lassen, Verblendung, in der sie töten, Männer wie dich." Der Fremde blickte zurück ins Feuer. "Es ist immer dasselbe, nichts ändert sich, allein der Krieg ist ewig. Junge Männer wie du kommen in ein Land und denken, dass sie was verändern können, indem sie diejenigen töten, die nicht der Meinung ihrer Führer sind. Doch der vermeintliche Feind ist der selben Meinung, und das Blutbad beginnt. Dann, nachdem das Schlachten und Sterben ewig zu dauern scheint, fragen sich viele der jungen Männer, warum sie hier sind, aber dann ist es schon zu spät." Der Fremde nahm einen Schluck Kaffee.
"Ich dachte, ich tat das richtige, weil es doch alle taten. Unsere Führer sagten, dass wir es tun müssten, unsere Ausbilder sagten, dass wir es tun müssten und unsere Befehlshaber sagten es auch. Es war richtig, aber auch das scheint vergangen zu sein, nicht mehr zu zählen. Glaubt Gott nicht daran, dass es richtig ist, was wir hier tun?" Johnny hörte nicht, wie das Kanonenfeuer immer näher kam und verkündete, dass eine neue Schlacht bevorstand. Der Fremde jedoch lauschte in die Ferne und schien die Zeitdauer abzuschätzen, bis es soweit war. Dann wand er sich wieder an Johnny.
"Deine Führer, Ausbilder und Befehlshaber sind die Knechte des Krieges, sie Leben von ihm. Sie opfern ihm ihre besten Männer und er ernährt sie dafür. Der Krieg ist ihr Leben, ihre Daseinsberechtigung. Ohne ihn, ohne Hass und Zerstörung, sind sie so wertvoll wie Sand im Winde. Seit jeher gibt es diesen Pakt zwischen ihm und den Menschen, der aber nur wenigen nützt. Glaube mir, Gott hat das niemals gewollt, aber seit er die Erde den Menschen gab, gibt es Krieg um sie. Erst wenn es sie oder den Menschen nicht mehr gibt, wird auch der Krieg beendet sein."
"Warst du schon bei vielen Schlachten dabei?" Johnny sah den Fremden noch immer nicht an. Es war schon lange her, dass er mit jemanden gesprochen hatte, denn alle die er kannte, waren hier oder woanders gestorben. Vielleicht war der Fremde ein Beichtvater, der ihn gesehen hatte und mit ihm sprechen wollte. Johnny wusste es nicht und es war ihm auch egal. Er hatte gelernt, dass nichts zählte als der Augenblick, aber auch der war ohne Trost.
"Ich war in vielen Kriegen dabei. Deswegen kann ich sagen, dass sich nie was ändern wird. Aus der Zerstörung wächst neues, nur, um wieder zerstört zu werden und zwar noch verheerender als vorher. Kaum ist das Sterben beendet, wächst neues Leben heran, das vergänglicher ist als das alte. So ist der Wert ein jedes Neuen, dass sie wieder zu Grunde gerichtet wird. Es ist ein ewiger Kreislauf, von dem nur der Krieg wahrhaftig profitiert."
Das Donnern wurde immer lauter. Plötzlich schlugen Granaten im Lager ein und wilde Aufregung breitete sich aus. Die Schlacht hatte sich schneller herangeschlichen als vermutet worden war. Die Befehlshaber kamen aus ihrem Zelt gestürmt, bewusst, dass sie ihre großartigen Strategien vergessen konnten und nun nur noch das eigenen, nackte Überleben zählte. Mit lauten Befehlen versuchten sie wenigstens etwas Ordnung ins unvermeidliche Sterben zu bringen. Blinder Drill brachte die jungen Männer dazu, auf diese Befehle zu hören und voranzustürmen, obwohl ihr Kopf ihnen sagte, sie sollten zurück in die Heimat rennen. Doch das schwarze Grauen, welches sich vor ihnen aufbäumte, zog sie magisch an.
Auf einmal war die Hölle losgebrochen, überall war nur noch Feuer, Hitze und Rauch. Das Sterben war wieder unmittelbar, der Schmerz allgegenwärtig. Johnny hatte sich bei der ersten Explosion, die in seiner Nähe war, auf den Boden geschmissen. Instinktiv schnürte er sich seine Waffen um, setzte den Stahlhelm auf und lud sein Gewehr durch. Der Fremde saß nur da und blickte ins kleine Feuer, während der Lärm um ihn herum unerträglich wurde. Dann blickte er ungerührt auf Johnny, der ihn verwirrt ansah.
"Zeit zu sterben", meinte der Fremde und goss den Rest seines Kaffees ins Feuer. Dann stand er auf und ging unbeirrt durch die wilden Massen von anstürmenden Männern, während gewaltige Explosionen blutige Wunden in die Erde rissen.
Johnny sah den Fremden noch nach, bis die Hitze ihn verschluckte. Dann sprang auch Johnny auf und rannte als Bestandteil der ungebändigten Horde los. Schießend und schreiend bahnte es sich seinen Weg in dieser bibelzitierenden Schlacht. Rechts und links zerriss es seine Kameraden, der Kanonendonner übertönte ihre letzten Schreie. Schon berührten Johnnys Stiefel nicht mehr den blutgetränkten Boden, sondern verfingen sich in grotesk verkrümmten, ehemals menschlichen Leibern. Johnny dachte nicht darüber nach, sondern kämpfte sich den Weg unbeirrt weiter fort, ohne zu wissen, wohin er überhaupt lief.
Die Flammen schossen in den Himmel empor, rissen die Wolken auf, doch der Rauch verfinsterte die Sicht. Schon war im Irrgarten auf Fleisch, Stahl und Rauch nicht mehr klar, ob nun Freund oder Feind vor einem stand. Aber das Chaos ließ keinen Zweifel zu, so dass man auf alles zu schießen hatte, was man nicht als Freund erkennen konnte. Johnny schoss und schrie, schrie in die lodernden Flammen, schrie in den Rauch, schrie in den Himmel zu Gott, der ihn doch hören musste.

Der Fremde zog seinen Karren über das Feld, welches eine der größten Schlachten seit Anbeginn der Welt getragen hatte. So schnell, wie die Flammen gekommen waren, die alles verzerrten, so schnell waren sie auch wieder gegangen. Jetzt hörte man keinen Kanonendonner mehr und schmerzerfüllte Schreie gehörten der Vergangenheit an. Die schwarzen Wolken waren gewichen und ließen den Blick auf ein strahlendes Firmament richten. Die Sterne funkelten so schön wie nie und sahen hinab auf einen Ort des Grauens. Der Fremde hob einen weiteren Toten auf seinen Karren, der angefüllt war mit verzerrten Leibern, die einst zukunftsbeseelten Wesen gehört hatten. Er tat dies mit einer ebensolchen Gleichgültigkeit als würde er Holz fürs Feuer sammeln.
Das Feld war von allen Leben verlassen, der Krieg war weitergezogen, hier gab es keine Nahrung mehr. Johnny lag dort unter vielen anderen, denen es nicht besser ergangen war. Freund lag hier neben Feind, im Sterben waren sie alle gleich, betrogen um ihre Zukunft, bestohlen um ihr Leben. Der Fremde hob Johnny auf und brachte ihn zum Wagen.
"Sieh dich nun an, wie warst du doch voller Leben. Du sätest auf deinem Land, auf dass es reiche Frucht trage. Nun bist du selber zur Saat und Frucht auf dem Acker des Krieges geworden, der kein Leben gebiert. Der Krieg zieht weiter, um die reiche Ernte des Verderbens einzufahren, und du bist nun eine seiner Gaben." Der Fremde, den sie den Tod nannten, legte Johnny auf den Wagen und zog weiter dem Krieg hinterher.

[Beitrag editiert von: C.J. Walkin am 19.02.2002 um 21:29]

 

Unter Horror passt sie tatsächlich nicht.

Mir hat die Geschichte aber recht gut gefallen.
Deine Umsetzung, über den Krieg zu schreiben, ist mal ne andere Variante.

Ich muß mich Paulchen jedoch anschließen, was das "noch ein wenig feilen" angeht.

denn mal

L.o.C.

 

O.K., ich muß auch zugeben,daß die Geschichte bei Horror etwas deplatziert wirkt, es sei denn man erkennt im Krieg den menschlichen Horror ansich. Trotzdem: eine beeindruckende Geschichte, die zu jeder Zeit spielen kann. Mir hingegen kamen Bilder vom Bürgerkrieg in Amerika oder des 1. Weltkrieges in den Sinn.
Wenn man die anderen beiden Geschichten von Dir hier sieht (oder "Puppets on a String"), dann unterscheidet sich die Geschichte deutlich. Die Moral schwingt noch immer mit, aber sie ist hier subtieler, anders, so daß ich noch mehr zum Nachdenken angeregt wurde.
Das zeigt auch, daß Du anscheinend über ein breites Spektrum verfügst. Weiter so.
(übrigens: Ich habe diese Site schon früher besucht, da ich gerne Geschichten anderer, noch unverbrauchter Schreiber lese, aber erst heute meldete ich mich an, da ich Deine Geschichten bzw. Deinen Namen entdeckte und an "Puppets" erinnert wurde, weswegen ich Dir mal unbedingt eine positive Rückmeldung geben wollte, da hier Verisse vorzuherrschen scheinen!)

 

Da an drei Stellen die gleichen paranoiden Kritikanmerkungen stehen, schreibe ich hier nicht zum dritten Mal, was ich schon erwähnte. Nur das eine: mir gefallen die Geschichten wirklich, so what?

 

@Schlachtenpaulchen
Ich habe nur die von C.J. kritisiert, da ich ihn eben kannte. Aber: es stimmt schon, mir wäre das auch komisch vorgekommen. Was soll's? Aller Anfang ist schwer und ich war eben mit meinem Elan etwas übereifrig.
Also, alles im Lot und auf zu neuen Ufern.

Ich habe letztens von einem Verleger gehört, deutsche Autoren könnten nicht schreiben, schon gar nicht im phantastischen Bereich. Ich hoffe, daß wir das hier widerlegen können. :D

 

Hey C.J.,

großartig wie düster, realistisch und mit klarer Aussage du in deiner Geschichte die Chimäre des Krieges beschreibst.

Der Tod als "Harvester of Souls" wirkt bei dir auf mich weniger beängstigend und unnahbahrer als in ähnlichen Texten. Er sieht zu wie sich die Menschen selbst vernichten und sammelt ihrer Überreste ein. Das ist eben sein Job,oder?

Einzig seine Aussage das Krieg so lange existieren wird wie es die Menschheit gibt, möchte ich ihm als Optimist nicht abnehmen.

Stilistisch und von der Charakterzeichnung finde ich die Story sehr gelungen. Nur 1 Punkt hat mich gestört: "[...]so wertvoll wie Sand im Winde.". Dieser Vergleich erschließt sich mir einfach nicht in seiner Bedeutung. :confused:

tillthen

 

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