Der Teufel und die Furien-Frau
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Sie hatte nicht darum gebeten, dass ihr der Teufel erscheinen möge. Das sagte sie später immer zu sich selbst. Und ja, ganz unrichtig war das nicht. Sie hatte nicht etwa aktiv nach ihm gerufen, aber ihre Neugier, ihre Kontrolllust, hatten ihn gerufen. Also doch sie, oder?
„Was grübelst du, schöne Frau?“, drang die Stimme aus der dunklen Zimmerecke zu ihr, die sie auf dem Bettrand saß, noch geschminkt vom Tag, und doch ein wenig ermattet. Dass er fragte war übrigens Höflichkeit, oder Spieltrieb, denn er wusste die Antworten. Anders als sie.
Aus unerklärlichen Gründen, aber der Teufel war auch irgendwie unerklärlich, machte es sie in keinster Weise nervös, dass plötzlich ein Fremder in ihrem Zimmer auftauchte und auch nicht das Wissen, dass es der Teufel in Person war. Dennoch musterte sie ihn scharf. Eine richtige Frau, eine potentielle Furien-Frau, musterte immer scharf, und ihrem Blick entging wenig.
Er war ein kleines Männelein, höchstens einssechzig groß, seine Nase war zu spitz um attraktiv zu sein, was der sauber gestutzte, schwarze Kinnbart wieder ausglich. Bemerkenswert waren nur die Augen, die dunkel funkelten, dunkler als finstere Nacht. Dennoch wirkte er amüsant, vergnüglich, sympathisch, irgendwie.
Sie seufzte.
„Ach, ich mache mir einfach Sorgen, wenn er einige Tage nicht da ist.“ Der Teufel trat einen trippelnden Schritt näher.
„Oho, oho, Sorgen also. Worüber denn?“ Sie zögerte ein wenig, aber der Teufel schwächte oder umging sogar den misstrauischen Argwohn einer Furien-Frau. Sie merkte es nicht, aber sie hatte bereits verloren. Er spielte das Spiel zu oft, er kannte die Regeln zu gut. Er hatte sie gemacht. Vor langer Zeit.
Achselzucken als erste Antwort, dann die zweite. „Dass ihm keine Gefahr zustößt.“
„Gefahr? Welche Gefahr? Etwa eine… böse… Hexe?“ Sie warf ihm einen herablassenden Blick zu.
„Seid nicht albern. Es gibt keine Hexen.“
„So wenig wie den Teufel?“, fragte er von unten herauf, mit schelmischem Blick. Sie machte „pffff“ und wedelte das Thema weg. Wie man es macht, wenn man ertappt wird. Sie wussten beide, dass allenfalls eine geladene Waffe ihm Gefahr sein konnte, oder ein Autounfall. Der Teufel kannte diese Stelle der Geschichte und spann sogleich den nächsten Faden.
„Aber selbst in Sicherheit bleibt es doch spannend, was ihm widerfährt, oder? Übermorgen, wenn er heimkommt, erzählt er wieder: Viel Gerede bei den Fachtagungen, das Essen war ganz gut…“ Der Teufel verschwand neben ihr und tauchte am Fenster wieder auf, wo er, lässig am Rahmen lehnend, fortfuhr. Mit einer Hand gestikulierte er im Mondlicht.
„Ich meine, wir beide wissen, solche Meetings, solche Tagungen verlaufen doch nicht steril und nüchtern, oder? Da wird geplaudert, da erzählen sie Geschichten, Geschichten!“ Beim letzten Wort drehte er sich zu ihr um und senkte vielsagend das Kinn, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sie nickte. Kein Zweifel, er hatte sie am Wickel, etwas, das bei Furien-Frauen am einfachsten geht, denn sie sind zu hochmütig, um ihre Niederlage frühzeitig zu erkennen. Was sie sich normalerweise leisten können, denn wenige Menschen haben den Schneid, sich gegen sie zu behaupten. Aber der Teufel… nun, er konnte diese Schwäche hervorragend nutzen. Er trippelte unruhig mit den Fingern an den Fensterrahmen und wandte den Blick wieder hinaus in den Garten.
„Was erzählen sie da wohl alle, diese Männer unter sich? Von ihren Frauen und… über Frauen. Mit wem reden sie am liebsten? Vielleicht andere Frauen? Die da im Hotel an der Bar sitzen? Ebenso gesellschaftssuchend, da allein? Endlich allein…?“ Die Frau straffte ihre Schultern, ihr harter Blick hielt die Gestalt des Teufels fest. Er hatte ja so echt, er stellte die richtigen Fragen.
„Und dann die ganze Nacht allein… hm, Männer, diese Hedonisten, bleiben gerne lange auf, trinken…“ Wieder warf er ihr einen unergründlichen dunklen Blick zu, nachdem er das letzte Wort stark betont hatte und es damit hieß: trinken zuviel, mehr als ihnen guttut, wenn es nach ihren Frauen geht.
„Dann kommen sie heim, sind müde vom Kongress, nein, nichts außergewöhnliches, du würdest dich langweilen, Schatz…“ Die Worte hingen schwer im Raum, sie verströmten mehr Wahrheit, als die Frau hören wollte. Es waren Dinge, die sie schon immer gewusst hatte, die sie immer ebenso wahrnahm…
Plötzlich saß er neben ihr auf dem Bett, beinahe berührten sie sich. Er roch angenehm nach einem milden Männer-Wässerchen, absolut unaufdringlich. Wie ein Call-Boy riechen müsste… Ihr Blick hing aber weiterhin am Fenster, tief in Gefühlen versunken.
„Was meinst du, schöne Frau, sollen wir nicht einen Blick wagen? Wir könnten ihnen einfach zusehen, und zuhören…“ Und nun folgte der Moment, in dem die Frau das Spiel verlor, wiederum ohne, dass sie es auch nur im Entferntesten bemerkte. Durch ihr Wesen, ihren Charakter, machte sie es dem Teufel leicht. Er brauchte sie nicht zu bezaubern, verhexen oder verführen. Er bestätigte sie nur, verstärkte ihre Gefühle, die ohnehin zu stark und zu negativ waren. Aber auch das entzog sich ihrer Kenntnis. Sie war eine Furien-Frau, eine potentielle. Nein, keine potentielle mehr.
„Was meinst du? Wagen wir einen unschuldigen Blick?“ Und nun: Schlüsselszene! Aus freien Stücken geantwortet, nicht verhext oder bezaubert. Und damit schuldig. „Ja.“ Leise gehaucht, die Augen ein wenig glasig vor Gier. Und der Teufel lächelte. Wieder gewonnen. Er kannte den Ausgang schon jetzt. Oh, den köstlichen Ausgang der Geschichte…
Und vor ihnen im Raum, zwischen Bett und Fenster, entfaltete sich eine Art großer Bildschirm, der Männer in lässigen Anzügen zeigte, die meisten Mitte vierzig. Entspannt, Glas in der Hand, plauderten sie. Und ihrer war dabei. Gutaussehend, natürlich, stark und aufrecht, in der Hand ein Glas Sekt. Was er sonst nicht trank…
„Viel Gerede ja, aber daheim ist’s auch nicht besser.“ Und sie lachten alle, unschwer zu erkennen, dass das auf Kosten ihrer Frauen geschah. Und ihr Mann lachte mit, legte einen drauf.
„Manchmal hat man schon das Gefühl, als Laber-Abfalleimer herhalten zu müssen, weil die Frau nicht genug Worte losgeworden ist am Tag.“ Und erntete damit einen ungleich größeren Lacher.
Die Mine der Frau, bisher mit gerunzelter Stirn angestrengt lauschend, veränderte sich, bekam eine Zornesfalte auf der Stirn, die sich dort lange halten würde. Der Teufel verfolgte nicht das Geschehen auf dem „Bildschirm“, er hielt das Gesicht der Frau mit den Augen gefangen. Nicht, weil sie attraktiv war, was zweifelsohne stimmte, sondern weil die Wandlung darauf sein Lebenselixier war.
Mit gelockerten Krawatten und hemdsärmlig saßen sie in einer urigen Bauernstube, vor sich die Bierkrüge. Sie sah sofort, scharfes Auge, dass Zeit verstrichen war, dass Biere verstrichen waren. Und noch einmal schlug ihr Raubtierblick zu, schneller als man es für möglich halten könnte, denn sie sah sofort, dass auf dem Bierdeckel ihres Mannes bereits vier Striche gemacht worden waren.
„Vier Bier?“, zischte sie wütend, und entlockte damit dem Teufel ein freudiges Glucksen, das sie nicht wahrnahm. Sie war gefangen in der Darbietung. Und wieder Witze, lustiges Gelächter.
„Kaum bin ich nicht da, ist es also sooo lustig…“ Sie konnte nicht verhindern, jeden Gedanken laut auszusprechen. Sie bemerkte auch das nicht. Sie wurde ja dahingehend ein wenig animiert, könnte man sagen. Dann sagte ihr Mann:
„Ich bin echt froh, wenn ich sie mal los bin. Weiber sind einfach Spaßbremsen, oder?“ Sein Gesprächspartner nickte grinsend und sie stießen an. Wieder und wieder, und ebensolche Sprüche, mal vom einen, mal vom anderen. Und dann das, was ihrer beider Schicksal besiegeln sollte.
Wieder war Zeit vergangen, das merkte die Frau, obwohl die Striche gleich geblieben waren. Aber der Gegenüber saß ein wenig schiefer und sein Blick war verschleierter. Ihr Mann war zu ihm gebeugt und erzählte eindringlich, stolz; sichtbar sonnte er sich im Licht der Bewunderung.
„Und dann gab es Katrin. Die war eine Bombe. Im Winter kam sie vorbei, stand im Mantel vor der Tür. Sie fragte noch keck, ob ich alleine bin, dann öffnet sie den Mantel und hat außer schwarzen Strümpfen nichts darunter!“ Dazu zeigte er mit beiden Händen eine ausladende Oberweite.
„Katrin!“, zischte sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, welche, und es in ihrem Bekanntenkreis keine potentielle gibt, schon gar keine, auf die die „Beschreibung“ passt. Aber ihr Gesicht machte deutlich, was sie von solchen Erlebnissen oder Erinnerungen hielt. Es hätte sie nie geben dürfen, und wenn dann hätten sie vergessen werden müssen! Was kamen sie jetzt zu tage, weit von seiner Frau entfernt?
Der Gesprächspartner konnte seine Bewunderung nicht zügeln, sie war in sein Gesicht gemeißelt und ebenso der Neid. „Wahnsinn.“ Ihr Mann nickte, ein überheblich, überlegenes Grinsen im Gesicht, das sie sofort hasste. Es zeigte ihn, wie er wäre, wenn die Furien-Frau nicht gekommen wäre. Es ist ihr Feindbild, das sie mit viel Arbeit zerschlagen hat. Und nun, kaum dass sie weg ist, zeigte es sich wieder. Sie bebte vor Wut, die Zornesfalte wurde tiefer, ihr Gesicht gerötet, ihre Gedanken rasten gefährlich.
Dann saß er plötzlich auf einem kleinen Balkon, vermutlich der seines Zimmers. Anders als die wahre Sichtweise konnte sie links und rechts viel weiter sehen, was ihr ein Gefühl verschaffte, als wäre sie mittendrin, also direkt neben ihm. Im Licht der kleinen Balkonlampe sah sie einige Dinge auf dem Tischchen liegen, die sie schnell erkannte und ihre Wutfalte wurde tiefer.
Er mischte Tabak und ein wenig grünes Kraut, rollte, drehte, leckte ab und schob sich das Gebilde lässig, mit selbstgefälligem Grinsen und routiniert zwischen die Lippen.
Seine Frau sah zu, die Lippen bebten vor Wut. Er erdreistete sich, etwas zu tun, was sie ihm mehrmals unter Androhung von gravierendem Ärger verboten hatte. Und er tat es nicht zum ersten Mal, das zeigte die Routine. Wo hatte er das überhaupt her?
Er atmete einmal tief durch, in der frischen Sommerluft, den Blick entspannt, selig auf die Szenerie unter sich gerichtet. Dann zündete er an, inhalierte tief, schloss die Augen und entließ eine massige, duftige Wolke Rauch. Seine Frau bebte zornig, der Teufel neben ihr bebte glücklich und freudig.
Für sie war das Maß längst überschritten, das Maß dessen, was ihr Mann tun durfe, sich erlauben durfe, wenn er von ihr getrennt war. Weit überschritten. Sie war fassungslos. Und der Teufel rieb sich die kleinen Hände und freute sich diebisch.
Dann nochmal Schnitt auf dem „Bildschirm“. Ihr Mann saß im Hotelbett, Oberkörper frei, die Muskeln sichtbar, wegen derer sie ihm so schnell verfallen ist, damals. Aber ach was.. nicht verfallen!
„Ich habe ihn mir geschnappt, er hatte keine Chance“, so ihre Erklärung, unwillentlich geäußert. Der Teufel nickte mit vorgeschobenen Lippen. Wer, wenn nicht er, erkennt eine Lüge, wenn er sie hört?
Er las etwas, im Bett, obwohl es schon sehr spät sein musste.
„Spät, bei „nichts außergewöhnlichem“, nach vier Bier und einem Joint…“, keifte sie am Bett sitzend. Und dann erkannte sie, was auf dem Magazin abgebildet ist: Weiblichkeit, prall, reif, willig. Und sie sah sofort – sie ist eine Furie – den Glanz in seinen Augen. Und eine Hand war unter der Decke, rhythmisch beschäftigt, während Seite für Seite neue Beute auftaucht, neue Lustobjekte, die es nicht geben durfte, nicht in ihrer Welt von Mann und Frau. Nicht in ihrer Welt, in der die Natur des Mannes ohne Bedeutung war.
Der Teufel schnalzte mit der Zunge und schüttelte spielerisch tadelnd den Kopf. „Aber aber, du wärst die erste seit Menschengedenken, die einem Mann wirklich genügt, Schätzchen.“ Aber sie hörte ihn nicht, würde es auch nicht verstehen (können).
Aus ihren Furien-Augen sprühte Zorn, Welle um Welle, Verderben wünschend dem, den sie vor wenigen Minuten noch liebte.
„Ach ja?“, kicherte der Teufel und blieb wieder ohne Antwort. Dann erlosch der Bildschirm. Und zurück blieb Dämmerlicht und der schwelende Hass der Frau auf dem Bett.
„Eieiei“, ulkte der Teufel, sprang vom Bett und verbeugte sich spöttisch. „So ein hedonistischer Kerl“, sprach er, suggerierte ihr dadurch Zuspruch, obwohl es gar keiner war.
Er lüftete einen nicht existenten Hut, und verschwand sang und klanglos.
Als er nach Hause kam, erzählte er von viel Gerede, adäquater Unterhaltung, mäßigem Getränkeverhalten und bequemen Hotel-Betten. Er sagte nicht, er habe sie vermisst, weil er, Mann der er nunmal war und sein sollte, derlei Gefühlsäußerungen nicht im Repertoire hatte. Hier schied Böswilligkeit aus, aber sie wurde auf die Rechnung gesetzt, denn seine Frau verletzte den Grundsatz: Setze nie Bosheit voraus, wenn Ignoranz genügt. Aber der Spruch vertrug sich nicht mit einer Furien-Frau, also leugnete sie seine Existenz und das bedeutete: Es wurde nach ihren Regeln gewertet. Hart, (nur) für sie fair.
So folgten ihm die Furien-Augen, aber damit konnte leben, wer dauernd unter Generalverdacht stand. Er war stark genug dazu, obwohl sie das nicht als Stärke sondern als Verschlagenheit wertete. Denn er wusste etwas und müsste doch davon ausgehen, dass sie es wusste, und dann müsste er es ihr sagen, es war seine Pflicht…
Der Teufel erschien erst wieder, als seine Saat lang genug gegärt hatte, als sie über ihrem Mann stand, in der Küche. Das Messer ragte ihm noch aus dem Rücken. Blut hatte Türchen und Schubläden gesprenkelt. Und sie stand da, noch in den Klauen ihrer Wut, die aus ihr selbst kam, die ihr eine schnelle, harte Reaktion aufoktroyiert hatte.
„Oh lala!“, meldete sich der Teufel von der Türe her, wo er wieder lässig lehnte. Und nun, nach dem Exzess für einmal kurz aufnahmefähig, würde die Frau ihm zuhören. Würde den letzten Akt live miterleben, was auch Erkenntnis beinhalten musste.
„Ich will dir erst sagen, weshalb ich dir alles gezeigt habe. Es ist nicht, weil ich gerne Zwietracht säe, das wird mir nur unterstellt. Nein, es ist, weil ich Hochmut und Arroganz nicht leiden kann. Sie sind mir vorbehalten und nichts für euch kleine Furien. Und dir habe ich sie nun aus dem Gesicht gewischt, nicht wahr, Schätzchen?“ Noch immer wandte die Frau ihm den Rücken zu und blickte starr auf die grobe Sauerei unter sich, deren Urheber sie selbst war.
„Fassen wir zusammen: Vier Bier, ein Joint, zwei Witze gegen Frauen, ein Sex-Heft. Ach ja, und die alte Geschichte von Katrin… 15 Jahre her.“ Er ließ seine Worte wirken, ließ es einsickern, dass alles Gesehene harmlos war, eigentlich ohne Bedeutung. Sie hatte ihm Bedeutung gegeben. Sie allein. Blutige Bedeutung.
„Das Urteil konnte nicht anders als lebenslänglich ausfallen“, sprach der Teufel gemessen und brach dann in schallendes Gelächter aus. Der Sieg war ihm ja nicht mehr zu nehmen. „Lebenslänglich für dich, hochmütiges Täubchen.“ Und er lachte und lachte, so dass die Küche widerhallte, selbst als er schon verschwunden war und die Frau sich die Hände vors Gesicht schlug.